''Dieser Ort prägte mich''
Die Stadt Halle hat die größte Abwanderungsrate Deutschlands. Die einstige Industriehochburg für Chemie ist am Ende. Die Firmen sind pleite. In dieser Situation feiert die Kunsthochschule von Halle - die Burg Giebichenstein - ihr 90-jähriges Jubiläum. Mit zahlreichen Projekten beleben die jungen Künstler das Stadtbild. Für die Hallenser eine willkommene Abwechslung. Halle und die Kunst - das Portrait einer Kunsthochschule mit einer langen Tradition in einer alten Stadt.
Inge Götze: "Schwer ist es in Halle, weil es kaum noch Möglichkeiten zu leben gibt. Alles, was es an wirtschaftlicher Kraft gab, ist weggebrochen. Die großen Betriebe, die Arbeit lieferten für die Bürger der Stadt, die Chemie. ...dieses ganze Dreieck Bitterfeld, Wolfen, Leipzig, Halle Leuna. Das gibt es so in dieser Form nicht mehr. Wenn es dort Werke gibt, dann sind dort 1000 oder 500 Leute beschäftigt. Damals waren es zig Tausende. Und in Halle alle Betriebe sind weg, stehen auch nicht mehr als Gebäude."
1518 erklärte der Hansetag Lübeck die Stadt Halle als Abgedankt und abgeschnitten. 2005 registriert Halle ein Haushaltsdefizit von 55,5 Millionen Euro und die größte Abwanderungsrate Deutschlands. In den letzten 10 Jahren kehrten mehr als 90.000 Bürger der Stadt den Rücken. Das Haushaltsdefizit und die Arbeitslosenquote von 23,6 Prozent sind ein Härtetest für die Händel-Stadt. Seit Jahren droht die Zwangsverwaltung.
Götze: "Und so gibt es also in Halle keine Lebenskraft für die Bürger."
Als Inge Götze nach Halle zog, drückte die Industrie der Stadt ihren Grauton auf. Das interessierte sie jedoch wenig. Sie wollte an die Burg Giebichenstein, der damaligen Hochschule für industrielle Formgestaltung. Heute nennt sich die Burg Hochschule für Kunst und Design und feiert 90jähriges Bestehen.
Und Inge Götze blickt zurück auf jene 40 Jahre, in denen sie das Profil der Burg maßgeblich mit geprägt hat. Sie kam als Studentin, wurde Professorin und schließlich Dekanin.
Götze: "Wir haben uns in den letzten Jahrzehnten auch immer breit bewegt, also nur nicht so schmal zu sein, sondern dass eine gestalterische Qualität und Kraft in jedem Studenten ausgebildet wird. Vor allen Dingen, dass er zu sich und zu der eigenen Formvorstellung oder zu den eigenen Möglichkeiten findet und diese erkennt und damit auch wuchert, denn je selbständiger, originärer, origineller einer ist, um so eher kann er eine Aufgabe finden. Nicht was alle machen ist immer gefordert, sondern eben was Besonderes, Einzigartiges."
Seit der Wende hat sich das Stadtbild in Halle an vielen Stellen sichtbar verändert. Der mittelalterliche Kern kommt stärker zur Geltung, konkurriert aber noch mit vielen abrissreifen Häusern. Ihnen fehlen die Bewohner. In den alten Strassen dominiert die Jugend. 2020 soll es in der Bevölkerungsstruktur Halles ca. 80% Jugendliche geben. Die restlichen 20 Prozent wären dann Rentner und Erwerbstätige. Wird Halle zu einer Universitätsstadt?
Götze: "Wir haben gesagt, wir können ja im Konzert der Kunsthochschulen, die es nun mal in Deutschland gibt, können wir doch eine ganz besonders Geartete, eine meinetwegen etwas altmodische Schule bleiben, sein und bleiben, mit einem unverwechselbaren Charakter. Wir werden bestimmt in Deutschland genügend Studenten finden, die hier in den einzelnen künstlerischen Gewerken arbeiten wollen. Also dieses Konzept mit einer gründlichen Ausbildung im Zeichnen oder in diesen handwerklichen Bereichen, das für ihre Haltung positiv finden. Sich deshalb hier bewerben und nicht nach Düsseldorf oder Hamburg oder London gehen wollen."
Die Immatrikulationszahlen geben Inge Götze Recht. 1960 waren insgesamt 190 Studenten in der Burg Giebichenstein eingeschrieben. Jetzt, 2005, sind es 900. Die Studenten tragen ihre Arbeiten in die Öffentlichkeit, präsentieren sie in Ausstellungen. So zeigen Studenten aus der Sektion Industriedesign wie sie mit Betrieben aus der Region zusammen arbeiten.
Götze: "Jetzt hatten wir ja das 90-jährige Bestehen der Hochschule gefeiert. Das ist natürlich auch gefeiert worden, um in Halle wieder Präsenz zu zeigen: Hallo, hier sind wir. Halle, guckt her, was wir machen! Wir hatten in diesem Jahr eine sehr erfolgreiche Jahresausstellung."
Der Burg tut das gut und die Stadt hat es nötig. Unter dem Stichwort "Kunst am Bau" gibt es insgesamt 165 Objekte der Burg Giebichenstein, die das Stadtbild prägen. Darunter sind die Wellenreiterfiguren, die Gerhard Marcks, der 1933 Professor an der Burg wurde, für die Kollwitzbrücke geschaffen hat.
In diesem Jahr gewann eine Absolventin der Burg Giebichenstein den Wettbewerb zur Stadtgeschichte von Halle-Neustadt. Sie installierte in das Kellergeschoss eines abgerissenen Hauses Möbel im DDR–Design. In Beton gegossen sollen die Möbel für jedermann nutzbar sein. Doch nicht nur die DDR-Geschichte findet sich in den Kunstprojekten, auch der jüngsten Vergangenheit Halles widmen sich die Studenten. So stellten sie anlässlich des 90-jährigen Bestehens der Burg in diesem Jahr an verschiedenen Plätzen der Stadt riesige Tortenstücke auf. Sie wurden unterschiedlich betitelt. So gab es eine Grastorte oder eine Servicetorte, in der Fahrräder abgestellt werden konnten. Ein Tortenstück trug den Titel: Die Titanic sinkt nicht zuletzt durch die unfähigen Offiziere. Dargestellt war ein auseinander brechendes Stück, aus dessen Innerem jede Menge Ratten heraus kamen. Halle par excellance. Die Studenten machen sich eben ihr eigenes Bild von der Stadt.
Götze: "Die Burg hat schon immer versucht, sich in Halle darzustellen, einen gewissen Einfluss auszuüben, präsent zu sein. Es ist immer mit einer Schwierigkeit verbunden gewesen. Halle ist immer eine sehr proletarische Stadt gewesen. Im Gegensatz zu Leipzig, da spielt das Bürgertum mehr eine Rolle als hier in Halle. Da ist ein anderes Kunstverständnis da."
1915 übernahm Paul Thiersch die Burg Giebichenstein als ehemalige Handwerkerschule. Die Maßgabe: aus der Stadt Halle eine Stadt der Künste zu machen. In den zwanziger Jahren erteilte ihm die Stadt den Auftrag, das Flughafengebäude in Halle zu gestalten. Thiersch war der erste einer langen Reihe von Architekten, die das Profil der Hochschule prägten. Erst 1971 wurde ein Designer Rektor.
Neun Mal hat die Burg Giebichenstein ihren Namen geändert. In den Anfängen war sie Staatlich städtische Kunstgewerbeschule, später Meisterschule für das gestaltende Handwerk, aber auch Institut für künstlerische Werkgestaltung. Es wurde also immer wieder der Versuch unternommen, die programmatische Ausrichtung der Hochschule im Namen zu markieren. In der Wirklichkeit bewegte sich die Schule stets zwischen den verschiedenen Gewerken und Künsten.
Götze: "Da ist die Burg Giebichenstein ein sehr gutes Fundament. Schon aus dem Konzert der vielen Bereiche. Also wenn man Kunst studiert, dann hat man eben auch mit Studenten zu tun, die in der Bildhauerei, in der Plastik arbeiten, die in der Keramik, in der Figürlichen Keramik, die im Glasbereich die Objektkunst machen, die Grafik, die Bilder malen oder Filme machen. Wir haben auch eine Abteilung für Medienkunst. Also das ganze Umfeld wird eigentlich abgedeckt und man kann überall mal in die Werkstatt rein riechen, man kann sich mit den Studenten austauschen. Und das ist ja überhaupt das große kreative Potential, das die Burg hat."
Inge Götze wurde Professorin für Textilkunst. Frühzeitig wandte sie sich ab von den ausschließlich figurativen und gegenständlichen Darstellungen in der Gestaltung von Wandteppichen. Das wurde von der damaligen Hochschulleitung in der DDR nicht widerspruchslos hingenommen.
Götze: "In der Bildteppichkunst konnte man sich freier bewegen. Man konnte fabulieren, man konnte mit Farben arbeiten, die man in der Malerei so nicht so frei einsetzen konnte, um nicht des Formalismus bezichtigt zu werden. Man konnte mit Symbolen arbeiten. Man konnte Geschichten erzählen, märchenhaft sein, phantastisch sein. Das gefiel mir sehr."
Die Burg Giebichenstein stand immer in enger Verbindung zum Bauhaus. Dennoch bewahrte sie ihr eigenes Profil, sah sich nie als Konkurrent zum Bauhaus.
Zurzeit läuft in Tokio im Rahmen eines Programms der Bundesregierung "Deutschland in Japan" eine Ausstellung unter dem Titel: "Form-Raum-Idee – Zwei Schulen für Gestaltung in Sachsen Anhalt". Die Stiftung Bauhaus Dessau und die Burg Giebichenstein präsentieren sich.
Götze: "Sie waren beide in gleichberechtigten Positionen. Sie haben gleichermaßen ganz bestimmte Vorstellungen gehabt. Hier war es etwas individueller und im Bauhaus war es dann mehr auf die neue Industrie zugeschnitten. Aber was vielleicht auch der Unterschied war, dass am Bauhaus Personen waren, die auch sehr stark nach außen wirkten, also sich der Kunst nach außen öffneten, eine neue Dimension öffnete, die bedeutsam wurde nach dem Krieg. Weil viele von den Bauhäuslern nach dem Krieg nach Amerika gegangen sind. Und ihre Möglichkeiten hatten, das Bauhaus dort zu etablieren und dann schließlich eine Rückkopplung wieder zurück nach Deutschland zu haben."
Vielleicht bewirkt ja die Präsentation der Burg Giebichenstein im In – und Ausland auch eine Rückkopplung auf die Stadt Halle. Man wird sehen, ob ihr das gelingt. Pläne werden in der Stadt zu genüge gemacht. So soll der Tunnel vom Bahnhof Halle zum Zentrum aufgerissen werden. Offener, freundlicher soll der Weg ins Zentrum werden. Dafür schafft Helmut Brade, Bühnenbildner und Professor für Grafikdesign an der Burg Giebichenstein, ein Fries der Hallenser. Historische Persönlichkeiten der Stadt Halle werden hier - in Stein gehauen - wieder auftauchen und den Menschen die kulturelle Geschichte ihrer Stadt plastisch machen.
Götze: "Halle gehört zu den wenigen Städten in Deutschland, die kaum bombardiert worden ist. In Halle gab es nur sehr wenig Kriegsschäden. Es gab auch ein mittelalterliches Zentrum als ich nach Halle kam. Aber jetzt nach der Wende sind Straßenzüge aus dem versunkenen Grau wieder entstanden. Erstanden, sind neu geboren, ergeben also ein wunderbares Flair."
Inge Götze wird jetzt - nach 40 Jahren - die Burg Giebichenstein allmählich verlassen. Seit der Wende gibt es kaum noch Professoren, die so lange an der Burg gearbeitet haben wie sie.
Inge Götze verbrachte ihr halbes Leben an der Burg. Hier lernte sie ihren Mann kennen und in der Zeit bekam sie ihre Kinder. Am Tage war sie Professorin, am Abend Mutter und in der Nacht ging sie noch in das Atelier, um eigene Kunstwerke zu schaffen. Jetzt konzentriert sie sich vorwiegend auf ihre Malerei.
Götze: "Das ist der Weg gewesen, ich weiß nicht, wie oft ich den Weg gegangen bin von 1960 bis praktisch jetzt. Er ist so schön, dass er einem nie über werden konnte."
Die Burg Giebichenstein ist ein Ort der Romantik. Eichendorff und Goethe besuchten hier den Dichter Reichhardt. Diese Burg ist ein Kleinod in Halle.
Götze: "Ich bin so ewig hierher gegangen. Das hat dann auch irgendwann ein Ende."
Doch in Halle will sie bleiben. Wie viele, die von dieser Stadt nicht lassen können. Einige Absolventen der Hochschule eröffnen nach ihrem Abschluss kleine Läden in der Stadt und verkaufen dort ihre Kunst. Vielleicht gründen auch sie in Halle eine Familie und bleiben, so wie Inge Götze das getan hat. Halle hat nicht so viel Kleinode, auf die die Stadt verzichten könnte.
1518 erklärte der Hansetag Lübeck die Stadt Halle als Abgedankt und abgeschnitten. 2005 registriert Halle ein Haushaltsdefizit von 55,5 Millionen Euro und die größte Abwanderungsrate Deutschlands. In den letzten 10 Jahren kehrten mehr als 90.000 Bürger der Stadt den Rücken. Das Haushaltsdefizit und die Arbeitslosenquote von 23,6 Prozent sind ein Härtetest für die Händel-Stadt. Seit Jahren droht die Zwangsverwaltung.
Götze: "Und so gibt es also in Halle keine Lebenskraft für die Bürger."
Als Inge Götze nach Halle zog, drückte die Industrie der Stadt ihren Grauton auf. Das interessierte sie jedoch wenig. Sie wollte an die Burg Giebichenstein, der damaligen Hochschule für industrielle Formgestaltung. Heute nennt sich die Burg Hochschule für Kunst und Design und feiert 90jähriges Bestehen.
Und Inge Götze blickt zurück auf jene 40 Jahre, in denen sie das Profil der Burg maßgeblich mit geprägt hat. Sie kam als Studentin, wurde Professorin und schließlich Dekanin.
Götze: "Wir haben uns in den letzten Jahrzehnten auch immer breit bewegt, also nur nicht so schmal zu sein, sondern dass eine gestalterische Qualität und Kraft in jedem Studenten ausgebildet wird. Vor allen Dingen, dass er zu sich und zu der eigenen Formvorstellung oder zu den eigenen Möglichkeiten findet und diese erkennt und damit auch wuchert, denn je selbständiger, originärer, origineller einer ist, um so eher kann er eine Aufgabe finden. Nicht was alle machen ist immer gefordert, sondern eben was Besonderes, Einzigartiges."
Seit der Wende hat sich das Stadtbild in Halle an vielen Stellen sichtbar verändert. Der mittelalterliche Kern kommt stärker zur Geltung, konkurriert aber noch mit vielen abrissreifen Häusern. Ihnen fehlen die Bewohner. In den alten Strassen dominiert die Jugend. 2020 soll es in der Bevölkerungsstruktur Halles ca. 80% Jugendliche geben. Die restlichen 20 Prozent wären dann Rentner und Erwerbstätige. Wird Halle zu einer Universitätsstadt?
Götze: "Wir haben gesagt, wir können ja im Konzert der Kunsthochschulen, die es nun mal in Deutschland gibt, können wir doch eine ganz besonders Geartete, eine meinetwegen etwas altmodische Schule bleiben, sein und bleiben, mit einem unverwechselbaren Charakter. Wir werden bestimmt in Deutschland genügend Studenten finden, die hier in den einzelnen künstlerischen Gewerken arbeiten wollen. Also dieses Konzept mit einer gründlichen Ausbildung im Zeichnen oder in diesen handwerklichen Bereichen, das für ihre Haltung positiv finden. Sich deshalb hier bewerben und nicht nach Düsseldorf oder Hamburg oder London gehen wollen."
Die Immatrikulationszahlen geben Inge Götze Recht. 1960 waren insgesamt 190 Studenten in der Burg Giebichenstein eingeschrieben. Jetzt, 2005, sind es 900. Die Studenten tragen ihre Arbeiten in die Öffentlichkeit, präsentieren sie in Ausstellungen. So zeigen Studenten aus der Sektion Industriedesign wie sie mit Betrieben aus der Region zusammen arbeiten.
Götze: "Jetzt hatten wir ja das 90-jährige Bestehen der Hochschule gefeiert. Das ist natürlich auch gefeiert worden, um in Halle wieder Präsenz zu zeigen: Hallo, hier sind wir. Halle, guckt her, was wir machen! Wir hatten in diesem Jahr eine sehr erfolgreiche Jahresausstellung."
Der Burg tut das gut und die Stadt hat es nötig. Unter dem Stichwort "Kunst am Bau" gibt es insgesamt 165 Objekte der Burg Giebichenstein, die das Stadtbild prägen. Darunter sind die Wellenreiterfiguren, die Gerhard Marcks, der 1933 Professor an der Burg wurde, für die Kollwitzbrücke geschaffen hat.
In diesem Jahr gewann eine Absolventin der Burg Giebichenstein den Wettbewerb zur Stadtgeschichte von Halle-Neustadt. Sie installierte in das Kellergeschoss eines abgerissenen Hauses Möbel im DDR–Design. In Beton gegossen sollen die Möbel für jedermann nutzbar sein. Doch nicht nur die DDR-Geschichte findet sich in den Kunstprojekten, auch der jüngsten Vergangenheit Halles widmen sich die Studenten. So stellten sie anlässlich des 90-jährigen Bestehens der Burg in diesem Jahr an verschiedenen Plätzen der Stadt riesige Tortenstücke auf. Sie wurden unterschiedlich betitelt. So gab es eine Grastorte oder eine Servicetorte, in der Fahrräder abgestellt werden konnten. Ein Tortenstück trug den Titel: Die Titanic sinkt nicht zuletzt durch die unfähigen Offiziere. Dargestellt war ein auseinander brechendes Stück, aus dessen Innerem jede Menge Ratten heraus kamen. Halle par excellance. Die Studenten machen sich eben ihr eigenes Bild von der Stadt.
Götze: "Die Burg hat schon immer versucht, sich in Halle darzustellen, einen gewissen Einfluss auszuüben, präsent zu sein. Es ist immer mit einer Schwierigkeit verbunden gewesen. Halle ist immer eine sehr proletarische Stadt gewesen. Im Gegensatz zu Leipzig, da spielt das Bürgertum mehr eine Rolle als hier in Halle. Da ist ein anderes Kunstverständnis da."
1915 übernahm Paul Thiersch die Burg Giebichenstein als ehemalige Handwerkerschule. Die Maßgabe: aus der Stadt Halle eine Stadt der Künste zu machen. In den zwanziger Jahren erteilte ihm die Stadt den Auftrag, das Flughafengebäude in Halle zu gestalten. Thiersch war der erste einer langen Reihe von Architekten, die das Profil der Hochschule prägten. Erst 1971 wurde ein Designer Rektor.
Neun Mal hat die Burg Giebichenstein ihren Namen geändert. In den Anfängen war sie Staatlich städtische Kunstgewerbeschule, später Meisterschule für das gestaltende Handwerk, aber auch Institut für künstlerische Werkgestaltung. Es wurde also immer wieder der Versuch unternommen, die programmatische Ausrichtung der Hochschule im Namen zu markieren. In der Wirklichkeit bewegte sich die Schule stets zwischen den verschiedenen Gewerken und Künsten.
Götze: "Da ist die Burg Giebichenstein ein sehr gutes Fundament. Schon aus dem Konzert der vielen Bereiche. Also wenn man Kunst studiert, dann hat man eben auch mit Studenten zu tun, die in der Bildhauerei, in der Plastik arbeiten, die in der Keramik, in der Figürlichen Keramik, die im Glasbereich die Objektkunst machen, die Grafik, die Bilder malen oder Filme machen. Wir haben auch eine Abteilung für Medienkunst. Also das ganze Umfeld wird eigentlich abgedeckt und man kann überall mal in die Werkstatt rein riechen, man kann sich mit den Studenten austauschen. Und das ist ja überhaupt das große kreative Potential, das die Burg hat."
Inge Götze wurde Professorin für Textilkunst. Frühzeitig wandte sie sich ab von den ausschließlich figurativen und gegenständlichen Darstellungen in der Gestaltung von Wandteppichen. Das wurde von der damaligen Hochschulleitung in der DDR nicht widerspruchslos hingenommen.
Götze: "In der Bildteppichkunst konnte man sich freier bewegen. Man konnte fabulieren, man konnte mit Farben arbeiten, die man in der Malerei so nicht so frei einsetzen konnte, um nicht des Formalismus bezichtigt zu werden. Man konnte mit Symbolen arbeiten. Man konnte Geschichten erzählen, märchenhaft sein, phantastisch sein. Das gefiel mir sehr."
Die Burg Giebichenstein stand immer in enger Verbindung zum Bauhaus. Dennoch bewahrte sie ihr eigenes Profil, sah sich nie als Konkurrent zum Bauhaus.
Zurzeit läuft in Tokio im Rahmen eines Programms der Bundesregierung "Deutschland in Japan" eine Ausstellung unter dem Titel: "Form-Raum-Idee – Zwei Schulen für Gestaltung in Sachsen Anhalt". Die Stiftung Bauhaus Dessau und die Burg Giebichenstein präsentieren sich.
Götze: "Sie waren beide in gleichberechtigten Positionen. Sie haben gleichermaßen ganz bestimmte Vorstellungen gehabt. Hier war es etwas individueller und im Bauhaus war es dann mehr auf die neue Industrie zugeschnitten. Aber was vielleicht auch der Unterschied war, dass am Bauhaus Personen waren, die auch sehr stark nach außen wirkten, also sich der Kunst nach außen öffneten, eine neue Dimension öffnete, die bedeutsam wurde nach dem Krieg. Weil viele von den Bauhäuslern nach dem Krieg nach Amerika gegangen sind. Und ihre Möglichkeiten hatten, das Bauhaus dort zu etablieren und dann schließlich eine Rückkopplung wieder zurück nach Deutschland zu haben."
Vielleicht bewirkt ja die Präsentation der Burg Giebichenstein im In – und Ausland auch eine Rückkopplung auf die Stadt Halle. Man wird sehen, ob ihr das gelingt. Pläne werden in der Stadt zu genüge gemacht. So soll der Tunnel vom Bahnhof Halle zum Zentrum aufgerissen werden. Offener, freundlicher soll der Weg ins Zentrum werden. Dafür schafft Helmut Brade, Bühnenbildner und Professor für Grafikdesign an der Burg Giebichenstein, ein Fries der Hallenser. Historische Persönlichkeiten der Stadt Halle werden hier - in Stein gehauen - wieder auftauchen und den Menschen die kulturelle Geschichte ihrer Stadt plastisch machen.
Götze: "Halle gehört zu den wenigen Städten in Deutschland, die kaum bombardiert worden ist. In Halle gab es nur sehr wenig Kriegsschäden. Es gab auch ein mittelalterliches Zentrum als ich nach Halle kam. Aber jetzt nach der Wende sind Straßenzüge aus dem versunkenen Grau wieder entstanden. Erstanden, sind neu geboren, ergeben also ein wunderbares Flair."
Inge Götze wird jetzt - nach 40 Jahren - die Burg Giebichenstein allmählich verlassen. Seit der Wende gibt es kaum noch Professoren, die so lange an der Burg gearbeitet haben wie sie.
Inge Götze verbrachte ihr halbes Leben an der Burg. Hier lernte sie ihren Mann kennen und in der Zeit bekam sie ihre Kinder. Am Tage war sie Professorin, am Abend Mutter und in der Nacht ging sie noch in das Atelier, um eigene Kunstwerke zu schaffen. Jetzt konzentriert sie sich vorwiegend auf ihre Malerei.
Götze: "Das ist der Weg gewesen, ich weiß nicht, wie oft ich den Weg gegangen bin von 1960 bis praktisch jetzt. Er ist so schön, dass er einem nie über werden konnte."
Die Burg Giebichenstein ist ein Ort der Romantik. Eichendorff und Goethe besuchten hier den Dichter Reichhardt. Diese Burg ist ein Kleinod in Halle.
Götze: "Ich bin so ewig hierher gegangen. Das hat dann auch irgendwann ein Ende."
Doch in Halle will sie bleiben. Wie viele, die von dieser Stadt nicht lassen können. Einige Absolventen der Hochschule eröffnen nach ihrem Abschluss kleine Läden in der Stadt und verkaufen dort ihre Kunst. Vielleicht gründen auch sie in Halle eine Familie und bleiben, so wie Inge Götze das getan hat. Halle hat nicht so viel Kleinode, auf die die Stadt verzichten könnte.