"Diese Idylle trügt"

Barbara Bongartz im Gespräch mit Jürgen König |
Die Schriftstellerin Barbara Bongartz lebt für drei Monate in Hausach im Schwarzwald. Wie sie von den Anwohnern gehört hat, ereignen sich hinter den schmucken Fassaden auch tragische Geschichten.
Jürgen König: Heute sprechen wir mit der Autorin Barbara Bongartz, sie ist die amtierende Stadtschreiberin von Hausach im Schwarzwald. Guten Tag, Frau Bongartz!

Barbara Bongartz: Guten Tag, Herr König!

König: Welche alemannischen Ausdrücke haben Sie denn bisher kennengelernt?

Bongartz: Na ja, José Oliver hat es ja gerade schon gesagt, Wunderfitz, also, sehr weit her ist es mit meinen alemannischen Sprachkünsten nicht und ich muss gestehen, es ist auch zu kurz eigentlich, um da wirklich einzusteigen und die Menschen strengen sich sehr an, mit mir Hochdeutsch zu sprechen.

König: Wunderfitz ist ja ein herrliches Wort, sind Sie denn ein Wunderfitz, eine Neugierige?

Bongartz: Absolut, ja, und ich denke, das ist auch der Grund gewesen, warum ich mich für dieses Stipendium beworben habe und warum ich trotz der sehr anderen Welt, die mich da erwartet hat – von der ich ja auch eigentlich nichts wusste bis auf Klischeebilder –, was mich daran angezogen hat.

König: Ihrem letzten Roman "Der Tote von Passy" haben Sie ein Zitat von Ross McDonald vorangestellt: "Am Ende besitze ich den Ort meiner Geburt und ich bin besessen von seiner Sprache." Wie ist das mit den Menschen, die Sie jetzt in Hausach kennenlernen? Inwieweit sind die, na ja, nicht besessen, aber doch geprägt von der Sprache ihrer Heimat? Wie gehen sie mit dieser Sprache um, so meine ich es, wie leben sie mit ihr oder in dieser Sprache?

Bongartz: Ich würde sagen, sehr natürlich, sehr selbstverständlich und ohne jeden Zweifel. Die Sprache gehört dazu und die Sprache wird vielleicht in dem Moment versucht, etwas zu verändern oder etwas ins Hochdeutsche zu verändern, wo die Leute aus Hausach mit mir sprechen.

König: Und verändert diese ländliche Sprache Ihre, sagen wir mal, metropolitan geprägte Sprache?

Bongartz: Die Sprache ganz bestimmt nicht, nein, überhaupt nicht. Das kann mich nicht berühren. Ich bin jetzt seit sechs Wochen da und ich versuche, das zu hören, und ich versuche, auch zu hören, was das mit mir macht, aber das kann mich nicht prägen, das ist viel zu kurz. Und die anderen sprachlichen Wurzeln, die ja viel, viel tiefer und viel früher und viel länger liegen, die sind natürlich bindend, würde ich sagen.

König: Was macht eigentlich ein Stadtschreiber den ganzen Tag?

Bongartz: Das fragen die mich da auch immer und die haben immer große Sorge, ich könnte mich da langweilen. Die Leute sind wahnsinnig freundlich und zu dieser Sorge um mich gehört eben auch, dass man mich anruft und fragt, was ich denn abends mache oder was ich den Tag über mache und ob ich nicht einsam bin. Ich arbeite einfach, und wenn ich nicht arbeite, dann radle ich durch die faszinierend schöne Märchenlandschaft da.

König: Ist es gut für die Inspiration?

Bongartz: Weiß ich noch nicht. Ich würde sagen, bei mir kommt Inspiration sicherlich in erster Linie nicht aus der Natur, sondern aus Brüchen, die Menschen erleben, und da habe ich Ansätze schon gemerkt. Das sieht natürlich alles sehr schön aus, die Landschaft ist sehr schön, auch diese kleinen Städte, die einem Großstadtmensch wie Dörfer vorkommen, das sind sie aber nicht, auch die sind sehr schön, die sind sehr herausgeputzt und man bekommt aber dadurch, dass das soziale Leben sehr eng miteinander verwoben ist, dass jeder jeden kennt, sehr schnell auch mit, dass hinter diesen schönen Fachwerkfassaden auch gruselige Dinge passieren oder passiert sind. Diese Idylle trügt im wahren Wortsinn.

König: Und das zu erforschen ist das, was Sie als Ihre Arbeit bezeichnen. Erwarten die Hausacher jetzt, dass Sie ein Buch über die Hausacher schreiben werden oder einen Text, sagen wir mal?

Bongartz: Ich glaube, die Hausacher erwarten überhaupt nichts, die freuen sich, dass sie eine Autorin da haben, ich würde sagen, die Bevölkerung dieser Stadt ist auch sehr neugierig auf mich.

König: Die freuen sich nur? Ist das nicht, entschuldigen Sie, wenn ich unterbreche, ist das nicht auch ein bisschen unheimlich, wenn da jemand kommt und eben hinter die Fassaden schaut?

Bongartz: Ich glaube, das denken wir. Mir war das unheimlich eher, wie freundlich die Leute sind und wie nah die rücken, weil ich das aus der Großstadt nicht kenne und ich lebe natürlich auch nicht umsonst die meiste Zeit meines Lebens in der Großstadt, weil ich eine gewisse Wertschätzung der Anonymität gegenüber habe. Das existiert da nicht, und zunächst war das für mich der eigentliche Kulturschock, also nicht die Landschaft und nicht, dass es da kein Museum gibt oder so, sondern diese, ja, man könnte fast sagen, Distanzlosigkeit. Die Hausacher sind da, die finden das glaube ich ganz natürlich, dass man auch über die Dinge, die ich jetzt hinter die Fassaden gesetzt habe, spricht, denn ich habe mich nicht irgendwo reingebohrt, um Geheimnisse zu erfahren. Das, was ich als Geheimnis bezeichnen würde, das ist mir eigentlich so in den Schoß gefallen. Es wird darüber geredet und die Leute reden sehr viel. Sie treffen sich sehr oft, sie treffen sich immer an denselben Orten und das mag daran liegen, dass es ansonsten nicht so viel Abwechslung gibt. Das mag, ich bin mir nicht sicher, das sind alles … nach sechs Wochen ist das auch alles immer ein bisschen Hypothese.

König: Es ist ja immer von dem Amt des Stadtschreibers die Rede. Das klingt auch nach Pflichten. Haben Sie Pflichten?

Bongartz: Ich habe die Pflichten, einige Veranstaltungen zu absolvieren, ich werde zum Beispiel Anfang September aus meinem neuen Roman "Perlensand", der heute erscheint, lesen. Ich werde ein Abschlussgespräch mit José Oliver, der das Ganze ja organisiert und initiiert hat, haben und ich werde zwei bis drei Mal in eine Schule gehen und dort mit Oberstufenschülern arbeiten. Das sind die Verpflichtungen.

König: Wird es auch einen Text über Hausach geben?

Bongartz: Das weiß ich nicht, erwarten tut man das nicht und jeder, der ein bisschen weiß, wie das funktioniert mit dem Schreiben, der wird es natürlich auch nicht tun. Es kann sein, dass es einen Text geben wird über diese Gegend, ob das jetzt konkret über Hausach ist oder über die weitere Gegend oder ob das einfach ein Plot ist, der sich da ansiedelt – ich könnte mir das vorstellen, aber konkret kann ich das noch nicht sagen, und wenn, dann bin ich mir sehr sicher, dass ich nicht in Hausach darüber anfange zu schreiben, sondern in Berlin.

König: Warum? Weil Hausach dann doch …

Bongartz: Weil es einfach die Distanz braucht und dieses Absetzen eines Stoffes und auch die unbewusste Verifikation eines Stoffes, ob der trägt. Ich weiß nicht, ob drei Monate Hausach tragen, das kann ich jetzt noch nicht sagen.

König: In unserer Reihe "Deutschland, deine Stadtschreiber" ein Gespräch mit der Schriftstellerin Barbara Bongartz, sie ist die aktuelle Stadtschreiberin von Hausach im Schwarzwald. Frau Bongartz, eine schöne Zeit und vielen Dank!

Bongartz: Vielen Dank, Herr König!
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