Massenrückruf bei Volkswagen
Der Wolfsburger Autokonzern Volkswagen steckt in einer Vertrauenskrise. Deutlich mehr Mitarbeiter als bisher gedacht sollen von den Manipulationen der Abgaswerte gewusst haben. Bei der Rückrufaktion von betroffenen Autos hakt es, und viele Kunden ebenso wie die US-Behörden trauen dem Konzern nicht mehr.
"Das ist ein VW Touran mit 1,6 l Dieselmaschine um die 100 PS, hervorragende Verbrauchswerte, hervorragende Fahreigenschaften. Das Auto läuft technisch einwandfrei, bin hoch zufrieden."
Wolfgang Meyer - sein Name ist geändert - ist gelernter Kfz-Mechaniker und VW-Fan. Nach und nach hat er einen eigenen Fuhrbetrieb in Hannover aufgebaut mit insgesamt zehn Fahrzeugen. Alles VW-Diesel. Er weiß: In acht davon ist manipulierte Software eingebaut. Sowas hatte er dem Volkswagen-Konzern nicht zugetraut:
"Dass sowas überhaupt gemacht wird, das finde ich sehr schade."
Dass seine Dieselfahrzeuge in die Werkstatt zurückgerufen werden, das weiß er aus dem Internet. VW hat eine Seite eingerichtet, auf der man anhand der Fahrgestellnummern überprüfen kann, ob das eigene Auto betroffen ist.
"Da wurde dann mitgeteilt: Wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass Schadsoftware und so weiter, für jedes Fahrzeug kam dasselbe, keine Individualität da drin, auch keine Entschuldigung. Das ist das einzige, was ich an Informationen habe bisher. Es wird immer nur gemauert. Unzufriedenstellend, sehr unzufriedenstellend."
Vier Monate nach Bekanntwerden des Betrugs wartet Meyer immer noch auf Nachricht - wie rund 2,5 Millionen weitere Autobesitzer auch. 2,5 Millionen allein in Deutschland. Weltweit sind elf Millionen Dieselmotoren des Typs EA 189 betroffen, wie Volkswagen im vergangenen September zugegeben hatte. Dieser Motor ist in zahlreichen Modellen und Varianten der TDI-Familie verbaut.
Offenbar ließen sich vor allem die strengeren US-Abgasnormen bei der Zulassung der jeweiligen Fahrzeugmodelle nur mithilfe einer Software einhalten, die auf dem Prüfstand den Testmodus erkannte - und dann die Motorsteuerung so veränderte, dass weniger Stickoxide entweichen.
Der Kreis der Mitwisser ist wohl größer als bisher bekannt
Bislang hieß es aus Wolfsburg stets, nur eine überschaubare Gruppe von Mitarbeitern habe die Manipulationen zu verantworten. Doch der Kreis der Mitwisser und Tatbeteiligten ist offenbar viel größer als bislang von VW dargestellt: Alle mit dem Abgas-Betrug befassten Führungskräfte in der Motorenentwicklung haben von den Manipulationen gewusst oder waren sogar daran beteiligt, berichten NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung unter Berufung auf einen mit der VW-internen Untersuchung vertrauten Insider.
Demnach begann Dieselgate im November 2006 mit einer Verzweiflungstat: Die Konzernspitze erwartete angesichts von Absatzproblemen mit Dieselautos auf dem US-Markt schnell und kostengünstig einen sauberen Motor - technisch ein Ding der Unmöglichkeit, was die Beteiligten dem Vorstand gegenüber aber nicht eingestehen wollten.
Rückblende: Während im Oktober vorigen Jahres immer neue Hiobsbotschaften aus den USA eingehen, handelt Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt. Der CSU-Politiker kündigt im Deutschen Bundestag an, dass das seinem Ministerium nachgeordnete Kraftfahrtbundesamt den Rückruf der hierzulande manipulierten Dieselfahrzeugeverpflichtend angeordnet hat:
"Die Maßnahme ist durchaus beachtlich! Ich habe darauf hingewiesen, dass sie mit 2,4 Millionen Fahrzeugen in Deutschland groß ist. Wir gehen ja auch von acht Millionen Fahrzeugen in Europa aus. Zumindest hat das Kraftfahrtbundesamt aus meiner Sicht vollkommen richtig jetzt hier rechtsverbindlich den Rückruf angeordnet!"
Martin Winterkorn ist zu diesem Zeitpunkt längst über die Affäre gestolpert und als Vorstandsvorsitzender von VW zurückgetreten. Sein Nachfolger Matthias Müller stellt im Dezember dann technische Lösungen zur "Nachrüstung" der betroffenen Dieselmotoren vor - verblüffend einfache technische Lösungen. Damit ließe sich ein Großteil der elf Millionen betroffenen Dieselfahrzeuge so weit ertüchtigen, dass sie zumindest die europäischen Grenzwerte einhalten, behauptet der neue VW-Chef:
"Für alle drei europäischen Varianten des Motortyps EA 189 stehen inzwischen tragfähige Lösungen bereit, für die wir grünes Licht vom Kraftfahrtbundesamt erhalten haben. Das heißt, für alle in Europa betroffenen Modelle können wir künftig sicherstellen, dass wir auf dem Prüfstand und auf der Straße mit ein und derselben Abgasstrategie unterwegs sind - und natürlich alle gesetzlichen Anforderungen erfüllen!"
Ein Plastikrohr soll Abhilfe schaffen
Die technischen Lösungen sind von der Motorvariante abhängig: Laut VW soll für Dieselfahrzeuge mit zwei und 1,2 Litern Hubraum ein Software-Update genügen. Aktualisiert werden muss auch die Software bei den 1,6-Liter-TDI-Motoren, zusätzlich soll noch ein Plastikrohr zwischen Luftfilter und Motor eingefügt werden. VW-Sprecher Pietro Zollino spricht von einem sogenannten Strömungstransformator:
"Und dann bauen wir in die Ansaugluftführung, hinter den Luftfilter ein Strömungsleitgitter. Das bewirkt eine Beruhigung der Luft vor dem Luftmassenmesser. Dieser Luftmassenmesser ist ein ganz essenzielles Bauteil, um die Verbrennung richtig steuern zu können."
Auf den ersten Blick eine denkbar simple Nachrüstung, doch ist die auch überzeugend? Der Umbau in der Werkstatt soll in weniger als einer Stunde erledigt sein, übrigens auch für die betroffenen Modelle von Audi, Skoda und Seat. Kundenfreundlich sei die Lösung, betont Zollino - und preiswert ist sie wohl auch - jedenfalls aus Sicht des bedrängten Autobauers. VW macht keine Angaben darüber, wie viel sich der Konzern die Nachrüstung der Dieselfahrzeugekosten lässt. Experten haben den Stückpreis für das Plastikrohr auf rund 10 Euro geschätzt.
Die Freigabe vom Kraftfahrtbundesamt fehlt
Es ist geplant, in diesen Tagen mit dem Rückruf der VW-Modelle Amarok und Passat zu beginnen. Doch bisher hat keiner der Fahrzeugbesitzer Post von Volkswagen erhalten - obwohl das Unternehmen beteuert, alle nötigen technischen Nachweise für die Tauglichkeit des Software-Updates bei den betroffenen Modellen des Pick-ups Amarok erbracht zu haben. Doch Fakt ist: Bis zum heutigen Tag liegt den Wolfsburgern noch keine endgültige Freigabe durch das Kraftfahrtbundesamt vor - obwohl Konzernchef Müller schon im Dezember von "grünem Licht" gesprochen hatte. Dazu erklärte auf der Regierungspressekonferenz am vergangenen Mittwoch Martin Susteck aus dem Bundesverkehrsministerium:
"Sie wissen, wir arbeiten an der Aufklärung der Manipulationen und wir arbeiten auch daran, dass die Fahrzeuge wieder an einen regelkonformen Zustand gebracht werden. Der Sachstand ist der, dass alle drei generellen technischen Lösungen für die 1,2-, 1,6 - und 2,0-Liter-Dieselmotoren fristgerecht von Volkswagen vorgestellt worden sind. Der Eindruck der Umrüstungskonzepte ist positiv. Die Erteilung der endgültigen Freigaben durch das Kraftfahrtbundesamt für die drei in Rede stehenden Motoren steht aber noch aus."
Ministerium und VW hüllen sich über die Gründe der Verzögerung in Schweigen. Dabei hängt von einer schnellen und transparenten Durchführung der Rückrufaktion die Glaubwürdigkeit des Unternehmens und die des Dobrindt-Ministeriums ab.
Die Deutsche Umwelthilfe hält VW nicht mehr für glaubwürdig
Bei der Deutschen Umwelthilfe ist VW in puncto Glaubwürdigkeit schon längst durchgefallen. Die Umweltorganisation hat grundsätzliche Zweifel daran, dass die betroffenen Motoren allein durch eine Nachrüstung der Sensoren gesetzeskonform optimiert werden können. Die Bundesregierung will man nun auf dem Klageweg zwingen, technische Unterlagen wie Messprotokolle offenzulegen und die konkreten Details des angeordneten Rückrufs öffentlich darzustellen. Jürgen Resch von der Umwelthilfe warnt VW-Kunden vorsorglich vor einer Mogelpackung:
"Wir müssen jetzt erst mal sehen, wie tatsächlich VW eine physikalische Herausforderung bewältigen möchte, nämlich, dass die Fahrzeuge die Abgasgrenzwerte einhalten - ohne dass die Leistungswerte und die Verbrauchswerte verändert werden. Hier hat die Deutsche Umwelthilfe ganz enorme Zweifel, dass das wirklich möglich ist. Und deswegen sind wir jetzt gespannt, wenn jetzt in den nächsten Tagen die Nachrüstung startet, was wir messen werden."
Enttäuscht ist er vom Konzern - und auch von der Politik:
"Praktiziert wird der neue Stil nicht. Wir hören jetzt gerade, dass angeblich noch nicht einmal die technische Freigabe erteilt wurde. Wie kann es dann sein, dass VW trotzdem vollmundig sagt, wann welche Maßnahmen erfolgen sollen. Das zeigt halt einfach einmal mehr, dass in Deutschland die Automobilindustrie gewohnt ist, der Politik und auch den Behörden die Anweisungen zu geben - ich glaube, wir brauchen halt insgesamt in Deutschland hier einen Ruck in Richtung law enforcement - Gesetzesumsetzung wie in den USA."
Volkswagen muss mit empfindlichen Strafen rechnen
Es waren die US-amerikanischen Umweltbehörden EPA und CARB, die bereits 2014 den Stein ins Rollen brachten. Denn anders als in Wolfsburg bei VW, in Flensburg im Kraftfahrtbundesamt oder im zuständigen Berliner Ministerium messen die Amerikaner Schadstoffe auch im Normalbetrieb auf der Straße - und drohen bei Verfehlungen mit empfindlichen Strafen. Auch Sechszylindermotoren von VW, Audi und Porsche bliesen bei diesen Abgastests bis zu neunmal mehr Stickoxide in die Luft als in den USA gesetzlich erlaubt ist.
Allein in den USA sollen mehr als 600.000 Diesel manipuliert worden sein. Anfang Januar reichte das US-Justizministerium bei einem Bundesgericht in Detroit eine Zivilklage gegen Volkswagen ein. Es drohen Bußgelder in zweistelliger Milliardenhöhe. Die US-Regierung begründet den Schritt mit der fatalen Informationspolitik der Deutschen: VW habe die Ermittlungen durch irreführende Angaben und das Vorenthalten von technischen Unterlagen behindert. Die USA würden nun alle geeigneten Rechtsmittel gegen Volkswagen ausschöpfen - das heißt, es könnten auch den verantwortlichen Managern strafrechtliche Konsequenzen drohen.
Vielleicht auch gegen den Vorstandsvorsitzenden? Matthias Müller war Mitte Januar zur Automesse nach Detroit gereist, um persönlich Abbitte für den Einsatz einer verbotenen Software zu leisten. Doch nicht immer hinterließ der VW-Boss dabei den Eindruck, als habe er die ganze Tragweite des Betrugs erfasst. Im Gespräch mit dem US-Radiosender NPR stellte Müller den Einsatz der Software als eine Art Missverständnis dar. Die VW-Ingenieure hätten nur "die US-Gesetze falsch interpretiert". Ähnlich verharmlosend hatte sich der Konzernchef kurz zuvor im ARD-Morgenmagazin geäußert.
"Ich gebe zu, unsere Techniker haben an einer Stelle einen Fehler gemacht. Das war denen zu dem Zeitpunkt nicht bewusst. Die wollten auf ihre Art und Weise Ziele erreichen, die man verabredet hatte. Das ist so nicht gelungen. Das ist nicht in Ordnung - das muss man sagen."
Verhärtete Fronten in den USA
Auch in den Gesprächen mit den US-Umweltbehörden sind die Fronten nun verhärtet. Einen Rückrufplan von VW haben die US-Umweltbehörden CARB und EPA zurückgewiesen. Begründung: Eine technische Überprüfung der vorgeschlagenen Nachrüstungen sei nicht möglich, da VW wichtige Informationen nicht mitlieferte. Müller hat den Rückkauf von mehr als 100.000 manipulierten Fahrzeugen als wahrscheinlichste Option angekündigt. Denn voraussichtlich wird VW keine finanziell tragbare Lösung für einige der beanstandeten Modelle finden.
Der Abgasskandal bringt die von deutschen Autobauern als umweltfreundliche weil spritsparend beworbene Dieseltechnologie international in Misskredit. In den USA beträgt der Marktanteil von Dieselfahrzeugen sowieso nur drei Prozent. Amerikaner finden einen Diesel nicht besonders attraktiv. Mit Einkaufsgutscheinen und großzügigen Serviceangeboten will VW die in den USA geprellten Kunden nun beruhigen. Trotz der Probleme bei VW will die deutsche Automobilbranche den Nischenmarkt Diesel nicht aufgeben. Denn die Hersteller benötigen die Dieseltechnologie, um hierzulande mit ihren Fahrzeugflotten im Durchschnitt die CO2-Ziele einzuhalten.
Weltweit arbeiten rund 600.000 Menschen bei Volkswagen. In Deutschland beschäftigt der Konzern mehr als 110.000 Mitarbeiter. Kein Wunder also, dass sich auch die Politik um Arbeitsplätze und das Image von VW sorgt. An der Aufarbeitung von Dieselgate ist auch die Opposition interessiert. Allerdings laufen zum Beispiel die Anfragen der Bundestagsfraktion der Grünen zum Betrugsskandal von VW ins Leere. Die Behandlung des brisanten Themas wurde im zuständigen Verkehrsausschuss mehrfach verschoben. Und weder aus der vom Bundesverkehrsminister eingesetzten Untersuchungskommission noch aus dem Kraftfahrtbundesamt gibt es Stellungnahmen zur Rückruf-Aktion. Der verkehrspolitische Sprecher der Grünen, Stephan Kühn:
"Die Vorgänge sind schon bemerkenswert. Wir haben eine Untersuchungskommission, wo uns der Minister nicht sagen kann, wann die Arbeit abgeschlossen ist. Ich hab nicht den Eindruck, dass der Verkehrsminister vorhat, die Probleme anzugehen, sondern er legt seine Hand schützend über Volkswagen und die deutschen Hersteller."
Schadenersatzansprüche könnten in Betracht kommen
VW versichert derweil, dass sich die Nachrüstung weder auf den Verbrauch, noch auf die Leistung der Diesel-Motoren auswirken soll. Aber was ist, wenn die Autofahrer andere Erfahrung machen? Josina Starke von der Verbraucherzentrale Niedersachsen erklärt:
"Die Mängelbeseitigung muss natürlich einwandfrei laufen. Das bedeutet, dass eigentlich keine Beeinträchtigung der Motorleistung oder im Verbrauch stattfinden dürfte."
Wenn kleine Mängel bleiben, kann allenfalls eine Kaufpreisminderung bei VW eingefordert- oder können weitere technische Nachbesserungen verlangt werden. Nur wenn ein erheblicher Mangel auftritt, dann - und nur dann - kämen Schadensersatzansprüche bis hin zu einer Rückabwicklung des Kaufs auch in Deutschland in Betracht.
Was aber wäre ein erheblicher Mangel? In einem anderen Fall hat der Bundesgerichtshof mal entschieden, dass ein um zehn Prozent höherer Spritverbrauch schon als erheblicher Mangel zu werten ist. Damit gibt der BGH eine gewisse Richtung vor. Verbindlich ist diese richterliche Entscheidung aber nicht, denn in Deutschland muss jeder Einzelfall geprüft werden. Für enttäuschte deutsche VW-Kunden werde es aber nicht leicht sein, etwaige Schadensersatzansprüche durchzusetzen, meint Josina Starke:
"Weil der Käufer als VW-Autobesitzer beweisen müsste, dass ihm einmal ein Vermögensschaden entstanden ist. Und auch, dass VW als Hersteller arglistig getäuscht hat."
Hat VW arglistig getäuscht? Nach Informationen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung gibt es einen Kronzeugen, der vor der internen Revision des Konzerns umfassend ausgepackt haben soll. Gegen den langjährigen bedeutenden Mitarbeiter der Abteilung Motorentechnik führe inzwischen auch die Staatsanwaltschaft Braunschweig Ermittlungen.
Anwälte: Klagechancen von Betroffenen sind aussichtsreich
Einige Anwaltskanzleien schätzen die Klagechancen von VW-Besitzern als aussichtsreich ein - der Grund sind auch die Fortschritte bei den VW-internen Ermittlungen. Auch die Kanzlei Jordan, Fuhr, Meyer in Bochum zählt dazu. Sie hat als erste eine Klage auf Schadensersatz beim Landgericht in Braunschweig eingereicht. Mittlerweile hat die Kanzlei 280 Mandate eingesammelt und sechs Anwälte haben sich auf Rechtsfragen rund um den VW-Skandal spezialisiert - darunter Bernd Lederer. Der Jurist begründet seinen Optimismus damit, dass VW lange und bewusst falsch mit umweltfreundlicher Dieseltechnologie geworben habe. Die Manipulationen an den Motoren seien systematisch vorgenommen worden:
"Es ist hier über Jahre und ganz bewusst das verbaut worden in die Fahrzeuge. Und wenn ich so etwas anbiete und genau weiß, was der Käufer jetzt erwirbt, das erfüllt gar nicht das, was ich versprochen habe, dann ist das eine Täuschung. Es steht auch der Vorwurf des Betrugs im Raum. Und wenn ich so etwas mache, dann löst das ganz automatisch Ansprüche desjenigen aus, der davon betroffen ist."
Nicht nur in den USA, sondern weltweit muss VW mit Klagen und langwierigen Prozessen rechnen. Europaweit sollen sich rund 60.000 VW-Besitzer bei einer von deutschen Juristen gegründeten Stiftung mit Sitz in den Niederlanden gemeldet haben - mit dem Ziel, Verbraucherrechte gegen VW durchzusetzen. Und auch die EU hat eine Untersuchungskommission eingesetzt.
Vorzeitiger Tod durch Feinstaub
In Europa fordert Luftverschmutzung nach Angaben der Europäischen Umweltagentur jährlich rund 400.000 vorzeitige Todesfälle. In Deutschland, heißt es, sterben in jedem Jahr mehr als 40.000 Menschen aufgrund der zu hohen Feinstaubbelastung vorzeitig.
Europaweit dürfen in der Atemluft im Jahresschnitt maximal 40 mg/m³ Stickoxid enthalten sein. Stuttgart hat als erste deutsche Stadt vergangene Woche deshalb tagelang Feinstaubalarm ausgelöst. Doch alle Städte stehen unter Druck, sagt Frank Otte, Stadtbaurat in Osnabrück: Denn von Seiten der EU drohen Strafzahlungen für die, die es nicht schaffen, den Stickoxid-Grenzwert einzuhalten. Fakt ist: Die Stationen, die entlang der Hauptverkehrsstraßen die realen Abgaswerte messen, die sogenannten Real Drive Emissions, zeigen seit Jahren weit höhere Belastungen an, als erlaubt.
Um die Belastungen zu verringern, haben Städte wie Osnabrück Tempolimits oder Umweltzonen eingerichtet. Doch die Abgas-Manipulationen von Volkswagen haben diese Bemühungen ad absurdum geführt, klagt Stadtbaurat Otte:
"...sodass wir eigentlich, wenn wir nicht endlich zu einer vernünftigen Abgasreinigung kommen bzw. zu realen Grenzwerten, uns sehr schwertun werden - das haben einige Kommunen ja auch schon nachgewiesen - selbst 2030 die Werte überhaupt einhalten zu können. Ich hoffe, dass es im Augenblick dazu geführt hat, dass man da mehr Sorgfalt walten lässt und etwas genauer hinschaut, welche Werte man wirklich da jetzt zugrundelegt. Das Problem lösen wir damit nur langfristig."
VW-Strategie soll sich ändern
Volkswagen hat verstanden, sagt Konzernchef Müller wie ein Mantra. Künftig werde VW die Abgas- und Verbrauchswerte seiner Fahrzeuge von unabhängigen Prüfstellen bescheinigen lassen. Im Zuge eines groß angelegten Konzernumbaus will er den Einfluss der mächtigen Zentrale in Wolfsburg kappen. Und Verantwortung verstärkt an die einzelnen Marken und Regionen delegieren, das soll kurze Entscheidungswege schaffen. Während die Konzernspitze um Müller nicht mehr über einzelne Motoren, sondern über Strategien nachdenkt. Die Bewältigung von Dieselgate werde letztlich auch für den längst überfälligen Wandel der Unternehmenskultur bei Volkswagen sorgen. Auch Wolfgang Meyer, der VW-Fan aus Hannover, der in Wirklichkeit anders heißt, ist geduldig. Was er aber von Volkswagen erwartet ist, dass die Rückrufaktion endlich reibungslos abgewickelt wird:
"Ich wünsche mir, dass es wirklich schnell geht, maximal zwei Stunden, und dann ist es für mich in Ordnung."