"Dieses große Bedürfnis nach Nähe"
Ulrich Matthes gehört zu den wohl wichtigsten zeitgenössischen deutschen Schauspielern. Unzählige Male stand der 53-Jährige auf der Bühne und vor der Kamera. Jetzt hat er in Berlin auch wieder Regie geführt: "Wastwater" von Simon Stephen zeigt drei Paare in lebensentscheidenden Momenten.
Britta Bürger: Seit über 30 Jahren ist Ulrich Matthes einer der prägenden Schauspieler des deutschsprachigen Theaters, des Films natürlich auch: Zweimal wurde er zum Schauspieler des Jahres gewählt, er hat den Faust-Theaterpreis bekommen und auch den Gertrud-Eysoldt-Ring. Wieder und wieder hat sich Ulrich Matthes dafür auf sehr unterschiedliche Regisseure eingelassen. Am intensivsten war wohl seine Zusammenarbeit mit dem verstorbenen Jürgen Gosch und der Regisseurin Andrea Breth.
Seit fast zehn Jahren gehört Ulrich Matthes zum Ensemble des Deutschen Theaters in Berlin, wo er jetzt zum zweiten Mal auch selbst inszeniert. Das Stück "Wastwater" des britischen Dramatikers Simon Stephens. Vor der morgigen Premiere habe ich Ulrich Matthes gefragt, was für ihn als Schauspieler einen guten Regisseur auszeichnet.
Ulrich Matthes: Ich würde sagen, die Fähigkeit, einen Schauspieler sowohl an die lange als auch an die kurze Leine zu legen: An die lange Leine insofern, als ich es schön finde, ein hohes Maß an Eigenverantwortung für die Gestaltung meiner Rolle vom Regisseur übereignet zu kommen, und trotzdem – und das meint jetzt die kurze Leine – vom Regisseur genau vermittelt zu werden, in welche Grundrichtung der Abend gehen soll, und zum Teil durchaus auch situativ mal genauer Ansagen zu bekommen, trotz allem aber insgesamt erst mal selber sehr viele Angebote machen zu können, sozusagen unzensiert probieren zu können. Das ist eigentlich das Allerschönste, wenn man vom Regisseur nicht das Gefühl hat, dass er quasi innerlich schon Noten verteilt bei jedem Angebot, was man szenisch macht – das kann ja der größte Unsinn sein zum Teil –, sondern diese Umwege auch gehen darf.
Bürger: Sie haben die lange und die kurze Leine eben genannt, aber gehört nicht auch dazu, von einem Regisseur an den Punkt gebracht zu werden, über Grenzen hinaus zu gehen, also sich selbst als Schauspieler wirklich auszureizen und auch so ein bisschen hingetrieben zu werden?
Matthes: Wie soll ich sagen? Wunderbar, wenn ein Regisseur das schafft, aber ich selber bin so anspruchsvoll mit mir selber, dass ich eigentlich fast bei jeder Probe denke, du hättest noch weitergehen können, geh noch weiter, komm, trau dich noch mehr, und zwar nicht nur in die große Ekstase, sondern auch in das Gegenteil, auch in die Reduktion. Also mit wie wenig Mitteln kann man sehr viel erreichen? Und natürlich sind da manche Regisseure aufgrund der Chemie, die einfach zwischen zwei Menschen grundsätzlich immer herrscht, eher in der Lage, das bei mir zu schaffen. Das ist im weitesten Sinne tatsächlich auch ein erotischer Vorgang, insofern bin ich da immer sehr dankbar, wenn es Regisseure mit dem merkwürdigsten Mitteln schaffen. Übrigens schaffen sie es bei mir oft mit Humor.
Bürger: Fällt Ihnen ein Beispiel ein?
Matthes: Ja, zum Beispiel Jürgen Gosch und Breth waren Regisseure, mit denen ich extrem viel gelacht habe auf dem Proben, also vor allem auch mit Gosch, der immer wieder herzlich lachte auch über meine Kapriolen, die ich zum Teil machte, und umgekehrt – ich musste einfach so oft auch über ihn lachen, und gemeinsames Lachen verbindet einfach enorm.
Bürger: Das klingt sehr harmonisch, das deutsche Theater ist kein Kollektiv. Wie gleichberechtigt erleben Sie die Arbeit, oder andersrum gefragt, gibt es nicht auch ein Machtgefälle zwischen Schauspielern und Regisseuren?
Matthes: Nein, also ich empfinde das nicht so, das liegt möglicherweise auch an meinem Alter und an meinem Status. Also das klingt jetzt so großkotzig, so meine ich es gar nicht, es ist einfach so. Ich bin jetzt kein unbekannter Anfänger mehr, weder von der Erfahrung her – ich kann irgendwie mein Handwerk, und ich haben einfach auch eine gewisse Karriere gemacht, und insofern begegne ich jedem Regisseur, und zwar übrigens unabhängig davon, ob der nun, oder die, 15, 20 Jahre jünger ist als ich, auf Augenhöhe. Das ist für mich ein Partner, und es geht darum, so weit wie möglich zu kommen, und diese Art von Machtspielchen fand ich immer schon blöd, die fand ich auch als Anfänger schon blöd.
Damals hätte ich es mir eigentlich noch nicht leisten können, aber auch damals schon habe ich Regisseure als Partner empfunden und bin dann manchmal auch ein bisschen angeeckt mit dieser meiner Haltung, aber ich dachte, es tut der Sache nur gut, wenn man möglichst unhierarchisch probiert. Letzten Endes hat der Regisseur dann auch immer das Sagen, wobei ich dann auch noch kleine subtile Mittel habe, ihn manchmal, ohne dass er es vielleicht ahnt, vom Gegenteil dessen, was er wollte, zu überzeugen.
Bürger: Es ist ja nicht ihre erste eigene Regiearbeit, immer wieder mit großem Abstand kam dieser Drang, hat der sich nach oben gespült, wieder selbst Regie zu führen. Was sind das für Momente, in denen Sie sich nach dieser anderen Seite sehnen?
Matthes: Zufälle – es war gar kein Drang. Jetzt war es so, dass wir in vertrauter Runde mit ein paar Schauspielern und Uli Khuon dieses Stück "Wastwater" von Simon Stephens gelesen haben, und ich saß da als Schauspieler, der möglicherweise eine Rolle vielleicht spielen könnte in dem Stück. Wir haben das so mit verteilten Rollen gelesen, erst mal so noch keine Rolle festgelegt, keine Besetzung, einfach, um sich über das Stück zu informieren, gefällt es uns oder nicht.
Und ich war spontan so hin und weg von dem Stoff, dass ich, als wir ausgelesen hatten, gesagt habe: Das will ich inszenieren, Uli, egal wo, das inszenier ich. Da hat er so ein bisschen gekichert, und bekam hektische rote Flecken, und er dachte: Um Gottes willen, was macht der denn jetzt hier? Und die Schauspielerkollegen haben auch gekichert und dachten: Na ja. Und dann habe ich aber nicht locker gelassen, und irgendwann, zuerst hat er gesagt, nee und so, und dann aber doch.
Bürger: Der Schauspieler Ulrich Matthes ist unser Gast hier im Deutschlandradio Kultur, vor der Premiere seiner Inszenierung von "Wastwater", einem Stück des britischen Dramatikers Simon Stephens. Der ist ja in den Kritikerumfragen der Zeitschrift "Theater" heute auch schon viermal zum besten ausländischen Dramatiker des Jahres gewählt worden, und zuletzt eben 2011 genau für dieses Stück "Wastwater". Was ist es jetzt genau, was interessiert Sie an diesem Text?
Matthes: Es interessiert mich das Gefühl einer enormen Zeitgenossenschaft, ohne dass es in irgendeiner Weise direkt politische Themen anspräche, ist es total ein Stück von heute, von jetzt. Es geht um sechs Menschen, jeweils in einer Paarkonstellation – Mann, Frau, Mann, Frau, Mann, Frau – in unterschiedlichen Konstellationen und Verhältnissen zueinander, und diese sechs Menschen sind sozusagen so pur, zu den Schauspielern habe ich irgendwann mal aus einer Laune heraus gesagt: Am schönsten fände ich es, wenn ihr nackt wärt, die ganze Zeit lang, den ganzen Abend. Da haben die so ein bisschen verlegen gelacht, und ich sagte: Na ja, ich meine es nicht so. Aber im Grunde meine ich es doch ein bisschen so, im Grunde sind diese sechs Menschen nackt, man spürt sie ganz stark. Es ist ein sehr emotionales Stück, finde ich, es ist ein eher dunkles Stück, und das ist das Einzige, was ich so ein bisschen zu kritisieren habe, der Humor darin ist sehr subtil.
Bürger: Aber was sind das für existenzielle Fragen, die da verhandelt werden?
Matthes: Ich würde sagen, die existenzielle Frage in dem Stück ist die des großen Bedürfnisses nach Nähe, nach Kommunikation mit einem Gegenüber. Dieses große Bedürfnis nach Nähe wird nie wirklich bis zu dem Punkt, wie wir es uns wünschen, erfüllt. Das schafft das Leben grundsätzlich irgendwie nicht. Jede dieser Figuren will erlöst werden, und zwar durch Situationen, die im Grunde ganz alltäglich sind, ganz lakonisch sind, mehr oder weniger einfach nachvollziehbar sind.
Aber im Grunde sind es sechs Menschen wie du und ich, um es mal so ein bisschen banal zu sagen, oder eigentlich – nein, es ist gar nicht banal, es ist so ein bisschen abgenutzter Begriff, ist aber eigentlich ganz schön.
Und diese Art von Bedürftigkeit ist etwas, was mich anrührt. Erstens, weil ich, um es mal offen zu sagen, diese Bedürftigkeit auch habe, und natürlich überwindet man sie immer wieder, und trotzdem bleibt immer so eine Art von Rest- …
Bürger: Sehnsucht.
Matthes: … -spur – wollte ich gerade sagen – eine Restspur von Sehnsucht nach einer größeren Nähe, egal wie nahe man einem Menschen ist.
Bürger: Sie haben als Schauspieler eine große Fangemeinde, auch unter den Theaterkritikern. Ist das nicht ein enormer Druck, dieselbe Anerkennung nun auch als Regisseur bekommen zu wollen?
Matthes: Also, soll ich es Ihnen ganz ehrlich sagen? Ich rechne auch damit, ich kenne doch meine Pappenheimer, dass sich bestimmt der eine oder andere da denkt: Oh Gott, jetzt führt der auch noch Regie, und das kann doch nicht wahr sein, und hat der denn nicht genug mit seinen Rollen zu spielen? Und dass die mir allein deswegen … irgendeiner würgt mir eine rein, nur weil er denkt: Kinder, kriegt der Matthes denn den Hals nicht voll? Aber soll ich Ihnen was sagen?
Es ist mir tatsächlich auf eine bestimmte Weise dann auch wurscht, weil ich diese Arbeit an dem Stück wirklich als wunderbar empfunden habe – es gab durchaus auch Konflikte, also es war keine Kuschelzeit, die ersten zwei Tage, würde ich sagen, das war für die noch ein bisschen ungewohnt, der Kollege, mit dem sie am Abend zuvor auf der Bühne gestanden haben, sagt plötzlich, Daumen rauf, Daumen runter, nee, mach mal so, mach mal so nicht und so, da haben sie am Anfang noch so ein bisschen gekichert.
Bürger: Ja, es wäre vielleicht einfacher gewesen, an einem anderen Theater zu inszenieren.
Matthes: Ja, mit Sicherheit, aber es ging dann ja auch. Also nachdem die ersten Kichereien durch waren und ich gesagt habe, Kinder, jetzt gewöhnt euch mal dran, jetzt ist es halt so, war es dann auch gut.
Bürger: Fast schade, dass unsere Hörerinnen und Hörer nicht sehen, wie Sie hier sprechen. Sie reißen sich förmlich so das Hemd von der Brust.
Matthes: Ja, na ja, weil ich mache es tatsächlich mit der gleichen Begeisterung, meinen Beruf, wie ich ihn schon vor 30 Jahren angefangen habe, insofern. Und das ist ein solches Privileg, ich sage es mir auch echt ganz oft: Was hast du für ein Privileg, dass du das machen kannst und dann auch noch Erfolg hast damit? Es kann ja auch sein, ich wäre begeistert von mir selber, und alle anderen würden sagen: Was ist denn das für eine Nulpe? Aber Hauptsache, es sagt keiner am nächsten Samstags: Na ja, spielen kann er ja, aber als Regisseur ist er eine Nulpe!
Bürger: Ulrich Matthes vor seiner morgigen Premiere an den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin. Dort inszeniert er Simon Stephens‘ "Wastwater". Gleich nach der Vorstellung liefern wir Ihnen die Premierenkritik, morgen Abend in unserem Kulturmagazin "Fazit". Im Mai gibt es dann noch sechs weitere Vorstellungen dieser Produktion.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Seit fast zehn Jahren gehört Ulrich Matthes zum Ensemble des Deutschen Theaters in Berlin, wo er jetzt zum zweiten Mal auch selbst inszeniert. Das Stück "Wastwater" des britischen Dramatikers Simon Stephens. Vor der morgigen Premiere habe ich Ulrich Matthes gefragt, was für ihn als Schauspieler einen guten Regisseur auszeichnet.
Ulrich Matthes: Ich würde sagen, die Fähigkeit, einen Schauspieler sowohl an die lange als auch an die kurze Leine zu legen: An die lange Leine insofern, als ich es schön finde, ein hohes Maß an Eigenverantwortung für die Gestaltung meiner Rolle vom Regisseur übereignet zu kommen, und trotzdem – und das meint jetzt die kurze Leine – vom Regisseur genau vermittelt zu werden, in welche Grundrichtung der Abend gehen soll, und zum Teil durchaus auch situativ mal genauer Ansagen zu bekommen, trotz allem aber insgesamt erst mal selber sehr viele Angebote machen zu können, sozusagen unzensiert probieren zu können. Das ist eigentlich das Allerschönste, wenn man vom Regisseur nicht das Gefühl hat, dass er quasi innerlich schon Noten verteilt bei jedem Angebot, was man szenisch macht – das kann ja der größte Unsinn sein zum Teil –, sondern diese Umwege auch gehen darf.
Bürger: Sie haben die lange und die kurze Leine eben genannt, aber gehört nicht auch dazu, von einem Regisseur an den Punkt gebracht zu werden, über Grenzen hinaus zu gehen, also sich selbst als Schauspieler wirklich auszureizen und auch so ein bisschen hingetrieben zu werden?
Matthes: Wie soll ich sagen? Wunderbar, wenn ein Regisseur das schafft, aber ich selber bin so anspruchsvoll mit mir selber, dass ich eigentlich fast bei jeder Probe denke, du hättest noch weitergehen können, geh noch weiter, komm, trau dich noch mehr, und zwar nicht nur in die große Ekstase, sondern auch in das Gegenteil, auch in die Reduktion. Also mit wie wenig Mitteln kann man sehr viel erreichen? Und natürlich sind da manche Regisseure aufgrund der Chemie, die einfach zwischen zwei Menschen grundsätzlich immer herrscht, eher in der Lage, das bei mir zu schaffen. Das ist im weitesten Sinne tatsächlich auch ein erotischer Vorgang, insofern bin ich da immer sehr dankbar, wenn es Regisseure mit dem merkwürdigsten Mitteln schaffen. Übrigens schaffen sie es bei mir oft mit Humor.
Bürger: Fällt Ihnen ein Beispiel ein?
Matthes: Ja, zum Beispiel Jürgen Gosch und Breth waren Regisseure, mit denen ich extrem viel gelacht habe auf dem Proben, also vor allem auch mit Gosch, der immer wieder herzlich lachte auch über meine Kapriolen, die ich zum Teil machte, und umgekehrt – ich musste einfach so oft auch über ihn lachen, und gemeinsames Lachen verbindet einfach enorm.
Bürger: Das klingt sehr harmonisch, das deutsche Theater ist kein Kollektiv. Wie gleichberechtigt erleben Sie die Arbeit, oder andersrum gefragt, gibt es nicht auch ein Machtgefälle zwischen Schauspielern und Regisseuren?
Matthes: Nein, also ich empfinde das nicht so, das liegt möglicherweise auch an meinem Alter und an meinem Status. Also das klingt jetzt so großkotzig, so meine ich es gar nicht, es ist einfach so. Ich bin jetzt kein unbekannter Anfänger mehr, weder von der Erfahrung her – ich kann irgendwie mein Handwerk, und ich haben einfach auch eine gewisse Karriere gemacht, und insofern begegne ich jedem Regisseur, und zwar übrigens unabhängig davon, ob der nun, oder die, 15, 20 Jahre jünger ist als ich, auf Augenhöhe. Das ist für mich ein Partner, und es geht darum, so weit wie möglich zu kommen, und diese Art von Machtspielchen fand ich immer schon blöd, die fand ich auch als Anfänger schon blöd.
Damals hätte ich es mir eigentlich noch nicht leisten können, aber auch damals schon habe ich Regisseure als Partner empfunden und bin dann manchmal auch ein bisschen angeeckt mit dieser meiner Haltung, aber ich dachte, es tut der Sache nur gut, wenn man möglichst unhierarchisch probiert. Letzten Endes hat der Regisseur dann auch immer das Sagen, wobei ich dann auch noch kleine subtile Mittel habe, ihn manchmal, ohne dass er es vielleicht ahnt, vom Gegenteil dessen, was er wollte, zu überzeugen.
Bürger: Es ist ja nicht ihre erste eigene Regiearbeit, immer wieder mit großem Abstand kam dieser Drang, hat der sich nach oben gespült, wieder selbst Regie zu führen. Was sind das für Momente, in denen Sie sich nach dieser anderen Seite sehnen?
Matthes: Zufälle – es war gar kein Drang. Jetzt war es so, dass wir in vertrauter Runde mit ein paar Schauspielern und Uli Khuon dieses Stück "Wastwater" von Simon Stephens gelesen haben, und ich saß da als Schauspieler, der möglicherweise eine Rolle vielleicht spielen könnte in dem Stück. Wir haben das so mit verteilten Rollen gelesen, erst mal so noch keine Rolle festgelegt, keine Besetzung, einfach, um sich über das Stück zu informieren, gefällt es uns oder nicht.
Und ich war spontan so hin und weg von dem Stoff, dass ich, als wir ausgelesen hatten, gesagt habe: Das will ich inszenieren, Uli, egal wo, das inszenier ich. Da hat er so ein bisschen gekichert, und bekam hektische rote Flecken, und er dachte: Um Gottes willen, was macht der denn jetzt hier? Und die Schauspielerkollegen haben auch gekichert und dachten: Na ja. Und dann habe ich aber nicht locker gelassen, und irgendwann, zuerst hat er gesagt, nee und so, und dann aber doch.
Bürger: Der Schauspieler Ulrich Matthes ist unser Gast hier im Deutschlandradio Kultur, vor der Premiere seiner Inszenierung von "Wastwater", einem Stück des britischen Dramatikers Simon Stephens. Der ist ja in den Kritikerumfragen der Zeitschrift "Theater" heute auch schon viermal zum besten ausländischen Dramatiker des Jahres gewählt worden, und zuletzt eben 2011 genau für dieses Stück "Wastwater". Was ist es jetzt genau, was interessiert Sie an diesem Text?
Matthes: Es interessiert mich das Gefühl einer enormen Zeitgenossenschaft, ohne dass es in irgendeiner Weise direkt politische Themen anspräche, ist es total ein Stück von heute, von jetzt. Es geht um sechs Menschen, jeweils in einer Paarkonstellation – Mann, Frau, Mann, Frau, Mann, Frau – in unterschiedlichen Konstellationen und Verhältnissen zueinander, und diese sechs Menschen sind sozusagen so pur, zu den Schauspielern habe ich irgendwann mal aus einer Laune heraus gesagt: Am schönsten fände ich es, wenn ihr nackt wärt, die ganze Zeit lang, den ganzen Abend. Da haben die so ein bisschen verlegen gelacht, und ich sagte: Na ja, ich meine es nicht so. Aber im Grunde meine ich es doch ein bisschen so, im Grunde sind diese sechs Menschen nackt, man spürt sie ganz stark. Es ist ein sehr emotionales Stück, finde ich, es ist ein eher dunkles Stück, und das ist das Einzige, was ich so ein bisschen zu kritisieren habe, der Humor darin ist sehr subtil.
Bürger: Aber was sind das für existenzielle Fragen, die da verhandelt werden?
Matthes: Ich würde sagen, die existenzielle Frage in dem Stück ist die des großen Bedürfnisses nach Nähe, nach Kommunikation mit einem Gegenüber. Dieses große Bedürfnis nach Nähe wird nie wirklich bis zu dem Punkt, wie wir es uns wünschen, erfüllt. Das schafft das Leben grundsätzlich irgendwie nicht. Jede dieser Figuren will erlöst werden, und zwar durch Situationen, die im Grunde ganz alltäglich sind, ganz lakonisch sind, mehr oder weniger einfach nachvollziehbar sind.
Aber im Grunde sind es sechs Menschen wie du und ich, um es mal so ein bisschen banal zu sagen, oder eigentlich – nein, es ist gar nicht banal, es ist so ein bisschen abgenutzter Begriff, ist aber eigentlich ganz schön.
Und diese Art von Bedürftigkeit ist etwas, was mich anrührt. Erstens, weil ich, um es mal offen zu sagen, diese Bedürftigkeit auch habe, und natürlich überwindet man sie immer wieder, und trotzdem bleibt immer so eine Art von Rest- …
Bürger: Sehnsucht.
Matthes: … -spur – wollte ich gerade sagen – eine Restspur von Sehnsucht nach einer größeren Nähe, egal wie nahe man einem Menschen ist.
Bürger: Sie haben als Schauspieler eine große Fangemeinde, auch unter den Theaterkritikern. Ist das nicht ein enormer Druck, dieselbe Anerkennung nun auch als Regisseur bekommen zu wollen?
Matthes: Also, soll ich es Ihnen ganz ehrlich sagen? Ich rechne auch damit, ich kenne doch meine Pappenheimer, dass sich bestimmt der eine oder andere da denkt: Oh Gott, jetzt führt der auch noch Regie, und das kann doch nicht wahr sein, und hat der denn nicht genug mit seinen Rollen zu spielen? Und dass die mir allein deswegen … irgendeiner würgt mir eine rein, nur weil er denkt: Kinder, kriegt der Matthes denn den Hals nicht voll? Aber soll ich Ihnen was sagen?
Es ist mir tatsächlich auf eine bestimmte Weise dann auch wurscht, weil ich diese Arbeit an dem Stück wirklich als wunderbar empfunden habe – es gab durchaus auch Konflikte, also es war keine Kuschelzeit, die ersten zwei Tage, würde ich sagen, das war für die noch ein bisschen ungewohnt, der Kollege, mit dem sie am Abend zuvor auf der Bühne gestanden haben, sagt plötzlich, Daumen rauf, Daumen runter, nee, mach mal so, mach mal so nicht und so, da haben sie am Anfang noch so ein bisschen gekichert.
Bürger: Ja, es wäre vielleicht einfacher gewesen, an einem anderen Theater zu inszenieren.
Matthes: Ja, mit Sicherheit, aber es ging dann ja auch. Also nachdem die ersten Kichereien durch waren und ich gesagt habe, Kinder, jetzt gewöhnt euch mal dran, jetzt ist es halt so, war es dann auch gut.
Bürger: Fast schade, dass unsere Hörerinnen und Hörer nicht sehen, wie Sie hier sprechen. Sie reißen sich förmlich so das Hemd von der Brust.
Matthes: Ja, na ja, weil ich mache es tatsächlich mit der gleichen Begeisterung, meinen Beruf, wie ich ihn schon vor 30 Jahren angefangen habe, insofern. Und das ist ein solches Privileg, ich sage es mir auch echt ganz oft: Was hast du für ein Privileg, dass du das machen kannst und dann auch noch Erfolg hast damit? Es kann ja auch sein, ich wäre begeistert von mir selber, und alle anderen würden sagen: Was ist denn das für eine Nulpe? Aber Hauptsache, es sagt keiner am nächsten Samstags: Na ja, spielen kann er ja, aber als Regisseur ist er eine Nulpe!
Bürger: Ulrich Matthes vor seiner morgigen Premiere an den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin. Dort inszeniert er Simon Stephens‘ "Wastwater". Gleich nach der Vorstellung liefern wir Ihnen die Premierenkritik, morgen Abend in unserem Kulturmagazin "Fazit". Im Mai gibt es dann noch sechs weitere Vorstellungen dieser Produktion.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.