Diesmal mit Schiffbruch

Von Michael Laages |
Das Diskurstheater des René Pollesch setzt sich auch in seinem neuesten Streich mit der Auflösung des Subjekts und den Mechanismen des eigenen Genres auseinander. Doch wie Pollesch inszeniert ist längst nicht mehr neu - und auch durch die diversen Theaterstars wird das Stück nicht besser.
Ein ganz neuer Ton kam ins Theater mit den ersten Arbeiten des Autors und Regisseurs René Pollesch - das war vor gut anderthalb Jahrzehnten im Frankfurter "Theater am Turm", der damals führenden Talenteschmiede der freien Szene.

Mittlerweile produziert der Schauspielerinnen und Schauspielern hoch geschätzte Regisseur Pollesch fast wie am Fließband; und zwischen den Inszenierungen (oder parallel) schreibt er die eigenen Texte dafür - eine Art immerwährendes Tagebuch.

An den Zutaten dieser immerwährenden Gardinenpredigt hat sich kaum etwas geändert - der Autor Pollesch ("Dramatiker" wäre stark übertrieben, denn gerade das will Pollesch dezidiert nicht sein, gerade so will er nicht die Regeln des Theaters bedienen), dieser Autor also formuliert Gedanken und Pointen, abgründig-kluge Philosophien und blankes Gefasel für etwas mehr als eine Stunde; und vor allem durch die Personal- und Ensemblestruktur der klassischen Komödienstrategie entwickelt sich über den Textvortrag hinaus so etwas wie szenische Bewegung zwischen Figuren.

Dass sich diese Kommunikation bis zum Verstehen oder gar Verständnis steigern könnte, wird meist mutwillig abgelehnt, ja geradezu geleugnet - auch im neuen Wiener Werkstück aus der unendlichen Geschichte kollektiver Pollesch-Litaneien sind Margit Carstensen und Catrin Striebeck, Stefan Wieland und der unlängst mit dem Faust-Theaterpeis geehrte Martin Wuttke weithin beschäftigt mit Mitteilungen darüber, dass wir einander grundsätzlich nicht verstehen können.

Und lieben schon gar nicht - fast immer mündet die Pollesch-Suada in selbstquälerischem Gegrübel darüber, ob Liebe, ob Emotion und Gefühl überhaupt noch möglich seien in diesen entpersönlichten Zeiten. Die Analyse ist vertraut, ja nachgerade ein wenig abgedroschen; und Therapie ist nicht in Sicht - auch nicht in Polleschs Form von Theater. Dabei steht die Liebe diesmal sogar im Titel: die "... zum Nochniedagewesenen", zur emotionalen Utopie also, die, sobald sie sich ereignet, alles verändert. Wie fast immer ist das philosophische Tingeltangel mit einer historisch halbwegs wiedererkennbaren Folie grundiert.

Diesmal wird ein amerikanischer Tänzer namens Emmett Ray aus der kunst- und kulturhistorischen Schartekenkiste gezogen; denn der, sagt Pollesch, war einer mit genau dieser Liebe, dieser fatalen Sehnsucht, die zerstört wird, wenn sie erfüllt ist. Ray lebt mit Hetty zusammen, und deren monologische Momente über den Widerspruch zwischen "Liebe" und "MiteinanderReden" gehören zu den funkelnden Miniatur-Motiven im Gardinenmuster.

Neben Hetty gibt's noch zwei Tänzer-Kollegen, Männlein und Weiblein, der Mann, "Django", ein Vorbild, die Frau, "Blanche", vielleicht eine Geliebte - Martin Wuttke als "Ray" und Margit Carstensen als "Hetty", Catrin Striebeck und Stefan Wieland kämpfen abendfüllend um den Text und gegen das Vergessen von Übergängen und Anschlüssen; das ist bei Pollesch immer so gewollt, möglichst nichts soll perfekt sein, und die Souffleuse Sibylle Fuchs hat darum auch in Wien wieder besonderen Beifall verdient.

Seit Pollesch nun partnerschaftlich mit dem Bühnenbildner Bert Neumann arbeitet, kommt kein Abend ohne große Bild-Behauptung aus, oft mit, manchmal ohne Zusammenhang mit der -naja- "Story". Im Akademietheater der Wiener "Burg" bricht zur Eröffnung (und mit Charles Trenets Chanson "La Mer") ein veritabler See-Sturm los, Schiffbruch inklusive; erst auf Video, dann mit hübschen Theatertricks, an Strippen hängenden Booten zum Beispiel über mechanisch auf- und abdriftenden Wellenbergen aus Pappmache oder auf Vorhang gemalt.

Anlass für die Phantasie vom Untergang ist Polleschs wortspielerische Eröffnung, die die feineren Differenzen heraus zu klamüsern versucht zwischen "Krise", "Katastrophe" und "Tragödie"; dieser Emmett Ray muss dies alles in einem gewesen sein, als Tänzer wie als Mensch, und "Die Liebe zum Nochniedagewesenen" war wohl so etwas wie sein ganz privates Vademecum.

Zum Beispiel hätte er gern einen "Knoten" von unfassbaren Ausmaßen auf der Bühne; Neumanns Requisit dafür ist ein sich selbst aufblasendes, in sich verschlungenes Schlauch-Monstrum in wurstartiger Form - allerdings quietschgelb. Auch Hineinklettern ist möglich, drauf und drüber und drum herum sowieso.

Niemand muss sich all zu viel dabei denken, nur ab und zu ergeben sich schlüssige gedankliche Verbindungen zwischen Text, Bild und Spiel - unzusammenhängende Zusammenhänge zusammen zu hängen: das bleibt Polleschs Methode. Und es erstaunt mittlerweile doch ein wenig, mit welcher Beharrlichkeit diese Antitheater-Behauptung im Theater-Kostüm auch jetzt, nach immerhin gut eineinhalb Jahrzehnten, für den immer noch wenigstens vorletzten Schrei gehalten wird. Die Neuerung, die sein Spiel-Stil einstmals mit sich brachte, ist nach unablässigem Gebrauch lange schon keine Bereicherung mehr.


Mehr Infos im Web:

Akademietheater: Die Liebe zum Nochniedagewesenen
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