Dieter Böge/Elsa Klever: "189"
Aladin, Stuttgart 2020
48 Seiten, 17 Euro
ab 5 Jahren
Die kurze Geschichte einer langen Reise
04:47 Minuten
Der titelgebende "189" ist ein Kanarienvogel: Zusammen mit 188 anderen Vögeln wird er auf eine Reise über den Atlantik nach New York geschickt. In seinem zauberhaften Bilderbuch erzählt Dieter Böge diese Geschichte mit farbgewaltigen Illustrationen.
"189" ist ein ungewöhnlicher Titel für ein Bilderbuch und könnte Schlimmes bedeuten. Denn wo Lebewesen nummeriert und zur Ziffer degradiert werden, muss man sich Sorgen um sie machen. Doch das ist hier ganz anders: Dieter Böges Geschichte von dem Kanarienvogel mit der Nummer 189 beginnt und endet gut. Und zwischen dem gemütlichen Anfang und dem glücklichen Ende erlebt der kleine Vogel – und mit ihm die Leserinnen und Leser – eine ungewöhnliche und abenteuerliche Reise.
An einen Vogelhändler verkauft
Die Geschichte von 189 beginnt am Ende des 19. Jahrhunderts im Harz. Ein kleiner, gelber Kanarienvogel lebt behütet bei einer Familie. Seine Aufgabe ist es, die im Bergbau arbeitenden Männer zu warnen, wenn die Luft im Stollen zu dünn wird. Dann hört er auf zu singen. Eines Tages wird der Kanarienvogel an einen Vogelhändler verkauft, der mit insgesamt 189 Kanarienvögeln zu Fuß, mit dem Pferdewagen, mit dem Zug und schließlich mit dem Schiff unterwegs ist nach New York, um die Vögel dort an eine Zoohandlung weiter zu verkaufen.
Historisch verbriefte Reise
Vogel-Bilderbücher sind normalerweise Märchen oder Fantasiegeschichten. Dieter Böge dagegen – er ist Autor und Illustrator in Personalunion – erzählt eine realistische Geschichte. So oder ähnlich haben allein im Jahr 1882 120.000 Kanarienvögel die Reise aus Deutschland nach New York angetreten. "So kurz wie möglich" erzählt er von dieser langen Reise, in einem ruhigen, sachlichen Ton und in einer einfachen, angenehm leicht verständlichen Sprache. Manchmal auch mit einem ganz feinen Augenzwinkern.
Aus dem vierseitigen "Kanarienvogelgeschichtlichen Nachwort" erfährt man dann noch viele zusätzliche historische Details über die Herkunft von Kanarienvögeln, ihre Zucht in Klöstern, ihren Gesang und ihre Beliebtheit bei Adel, Bürgern wie Bergleuten. Das alles ist hochinteressant und gut verständlich aufbereitet.
Wimmelbilder und expressive Fantasie
Den ganz besonderen Zauber dieses Bilderbuches machen aber seine Bilder und Illustrationen aus. Im Gegenspiel zum Text sind sie ungeheuer lebendig, erinnern mal an Wimmelbilderbücher, dann wieder an die naiven Bilder eines Henri Rousseau oder Paul Klee. Sie leuchten förmlich, haben trotz ihrer kräftigen, bunten Farben und ihres wirbeligen Aufbaus eine warme und positive Ausstrahlung. Sie sind einfach wunderschön. Die Illustratorin Elsa Klever hat zusätzlich für den Schluss eine Doppelseite mit 189 verschiedenen kleinen Kanarienvögeln gestaltet.
Eigentlich ist es eine ernste Geschichte, die Dieter Böge hier erzählt. Aber seine Bilder von Wald und Meer, Zug und Schiff, Vögeln und anderen Tieren haben eine solche Strahlkraft, eine so expressive Fantasie, dass man die Reise des kleinen zarten Vogels fasziniert und beschwingt miterlebt und so das Buch am Ende beglückt aus der Hand legt. Auch weil Vogel Nummer 189 am Schluss einen richtigen Namen bekommt. Eine große Freude für Kinder jeden Alters.