Leona Stahlmann: „Diese ganzen belanglosen Wunder“

Zauberhafte Endzeit

05:09 Minuten
Ein Illustration auf dem Buchcover zeigt den Buchtitel und den Namen der Autorin.
© Verlag dtv

Leona Stahlmann

Diese ganzen belanglosen WunderDTV, München 2022

400 Seiten

22,00 Euro

Von Katharina Herrmann |
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Ein Blick in die gar nicht so ferne Zukunft: Wälder brennen, Venedig versinkt im Meer und eine junge Frau bekommt ein Kind. In ihrem zweiten Roman stellt Leona Stahlmann die Frage, wie man leben kann, wenn das Ende der Menschheit unabwendbar scheint.
Wer Leona Stahlmanns Roman „Diese ganzen belanglosen Wunder“ lesen möchte, muss sich auf Ungewöhnliches einlassen – das fordert die Autorin von der ersten Seite an ein, indem sie ihrem Roman den rätselhaften Hinweis voranstellt: „Dies ist ein versehentlicher Hoffnungsroman.“
Was macht einen „Hoffnungsroman“ aus? Zum einen natürlich die Handlung.
Der Roman zerfällt in zwei Teile, die in einer Zukunft lokalisiert sind, die gar nicht so weit von unserer Gegenwart entfernt ist. Die Klimakatastrophe zeigt bereits deutliche Folgen, die Extremwetterlagen haben zugenommen, dennoch ist die Infrastruktur, wie wir sie kennen, noch nicht zusammengebrochen.
Der erste Teil des Romans erzählt von Leda, einer jungen Frau, die sich in dieser Endzeit in die Einsamkeit einer norddeutschen Marschlandschaft zurückzieht. Sie bekommt dort ein Kind, das nicht geplant war und das sie vor die Frage stellt, wie man in dieser Zeit noch ein Kind bekommen und großziehen soll.

Gemeinsame Fürsorge für Zeno

Diese Fragen stürzen sie in Depressionen, immer wieder ist ihr Sohn Zeno auf sich selbst gestellt, bis die Mutter ihn im Alter von zwölf Jahren alleine lässt. Zeno jedoch ist ein ungewöhnliches Kind, fast ein Saint-Exupéryscher kleiner Prinz.
Der schafft es – und davon erzählt im zweiten Teil des Romans eine junge Frau namens Katt –, eine Gemeinschaft von Menschen um sich zu sammeln, die sich aus den unterschiedlichsten Gründen aus der Stadt in die Natur zurückziehen und nun in einer Wohngemeinschaft in der Marsch zusammenleben, deren Mitte ihre gemeinsame Fürsorge für Zeno ist.
Doch im Wesentlichen geht es in diesem Roman gar nicht um die Handlung, sondern es geht um eine der grundlegendsten Fragen unserer Zeit: Wie kann man weiterleben, ohne zu verzweifeln, wenn es keine Zukunft mehr gibt?

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Diese Frage wird – neben der Handlungsebene, die zeigt, wie Menschen in Zufallsgemeinschaft und Wahlverwandtschaft einander Halt geben können – vorwiegend durch die sprachliche Gestaltung von „Diese ganzen belanglosen Wunder“ bearbeitet.
Wie schon in ihrem ersten Roman, „Der Defekt“, merkt man auch in diesem zweiten, dass die junge Autorin Leona Stahlmann auch Lyrikerin ist: Die Handlung zieht sich eher nebenbei durch üppige, häufig assoziative und bisweilen rätselhaft wirkende Beschreibungen.

Hoffnung statt Verzweiflung

Damit verfolgt der Roman ein im Grunde romantisches Projekt: In einer zukunftslosen Welt kurz vor dem Kollaps wird hier die Welt, insbesondere die Natur, in ihrer ganzen rauen Schönheit zu nahezu zauberhaft wirkender Poesie.
Leda schreibt am Anfang des Romans an ihren Sohn: „Den einen Zauberspruch gibt es nicht mehr. Das ist ein Trost, Zeno: Wir können uns alles selbst ausdenken.“
Und genau dies geschieht in diesem trotz seiner Aktualität seltsam aus der Zeit gefallen wirkenden, märchenhaften Roman: Statt angesichts der Faktenlage zu verzweifeln, statt politisch aktiv zu werden, ziehen sich die Figuren in ihre kleine Gemeinschaft und in ihre Fantasie zurück und schöpfen Hoffnung aus der Schönheit, die sie trotz allem wahrnehmen.

Philosophische Deutungsebene

Zusätzlich gibt es eine philosophische Deutungsebene, die durch Motive im Text verankert wird: Indem diese Figuren an einem Fluss leben, der ihr Leben zentral beeinflusst, werden auch Ideen der vorsokratischen griechischen Philosophie in den Text verwoben, insbesondere solche von Heraklit: Alles fließt, der Zustand der Welt ist immer schon Veränderung und wird es bleiben.
Und all das – Handlung, Sprache, Philosophie – kann versehentlich einen Roman voller Hoffnung angesichts des Endes der Welt ausmachen. Allerdings nur dann, wenn man als Leserin oder Leser bereit ist, sich auf diesen ungewöhnlichen Text einzulassen.
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