"Dieser Krieg ist praktisch schon verloren"
50.000 Soldaten und Polizisten kämpfen in Mexiko gegen etwa 300.000 Angehörige der Drogenkartelle. Der mexikanische Schriftsteller Elmer Mendoza analysiert die Gründe und beschreibt die Folgen für die Bevölkerung.
Ulrike Timm: Viva Mexico! Gerade vor ein paar Tagen hat das mittelamerikanische Land mit großem Pomp seine 200-jährige Unabhängigkeit von der spanischen Kolonialmacht gefeiert. In einer ganz prekären Sicherheitslage – 50.000 Soldaten und Polizisten kämpfen in Mexiko gegen geschätzt etwa 300.000 Angehörige der Drogenkartelle. Ein Kampf mit Schusswaffen, mit Bomben und Handgranaten. Und zugleich sind diese Drogenkartelle im Land so vernetzt, wie man es sich kaum vorstellen kann. Es gibt Krankenhäuser und Schulen, finanziert von den Drogenbossen, große Landstriche, die ausschließlich nach den Regeln der Drogenmafia funktionieren, und unter jungen Mexikanern durchaus das Berufsziel "Narco" - Drogenboss - werden. Wie es sich in diesem Land derzeit lebt und wie der Kampf gegen die Drogenmafia das öffentliche und private Dasein in Mexiko prägt, davon kann uns der Schriftsteller Elmer Mendoza erzählen. Gerade ist sein erstes Buch auf Deutsch erschienen, der Kriminalroman "Silber", und der Detektiv ermittelt – na wo schon! – in der Drogenszene. Buenos dias, senor Mendoza!
Elmer Mendoza: Buenos dias!
Timm: Man kann sich unter den beschriebenen Umständen ein alltägliches, gewöhnliches Leben in Mexiko gar nicht recht vorstellen. Rechnet jeder Mexikaner jederzeit damit, zum Beispiel in eine Razzia zu geraten?
Mendoza: Nein. Es gibt viele Länder, viele Bundesstaaten innerhalb von Mexiko. Ich glaube, man kann das Land in zwei große Regionen unterteilen: einmal eine Region, wo eben diese Auseinandersetzungen stattfinden, nämlich im Norden. Dort gibt es also wirklich eine große Sicherheitsproblematik, so wie Sie sie gerade beschrieben haben. Und dann ist da die südliche Region, der Südosten, wo sich auch Mexiko-Stadt befindet, und dort passiert überhaupt nichts. Und dort empfangen wir gern alle Ausländer und alle Gäste, die uns besuchen möchten.
Timm: Trotzdem gehört ja das Drogenproblem fast normal zum Alltag eines ganzen Landes. Was macht das mit den Menschen, was macht das mit der Stimmung im Land?
Mendoza: Es ist eine Situation, die uns mit großer Traurigkeit erfüllt. Und es ist auch eine Situation einer großen Ungewissheit. Aber auch eine Situation, die geprägt ist von einer großen Hoffnung. Und sicher leiden wir unter dieser gegenwärtigen Situation, aber aus dieser Ungewissheit ist auch eine Rebellion erwachsen, und wir gehen jetzt in unseren Städten auf die Straßen, in die Restaurants, in die Bars, weil wir nicht bereit sind, unsere Städte diesem Milieu preiszugeben.
Timm: Aber es ist schon ein geteiltes Land: Es gibt einfach Landstriche, große Landstriche in Mexiko, in die man nicht geht, weil es zu gefährlich ist, wenn man es vermeiden kann?
Mendoza: Ja doch, schon. Das ist vor allen Dingen im Norden, in den Städten, die an der Grenze zu den USA gelegen, wie Tijuana oder auch Ciudad Juárez. Und sicher kann man dahin gehen, wenn man interessiert ist, etwas mehr über die Situation zu erfahren, aber man muss sich schon dabei vorsehen. Aber wenn man mit der Absicht hingeht, sich zu erholen, sich auszuruhen, dann ist es besser, diese Städte zu meiden und das doch lieber im Süden des Landes zu tun.
Timm: Jetzt hat man der Drogenmafia den Kampf angesagt von Präsidentenseite mit sehr viel Aufwand, 50.000 Soldaten. Ist dieser Kampf überhaupt zu gewinnen?
Mendoza: Nein, also dieser Krieg ist praktisch schon seit dem Augenblick, als man ihn erklärt hat, verloren. Weil die Banden ganz einfach über bessere Bewaffnung verfügen, sie sind auch besser ausgebildet. Es gibt ganz einfache Gründe für die Pistoleros, für diese Pistolenschützen oder bewaffneten Killer. Sie bekommen einfach mehr Geld, sie werden besser bezahlt als die Soldaten. Und ich glaube, in diesem Sinne ist der Krieg also schon verloren.
Timm: Ihr Schriftstellerkollege Juan Villoro, der hat gesagt, man sollte diesen Kampf besser führen mit Schulen, mit Bildung, mit Perspektiven für die jungen Leute, anders als der Präsident es macht. Hat er recht?
Mendoza: Ja, er hat recht. Aber wenn man sich jetzt in die Situation des Präsidenten und der Minister versetzt, dann würden die von diesem meinen Kollegen fordern, dass er eine andere Sichtweise auf unser Land einnimmt. Und als sie damals den Krieg erklärt haben, waren wir der Meinung, dass sie unser Land nicht kennen, zumindest nicht so kennen, wie wir es kennen.
Timm: Was sollten die dazulernen, dringend?
Mendoza: Sie sollten ganz einfach das Land besser kennenlernen, alle Schichten des Landes kennenlernen. Denn das sind Jungs, die aus der Oberschicht stammen, die sich dann mit Politik beschäftigt haben, in die Politik gegangen sind, aber die eben nie das reale Leben des Landes kennengelernt haben und auch nie in den Gegenden, in den Regionen waren, wo der Krieg stattfindet. Und Villoro, man könnte ihn vielleicht als Utopisten bezeichnen, aber das, was er sagt, ist durchaus eine Möglichkeit für die nächsten 50 Jahre.
Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit dem mexikanischen Schriftsteller Elmar Mendoza über sein Heimatland, das geprägt ist von den allmächtigen Drogenkartellen. Herr Mendoza, 300.000 Menschen sollen dazugehören, vom kleinen Dealer bis zum schwerreichen Boss, der seine Widersacher, seien es staatliche, seien es interne Konkurrenten, der die mittels gedungener Mörder aus dem Weg räumen lässt. Gucken wir uns mal die kleinen Leute an, von denen Sie eben sprachen, und die die großen Regierenden nicht kennen. Da braucht es ja Nachwuchs, Kontakte. Kann sich denn ein junger, mittelloser Mexikaner wirklich verweigern, wenn er zum Beispiel vom Drogenkartell angeworben wird? Hat er eine Perspektive?
Mendoza: Das kann er nicht. Zum Beispiel ich stamme aus einem Viertel, wo das Leben damals wirklich schwer war. Und als wir jung waren, hatten wir einen Traum: Wir wollten einen Beruf erlernen, wir wollten mit diesem Beruf unser Leben verdienen. Das ist jetzt nicht mehr der Fall. Es gibt jetzt 14 bis 20 Millionen Jugendliche, die die Schule besuchen und zum Beispiel 7,5 Millionen von ihnen haben die Mittelschule abgebrochen. Und wenn sie jetzt leben wollen, dann haben sie nur eine Option, sie müssen sich also mit diesen Geschäften befassen und versuchen, dadurch ihr Leben zu verdienen. Der Kapitalismus hat uns verraten, er hat uns nicht die Arbeitsplätze geschaffen, die wir brauchen, um ein würdiges Leben führen zu können.
Timm: Was könnte denn helfen jenseits des großen Einsatzes von Militär?
Mendoza: Sozialprogramme. Und es ist so, dass wir in unserem Land eine der korruptesten Regierungen der Welt haben. Wir haben kein Vertrauen in die Regierung und auch kein Vertrauen in die Behörden. Und wir brauchen im Leben mehr Beschäftigung, mehr Bildung, und darüber hinaus brauchen wir starke Institutionen.
Timm: Kommen wir mal zu Ihrem Buch "Silber", das erste Ihrer Bücher, das auf Deutsch jetzt erschienen ist. Ein Kriminalroman, der das Drogenmilieu als Ort hat und einen Detektiv – Edgar Mendieta, wenn ich es richtig weiß. Was für ein Typ ist dieser Detektiv?
Mendoza: Also es ist ein Mann, der durchaus korruptionsanfällig ist. Nicht sehr, aber in einer gewissen Weise doch. Und ich habe also hier versucht, einen Mann zu schaffen, der durchaus seine Mängel hat, der es aber vorzieht, als Detektiv zu arbeiten, damit er nicht in das Milieu hinabgezogen wird.
Timm: Ist er ein typischer Mexikaner?
Mendoza: Nein, weil man darf dabei nicht aus dem Auge verlieren, dass Literatur auch immer Fiktion ist. Und ich hab also hier versucht, einen Protagonisten zu schaffen. Es ist eine Mischung von vielen Personen und der hat eben auch etwas von einem Polizisten und einem Detektiv in sich.
Timm: Aber er hat eine Menge Schlitzohriges, was dem brutalen Milieu vielleicht ein wenig - nicht entspannende, aber doch mitunter auch na ja eben sehr, sehr schlitzohrige, sehr gewitzte - Züge gibt.
Mendoza: Ja, es ist aber eben so, dass die Polizisten in den Drogendezernenten von dem Augenblick an, in dem sie in diese Abteilung versetzt werden, scheitern. Zum Scheitern verurteilt sind, weil sie sich eben auch nicht den großen Arrangements entziehen können. Den großen Einigungen, die ihre Vorgesetzten oder die Minister mit der anderen Seite treffen. Und in dem Sinne ist eben der Polizist, der die Drogenszene auf der Straße bekämpft - das ist mehr etwas Dekoratives. Und mein Detektiv, Edgar Mendieta, der hat also durchaus noch seine eigene Würde und versucht, diese Dinge ernsthaft anzugehen.
Timm: Ich dachte, er muss auch insofern ein Typ sein, als es doch überhaupt erstaunlich ist, dass die Mexikaner angesichts der Allgegenwart des Drogenproblems jetzt auch noch gerne Krimis darüber lesen?
Mendoza: Sicher ist es so, aber unsere ganz reale Situation im Lande ist so umfassend, dass man auch träumt und dass man auch gerne Krimis liest. Denn dahinter ist ja doch ein Wunsch, nämlich der Wunsch, dass die Dinge nicht so geschehen, wie sie eben gegenwärtig verlaufen. Wir haben den Wunsch, dass wir in unserem Land eine korrekte Polizei bekommen, dass wir korrekte Behörden haben, korrekte Richter, korrekte Staatsanwälte. Aber die Dinge sind eben noch nicht. Aber das ist zumindest unser Wunsch, der in diesem Roman, in diesem Krimi zum Ausdruck gebracht wird.
Timm: Das heißt, wenn Mexiko, Ihr Heimatland, eine wünschenswerte Entwicklung nehmen würde, hätte der Schriftsteller Elmer Mendoza ein Thema weniger und wäre darüber nicht traurig.
Mendoza: Ich wäre dann sicher nicht traurig, wenn ich ein Problem weniger hätte. Ich bin ein Autor, der mehr zu der Schule von James Joyce, Thomas Mann, Hermann Broch zu rechnen ist. Und mein geistiges Training, meine geistige Schule ist darauf ausgerichtet, Bücher zu schreiben in einer sprachlichen Qualität, die nicht unbedingt bei Krimis zu finden ist.
Timm: Der mexikanische Schriftsteller Elmer Mendoza über den Kampf gegen den Drogensumpf in seinem Land und die Krimis, die er darüber schreibt. "Silber", so heißt sein neues Buch, das erste, das auch auf Deutsch vorliegt, es ist bei Suhrkamp erschienen. Hasta luego, Elmer Mendoza!
Mendoza: Muchas gracias a todos!
Elmer Mendoza: Buenos dias!
Timm: Man kann sich unter den beschriebenen Umständen ein alltägliches, gewöhnliches Leben in Mexiko gar nicht recht vorstellen. Rechnet jeder Mexikaner jederzeit damit, zum Beispiel in eine Razzia zu geraten?
Mendoza: Nein. Es gibt viele Länder, viele Bundesstaaten innerhalb von Mexiko. Ich glaube, man kann das Land in zwei große Regionen unterteilen: einmal eine Region, wo eben diese Auseinandersetzungen stattfinden, nämlich im Norden. Dort gibt es also wirklich eine große Sicherheitsproblematik, so wie Sie sie gerade beschrieben haben. Und dann ist da die südliche Region, der Südosten, wo sich auch Mexiko-Stadt befindet, und dort passiert überhaupt nichts. Und dort empfangen wir gern alle Ausländer und alle Gäste, die uns besuchen möchten.
Timm: Trotzdem gehört ja das Drogenproblem fast normal zum Alltag eines ganzen Landes. Was macht das mit den Menschen, was macht das mit der Stimmung im Land?
Mendoza: Es ist eine Situation, die uns mit großer Traurigkeit erfüllt. Und es ist auch eine Situation einer großen Ungewissheit. Aber auch eine Situation, die geprägt ist von einer großen Hoffnung. Und sicher leiden wir unter dieser gegenwärtigen Situation, aber aus dieser Ungewissheit ist auch eine Rebellion erwachsen, und wir gehen jetzt in unseren Städten auf die Straßen, in die Restaurants, in die Bars, weil wir nicht bereit sind, unsere Städte diesem Milieu preiszugeben.
Timm: Aber es ist schon ein geteiltes Land: Es gibt einfach Landstriche, große Landstriche in Mexiko, in die man nicht geht, weil es zu gefährlich ist, wenn man es vermeiden kann?
Mendoza: Ja doch, schon. Das ist vor allen Dingen im Norden, in den Städten, die an der Grenze zu den USA gelegen, wie Tijuana oder auch Ciudad Juárez. Und sicher kann man dahin gehen, wenn man interessiert ist, etwas mehr über die Situation zu erfahren, aber man muss sich schon dabei vorsehen. Aber wenn man mit der Absicht hingeht, sich zu erholen, sich auszuruhen, dann ist es besser, diese Städte zu meiden und das doch lieber im Süden des Landes zu tun.
Timm: Jetzt hat man der Drogenmafia den Kampf angesagt von Präsidentenseite mit sehr viel Aufwand, 50.000 Soldaten. Ist dieser Kampf überhaupt zu gewinnen?
Mendoza: Nein, also dieser Krieg ist praktisch schon seit dem Augenblick, als man ihn erklärt hat, verloren. Weil die Banden ganz einfach über bessere Bewaffnung verfügen, sie sind auch besser ausgebildet. Es gibt ganz einfache Gründe für die Pistoleros, für diese Pistolenschützen oder bewaffneten Killer. Sie bekommen einfach mehr Geld, sie werden besser bezahlt als die Soldaten. Und ich glaube, in diesem Sinne ist der Krieg also schon verloren.
Timm: Ihr Schriftstellerkollege Juan Villoro, der hat gesagt, man sollte diesen Kampf besser führen mit Schulen, mit Bildung, mit Perspektiven für die jungen Leute, anders als der Präsident es macht. Hat er recht?
Mendoza: Ja, er hat recht. Aber wenn man sich jetzt in die Situation des Präsidenten und der Minister versetzt, dann würden die von diesem meinen Kollegen fordern, dass er eine andere Sichtweise auf unser Land einnimmt. Und als sie damals den Krieg erklärt haben, waren wir der Meinung, dass sie unser Land nicht kennen, zumindest nicht so kennen, wie wir es kennen.
Timm: Was sollten die dazulernen, dringend?
Mendoza: Sie sollten ganz einfach das Land besser kennenlernen, alle Schichten des Landes kennenlernen. Denn das sind Jungs, die aus der Oberschicht stammen, die sich dann mit Politik beschäftigt haben, in die Politik gegangen sind, aber die eben nie das reale Leben des Landes kennengelernt haben und auch nie in den Gegenden, in den Regionen waren, wo der Krieg stattfindet. Und Villoro, man könnte ihn vielleicht als Utopisten bezeichnen, aber das, was er sagt, ist durchaus eine Möglichkeit für die nächsten 50 Jahre.
Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit dem mexikanischen Schriftsteller Elmar Mendoza über sein Heimatland, das geprägt ist von den allmächtigen Drogenkartellen. Herr Mendoza, 300.000 Menschen sollen dazugehören, vom kleinen Dealer bis zum schwerreichen Boss, der seine Widersacher, seien es staatliche, seien es interne Konkurrenten, der die mittels gedungener Mörder aus dem Weg räumen lässt. Gucken wir uns mal die kleinen Leute an, von denen Sie eben sprachen, und die die großen Regierenden nicht kennen. Da braucht es ja Nachwuchs, Kontakte. Kann sich denn ein junger, mittelloser Mexikaner wirklich verweigern, wenn er zum Beispiel vom Drogenkartell angeworben wird? Hat er eine Perspektive?
Mendoza: Das kann er nicht. Zum Beispiel ich stamme aus einem Viertel, wo das Leben damals wirklich schwer war. Und als wir jung waren, hatten wir einen Traum: Wir wollten einen Beruf erlernen, wir wollten mit diesem Beruf unser Leben verdienen. Das ist jetzt nicht mehr der Fall. Es gibt jetzt 14 bis 20 Millionen Jugendliche, die die Schule besuchen und zum Beispiel 7,5 Millionen von ihnen haben die Mittelschule abgebrochen. Und wenn sie jetzt leben wollen, dann haben sie nur eine Option, sie müssen sich also mit diesen Geschäften befassen und versuchen, dadurch ihr Leben zu verdienen. Der Kapitalismus hat uns verraten, er hat uns nicht die Arbeitsplätze geschaffen, die wir brauchen, um ein würdiges Leben führen zu können.
Timm: Was könnte denn helfen jenseits des großen Einsatzes von Militär?
Mendoza: Sozialprogramme. Und es ist so, dass wir in unserem Land eine der korruptesten Regierungen der Welt haben. Wir haben kein Vertrauen in die Regierung und auch kein Vertrauen in die Behörden. Und wir brauchen im Leben mehr Beschäftigung, mehr Bildung, und darüber hinaus brauchen wir starke Institutionen.
Timm: Kommen wir mal zu Ihrem Buch "Silber", das erste Ihrer Bücher, das auf Deutsch jetzt erschienen ist. Ein Kriminalroman, der das Drogenmilieu als Ort hat und einen Detektiv – Edgar Mendieta, wenn ich es richtig weiß. Was für ein Typ ist dieser Detektiv?
Mendoza: Also es ist ein Mann, der durchaus korruptionsanfällig ist. Nicht sehr, aber in einer gewissen Weise doch. Und ich habe also hier versucht, einen Mann zu schaffen, der durchaus seine Mängel hat, der es aber vorzieht, als Detektiv zu arbeiten, damit er nicht in das Milieu hinabgezogen wird.
Timm: Ist er ein typischer Mexikaner?
Mendoza: Nein, weil man darf dabei nicht aus dem Auge verlieren, dass Literatur auch immer Fiktion ist. Und ich hab also hier versucht, einen Protagonisten zu schaffen. Es ist eine Mischung von vielen Personen und der hat eben auch etwas von einem Polizisten und einem Detektiv in sich.
Timm: Aber er hat eine Menge Schlitzohriges, was dem brutalen Milieu vielleicht ein wenig - nicht entspannende, aber doch mitunter auch na ja eben sehr, sehr schlitzohrige, sehr gewitzte - Züge gibt.
Mendoza: Ja, es ist aber eben so, dass die Polizisten in den Drogendezernenten von dem Augenblick an, in dem sie in diese Abteilung versetzt werden, scheitern. Zum Scheitern verurteilt sind, weil sie sich eben auch nicht den großen Arrangements entziehen können. Den großen Einigungen, die ihre Vorgesetzten oder die Minister mit der anderen Seite treffen. Und in dem Sinne ist eben der Polizist, der die Drogenszene auf der Straße bekämpft - das ist mehr etwas Dekoratives. Und mein Detektiv, Edgar Mendieta, der hat also durchaus noch seine eigene Würde und versucht, diese Dinge ernsthaft anzugehen.
Timm: Ich dachte, er muss auch insofern ein Typ sein, als es doch überhaupt erstaunlich ist, dass die Mexikaner angesichts der Allgegenwart des Drogenproblems jetzt auch noch gerne Krimis darüber lesen?
Mendoza: Sicher ist es so, aber unsere ganz reale Situation im Lande ist so umfassend, dass man auch träumt und dass man auch gerne Krimis liest. Denn dahinter ist ja doch ein Wunsch, nämlich der Wunsch, dass die Dinge nicht so geschehen, wie sie eben gegenwärtig verlaufen. Wir haben den Wunsch, dass wir in unserem Land eine korrekte Polizei bekommen, dass wir korrekte Behörden haben, korrekte Richter, korrekte Staatsanwälte. Aber die Dinge sind eben noch nicht. Aber das ist zumindest unser Wunsch, der in diesem Roman, in diesem Krimi zum Ausdruck gebracht wird.
Timm: Das heißt, wenn Mexiko, Ihr Heimatland, eine wünschenswerte Entwicklung nehmen würde, hätte der Schriftsteller Elmer Mendoza ein Thema weniger und wäre darüber nicht traurig.
Mendoza: Ich wäre dann sicher nicht traurig, wenn ich ein Problem weniger hätte. Ich bin ein Autor, der mehr zu der Schule von James Joyce, Thomas Mann, Hermann Broch zu rechnen ist. Und mein geistiges Training, meine geistige Schule ist darauf ausgerichtet, Bücher zu schreiben in einer sprachlichen Qualität, die nicht unbedingt bei Krimis zu finden ist.
Timm: Der mexikanische Schriftsteller Elmer Mendoza über den Kampf gegen den Drogensumpf in seinem Land und die Krimis, die er darüber schreibt. "Silber", so heißt sein neues Buch, das erste, das auch auf Deutsch vorliegt, es ist bei Suhrkamp erschienen. Hasta luego, Elmer Mendoza!
Mendoza: Muchas gracias a todos!