"Dieser afrikanische Herzschlag"

Von Anette Selg |
Hungersnöte, Kriege und Diktaturen bestimmen nur allzu oft unser Bild von Afrika – dabei gibt es in vielen afrikanischen Ländern eine aufstrebende Mittelschicht, zu der auch Designer und Modemacher gehören. Diese will Jacqueline Shaw mit ihrer Plattform "Africa Fashion Guide" gezielt unterstützen.
Das "Soboye" – ein Geschäft für handgearbeitete afrikanische Mode im Ostlondoner Stadtteil Shoreditch. In einem hohen Regal liegen bunte Kissen aus handgewebten Stoffen, an einer Kleiderstange hängen elegante Männerhemden, an einer anderen mit Spitzen und Perlen versehene Abendkleider.

An diesem Sommermorgen interviewt die Designerin und Unternehmerin Jacqueline Shaw den Ladeninhaber für die Webseite ihres "Africa Fashion Guide". Die Mittdreißigerin lebt mit ihrer Familie in London. Sie trägt eine schwarze Hose und ein ausgewaschenes olivgrünes T-Shirt, die schwarzen Haare hat sie am Hinterkopf festgesteckt.

"Ich hab 12 Jahre lang als Modedesignerin gearbeitet – und ich bin Unternehmerin. Als ich mit meinem Master angefangen habe, wollte ich auf eine neue Art über Mode nachdenken. Ich liebe Afrika, der Gedanke der Nachhaltigkeit hat mich immer sehr interessiert und ich liebe Mode. Diese Dinge wollte ich auf wirkungsvolle Weise zusammenbringen."

Jacqueline Shaw war lange Jahre Designerin für internationale Sportmode und betreibt noch immer ein eigenes Modelabel für Brautkleider. Vor einigen Jahren hat sie ihren Master in "Ethical Fashion", in "nachhaltiger, ökologischer Mode" abgelegt – und dann "Africa Fashion Guide" gegründet: eine Unternehmens-Plattform für afrikanische Designer und für nachhaltig produzierte afrikanische Mode.

"Nachhaltige, faire Mode – das bedeutet, dass die Kleidungsstücke nachhaltig produziert werden und dass die Rohstoffe auf ökologische Weise angebaut und verarbeitet werden. Wichtig ist dabei die Zusammenarbeit mit den Unternehmen vor Ort."

Auch Jacqueline Shaw besucht auf ihren Reisen in Afrika regelmäßig Fabriken und Firmen, die Stoffe herstellen oder Kleidung produzieren.

"Ich habe Fabriken besucht, in denen ich unhaltbare Zustände entdeckt habe. Manche europäische Firmen ziehen sich dann einfach aus dem Geschäft zurück. Doch das hilft nicht wirklich. Wenn sich die Auftraggeber zurückziehen und den Firmen Aufträge fehlen, werden sie ihre Arbeiter nur noch mehr unterdrücken oder sie ganz entlassen. Es geht darum zusammenzuarbeiten, aufzuklären. Auf bewusste und verantwortungsvolle Weise."

Jacqueline Shaws Vorfahren kommen aus der Karibik, aus Jamaika. Sie selbst ist in London geboren und aufgewachsen und erst als Erwachsene zum ersten Mal nach Afrika gereist.

"Es war wirklich aufregend. Ich fühle diesen afrikanischen Herzschlag, und er wird schneller und schneller. Und es geht nicht mehr nur um die Armut in Afrika, diese ausschließlich negativen Bilder. Die gibt es auch noch, aber sie fangen langsam an sich zu verändern. Und ich will Teil dieser Entwicklung sein. Wir müssen die afrikanische Industrie stärken, den Handel mit Afrika fördern, dann werden sich auch die Vorstellungen von Afrika verändern."

Mit ihrem Einsatz für nachhaltige afrikanische Mode versucht Jacqueline Shaw auch, traditionelle afrikanische Handwerke, wie das Weben und Färben von Stoffen, Perlenstickerei oder Batik am Leben zu erhalten.

"In Gambia hab ich mich mit Webern unterhalten. Die alten Traditionen verschwinden, das ist sehr schade. Sie werden normalerweise von den Vätern an die Söhne weitergegeben. Doch heute wollen die Jungen nicht mehr weben, immer nur dasitzen – tagaus tagein mit schmerzendem Rücken. Sie interessieren sich für andere Dinge. Durch unser Engagement wird das Endprodukt aufgewertet und die Weber bekommen auch mehr Geld für ihre Arbeit. So kann es uns gelingen, diese Handwerksmethoden am Leben zu erhalten."

Finanziell trägt sich Jacquelines Shaws Unternehmen mittlerweile. Sie wird als Rednerin zu Konferenzen eingeladen und berät europäische Modefirmen bei ihrem Engagement in Afrika.

"Meine erste Rede hab ich im Londoner Oberhaus gehalten. Anlass war die Gründung einer parteiübergreifende parlamentarischen Gruppe für nachhaltige Mode – mit dem Schwerpunkt Afrika."

Vor einiger Zeit hat Jacqueline Shaw ein Buch veröffentlicht mit rund 50 herausragenden afrikanischen Modemachern. Einen Lieblingsdesigner hat sie nicht, wohl aber ein afrikanisches Lieblingsland.

"Naja, keiner mag es, aber ich liebe Ghana. Ghana wird mein nächstes Zuhause. Und sobald ich kann, werde ich mir in Ghana ein Haus bauen. Ich mag Ghana und außerdem mag ich handgewebte Stoffe. Die Kente-Webereien aus Ghana, aber auch alle anderen. Ich fühle mich wie ein Kind in einem Süßigkeitenladen, wenn ich in einer Weberei bin. Wenn der Stoff aus dem Webstuhl kommt und wächst und wächst. Das ist für mich der Inbegriff von Mode, Textilien und Kunst."


Mehr Infos im Netz:

Africa Fashion Guide - Website von Jacqueline Shaw