"Dieses Denkmal blickt in die Zukunft"
Für den Designer Johannes Milla beruht die Kritik an seinem Entwurf für ein Einheitsdenkmal auf einem Missverständnis: Das Denkmal sei nicht als komplett fertige Aussage zum Thema deutsche Einheit konzipiert, sondern "eine offene Fläche, ein Angebot". Es werde erst vollständig "durch das, was die Menschen auf diesem Denkmal tun". Das Denkmal sei "offen für die Freiheiten, die sich die Menschen nehmen. Und darum geht es eben, um die Freiheit und Freiheit zu feiern".
Stephan Karkowsky: Mittlerweile dürften die meisten schon mal ein Bild gesehen haben vom geplanten Berliner Einheitsdenkmal, das einmal den Berliner Schlossplatz zieren soll: eine 50 Meter lange goldene Wippe oder Obstschale, wie die "Bild"-Zeitung schreibt. Ein bewegliches Objekt, begehbar, denn schließlich stand der Wettbewerb unter dem Titel "Bürger in Bewegung". Der Entwurf stammt von der Berliner Choreografin Sasha Waltz und dem Stuttgarter Designer Johannes Milla, guten Morgen, Herr Milla!
Johannes Milla: Guten Morgen!
Karkowsky: Bevor wir uns den Entwurf von Ihnen selbst erklären lassen, kommt zuerst noch mal einer Ihrer Kritiker zu Wort:
Matthias Flügge: "Gerade diese Schüssel ist doch ein hypertrophes Kunstgewerbe, weil dort sozusagen alle kritischen, alle widerborstigen Elemente, die der Vereinigungsprozess ja auch mit sich bringt und mit sich gebracht hat, sozusagen unter Blattgold wegpoliert werden. Und irgendwie hat man so ein bisschen das Gefühl, das vor der Schlossattrappe, das wird sozusagen so eine Vergnügungsparkarchitektur im Zentrum, und die sollte man doch lieber an die Peripherie bringen. Nichts gegen Vergnügungsparks ..."
Karkowsky: Also sprach der Kurator Matthias Flügge, selbst Mitglied in der Auswahl-Jury für das Einheitsdenkmal, gestern hier bei uns im "Radiofeuilleton", und nicht besonders begeistert von diesem Entwurf. Herr Milla, Flügge sagte, er wolle sich keiner Invektive bedienen, spricht dann aber doch von hypertrophem Kunstgewerbe. Haben Sie das als Beleidigung empfunden?
Milla: Nein, gar nicht. Also ich bin ja auch ein Freund des verbalen Floretts, und insofern zeigt eine solche Polemik einfach, dass die Menschen sich mit dem Entwurf auseinandersetzen. Das ist doch einfach mal gut so.
Karkowsky: Sie stehen nicht gerade irgendwo im Wind, Herr Milla? Es hat gerade ziemlich gerauscht hier in Ihrem Telefonhörer.
Milla: Ich stehe nicht im Wind, nein, ich bin in meiner Wohnung.
Karkowsky: Dann wollen wir hoffen, dass die Leitung nicht noch schlechter wird. Was glauben Sie, woher das kommt, dass große Entwürfe in Deutschland oft erst so niedergeschrien werden müssen, bevor sie vom Volk dann gelobt werden, wie das Stelenfeld am Holocaustmahnmal oder die Reichstagskuppel?
Milla: Also genau auf das Stelenfeld wollte ich auch gerade mich beziehen, aus meiner ganz persönlichen Erfahrung. Wenn ein Wettbewerb entschieden wird, dann gibt es einfach erst mal ein Bild oder vier Bilder, und aufgrund dieser Bilder wird dann diskutiert, auf welcher Basis denn sonst? Und hinzu kommt, dass sowohl jetzt bei dem Denkmal wie auch bei dem Stelenfeld natürlich jeder Mensch seine Gedanken hat, seine Konnotationen, seine Gefühle, und die werden dann vereint mit den Bildern, die eben in der Presse veröffentlicht sind. Und deswegen lösen bei jeglichen Wettbewerbsgewinnen, von Architekturen oder Skulpturen, die sich einfach per se zu einer Form bekennen, lösen die erst mal vielseitige Assoziationen aus, die dann eben wie von Herrn Flügge sehr polemisch zugespitzt werden, oder die dann, wie ja der Volksmund in Berlin schon loslegt, zu schönen Wortprägungen führen. Und ich denke, die Verbindungen aus den Bildern, die veröffentlicht werden, und den Bildern, die in Menschenkopf entstehen, die definieren dann den Diskurs.
Karkowsky: Aber das lässt einen als Schöpfer eines solchen Werkes doch sicherlich nicht kalt, oder?
Milla: Es lässt mich nicht kalt, aber es lässt mich ruhig. Also als ich die Bilder des Stelenfeldes damals vor ein paar Jahren gesehen habe, erst mal nur die Bilder des Wettbewerbsgewinnes, habe ich auch ganz spontan den Entwurf auch als banal empfunden. Seit ich dort gewesen bin, im Stelenfeld, finde ich es großartig. Und ich denke, so wird es auch jetzt gehen.
Karkowsky: Ja, da können wir ja gleich mal drüber reden: Ich lese eine Kritik auf morgenweb.de, da steht drin auch ein Vergleich zum Holocaustmahnmal, und da steht dann: Am Holocaustmahnmal ist es so, zwischen den grauen Betonstelen spielen Kinder Verstecken, auf den Plattformen sonnen sich müde Berlintouristen; von Gedenken, von Scham und Trauer keine Spur.
Hätten Sie nicht Angst, dass das bei Ihnen genau so ist, dass das alles eitel Sonnenschein ist, wenn die Touristen sich tummeln auf Ihrer Wippe, aber die anderen Seiten, die ja die Wende und die die Vereinigung auch mit sich gebracht hatten, ausgeblendet werden?
Milla: Also zum einen ist es ein Ort, der in der Mitte Berlins ist. Berlin ist eine Weltstadt, Berlin wird von Millionen Menschen besucht, und das Wort Touristen verwenden Sie leicht abfällig, oder auch manche der Kritiken haben das Wort Touristen, oder dann tummeln sich die Schulklassen. Was soll diese negative Begrifflichkeit? Touristen sind Menschen aus aller Welt, die nach Berlin kommen, eben weil es Berlin ist mit all seinen Brüchen, all seinen Qualitäten. Und wenn Schulklassen auf dem Denkmal sich tummeln, dann finde ich das großartig. Es geht um Bildung, es geht darum, dem Widerstand der Bürger der DDR zu gedenken, und das ist doch gut.
Karkowsky: Sie hören Johannes Milla, den Designer des Einheitsdenkmals, und wir hören zu diesem Gespräch auch noch einmal einen Kritiker, noch einmal Matthias Flügge, der gestern hier im "Radiofeuilleton" gesagt hat, unter Blattgold wegpoliert würden mit Ihrem Entwurf die Probleme der deutschen Einheit. Und weiter:
Matthias Flügge: "Das Problem, was ich damit habe, ist, dass es einfach überfrachtet ist an Symbolik. Mit diesem Satz, mit den Sätzen, dann auf Gold geätzte Fotos von der Revolution. Mein Gott, die Leute, die auf die Straße gegangen sind in der DDR, sind doch nicht deswegen auf die Straße gegangen, um in Gold auf irgendwie ein Denkmal geätzt zu werden! Also, einfach die mangelnde Stringenz der Form, die mangelnde Stringenz der künstlerischen Idee, das ist es, was ich kritisiere."
Karkowsky: Verstehen Sie Bedenken, das Konzept könne überfrachtet sein, Herr Milla?
Milla: Ich verstehe die Bedenken nicht. Manche der Bedenken wie auch die Aussage von Herrn Flügge gehen ja von einem Missverständnis aus. Das Denkmal wird von manchen Menschen rezipiert, als wäre es eine komplett fertige Aussage, die komplette Aussage zum Thema Einheit und Freiheit. Das ist sie natürlich nicht, weil dieses Denkmal blickt ja nicht nach hinten, um einen historischen Ort festzuhalten, oder wie naturalistische Gedenkstätten wie die Normannenstraße oder die Bernauer Straße am Ort des Geschehens sind, sondern dieses Denkmal blickt in die Zukunft und es ist eine Plattform. Die Menschen betreten das Denkmal, das Denkmal wird erst vollständig durch das, was die Menschen auf diesem Denkmal tun. Es ist praktisch ein weißes Blatt, eine offene Fläche, ein Angebot. Und deswegen wird dieses Denkmal von Jahr zu Jahr anders sein, es wird von Tag zu Tag anders sein, je nachdem, wie die Menschen damit umgehen.
Manche Menschen werden darauf skaten, wie die "Berliner Zeitung" schrieb, manche Menschen werden demonstrieren, manche Menschen werden schimpfen, vielleicht wird es ein Speakers' Corner, es werden da vielleicht Performances stattfinden. Das Denkmal ist offen für die Freiheiten, die sich die Menschen nehmen. Und darum geht es eben, um die Freiheit und Freiheit zu feiern. Und insofern ist dieses Denkmal jeden Tag anders, jeden Tag neu, und von Jahrzehnt zu Jahrzehnt wird es sicherlich auch anders interpretiert. Es ist nach oben hin, in die Richtung Zukunft offen, es ist keine fertige, festgeschriebene Aussage.
Karkowsky: Ein paar Aussagen sind aber festgeschrieben, direkt auf dem Denkmal. Zwei stehen schon fest: "Wir sind das Volk", und: "Wir sind ein Volk". Welche Rolle spielen die Inschriften, auch diejenigen, die noch dazukommen?
Milla: "Wir sind das Volk" und "Wir sind ein Volk" waren wichtige verbale Manifestationen, die es sicherlich braucht, um auch in 50 oder in 100 Jahren den Bezug sehr deutlich klarzustellen. Das Denkmal ist ja nicht für den Diskurs von heute gemacht, sondern für den Diskurs in der Zukunft.
Der zweite Aspekt ist, das Denkmal ist, gerade die Inschriften, auf die sich Herr Flügge oder auch andere beziehen, die sind ja noch in Arbeit. Das Denkmal ist ja auch noch nicht in allen Details ganz und gar fertig, auch die Frage der Abbildung auf der Unterseite, in welchem Stilisierungsgrade, in welchem Naturalismusgrade werden die sein. Da liegt einfach noch viel gemeinsame Arbeit mit der Choreografin Sasha Waltz und unserem Team von Milla & Partner, wir werden natürlich auch zum Thema der Redaktion der Beweggründe, die darauf zu stehen sind in der Redaktion, im Dialog mit Vertretern der Bürgerbewegung sein. Also, das Denkmal ist ja in einem Entwicklungsprozess.
Karkowsky: Welches ist denn eigentlich die Aufgabe von Sasha Waltz an diesem Denkmal? Die des Designers kann man sich leicht vorstellen, aber was macht die Choreografin?
Milla: Also, das ist eine sehr gute Frage. Wir sind in unserer Arbeit von vornherein davon ausgegangen, als wir von Milla & Partner bei Sasha Waltz angerufen haben und wir dann uns mit Sasha Waltz zusammengesetzt haben, war unser Kerngedanke von vornherein, dass dieses Denkmal partizipativ sein soll, dass das Denkmal die Menschen dazu veranlassen soll, nicht davor zu stehen und Fotos zu machen und zu schauen, sondern aktiv zu werden.
Alsodass das Denkmal irgendwie etwas mit Bewegung zu tun hat, war uns von Anfang an klar. Und deswegen habe ich dann auch bei Sasha Waltz und Jochen Sandig angerufen. Und ausgehend von dem Paradoxon, dass Denkmäler erst mal statisch sind, mit einer Choreografin zu arbeiten, das ist einfach schon mal per se der interdisziplinäre Denkansatz, den wir dann hatten. Und dann haben wir uns zu sechst zusammengesetzt und waren mehrere Tage in Klausur, und so entstand dieser Entwurf.
Karkowsky: Das wird ja kein großes Schaukeln sein, das wird eine leichte Bewegung, und auch nur dann, wenn viele Menschen sich auf eine Seite stellen. Da kommt natürlich gleich der deutsche Bedenkenträger und fragt, wer soll das genehmigen: eine große, glatte Schale, von der womöglich Kinder runterstürzen und sich was brechen könnten?
Milla: Ja, also das hat mich schon gestern dann wirklich überrascht, als der Diskurs sich dann plötzlich in Richtung Sicherheitsfragen bewegte. Also, es ist doch klar, dass kein Entwurf schon allein von den Vorprüfern eines Wettbewerbs angenommen wird, der nicht einem Mindestmaß an deutschen Sicherheitsvorschriften entspricht. Und die Bildauflösungen auf den Bildschirmen mancher Redakteure haben wohl dazu geführt, dass man die Glasgeländer nicht erkennt, und plötzlich wird dieses Denkmal als ein Denkmal ohne Geländer diskutiert. Also selbstverständlich hat dieses Denkmal Geländer, es entspricht allen Sicherheitsvorschriften. Es wird natürlich auch behindertengerecht sein. Es wird wetterfest sein. Also diese Fragen sind alle längst gelöst und überhaupt kein Thema.
Karkowsky: Selten werden Entwürfe so gebaut, wie sie prämiert werden, aber jetzt erst mal ist dieser Entwurf da und wir können damit umgehen. Ich bedanke mich beim Stuttgarter Designer Johannes Milla, er hat gemeinsam mit der Berliner Choreografin Sasha Waltz das ausgewählte Einheitsdenkmal für den Berliner Schlossplatz entworfen.
Johannes Milla: Guten Morgen!
Karkowsky: Bevor wir uns den Entwurf von Ihnen selbst erklären lassen, kommt zuerst noch mal einer Ihrer Kritiker zu Wort:
Matthias Flügge: "Gerade diese Schüssel ist doch ein hypertrophes Kunstgewerbe, weil dort sozusagen alle kritischen, alle widerborstigen Elemente, die der Vereinigungsprozess ja auch mit sich bringt und mit sich gebracht hat, sozusagen unter Blattgold wegpoliert werden. Und irgendwie hat man so ein bisschen das Gefühl, das vor der Schlossattrappe, das wird sozusagen so eine Vergnügungsparkarchitektur im Zentrum, und die sollte man doch lieber an die Peripherie bringen. Nichts gegen Vergnügungsparks ..."
Karkowsky: Also sprach der Kurator Matthias Flügge, selbst Mitglied in der Auswahl-Jury für das Einheitsdenkmal, gestern hier bei uns im "Radiofeuilleton", und nicht besonders begeistert von diesem Entwurf. Herr Milla, Flügge sagte, er wolle sich keiner Invektive bedienen, spricht dann aber doch von hypertrophem Kunstgewerbe. Haben Sie das als Beleidigung empfunden?
Milla: Nein, gar nicht. Also ich bin ja auch ein Freund des verbalen Floretts, und insofern zeigt eine solche Polemik einfach, dass die Menschen sich mit dem Entwurf auseinandersetzen. Das ist doch einfach mal gut so.
Karkowsky: Sie stehen nicht gerade irgendwo im Wind, Herr Milla? Es hat gerade ziemlich gerauscht hier in Ihrem Telefonhörer.
Milla: Ich stehe nicht im Wind, nein, ich bin in meiner Wohnung.
Karkowsky: Dann wollen wir hoffen, dass die Leitung nicht noch schlechter wird. Was glauben Sie, woher das kommt, dass große Entwürfe in Deutschland oft erst so niedergeschrien werden müssen, bevor sie vom Volk dann gelobt werden, wie das Stelenfeld am Holocaustmahnmal oder die Reichstagskuppel?
Milla: Also genau auf das Stelenfeld wollte ich auch gerade mich beziehen, aus meiner ganz persönlichen Erfahrung. Wenn ein Wettbewerb entschieden wird, dann gibt es einfach erst mal ein Bild oder vier Bilder, und aufgrund dieser Bilder wird dann diskutiert, auf welcher Basis denn sonst? Und hinzu kommt, dass sowohl jetzt bei dem Denkmal wie auch bei dem Stelenfeld natürlich jeder Mensch seine Gedanken hat, seine Konnotationen, seine Gefühle, und die werden dann vereint mit den Bildern, die eben in der Presse veröffentlicht sind. Und deswegen lösen bei jeglichen Wettbewerbsgewinnen, von Architekturen oder Skulpturen, die sich einfach per se zu einer Form bekennen, lösen die erst mal vielseitige Assoziationen aus, die dann eben wie von Herrn Flügge sehr polemisch zugespitzt werden, oder die dann, wie ja der Volksmund in Berlin schon loslegt, zu schönen Wortprägungen führen. Und ich denke, die Verbindungen aus den Bildern, die veröffentlicht werden, und den Bildern, die in Menschenkopf entstehen, die definieren dann den Diskurs.
Karkowsky: Aber das lässt einen als Schöpfer eines solchen Werkes doch sicherlich nicht kalt, oder?
Milla: Es lässt mich nicht kalt, aber es lässt mich ruhig. Also als ich die Bilder des Stelenfeldes damals vor ein paar Jahren gesehen habe, erst mal nur die Bilder des Wettbewerbsgewinnes, habe ich auch ganz spontan den Entwurf auch als banal empfunden. Seit ich dort gewesen bin, im Stelenfeld, finde ich es großartig. Und ich denke, so wird es auch jetzt gehen.
Karkowsky: Ja, da können wir ja gleich mal drüber reden: Ich lese eine Kritik auf morgenweb.de, da steht drin auch ein Vergleich zum Holocaustmahnmal, und da steht dann: Am Holocaustmahnmal ist es so, zwischen den grauen Betonstelen spielen Kinder Verstecken, auf den Plattformen sonnen sich müde Berlintouristen; von Gedenken, von Scham und Trauer keine Spur.
Hätten Sie nicht Angst, dass das bei Ihnen genau so ist, dass das alles eitel Sonnenschein ist, wenn die Touristen sich tummeln auf Ihrer Wippe, aber die anderen Seiten, die ja die Wende und die die Vereinigung auch mit sich gebracht hatten, ausgeblendet werden?
Milla: Also zum einen ist es ein Ort, der in der Mitte Berlins ist. Berlin ist eine Weltstadt, Berlin wird von Millionen Menschen besucht, und das Wort Touristen verwenden Sie leicht abfällig, oder auch manche der Kritiken haben das Wort Touristen, oder dann tummeln sich die Schulklassen. Was soll diese negative Begrifflichkeit? Touristen sind Menschen aus aller Welt, die nach Berlin kommen, eben weil es Berlin ist mit all seinen Brüchen, all seinen Qualitäten. Und wenn Schulklassen auf dem Denkmal sich tummeln, dann finde ich das großartig. Es geht um Bildung, es geht darum, dem Widerstand der Bürger der DDR zu gedenken, und das ist doch gut.
Karkowsky: Sie hören Johannes Milla, den Designer des Einheitsdenkmals, und wir hören zu diesem Gespräch auch noch einmal einen Kritiker, noch einmal Matthias Flügge, der gestern hier im "Radiofeuilleton" gesagt hat, unter Blattgold wegpoliert würden mit Ihrem Entwurf die Probleme der deutschen Einheit. Und weiter:
Matthias Flügge: "Das Problem, was ich damit habe, ist, dass es einfach überfrachtet ist an Symbolik. Mit diesem Satz, mit den Sätzen, dann auf Gold geätzte Fotos von der Revolution. Mein Gott, die Leute, die auf die Straße gegangen sind in der DDR, sind doch nicht deswegen auf die Straße gegangen, um in Gold auf irgendwie ein Denkmal geätzt zu werden! Also, einfach die mangelnde Stringenz der Form, die mangelnde Stringenz der künstlerischen Idee, das ist es, was ich kritisiere."
Karkowsky: Verstehen Sie Bedenken, das Konzept könne überfrachtet sein, Herr Milla?
Milla: Ich verstehe die Bedenken nicht. Manche der Bedenken wie auch die Aussage von Herrn Flügge gehen ja von einem Missverständnis aus. Das Denkmal wird von manchen Menschen rezipiert, als wäre es eine komplett fertige Aussage, die komplette Aussage zum Thema Einheit und Freiheit. Das ist sie natürlich nicht, weil dieses Denkmal blickt ja nicht nach hinten, um einen historischen Ort festzuhalten, oder wie naturalistische Gedenkstätten wie die Normannenstraße oder die Bernauer Straße am Ort des Geschehens sind, sondern dieses Denkmal blickt in die Zukunft und es ist eine Plattform. Die Menschen betreten das Denkmal, das Denkmal wird erst vollständig durch das, was die Menschen auf diesem Denkmal tun. Es ist praktisch ein weißes Blatt, eine offene Fläche, ein Angebot. Und deswegen wird dieses Denkmal von Jahr zu Jahr anders sein, es wird von Tag zu Tag anders sein, je nachdem, wie die Menschen damit umgehen.
Manche Menschen werden darauf skaten, wie die "Berliner Zeitung" schrieb, manche Menschen werden demonstrieren, manche Menschen werden schimpfen, vielleicht wird es ein Speakers' Corner, es werden da vielleicht Performances stattfinden. Das Denkmal ist offen für die Freiheiten, die sich die Menschen nehmen. Und darum geht es eben, um die Freiheit und Freiheit zu feiern. Und insofern ist dieses Denkmal jeden Tag anders, jeden Tag neu, und von Jahrzehnt zu Jahrzehnt wird es sicherlich auch anders interpretiert. Es ist nach oben hin, in die Richtung Zukunft offen, es ist keine fertige, festgeschriebene Aussage.
Karkowsky: Ein paar Aussagen sind aber festgeschrieben, direkt auf dem Denkmal. Zwei stehen schon fest: "Wir sind das Volk", und: "Wir sind ein Volk". Welche Rolle spielen die Inschriften, auch diejenigen, die noch dazukommen?
Milla: "Wir sind das Volk" und "Wir sind ein Volk" waren wichtige verbale Manifestationen, die es sicherlich braucht, um auch in 50 oder in 100 Jahren den Bezug sehr deutlich klarzustellen. Das Denkmal ist ja nicht für den Diskurs von heute gemacht, sondern für den Diskurs in der Zukunft.
Der zweite Aspekt ist, das Denkmal ist, gerade die Inschriften, auf die sich Herr Flügge oder auch andere beziehen, die sind ja noch in Arbeit. Das Denkmal ist ja auch noch nicht in allen Details ganz und gar fertig, auch die Frage der Abbildung auf der Unterseite, in welchem Stilisierungsgrade, in welchem Naturalismusgrade werden die sein. Da liegt einfach noch viel gemeinsame Arbeit mit der Choreografin Sasha Waltz und unserem Team von Milla & Partner, wir werden natürlich auch zum Thema der Redaktion der Beweggründe, die darauf zu stehen sind in der Redaktion, im Dialog mit Vertretern der Bürgerbewegung sein. Also, das Denkmal ist ja in einem Entwicklungsprozess.
Karkowsky: Welches ist denn eigentlich die Aufgabe von Sasha Waltz an diesem Denkmal? Die des Designers kann man sich leicht vorstellen, aber was macht die Choreografin?
Milla: Also, das ist eine sehr gute Frage. Wir sind in unserer Arbeit von vornherein davon ausgegangen, als wir von Milla & Partner bei Sasha Waltz angerufen haben und wir dann uns mit Sasha Waltz zusammengesetzt haben, war unser Kerngedanke von vornherein, dass dieses Denkmal partizipativ sein soll, dass das Denkmal die Menschen dazu veranlassen soll, nicht davor zu stehen und Fotos zu machen und zu schauen, sondern aktiv zu werden.
Alsodass das Denkmal irgendwie etwas mit Bewegung zu tun hat, war uns von Anfang an klar. Und deswegen habe ich dann auch bei Sasha Waltz und Jochen Sandig angerufen. Und ausgehend von dem Paradoxon, dass Denkmäler erst mal statisch sind, mit einer Choreografin zu arbeiten, das ist einfach schon mal per se der interdisziplinäre Denkansatz, den wir dann hatten. Und dann haben wir uns zu sechst zusammengesetzt und waren mehrere Tage in Klausur, und so entstand dieser Entwurf.
Karkowsky: Das wird ja kein großes Schaukeln sein, das wird eine leichte Bewegung, und auch nur dann, wenn viele Menschen sich auf eine Seite stellen. Da kommt natürlich gleich der deutsche Bedenkenträger und fragt, wer soll das genehmigen: eine große, glatte Schale, von der womöglich Kinder runterstürzen und sich was brechen könnten?
Milla: Ja, also das hat mich schon gestern dann wirklich überrascht, als der Diskurs sich dann plötzlich in Richtung Sicherheitsfragen bewegte. Also, es ist doch klar, dass kein Entwurf schon allein von den Vorprüfern eines Wettbewerbs angenommen wird, der nicht einem Mindestmaß an deutschen Sicherheitsvorschriften entspricht. Und die Bildauflösungen auf den Bildschirmen mancher Redakteure haben wohl dazu geführt, dass man die Glasgeländer nicht erkennt, und plötzlich wird dieses Denkmal als ein Denkmal ohne Geländer diskutiert. Also selbstverständlich hat dieses Denkmal Geländer, es entspricht allen Sicherheitsvorschriften. Es wird natürlich auch behindertengerecht sein. Es wird wetterfest sein. Also diese Fragen sind alle längst gelöst und überhaupt kein Thema.
Karkowsky: Selten werden Entwürfe so gebaut, wie sie prämiert werden, aber jetzt erst mal ist dieser Entwurf da und wir können damit umgehen. Ich bedanke mich beim Stuttgarter Designer Johannes Milla, er hat gemeinsam mit der Berliner Choreografin Sasha Waltz das ausgewählte Einheitsdenkmal für den Berliner Schlossplatz entworfen.