"Dieser Krieg lief meinem sittlichen Grundempfinden zuwider"
André Shepherd diente in der US-Armee im Irakkrieg. Weil er die Gründe des Krieges nicht länger für tragbar hielt, desertierte er 2007. Ein Jahr später stellte er einen Asylantrag in Deutschland, über den nocht nicht entschieden ist - denn er bringt das Land in ein Dilemma gegenüber den USA.
Liane von Billerbeck: Er ist der erste US-Amerikaner, der als Deserteur einen Asylantrag in Deutschland gestellt hat: André Shepherd. Einst überzeugt in den Irakkrieg gezogen, wollte er 2007 kein zweites Mal dorthin und floh. Ein Jahr später stellte er einen Asylantrag in Deutschland, über den bis heute nicht entschieden wurde. Shepherd wird von Menschenrechtsorganisationen und Privatpersonen unterstützt und ist zudem einer der Nominierten für den "taz Panter Preis", der heute im Deutschen Theater Berlin vergeben wird, an Menschen, die sich für andere einsetzen. Wir haben vor unserer Sendung mit dem desertierten US-Soldaten gesprochen. André Shepherd, herzlich willkommen!
André Shepherd: Thank you!
von Billerbeck: Wer zum Deserteur wird, der wurde entweder in einen Krieg gezwungen oder er hat erkannt, dass der Krieg, in den er einst freiwillig gezogen ist, unrecht ist. Wie war das bei Ihnen?
Shepherd: In meinem Fall treffen wohl beide Gründe irgendwie zu. Zunächst einmal bin ich in gewisser Weise gezwungen worden, in diesen Krieg zu ziehen, obwohl das eine Freiwilligenarmee ist, aber ich war ja gezwungen, der Armee beizutreten aus wirtschaftlichen Gründen, denn ich sah damals keine andere Möglichkeit, ein anständiges Leben zu führen. Ich war ein Jahr lang obdachlos gewesen, zwischen den Jahren 2001 und 2003. Ich war also in einer verzweifelten Situation, und das amerikanische Militär stellte damals natürlich im Zuge dieses Irakkrieges neue Freiwillige ein, und so habe ich mich entschlossen, eben auch zum Militär zu gehen.
Dann habe ich zweitens entdeckt, dass die Gründe, derentwegen dieser Krieg geführt wurde, nicht die echten Gründe sind. Zunächst einmal wurde von diesen Massenvernichtungswaffen immer gesprochen. Wir stellten dann fest, dass es diese Waffen gar nicht gebe. Dann sind Kriegsverbrechen geschehen, Grausamkeiten sind begangen worden, auch von meiner Einheit. Ich habe das in direkten Gesprächen mit irakischen Bürgern herausgefunden. Meine Einheit hat auch an der zweiten Schlacht von Falludscha teilgenommen, wo die Stadt vollkommen zerstört wurde. Wir haben eine Woche später dann die Bestätigung bekommen, dass es keine Massenvernichtungswaffen gegeben habe, dennoch wurden weiterhin solche vernichtenden Aktionen ausgeführt, und es wurde uns dann gesagt, wir müssten im Lande bleiben, um die Sicherheit zu gewährleisten. Also es wurden ständig irgendwelche Gründe nachgeschoben.
Im Jahr 2005, nach meiner Rückkehr, versuchte ich dann die echten Gründe herauszufinden, da es doch diese Massenvernichtungswaffen nicht gab, und ich kam schließlich zu dem Schluss, dass es keinen stichhaltigen Grund für diesen Krieg gegeben hatte. Es wurde einfach eine Lüge nach der anderen aufgetischt. Dennoch wurde weiterhin getötet, und so habe ich letztlich dann den Schluss gezogen, dass dieser Krieg eine vollkommene Farce war und dass ich das Militär verlassen musste.
von Billerbeck: Haben Sie eigentlich mit Ihren Kameraden darüber gesprochen, oder anders gefragt, wie verbreitet ist diese Ansicht über den Irakkrieg unter den US-Soldaten dort?
Shepherd: In den Gesprächen, die ich häufig geführt habe, und auch in Unterhaltungen mit Organisationen, die Veteranen unterstützen, habe ich herausgefunden, dass dies wirklich die Mehrheitsmeinung ist. Die meisten denken so. Das hat mir auch einer meiner vorgesetzten Feldwebel bestätigt, den ich mal direkt daraufhin angesprochen habe, dass dies doch ein vollkommen gesetzwidriger Krieg sei. Er hat mir sachlich Recht gegeben und sagte auch, jeder weiß, dass es so läuft, aber niemand kann die Konsequenzen daraus ziehen, abgesehen von den neu eingezogenen Rekruten, die noch nicht im Krieg gewesen sind, alle anderen wissen, welcher Witz dieser Krieg ist. Aber man ist eben durch vertragliche Verpflichtungen gebunden, und deswegen müsse man noch weitermachen.
Für mich war das eine ziemlich schwierige Situation, denn es ist doch der Auftrag des Militärs, die amerikanische Verfassung zu schützen. Was wir aber da vor Ort taten, war nichts anderes, als die Grundlagen der Verfassung anzugreifen, zu unterminieren, dieser Krieg im Irak war doch kein Krieg zur Verteidigung der Verfassung, es war ein Angriffskrieg. Dieser Krieg lief meinem sittlichen Grundempfinden zuwider, das mir sagt, was richtig und falsch ist. Das ist ja schließlich mein gottgegebenes Recht, das ich auch ausüben möchte. Damals war ich in der glücklichen Situation, dass ich eben nicht die Sorge für eine Familie zu tragen hatte, ich konnte es mir also leisten, das Militär zu verlassen.
Viele andere Soldaten sind in einer schlimmeren Situation, sie haben Familie, sie sind sozusagen in der Falle, denn wenn sie das Militär verlassen, dann verlieren sie auch alle Sozialleistungen, auf die sie sonst Anspruch hätten für ihre Angehörigen. Das ist schon eine Art Leibeigenschaft, muss ich sagen, ich werde das nicht Sklaverei nennen, aber es kommt hart dran heran, denn die Sorge für die Familien zwingt die Soldaten, wider bessere Einsicht beim Militär zu bleiben.
von Billerbeck: Nun sagen Sie so einfach, Sie haben das Militär verlassen, Sie sind ja desertiert, das ist ja ein Straftatbestand, da hat man ja dann gleich eine Streife am Hals von der eigenen Armee. Wie ist Ihnen das gelungen, diese Flucht?
Shepherd: Es war geradezu ein Wunder des Himmels, denn damals, als ich das Militär verließ im Jahr 2007 und mich in Bayern aufhielt, wurde zugleich auch eine massive Aktion gegen illegale Immigranten ausgeführt, sodass also das Staunen sehr groß war, sogar bei einigen Bundestagsmitgliedern, dass ich es 19 Monate lang dort in Süddeutschland schaffte, mich zu verstecken, bei verschiedenen Freunden mich aufzuhalten, während sehr viele andere Soldaten, die zu desertieren versucht hatten, nach Kurzem wieder geschnappt worden waren. Und ich konnte mich im Wesentlichen frei bewegen und Dinge ganz normal machen, die ich eben machen wollte. Und erst, als ich feststellte, dass es so nicht weiterging, habe ich dann diesen formalen Asylantrag gestellt.
von Billerbeck: Das ist wirklich ein Wunder – Sie sind ein Schwarzer, und ein Schwarzer fällt in Bayern ja auch auf.
Shepherd: Ja, aber es ist schon so, und ich kann es noch mal bekräftigen: Ich weiß nicht, wie das gelungen ist, und ich bin aber wirklich dankbar, dass es gelungen ist.
von Billerbeck: War Ihnen eigentlich bewusst, dass es in Deutschland sehr lange gedauert hat, bis die Deserteure aus der Wehrmacht aus der NS-Zeit rehabilitiert wurden? Es gab ja erst seit 2002 ein Gesetz, das die NS-Gesetze aufhob und für Unrecht erklärte. Da fragt man sich, wieso beantragt einer dann ausgerechnet in Deutschland Asyl, wo Deserteure eben sehr, sehr lange als Verräter galten.
Shepherd: Ja, mir war das durchaus klar. Gleich nach meiner Desertion habe ich mir vor Augen geführt, dass ich einfach keine große Auswahl hatte, ich konnte ja nicht von Land zu Land springen, und zweitens mochte ich dieses Land Deutschland. Mir war schon klar, dass ich aus einem Land, das Desertion nicht duldet, in ein anderes Land gehe, das Desertion ebenfalls nicht duldet oder mindestens eben jetzt erst anfängt, Desertion hinzunehmen.
Historisch und politisch gesehen liegt hier aber wirklich eine ganz starke unterstützende Folie vor, denn gerade im Lichte dieser Beziehungen zwischen den USA und Deutschland, im Lichte all dessen, was in den letzten 65 bis 70 Jahren geschehen ist, war genau dies das richtige Land, denn die USA haben doch die Nürnberger Prozesse eingerichtet und ausgeführt, wo immer wieder gesagt wurde, es stehe den Soldaten nicht zu, einfach nur sich darauf zu berufen, ich habe nur die Befehle ausgeführt. Wenn diese Befehle verbrecherisch oder ungesetzlich seien, dann müsse man sie eben verweigern. Und genau diese Macht, die damals diese Argumente verwendet hat, widerspricht nun und unterhöhlt genau die eigenen Grundsätze, die sie so verkünden, indem sie Deserteure wie mich so bestraft.
Obwohl mir also von Anfang an klar war, dass es ein harter Kampf werden würde, wusste ich doch auch, dass genau Deutschland das geeignete Land ist, um meine Sache vorzutragen.
von Billerbeck: Ihr Asylantrag, der ist vom November 2008, nach bald zwei Jahren hat das Bundesamt für Migration noch immer nichts entschieden – wie groß ist denn Ihre Hoffnung, dass das passiert, oder ist die Furcht vor den USA oder vor Verwicklungen mit den USA doch zu groß?
Shepherd: Nun, ganz offengestanden, als ich diesen Antrag einreichte, konnte niemand wissen, was da letztlich draus würde, denn es gibt ja da diese Beziehungen zwischen Deutschland und den USA zu bedenken. Die beiden Länder sind befreundet, die beiden Volkswirtschaften sind miteinander verknüpft, es ist also sehr schwer, sich da jetzt gegenseitig Vorwürfe zu machen. Man hat doch größere Mühe, einem Freund zu sagen, was du machst, ist falsch, als jemandem gegenüber, den man nicht mag. Und dazu kommt noch, dass man während der Bush-Regierung natürlich sich immer groß in die Brust geworfen hat und alles Mögliche gegen Bush gesagt hat – das war damals sozusagen sehr in Mode.
Dann kam im Jahr 2009 die Regierung Obama, mit dem großen Versprechen, es würde jetzt ein Wandel eintreten und die Dinge würden sich ändern. Leider ist davon nichts zu sehen bisher, nicht nur hat er die Politik der Bush-Regierung im Wesentlichen weitergeführt, er hat sogar noch die kriegerischen Tätigkeiten auf andere Länder ausgedehnt, auf Pakistan, Jemen und so weiter. Nehmen wir dann noch diesen vorgetäuschten Rückzug aus Irak hinzu, wo doch immerhin 50.000 US-Soldaten stationiert geblieben sind, zusätzlich noch zu den privaten Truppen, all das ergibt doch eine sehr, sehr schwierige Situation.
Denn wenn jetzt Deutschland sagt, ja, wir nehmen diesen Asylantrag an, dann steht Deutschland in einem schlechten Licht gegenüber den USA. Wenn aber Deutschland den Antrag ablehnt, dann müsste es ja nachweisen, weshalb alles das, was ich vortrage, falsch ist, also dass dies etwa ein ungerechtfertigter Krieg ist und dass man letztlich jetzt einen umfassenden Kampf aufgenommen hat, im Wesentlichen gegen die muslimische Welt. Es ist also eine unlösbare Situation entstanden, aus der schwer ein Ausweg zu finden ist, und ich muss mich wirklich gegenüber diesem Land entschuldigen, das ich ja wirklich mag, aber so viele Menschen sind gestorben, sterben weiterhin, so viele Länder sind zerstört worden. Ich meine also, jetzt ist der Augenblick gekommen zu sagen, wir müssen das beenden. Es geht letztlich darum, für das einzustehen, was man für richtig oder falsch hält.
von Billerbeck: André Shepherd, der erste US-amerikanische Soldat, der als Deserteur aus dem Irakkrieg politisches Asyl in Deutschland beantragt. Er ist für den "taz Panter Preis" nominiert, der morgen vergeben wird. Das Gespräch haben wir vor unserer Sendung aufgezeichnet, Johannes Hampel hat es übersetzt.
André Shepherd: Thank you!
von Billerbeck: Wer zum Deserteur wird, der wurde entweder in einen Krieg gezwungen oder er hat erkannt, dass der Krieg, in den er einst freiwillig gezogen ist, unrecht ist. Wie war das bei Ihnen?
Shepherd: In meinem Fall treffen wohl beide Gründe irgendwie zu. Zunächst einmal bin ich in gewisser Weise gezwungen worden, in diesen Krieg zu ziehen, obwohl das eine Freiwilligenarmee ist, aber ich war ja gezwungen, der Armee beizutreten aus wirtschaftlichen Gründen, denn ich sah damals keine andere Möglichkeit, ein anständiges Leben zu führen. Ich war ein Jahr lang obdachlos gewesen, zwischen den Jahren 2001 und 2003. Ich war also in einer verzweifelten Situation, und das amerikanische Militär stellte damals natürlich im Zuge dieses Irakkrieges neue Freiwillige ein, und so habe ich mich entschlossen, eben auch zum Militär zu gehen.
Dann habe ich zweitens entdeckt, dass die Gründe, derentwegen dieser Krieg geführt wurde, nicht die echten Gründe sind. Zunächst einmal wurde von diesen Massenvernichtungswaffen immer gesprochen. Wir stellten dann fest, dass es diese Waffen gar nicht gebe. Dann sind Kriegsverbrechen geschehen, Grausamkeiten sind begangen worden, auch von meiner Einheit. Ich habe das in direkten Gesprächen mit irakischen Bürgern herausgefunden. Meine Einheit hat auch an der zweiten Schlacht von Falludscha teilgenommen, wo die Stadt vollkommen zerstört wurde. Wir haben eine Woche später dann die Bestätigung bekommen, dass es keine Massenvernichtungswaffen gegeben habe, dennoch wurden weiterhin solche vernichtenden Aktionen ausgeführt, und es wurde uns dann gesagt, wir müssten im Lande bleiben, um die Sicherheit zu gewährleisten. Also es wurden ständig irgendwelche Gründe nachgeschoben.
Im Jahr 2005, nach meiner Rückkehr, versuchte ich dann die echten Gründe herauszufinden, da es doch diese Massenvernichtungswaffen nicht gab, und ich kam schließlich zu dem Schluss, dass es keinen stichhaltigen Grund für diesen Krieg gegeben hatte. Es wurde einfach eine Lüge nach der anderen aufgetischt. Dennoch wurde weiterhin getötet, und so habe ich letztlich dann den Schluss gezogen, dass dieser Krieg eine vollkommene Farce war und dass ich das Militär verlassen musste.
von Billerbeck: Haben Sie eigentlich mit Ihren Kameraden darüber gesprochen, oder anders gefragt, wie verbreitet ist diese Ansicht über den Irakkrieg unter den US-Soldaten dort?
Shepherd: In den Gesprächen, die ich häufig geführt habe, und auch in Unterhaltungen mit Organisationen, die Veteranen unterstützen, habe ich herausgefunden, dass dies wirklich die Mehrheitsmeinung ist. Die meisten denken so. Das hat mir auch einer meiner vorgesetzten Feldwebel bestätigt, den ich mal direkt daraufhin angesprochen habe, dass dies doch ein vollkommen gesetzwidriger Krieg sei. Er hat mir sachlich Recht gegeben und sagte auch, jeder weiß, dass es so läuft, aber niemand kann die Konsequenzen daraus ziehen, abgesehen von den neu eingezogenen Rekruten, die noch nicht im Krieg gewesen sind, alle anderen wissen, welcher Witz dieser Krieg ist. Aber man ist eben durch vertragliche Verpflichtungen gebunden, und deswegen müsse man noch weitermachen.
Für mich war das eine ziemlich schwierige Situation, denn es ist doch der Auftrag des Militärs, die amerikanische Verfassung zu schützen. Was wir aber da vor Ort taten, war nichts anderes, als die Grundlagen der Verfassung anzugreifen, zu unterminieren, dieser Krieg im Irak war doch kein Krieg zur Verteidigung der Verfassung, es war ein Angriffskrieg. Dieser Krieg lief meinem sittlichen Grundempfinden zuwider, das mir sagt, was richtig und falsch ist. Das ist ja schließlich mein gottgegebenes Recht, das ich auch ausüben möchte. Damals war ich in der glücklichen Situation, dass ich eben nicht die Sorge für eine Familie zu tragen hatte, ich konnte es mir also leisten, das Militär zu verlassen.
Viele andere Soldaten sind in einer schlimmeren Situation, sie haben Familie, sie sind sozusagen in der Falle, denn wenn sie das Militär verlassen, dann verlieren sie auch alle Sozialleistungen, auf die sie sonst Anspruch hätten für ihre Angehörigen. Das ist schon eine Art Leibeigenschaft, muss ich sagen, ich werde das nicht Sklaverei nennen, aber es kommt hart dran heran, denn die Sorge für die Familien zwingt die Soldaten, wider bessere Einsicht beim Militär zu bleiben.
von Billerbeck: Nun sagen Sie so einfach, Sie haben das Militär verlassen, Sie sind ja desertiert, das ist ja ein Straftatbestand, da hat man ja dann gleich eine Streife am Hals von der eigenen Armee. Wie ist Ihnen das gelungen, diese Flucht?
Shepherd: Es war geradezu ein Wunder des Himmels, denn damals, als ich das Militär verließ im Jahr 2007 und mich in Bayern aufhielt, wurde zugleich auch eine massive Aktion gegen illegale Immigranten ausgeführt, sodass also das Staunen sehr groß war, sogar bei einigen Bundestagsmitgliedern, dass ich es 19 Monate lang dort in Süddeutschland schaffte, mich zu verstecken, bei verschiedenen Freunden mich aufzuhalten, während sehr viele andere Soldaten, die zu desertieren versucht hatten, nach Kurzem wieder geschnappt worden waren. Und ich konnte mich im Wesentlichen frei bewegen und Dinge ganz normal machen, die ich eben machen wollte. Und erst, als ich feststellte, dass es so nicht weiterging, habe ich dann diesen formalen Asylantrag gestellt.
von Billerbeck: Das ist wirklich ein Wunder – Sie sind ein Schwarzer, und ein Schwarzer fällt in Bayern ja auch auf.
Shepherd: Ja, aber es ist schon so, und ich kann es noch mal bekräftigen: Ich weiß nicht, wie das gelungen ist, und ich bin aber wirklich dankbar, dass es gelungen ist.
von Billerbeck: War Ihnen eigentlich bewusst, dass es in Deutschland sehr lange gedauert hat, bis die Deserteure aus der Wehrmacht aus der NS-Zeit rehabilitiert wurden? Es gab ja erst seit 2002 ein Gesetz, das die NS-Gesetze aufhob und für Unrecht erklärte. Da fragt man sich, wieso beantragt einer dann ausgerechnet in Deutschland Asyl, wo Deserteure eben sehr, sehr lange als Verräter galten.
Shepherd: Ja, mir war das durchaus klar. Gleich nach meiner Desertion habe ich mir vor Augen geführt, dass ich einfach keine große Auswahl hatte, ich konnte ja nicht von Land zu Land springen, und zweitens mochte ich dieses Land Deutschland. Mir war schon klar, dass ich aus einem Land, das Desertion nicht duldet, in ein anderes Land gehe, das Desertion ebenfalls nicht duldet oder mindestens eben jetzt erst anfängt, Desertion hinzunehmen.
Historisch und politisch gesehen liegt hier aber wirklich eine ganz starke unterstützende Folie vor, denn gerade im Lichte dieser Beziehungen zwischen den USA und Deutschland, im Lichte all dessen, was in den letzten 65 bis 70 Jahren geschehen ist, war genau dies das richtige Land, denn die USA haben doch die Nürnberger Prozesse eingerichtet und ausgeführt, wo immer wieder gesagt wurde, es stehe den Soldaten nicht zu, einfach nur sich darauf zu berufen, ich habe nur die Befehle ausgeführt. Wenn diese Befehle verbrecherisch oder ungesetzlich seien, dann müsse man sie eben verweigern. Und genau diese Macht, die damals diese Argumente verwendet hat, widerspricht nun und unterhöhlt genau die eigenen Grundsätze, die sie so verkünden, indem sie Deserteure wie mich so bestraft.
Obwohl mir also von Anfang an klar war, dass es ein harter Kampf werden würde, wusste ich doch auch, dass genau Deutschland das geeignete Land ist, um meine Sache vorzutragen.
von Billerbeck: Ihr Asylantrag, der ist vom November 2008, nach bald zwei Jahren hat das Bundesamt für Migration noch immer nichts entschieden – wie groß ist denn Ihre Hoffnung, dass das passiert, oder ist die Furcht vor den USA oder vor Verwicklungen mit den USA doch zu groß?
Shepherd: Nun, ganz offengestanden, als ich diesen Antrag einreichte, konnte niemand wissen, was da letztlich draus würde, denn es gibt ja da diese Beziehungen zwischen Deutschland und den USA zu bedenken. Die beiden Länder sind befreundet, die beiden Volkswirtschaften sind miteinander verknüpft, es ist also sehr schwer, sich da jetzt gegenseitig Vorwürfe zu machen. Man hat doch größere Mühe, einem Freund zu sagen, was du machst, ist falsch, als jemandem gegenüber, den man nicht mag. Und dazu kommt noch, dass man während der Bush-Regierung natürlich sich immer groß in die Brust geworfen hat und alles Mögliche gegen Bush gesagt hat – das war damals sozusagen sehr in Mode.
Dann kam im Jahr 2009 die Regierung Obama, mit dem großen Versprechen, es würde jetzt ein Wandel eintreten und die Dinge würden sich ändern. Leider ist davon nichts zu sehen bisher, nicht nur hat er die Politik der Bush-Regierung im Wesentlichen weitergeführt, er hat sogar noch die kriegerischen Tätigkeiten auf andere Länder ausgedehnt, auf Pakistan, Jemen und so weiter. Nehmen wir dann noch diesen vorgetäuschten Rückzug aus Irak hinzu, wo doch immerhin 50.000 US-Soldaten stationiert geblieben sind, zusätzlich noch zu den privaten Truppen, all das ergibt doch eine sehr, sehr schwierige Situation.
Denn wenn jetzt Deutschland sagt, ja, wir nehmen diesen Asylantrag an, dann steht Deutschland in einem schlechten Licht gegenüber den USA. Wenn aber Deutschland den Antrag ablehnt, dann müsste es ja nachweisen, weshalb alles das, was ich vortrage, falsch ist, also dass dies etwa ein ungerechtfertigter Krieg ist und dass man letztlich jetzt einen umfassenden Kampf aufgenommen hat, im Wesentlichen gegen die muslimische Welt. Es ist also eine unlösbare Situation entstanden, aus der schwer ein Ausweg zu finden ist, und ich muss mich wirklich gegenüber diesem Land entschuldigen, das ich ja wirklich mag, aber so viele Menschen sind gestorben, sterben weiterhin, so viele Länder sind zerstört worden. Ich meine also, jetzt ist der Augenblick gekommen zu sagen, wir müssen das beenden. Es geht letztlich darum, für das einzustehen, was man für richtig oder falsch hält.
von Billerbeck: André Shepherd, der erste US-amerikanische Soldat, der als Deserteur aus dem Irakkrieg politisches Asyl in Deutschland beantragt. Er ist für den "taz Panter Preis" nominiert, der morgen vergeben wird. Das Gespräch haben wir vor unserer Sendung aufgezeichnet, Johannes Hampel hat es übersetzt.