Dieter Hundt offen für weitere Branchenmindestlöhne
Dieter Hundt spricht sich für die Festlegung von Mindestlöhnen in einzelnen Branchen aus. Feste Lohnuntergrenzen könnten da verabredet werden, wo soziale Verwerfungen vorlägen, sagte der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA).
Deutschlandradio Kultur: Herr Hundt, seit über 30 Jahren sind Sie für die Allgaier-Werke tätig, ein baden-württembergisches Unternehmen, das sein Geld vor allem als Zulieferer der Autoindustrie verdient. Wie laufen da aktuell die Geschäfte in der Krise?
Dieter Hundt: Die Allgaier-Gruppe mit Sitz im schönen schwäbischen Uhingen ist ein mittelständisches Unternehmen, das zum einen insbesondere Zulieferant für die Automobilindustrie ist und sich zum anderen im Maschinenbau betätigt. Dieses sind beides Branchen, die von der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise in ganz besonders starkem Ausmaß getroffen worden sind. Deshalb hat auch Allgaier 2009 das schwierigste und insgesamt unbefriedigendste Geschäftsjahr seit 1975 hinter sich gebracht.
Erfreulicherweise sind seit Herbst des letzten Jahres die Abrufzahlen, die Auftragseingänge wieder ansteigend, sodass wir mit einem gewissen Optimismus dem Jahr 2010 entgegenblicken, wobei allerdings berücksichtigt werden muss, die Aufwärtsentwicklung bewegt sich unverändert auf außerordentlich niedrigem Niveau.
Deutschlandradio Kultur: Die Situation ist ja ungewohnt für die Zulieferer rund um Stuttgart. Fühlen Sie sich noch wohl in der Automobilindustrie?
Dieter Hundt: Ich fühle mich mit meiner Unternehmensgruppe Allgaier durchaus wohl in der Branche der Zulieferer für die Automobilindustrie. Ich bin überzeugt, dass die von der Krise am stärksten betroffenen Branchen – Automobil mit ihren Zulieferern, Maschinenbau, Chemie – nach der Krise wieder die Leuchttürme der deutschen Wirtschaft sein werden. Das sind Branchen, die sehr stark exportorientiert sind. Und ich bin optimistisch, dass wir mit diesen Branchen gerade durch die Exporterfolge wieder einer guten Zukunft entgegensehen.
Deutschlandradio Kultur: Gilt das für die deutsche Wirtschaft insgesamt, dieser Optimismus, dieser verhaltene Optimismus?
Dieter Hundt: Mein Optimismus gilt für die gesamte deutsche Wirtschaft. Ich bin überzeugt, dass die leichte Aufwärtsentwicklung, die wir seit Herbst des letzten Jahres zu verzeichnen haben, sich stabilisieren und fortsetzen wird, vorausgesetzt natürlich, dass es nicht weitere zusätzliche Hagelschläge gibt. Die Gefahr steht natürlich immer im Raum. Aber die deutsche Wirtschaft hat insbesondere für die ausländischen Märkte, für die sich positiv entwickelnden BRIC-Märkte – beispielsweise Brasilien, Russland, Indien, China – Produkte, die dort sehr gesucht werden und von denen ich deshalb überzeugt bin, dass sie die Erfolgsbringer in der Zukunft wieder sind.
Deutschlandradio Kultur: Fürchtete man sich zu Unrecht um die Zulieferer? Es ging ja gerade bei der Opel-Sanierung darum, die Zulieferer zu retten. Und es ging auch bei der Bankenkrise immer um die Frage, schaffen das die mittelständischen Unternehmen, hinwegzukommen. Und Sie klingen so positiv, als würde man sagen, die Sorge war unberechtigt.
Dieter Hundt: Ich wiederhole, die aktuelle Situation, insbesondere für die Zulieferbranche, die ja sehr häufig mittelständisch orientiert ist, die darüber hinaus, obwohl sich die Entwicklung in den letzten Jahren positiv abgezeichnet hat, unverändert unter einer gewissen Eigenkapitalschwäche leidet, die Situation für diese Zulieferer im Moment ist immer noch unbefriedigend, teilweise besorgniserregend, hat auch zu Insolvenz von vielen Unternehmen geführt. Aber die Unternehmen, die diese schwierige Zeit überstehen werden, haben für die Zukunft mit Sicherheit nach meiner Überzeugung sehr, sehr gute Entwicklungs- und Geschäftsmöglichkeiten.
Deutschlandradio Kultur: Im internationalen Maßstab steht die deutsche noch relativ gut da in der Krise. Welchen Anteil haben daran die Tarifpartner? Haben sie alles richtig gemacht?
Dieter Hundt: Die Sozialpartnerschaft, die Tarifpartnerschaft hat sich in der Vergangenheit über einen langen Zeitraum sehr bewährt. Dies gilt insbesondere für die Zeit seit etwa 2005. Die angemessenen, maßvollen Tarifabschlüsse haben ganz entscheidend dazu beigetragen, dass die deutsche Wirtschaft sich 2005 bis 2008 außerordentlich positiv entwickelt hat. Es ist uns gelungen gemeinsam, Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, eine neue Balance in der Tarifpolitik zu erreichen zwischen tarifvertraglich festgelegten Regelungen auf der einen Seite und der betriebsindividuellen Anpassungsmöglichkeiten auf der anderen Seite. Gerade diese zusätzliche Flexibilität hat sich auch in der Krise des letzten Jahres und zu Beginn dieses Jahres sehr bewährt. Ich denke, dass sich diese verantwortungsvolle Verhaltensweise der Tarifpartner, Arbeitgeber und Gewerkschaften auch in diesem Jahr fortsetzt.
Ich bin insbesondere auch optimistisch vor dem Hintergrund des Abschlusses in der Metall- und Elektroindustrie vor wenigen Tagen. Dort ist es gelungen, einen Tarifabschluss zu unterschreiben, der der schwierigen, der anhaltend schwierigen Situation gerade in dieser Branche der Metall- und Elektroindustrie angemessen ist und der dazu beitragen wird, dass in diesem Jahr die Beschäftigung auf relativ hohem Niveau gehalten werden kann.
Deutschlandradio Kultur: Aber Sie wollen sich ja da in der Metallindustrie die verlängerte Kurzarbeit erhalten. Und dabei setzen Sie auch auf den Staat, dass er mitspielt. Ist das so günstig, wenn die Tarifpartner noch einen Dritten im Boot haben, der gar nicht gefragt ist?
Dieter Hundt: Wir haben im letzten Jahr, 2009, einvernehmlich zwischen Arbeitgeberverbänden, Gewerkschaften und Politik Erleichterungen für die Durchführung der Kurzarbeit beschlossen. Das hat sich hervorragend bewährt. Ich begrüße sehr, dass die Politik zu Beginn dieses Jahres auf unsere Wünsche hin auch bereit gewesen ist, die Kurzarbeit nochmals um 18 Monate zu verlängern. Unternehmen, die im letzten Jahr – beispielsweise gerade in der Metall- und Elektroindustrie, beispielsweise im Maschinenbau – noch von hohen Auftragsbeständen leben konnten und die Beschäftigung aufrechterhalten konnten und jetzt in diesem Jahr erst in die Krise kommen, weil die Auftragseingänge des letzten Jahres entsprechend zurückgegangen sind, sollten die gleichen Möglichkeiten für die Durchführung von Kurzarbeit haben, wie die Unternehmen, die schon letztes Jahr in der Produktion entsprechend betroffen waren.
Ich plädiere auch dafür, und das ist wesentliches Element dieses jetzt abgeschlossenen neuen Tarifvertrags für die Metall- und Elektroindustrie, dass eine Synchronisation erfolgt, das heißt, dass für die Dauer dieser jetzt verlängerten Kurzarbeit von nochmals 18 Monaten ab dem Jahr 2010 auch die Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge in dem im letzten Jahr vereinbarten Umfang erfolgt.
Deutschlandradio Kultur: Noch einmal: Ist das nicht ein unwürdiger Vorgang, dass ein viel gelobter Tarifabschluss darauf basiert, dass man sagt, der geht aber nur, wenn ihr, wenn die Politik mitspielt? Ist da nicht ein stückweit auch Erpressung im Spiel?
Dieter Hundt: Die Politik hat im letzten Jahr viele Regelungen festgelegt, die beträchtliches Geld kosten, die auf der anderen Seite aber dazu beigetragen haben, erfolgreich dazu beigetragen haben, dass die Auswirkungen der Krise eingedämmt werden konnten. Nur, was für das letzte Jahr für die betroffenen Unternehmen gegolten hat, sollte eben richtigerweise jetzt auch für Unternehmen, die erst jetzt in die Schwierigkeiten durch die Auswirkungen der Krise kommen, gelten. Insofern ist dieses zwar zusätzliche Belastung des Staates, der Haushalte, aber zunächst gilt es, jetzt die Krise erfolgreich zu überwinden und den sich abzeichnenden Aufschwung nicht etwa kaputt zu sparen oder durch entsprechende Maßnahmen zu belasten.
Deutschlandradio Kultur: Nun sitzen ja die Tarifpartner auch in der Bundesagentur für Arbeit, also in der Arbeitslosenversicherung. Warum sagen Sie dann nicht gleich, ganz klar, wenn wir so was beschließen wie eine verlängerte betriebliche Kurzarbeit, dann lassen wir das zahlen aus der Arbeitslosenversicherung, in die wir alle einzahlen. Warum muss da der Bund mitspielen?
Dieter Hundt: Eine ganz wichtige Voraussetzung, um den sich jetzt abzeichnenden wirtschaftlichen Aufschwung wirklich zu nutzen, zu stabilisieren und auf Dauer auch zu intensivieren, ist, dass keine zusätzlichen Kosten auf Wirtschaft und Arbeit zukommen. Deshalb ist es ganz, ganz wichtig, dass die Aussage der neuen Bundesregierung auch eingehalten wir, die Sozialversicherungsbeiträge konstant zu halten und keine Erhöhung der Arbeitskosten zu verursachen.
Deshalb ist es richtig, dass beispielsweise auch das Defizit, das in der Bundesagentur durch die Maßnahmen, beispielsweise Kurzarbeit, zur Eindämmung der Auswirkungen der Krise entsteht, durch den Staat übernommen wird und nicht als zusätzliche Belastung der Beitragszahler und damit der Arbeitskosten die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft einschränkt.
Deutschlandradio Kultur: Ich gieße noch mal etwas Wasser in den Wein: Die Ausarbeitung der Kurzarbeit - haben Sie da nicht auch die Sorge, Sie müssen eigentlich die Sorge haben, dass da so eine Art Kombilohn entsteht, dass neue Subventionstatbestände geschaffen werden, dass der Wettbewerb möglicherweise auch behindert wird?
Dieter Hundt: Ich lehne die Schaffung neuer Subventionstatbestände entschieden ab, bin auf der anderen Seite aber der Überzeugung, dass es erforderlich ist, die eingeleiteten Maßnahmen so lange fortzusetzen, bis die Krise überwunden ist. Ich begrüße deshalb die Verlängerung der Kurzarbeit um die 18 Monate mit Beginn dieses Jahres, akzeptiere aber auf der anderen Seite auch, dass, was darüber hinausgeht, gegebenenfalls in den Unternehmen aus Gründen der Strukturveränderungen getan werden, dass dieses nicht mehr zu Lasten des Staates geht.
Wenn Sie aber das Thema Kombilohn ansprechen, ist dieses ein ganz anderes Thema. Wir waren vor einigen Jahren übereinstimmend der Meinung, Wirtschaft, Politik und Gewerkschaften, dass wir in Deutschland den Niedriglohnsektor ausbauen sollten und durchaus die Möglichkeit eines Kombilohnes nutzen sollten. Ich bedaure sehr, dass die damalige positive Beurteilung dieser Möglichkeit, dass geringfügige Tätigkeiten geschaffen werden und gegebenenfalls durch staatliche Maßnahmen noch unterstützt werden, dass dieses derzeit negativ besetzt ist. Wir sollten im Interesse unserer Geringqualifizierten, unserer Langzeitarbeitslosen uns darum bemühen, den Niedriglohnsektor stärker zu nutzen.
Deutschlandradio Kultur: Nun ist aber gerade der Niedriglohnsektor stark umstritten in Deutschland. Man hat eine Möglichkeit geschaffen, von der man glaubte, dass sie gut für arbeitslose Menschen ist, und sieht auf der anderen Seite, diese Möglichkeit wird zu Lohndumping genutzt. Stört Sie das nicht auch?
Dieter Hundt: Wir haben in der überwiegenden Zahl unserer Unternehmen und damit für die überwiegende Zahl der Beschäftigten Tarifverträge, in denen die Entgelte geregelt sind, auch die unteren und die niedrigsten Einkommensgruppen. Darüber hinaus wird es weiterhin einfache Tätigkeiten geben müssen für gering qualifizierte Menschen, für Menschen beispielsweise auch mit Behinderungen. Ich meine, wir sollten diese Beschäftigungsmöglichkeit nutzen und dort, wo die Wertschöpfung eines Arbeitsplatzes nicht ausreicht, um ein Entgelt sicherzustellen, mit dem der Beschäftigte seinen Lebensunterhalt bestreiten kann, durch staatliche Unterstützung diesen Arbeitsplatz aufrecht erhalten.
Deutschlandradio Kultur: Mit anderen Worten: Noch einmal von Ihnen ein klares Plädoyer gegen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn. Wie steht es denn bei Branchenmindestlöhnen? Wie stehen Sie dazu?
Dieter Hundt: Ich lehne einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn entschieden ab. Eine derartige Regelung verhindert Beschäftigung, stellt eine zusätzliche Hürde für Beschäftigungsaufbau dar. Wir haben aktuell die Diskussion, dass der Deutsche Gewerkschaftsbund einen einheitlichen Mindestlohn von 8,50 Euro beschließen will. Nach aktuellen Berechnungen würde dieses etwa 1,5 Millionen Arbeitsplätze in Deutschland kosten, ein Drittel davon in den ostdeutschen Bundesländern.
Deutschlandradio Kultur: Es gibt auch andere Berechnungen - sollten wir dazu sagen-, die positiver ausfallen im Sinne der DGB-Idee.
Dieter Hundt: Ich bin überzeugt, dass ein gesetzlicher Mindestlohn Beschäftigung verhindert. Die Erfahrungen, die in anderen Ländern damit gemacht wurden, sind nach meiner Beurteilung alles andere als positiv. Mindestlöhne gehen insbesondere zu Lasten der Schwächsten in unserer Gesellschaft, der Geringqualifizierten. Es verhindert den Einstieg in Beschäftigung für Langzeitarbeitslose, für Berufsanfänger. Und erfahrungsgemäß ist Einstieg in Arbeit nun einmal die Voraussetzung für Aufstieg.
In einzelnen Branchen akzeptiere ich durchaus, dass Vereinbarungen über Mindestlöhne getroffen werden, wenn soziale Verwerfungen vorliegen. Wir haben dieses auch als Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände und damit Spitzenverband der deutschen Wirtschaft beispielsweise für die Bauindustrie und für baunahe Gewerbe mitgetragen. Wir haben aktuelle Beispiele, die Gebäudereiniger und andere. Und ich kann mir durchaus vorstellen, dass insbesondere im Frühjahr des Jahres 2011, wenn die Arbeitnehmerfreizügigkeit entsteht, weitere Branchen dazukommen müssen. Hier müssen klare Voraussetzungen gegeben sein. Insbesondere dürfen durch Branchenmindestlöhne keine bestehenden Tarifverträge gefährdet werden oder außer Kraft gesetzt werden. Und wenn die entsprechenden Voraussetzungen gegeben sind, ist über Branchenmindestlöhne durchaus zu reden.
Deutschlandradio Kultur: Und wer soll das Gezerre in der Zeitarbeit verstehen, wenn Arbeitgeber beispielsweise, in gewisser Weise auch die Gewerkschaften, über Bande spielen, jeweils unterschiedliche Organisationen unterschiedliche Tarifverträge abschließen? Das bringt doch nichts.
Dieter Hundt: Lassen Sie mich zunächst mal sagen: Die Zeitarbeit ist ein außerordentlich wichtiges Werkzeug für die Unternehmen, unterschiedliche Beschäftigungssituationen atmend beherrschen zu können. Deshalb muss alles unternommen werden, um die Möglichkeiten der Zeitarbeit nicht einzuschränken.
Es sind im Verlaufe der letzten Monate gewisse Missstände bekannt geworden, die ich ablehne, die die Arbeitgeber…
Deutschlandradio Kultur: Stichwort "Schlecker".
Dieter Hundt: ... grundsätzlich ablehnen. Hier müssen Regelungen getroffen werden, die ausschließen, dass Unternehmen Beschäftigte in ein unternehmenseigenes Zeitarbeitsinstitut übertragen und die Beschäftigten dann mehr oder weniger ihre vorherige Tätigkeit zu deutlich reduzierten Entgelten ausüben müssen. Dieses ist machbar. Dieses ist regelbar. Darüber hinaus wäre ich aber in großer Sorge, wenn die Politik durch Gesetzgebung die flexiblen Möglichkeiten der Zeitarbeit einschränkt.
Dass die Zeitarbeit möglicherweise nach der Arbeitnehmerfreizügigkeit im nächsten Jahr eine Branche sein könnte, für die überlegt werden muss, ob ein Branchenmindestlohn eingeführt wird, ist richtig. Wir sollten der Zeit jetzt aber nicht vorauseilen, sondern die Entwicklung abwarten und gegebenenfalls, wenn alle Voraussetzungen dafür existieren, uns über eine entsprechende Mindestlohnregelung gerade für diese Branche, die für die Wirtschaft insgesamt außerordentlich wichtig ist und bleibt, zu schaffen.
Deutschlandradio Kultur: Wie stehen Sie zur Equal-Pay-Forderung, also der Forderung, dass die Zeitarbeiter, die Leiharbeiter den gleichen Lohn erhalten, wie die Stammkräfte im Betrieb?
Dieter Hundt: Ich bin der Meinung, wenn die Equal-Pay-Forderung grundsätzlich umgesetzt wird, dass dieses eine enorme Belastung, eine Gefährdung für die Zeitarbeit schlechthin ist. Wir müssen – so sieht es ja auch das Gesetz vor – durch entsprechende Tarifverträge Regelungen treffen, die angemessen sind, die aber verhindern, dass über eine grundsätzliche Umsetzung von Equal Pay die Zeitarbeit praktisch zur Wirkungslosigkeit reduzieren.
Deutschlandradio Kultur: Würden Sie dann eine zeitliche Beschränkung oder eine mengenmäßige Beschränkung pro Betrieb für sinnvoll halten?
Dieter Hundt: Es kann über alle möglichen Kriterien nachgedacht werden, beispielsweise auch über eine Entgeltentwicklung, über eine Dauer der Abstellung von Zeitarbeitskräften in die Unternehmen. Darüber, meine ich, sollte nicht generell geredet werden, sondern das ist eine Angelegenheit, die zwischen den Tarifparteien, den Zeitarbeitsunternehmen und den Gewerkschaften, geregelt werden muss.
Ich bin der Überzeugung, dass die derzeit laufenden Bemühungen, zu einheitlichen Tarifverträgen zu kommen, erfolgreich sein werden.
Deutschlandradio Kultur: Herr Dr. Hundt, alle Welt redet dieser Tage über Hartz IV und eine Reform von Hartz IV. Die Arbeitgeber auch?
Dieter Hundt: Hartz IV ist ein Element der Agenda 2010, das ich grundsätzlich unverändert bejahe. Insbesondere ist der Grundgedanke, im Rahmen der Regelung der Arbeitslosigkeit richtig: Fördern und Fordern. Ich halte die Anrechnungsregelungen, die wir derzeit haben, nicht für sinnvoll und bin der Meinung, dass dort Veränderungen diskutiert und auch festgelegt werden sollten. Beispielsweise werden Hartz-IV-Bezieher derzeit dazu verleitet, nur gering bezahlte Minijobs anzunehmen, weil ansonsten die Anrechnung zu hoch wird. Und der Vorschlag, den die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände immer wieder in die Diskussion bringt, geht dahin, dass wir zusätzliche Beschäftigung bis zu einem gewissen Betrag, beispielsweise einem Einkommen von 200 Euro, voll anrechnen und darüber hinaus dann mehr in Richtung einer Vollzeitbeschäftigung die Anrechnung reduzieren, um so den Betroffenen dazu zu motivieren, möglichst schnell wieder Vollzeit- oder vollzeitähnliche Tätigkeiten aufzunehmen, um dann für seinen Lebensunterhalt voll auf eigenen Füßen zu stehen.
Deutschlandradio Kultur: Das Wechselspiel zwischen Sozialhilfe und Hinzuverdiensten, also eigenem Einkommen, wird ja noch mal problematisch werden dann, wenn – setzen wir mal so – die Hartz-IV-Regelsätze erhöht werden oder zumindest, so wie bisher, gleich bleiben. Was tut man dann also? Wie löst man das Problem, dass es sich lohnt zu arbeiten?
Dieter Hundt: Indem Vollzeitarbeit weniger stark angerechnet wird als die Tätigkeit beispielsweise in Minijobs oder in sehr niedrigen Teilzeitjobs.
Deutschlandradio Kultur: Aber radikale Lösungen, wie das Bürgergeld, das ist das Stichwort "negative Einkommenssteuer", hilft Ihnen nicht weiter?
Dieter Hundt: Ich bin der Meinung, wir haben die jetzige Regelung und diese hat sich bewährt und bewährt sich dem Grunde nach. Dieser Weg sollte weitergegangen werden mit entsprechenden Anpassungen, die den Anreiz, Vollzeit- oder vollzeitähnliche Tätigkeiten für die Betroffenen zu übernehmen, deutlich stärkt. Und dazu gehört eine Veränderung der Anrechnungsmodalitäten gegenüber dem jetzigen Zustand.
Deutschlandradio Kultur: Lassen Sie mich abschließend noch zu einem anderen Thema kommen. In dieser Woche hat die Bundesregierung eine Kommission eingesetzt, die Vorschläge für eine neue Gesundheitsreform erarbeiten soll. Wünschen Sie sich die Einführung einer Kopfpauschale, die ja in Rede steht?
Dieter Hundt: Ich begrüße die entsprechende Vereinbarung, die im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und FDP getroffen worden ist, die einen Einstieg in die Entkopplung der Krankenversicherung und auch der Pflegeversicherung vom Arbeitsverhältnis vorsieht bei einer gleichzeitigen Festschreibung des Arbeitgeberbeitrages auf sieben Prozent. Die deutsche Wirtschaft leidet ganz besonders unter hohen Lohnzusatzkosten. Diese sind ganz wesentlich bedingt durch unsere hohen Sozialversicherungsbeiträge. Und vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung unserer Bevölkerung sind Reformen unumgänglich, wenn wir unsere Systeme lebensfähig und finanzierbar erhalten wollen und gleichzeitig nicht die Wirtschaft in der internationalen Wettbewerbsfähigkeit belasten wollen.
Aus dieser Forderung heraus bin ich der Meinung, eine Entkopplung der Krankenversicherungsbeiträge und der Pflegeversicherungsbeiträge vom Arbeitsverhältnis ist dringend erforderlich im Interesse eines zukünftigen Erfolgs der deutschen Wirtschaft und damit im Interesse der Beschäftigung in Deutschland.
Deutschlandradio Kultur: Und wie radikal denken da noch die Arbeitgeber? Wollen sie ganz raus aus der Sozialversicherung? Oder wollen sie immer noch mit einem Fuß drin bleiben in der Tür?
Dieter Hundt: Meine Position in dieser Frage ist seit Langem, dass wir den Arbeitgeberanteil in das Entgelt integrieren für die Beschäftigten und dann der Beschäftigte für seine Krankenversicherung und für seine Pflegeversicherung selbst verantwortlich ist. Ich bin überzeugt, dass dieses auch ein sehr wirtschaftliches System sein würde, weil der Einzelne viel mehr daran interessiert ist, eine günstige Konstellation seiner Prämien und seines Leistungsanspruchs zu schaffen, ähnlich wie wir es in der Kraftfahrzeugversicherung und in anderen Versicherungsmärkten haben. Deshalb, mein Plädoyer geht im Interesse des wirtschaftlichen Erfolgs unserer Unternehmen und im Interesse der Beschäftigung dahin, Krankenversicherungsbeiträge, Sozialversicherungsbeiträge vom Arbeitsverhältnis zu entkoppeln, weil beide Versicherungen nichts direkt mit dem Arbeitsverhältnis zu tun haben.
Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung ist etwas anderes. Dieses sind Entgelte im Falle der Krankheit oder im Falle des Ausstiegs aus dem Arbeitsprozess aufgrund des Erreichens der Altersgrenze.
Deutschlandradio Kultur: Herr Dr. Hundt, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.
Dieter Hundt: Die Allgaier-Gruppe mit Sitz im schönen schwäbischen Uhingen ist ein mittelständisches Unternehmen, das zum einen insbesondere Zulieferant für die Automobilindustrie ist und sich zum anderen im Maschinenbau betätigt. Dieses sind beides Branchen, die von der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise in ganz besonders starkem Ausmaß getroffen worden sind. Deshalb hat auch Allgaier 2009 das schwierigste und insgesamt unbefriedigendste Geschäftsjahr seit 1975 hinter sich gebracht.
Erfreulicherweise sind seit Herbst des letzten Jahres die Abrufzahlen, die Auftragseingänge wieder ansteigend, sodass wir mit einem gewissen Optimismus dem Jahr 2010 entgegenblicken, wobei allerdings berücksichtigt werden muss, die Aufwärtsentwicklung bewegt sich unverändert auf außerordentlich niedrigem Niveau.
Deutschlandradio Kultur: Die Situation ist ja ungewohnt für die Zulieferer rund um Stuttgart. Fühlen Sie sich noch wohl in der Automobilindustrie?
Dieter Hundt: Ich fühle mich mit meiner Unternehmensgruppe Allgaier durchaus wohl in der Branche der Zulieferer für die Automobilindustrie. Ich bin überzeugt, dass die von der Krise am stärksten betroffenen Branchen – Automobil mit ihren Zulieferern, Maschinenbau, Chemie – nach der Krise wieder die Leuchttürme der deutschen Wirtschaft sein werden. Das sind Branchen, die sehr stark exportorientiert sind. Und ich bin optimistisch, dass wir mit diesen Branchen gerade durch die Exporterfolge wieder einer guten Zukunft entgegensehen.
Deutschlandradio Kultur: Gilt das für die deutsche Wirtschaft insgesamt, dieser Optimismus, dieser verhaltene Optimismus?
Dieter Hundt: Mein Optimismus gilt für die gesamte deutsche Wirtschaft. Ich bin überzeugt, dass die leichte Aufwärtsentwicklung, die wir seit Herbst des letzten Jahres zu verzeichnen haben, sich stabilisieren und fortsetzen wird, vorausgesetzt natürlich, dass es nicht weitere zusätzliche Hagelschläge gibt. Die Gefahr steht natürlich immer im Raum. Aber die deutsche Wirtschaft hat insbesondere für die ausländischen Märkte, für die sich positiv entwickelnden BRIC-Märkte – beispielsweise Brasilien, Russland, Indien, China – Produkte, die dort sehr gesucht werden und von denen ich deshalb überzeugt bin, dass sie die Erfolgsbringer in der Zukunft wieder sind.
Deutschlandradio Kultur: Fürchtete man sich zu Unrecht um die Zulieferer? Es ging ja gerade bei der Opel-Sanierung darum, die Zulieferer zu retten. Und es ging auch bei der Bankenkrise immer um die Frage, schaffen das die mittelständischen Unternehmen, hinwegzukommen. Und Sie klingen so positiv, als würde man sagen, die Sorge war unberechtigt.
Dieter Hundt: Ich wiederhole, die aktuelle Situation, insbesondere für die Zulieferbranche, die ja sehr häufig mittelständisch orientiert ist, die darüber hinaus, obwohl sich die Entwicklung in den letzten Jahren positiv abgezeichnet hat, unverändert unter einer gewissen Eigenkapitalschwäche leidet, die Situation für diese Zulieferer im Moment ist immer noch unbefriedigend, teilweise besorgniserregend, hat auch zu Insolvenz von vielen Unternehmen geführt. Aber die Unternehmen, die diese schwierige Zeit überstehen werden, haben für die Zukunft mit Sicherheit nach meiner Überzeugung sehr, sehr gute Entwicklungs- und Geschäftsmöglichkeiten.
Deutschlandradio Kultur: Im internationalen Maßstab steht die deutsche noch relativ gut da in der Krise. Welchen Anteil haben daran die Tarifpartner? Haben sie alles richtig gemacht?
Dieter Hundt: Die Sozialpartnerschaft, die Tarifpartnerschaft hat sich in der Vergangenheit über einen langen Zeitraum sehr bewährt. Dies gilt insbesondere für die Zeit seit etwa 2005. Die angemessenen, maßvollen Tarifabschlüsse haben ganz entscheidend dazu beigetragen, dass die deutsche Wirtschaft sich 2005 bis 2008 außerordentlich positiv entwickelt hat. Es ist uns gelungen gemeinsam, Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, eine neue Balance in der Tarifpolitik zu erreichen zwischen tarifvertraglich festgelegten Regelungen auf der einen Seite und der betriebsindividuellen Anpassungsmöglichkeiten auf der anderen Seite. Gerade diese zusätzliche Flexibilität hat sich auch in der Krise des letzten Jahres und zu Beginn dieses Jahres sehr bewährt. Ich denke, dass sich diese verantwortungsvolle Verhaltensweise der Tarifpartner, Arbeitgeber und Gewerkschaften auch in diesem Jahr fortsetzt.
Ich bin insbesondere auch optimistisch vor dem Hintergrund des Abschlusses in der Metall- und Elektroindustrie vor wenigen Tagen. Dort ist es gelungen, einen Tarifabschluss zu unterschreiben, der der schwierigen, der anhaltend schwierigen Situation gerade in dieser Branche der Metall- und Elektroindustrie angemessen ist und der dazu beitragen wird, dass in diesem Jahr die Beschäftigung auf relativ hohem Niveau gehalten werden kann.
Deutschlandradio Kultur: Aber Sie wollen sich ja da in der Metallindustrie die verlängerte Kurzarbeit erhalten. Und dabei setzen Sie auch auf den Staat, dass er mitspielt. Ist das so günstig, wenn die Tarifpartner noch einen Dritten im Boot haben, der gar nicht gefragt ist?
Dieter Hundt: Wir haben im letzten Jahr, 2009, einvernehmlich zwischen Arbeitgeberverbänden, Gewerkschaften und Politik Erleichterungen für die Durchführung der Kurzarbeit beschlossen. Das hat sich hervorragend bewährt. Ich begrüße sehr, dass die Politik zu Beginn dieses Jahres auf unsere Wünsche hin auch bereit gewesen ist, die Kurzarbeit nochmals um 18 Monate zu verlängern. Unternehmen, die im letzten Jahr – beispielsweise gerade in der Metall- und Elektroindustrie, beispielsweise im Maschinenbau – noch von hohen Auftragsbeständen leben konnten und die Beschäftigung aufrechterhalten konnten und jetzt in diesem Jahr erst in die Krise kommen, weil die Auftragseingänge des letzten Jahres entsprechend zurückgegangen sind, sollten die gleichen Möglichkeiten für die Durchführung von Kurzarbeit haben, wie die Unternehmen, die schon letztes Jahr in der Produktion entsprechend betroffen waren.
Ich plädiere auch dafür, und das ist wesentliches Element dieses jetzt abgeschlossenen neuen Tarifvertrags für die Metall- und Elektroindustrie, dass eine Synchronisation erfolgt, das heißt, dass für die Dauer dieser jetzt verlängerten Kurzarbeit von nochmals 18 Monaten ab dem Jahr 2010 auch die Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge in dem im letzten Jahr vereinbarten Umfang erfolgt.
Deutschlandradio Kultur: Noch einmal: Ist das nicht ein unwürdiger Vorgang, dass ein viel gelobter Tarifabschluss darauf basiert, dass man sagt, der geht aber nur, wenn ihr, wenn die Politik mitspielt? Ist da nicht ein stückweit auch Erpressung im Spiel?
Dieter Hundt: Die Politik hat im letzten Jahr viele Regelungen festgelegt, die beträchtliches Geld kosten, die auf der anderen Seite aber dazu beigetragen haben, erfolgreich dazu beigetragen haben, dass die Auswirkungen der Krise eingedämmt werden konnten. Nur, was für das letzte Jahr für die betroffenen Unternehmen gegolten hat, sollte eben richtigerweise jetzt auch für Unternehmen, die erst jetzt in die Schwierigkeiten durch die Auswirkungen der Krise kommen, gelten. Insofern ist dieses zwar zusätzliche Belastung des Staates, der Haushalte, aber zunächst gilt es, jetzt die Krise erfolgreich zu überwinden und den sich abzeichnenden Aufschwung nicht etwa kaputt zu sparen oder durch entsprechende Maßnahmen zu belasten.
Deutschlandradio Kultur: Nun sitzen ja die Tarifpartner auch in der Bundesagentur für Arbeit, also in der Arbeitslosenversicherung. Warum sagen Sie dann nicht gleich, ganz klar, wenn wir so was beschließen wie eine verlängerte betriebliche Kurzarbeit, dann lassen wir das zahlen aus der Arbeitslosenversicherung, in die wir alle einzahlen. Warum muss da der Bund mitspielen?
Dieter Hundt: Eine ganz wichtige Voraussetzung, um den sich jetzt abzeichnenden wirtschaftlichen Aufschwung wirklich zu nutzen, zu stabilisieren und auf Dauer auch zu intensivieren, ist, dass keine zusätzlichen Kosten auf Wirtschaft und Arbeit zukommen. Deshalb ist es ganz, ganz wichtig, dass die Aussage der neuen Bundesregierung auch eingehalten wir, die Sozialversicherungsbeiträge konstant zu halten und keine Erhöhung der Arbeitskosten zu verursachen.
Deshalb ist es richtig, dass beispielsweise auch das Defizit, das in der Bundesagentur durch die Maßnahmen, beispielsweise Kurzarbeit, zur Eindämmung der Auswirkungen der Krise entsteht, durch den Staat übernommen wird und nicht als zusätzliche Belastung der Beitragszahler und damit der Arbeitskosten die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft einschränkt.
Deutschlandradio Kultur: Ich gieße noch mal etwas Wasser in den Wein: Die Ausarbeitung der Kurzarbeit - haben Sie da nicht auch die Sorge, Sie müssen eigentlich die Sorge haben, dass da so eine Art Kombilohn entsteht, dass neue Subventionstatbestände geschaffen werden, dass der Wettbewerb möglicherweise auch behindert wird?
Dieter Hundt: Ich lehne die Schaffung neuer Subventionstatbestände entschieden ab, bin auf der anderen Seite aber der Überzeugung, dass es erforderlich ist, die eingeleiteten Maßnahmen so lange fortzusetzen, bis die Krise überwunden ist. Ich begrüße deshalb die Verlängerung der Kurzarbeit um die 18 Monate mit Beginn dieses Jahres, akzeptiere aber auf der anderen Seite auch, dass, was darüber hinausgeht, gegebenenfalls in den Unternehmen aus Gründen der Strukturveränderungen getan werden, dass dieses nicht mehr zu Lasten des Staates geht.
Wenn Sie aber das Thema Kombilohn ansprechen, ist dieses ein ganz anderes Thema. Wir waren vor einigen Jahren übereinstimmend der Meinung, Wirtschaft, Politik und Gewerkschaften, dass wir in Deutschland den Niedriglohnsektor ausbauen sollten und durchaus die Möglichkeit eines Kombilohnes nutzen sollten. Ich bedaure sehr, dass die damalige positive Beurteilung dieser Möglichkeit, dass geringfügige Tätigkeiten geschaffen werden und gegebenenfalls durch staatliche Maßnahmen noch unterstützt werden, dass dieses derzeit negativ besetzt ist. Wir sollten im Interesse unserer Geringqualifizierten, unserer Langzeitarbeitslosen uns darum bemühen, den Niedriglohnsektor stärker zu nutzen.
Deutschlandradio Kultur: Nun ist aber gerade der Niedriglohnsektor stark umstritten in Deutschland. Man hat eine Möglichkeit geschaffen, von der man glaubte, dass sie gut für arbeitslose Menschen ist, und sieht auf der anderen Seite, diese Möglichkeit wird zu Lohndumping genutzt. Stört Sie das nicht auch?
Dieter Hundt: Wir haben in der überwiegenden Zahl unserer Unternehmen und damit für die überwiegende Zahl der Beschäftigten Tarifverträge, in denen die Entgelte geregelt sind, auch die unteren und die niedrigsten Einkommensgruppen. Darüber hinaus wird es weiterhin einfache Tätigkeiten geben müssen für gering qualifizierte Menschen, für Menschen beispielsweise auch mit Behinderungen. Ich meine, wir sollten diese Beschäftigungsmöglichkeit nutzen und dort, wo die Wertschöpfung eines Arbeitsplatzes nicht ausreicht, um ein Entgelt sicherzustellen, mit dem der Beschäftigte seinen Lebensunterhalt bestreiten kann, durch staatliche Unterstützung diesen Arbeitsplatz aufrecht erhalten.
Deutschlandradio Kultur: Mit anderen Worten: Noch einmal von Ihnen ein klares Plädoyer gegen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn. Wie steht es denn bei Branchenmindestlöhnen? Wie stehen Sie dazu?
Dieter Hundt: Ich lehne einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn entschieden ab. Eine derartige Regelung verhindert Beschäftigung, stellt eine zusätzliche Hürde für Beschäftigungsaufbau dar. Wir haben aktuell die Diskussion, dass der Deutsche Gewerkschaftsbund einen einheitlichen Mindestlohn von 8,50 Euro beschließen will. Nach aktuellen Berechnungen würde dieses etwa 1,5 Millionen Arbeitsplätze in Deutschland kosten, ein Drittel davon in den ostdeutschen Bundesländern.
Deutschlandradio Kultur: Es gibt auch andere Berechnungen - sollten wir dazu sagen-, die positiver ausfallen im Sinne der DGB-Idee.
Dieter Hundt: Ich bin überzeugt, dass ein gesetzlicher Mindestlohn Beschäftigung verhindert. Die Erfahrungen, die in anderen Ländern damit gemacht wurden, sind nach meiner Beurteilung alles andere als positiv. Mindestlöhne gehen insbesondere zu Lasten der Schwächsten in unserer Gesellschaft, der Geringqualifizierten. Es verhindert den Einstieg in Beschäftigung für Langzeitarbeitslose, für Berufsanfänger. Und erfahrungsgemäß ist Einstieg in Arbeit nun einmal die Voraussetzung für Aufstieg.
In einzelnen Branchen akzeptiere ich durchaus, dass Vereinbarungen über Mindestlöhne getroffen werden, wenn soziale Verwerfungen vorliegen. Wir haben dieses auch als Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände und damit Spitzenverband der deutschen Wirtschaft beispielsweise für die Bauindustrie und für baunahe Gewerbe mitgetragen. Wir haben aktuelle Beispiele, die Gebäudereiniger und andere. Und ich kann mir durchaus vorstellen, dass insbesondere im Frühjahr des Jahres 2011, wenn die Arbeitnehmerfreizügigkeit entsteht, weitere Branchen dazukommen müssen. Hier müssen klare Voraussetzungen gegeben sein. Insbesondere dürfen durch Branchenmindestlöhne keine bestehenden Tarifverträge gefährdet werden oder außer Kraft gesetzt werden. Und wenn die entsprechenden Voraussetzungen gegeben sind, ist über Branchenmindestlöhne durchaus zu reden.
Deutschlandradio Kultur: Und wer soll das Gezerre in der Zeitarbeit verstehen, wenn Arbeitgeber beispielsweise, in gewisser Weise auch die Gewerkschaften, über Bande spielen, jeweils unterschiedliche Organisationen unterschiedliche Tarifverträge abschließen? Das bringt doch nichts.
Dieter Hundt: Lassen Sie mich zunächst mal sagen: Die Zeitarbeit ist ein außerordentlich wichtiges Werkzeug für die Unternehmen, unterschiedliche Beschäftigungssituationen atmend beherrschen zu können. Deshalb muss alles unternommen werden, um die Möglichkeiten der Zeitarbeit nicht einzuschränken.
Es sind im Verlaufe der letzten Monate gewisse Missstände bekannt geworden, die ich ablehne, die die Arbeitgeber…
Deutschlandradio Kultur: Stichwort "Schlecker".
Dieter Hundt: ... grundsätzlich ablehnen. Hier müssen Regelungen getroffen werden, die ausschließen, dass Unternehmen Beschäftigte in ein unternehmenseigenes Zeitarbeitsinstitut übertragen und die Beschäftigten dann mehr oder weniger ihre vorherige Tätigkeit zu deutlich reduzierten Entgelten ausüben müssen. Dieses ist machbar. Dieses ist regelbar. Darüber hinaus wäre ich aber in großer Sorge, wenn die Politik durch Gesetzgebung die flexiblen Möglichkeiten der Zeitarbeit einschränkt.
Dass die Zeitarbeit möglicherweise nach der Arbeitnehmerfreizügigkeit im nächsten Jahr eine Branche sein könnte, für die überlegt werden muss, ob ein Branchenmindestlohn eingeführt wird, ist richtig. Wir sollten der Zeit jetzt aber nicht vorauseilen, sondern die Entwicklung abwarten und gegebenenfalls, wenn alle Voraussetzungen dafür existieren, uns über eine entsprechende Mindestlohnregelung gerade für diese Branche, die für die Wirtschaft insgesamt außerordentlich wichtig ist und bleibt, zu schaffen.
Deutschlandradio Kultur: Wie stehen Sie zur Equal-Pay-Forderung, also der Forderung, dass die Zeitarbeiter, die Leiharbeiter den gleichen Lohn erhalten, wie die Stammkräfte im Betrieb?
Dieter Hundt: Ich bin der Meinung, wenn die Equal-Pay-Forderung grundsätzlich umgesetzt wird, dass dieses eine enorme Belastung, eine Gefährdung für die Zeitarbeit schlechthin ist. Wir müssen – so sieht es ja auch das Gesetz vor – durch entsprechende Tarifverträge Regelungen treffen, die angemessen sind, die aber verhindern, dass über eine grundsätzliche Umsetzung von Equal Pay die Zeitarbeit praktisch zur Wirkungslosigkeit reduzieren.
Deutschlandradio Kultur: Würden Sie dann eine zeitliche Beschränkung oder eine mengenmäßige Beschränkung pro Betrieb für sinnvoll halten?
Dieter Hundt: Es kann über alle möglichen Kriterien nachgedacht werden, beispielsweise auch über eine Entgeltentwicklung, über eine Dauer der Abstellung von Zeitarbeitskräften in die Unternehmen. Darüber, meine ich, sollte nicht generell geredet werden, sondern das ist eine Angelegenheit, die zwischen den Tarifparteien, den Zeitarbeitsunternehmen und den Gewerkschaften, geregelt werden muss.
Ich bin der Überzeugung, dass die derzeit laufenden Bemühungen, zu einheitlichen Tarifverträgen zu kommen, erfolgreich sein werden.
Deutschlandradio Kultur: Herr Dr. Hundt, alle Welt redet dieser Tage über Hartz IV und eine Reform von Hartz IV. Die Arbeitgeber auch?
Dieter Hundt: Hartz IV ist ein Element der Agenda 2010, das ich grundsätzlich unverändert bejahe. Insbesondere ist der Grundgedanke, im Rahmen der Regelung der Arbeitslosigkeit richtig: Fördern und Fordern. Ich halte die Anrechnungsregelungen, die wir derzeit haben, nicht für sinnvoll und bin der Meinung, dass dort Veränderungen diskutiert und auch festgelegt werden sollten. Beispielsweise werden Hartz-IV-Bezieher derzeit dazu verleitet, nur gering bezahlte Minijobs anzunehmen, weil ansonsten die Anrechnung zu hoch wird. Und der Vorschlag, den die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände immer wieder in die Diskussion bringt, geht dahin, dass wir zusätzliche Beschäftigung bis zu einem gewissen Betrag, beispielsweise einem Einkommen von 200 Euro, voll anrechnen und darüber hinaus dann mehr in Richtung einer Vollzeitbeschäftigung die Anrechnung reduzieren, um so den Betroffenen dazu zu motivieren, möglichst schnell wieder Vollzeit- oder vollzeitähnliche Tätigkeiten aufzunehmen, um dann für seinen Lebensunterhalt voll auf eigenen Füßen zu stehen.
Deutschlandradio Kultur: Das Wechselspiel zwischen Sozialhilfe und Hinzuverdiensten, also eigenem Einkommen, wird ja noch mal problematisch werden dann, wenn – setzen wir mal so – die Hartz-IV-Regelsätze erhöht werden oder zumindest, so wie bisher, gleich bleiben. Was tut man dann also? Wie löst man das Problem, dass es sich lohnt zu arbeiten?
Dieter Hundt: Indem Vollzeitarbeit weniger stark angerechnet wird als die Tätigkeit beispielsweise in Minijobs oder in sehr niedrigen Teilzeitjobs.
Deutschlandradio Kultur: Aber radikale Lösungen, wie das Bürgergeld, das ist das Stichwort "negative Einkommenssteuer", hilft Ihnen nicht weiter?
Dieter Hundt: Ich bin der Meinung, wir haben die jetzige Regelung und diese hat sich bewährt und bewährt sich dem Grunde nach. Dieser Weg sollte weitergegangen werden mit entsprechenden Anpassungen, die den Anreiz, Vollzeit- oder vollzeitähnliche Tätigkeiten für die Betroffenen zu übernehmen, deutlich stärkt. Und dazu gehört eine Veränderung der Anrechnungsmodalitäten gegenüber dem jetzigen Zustand.
Deutschlandradio Kultur: Lassen Sie mich abschließend noch zu einem anderen Thema kommen. In dieser Woche hat die Bundesregierung eine Kommission eingesetzt, die Vorschläge für eine neue Gesundheitsreform erarbeiten soll. Wünschen Sie sich die Einführung einer Kopfpauschale, die ja in Rede steht?
Dieter Hundt: Ich begrüße die entsprechende Vereinbarung, die im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und FDP getroffen worden ist, die einen Einstieg in die Entkopplung der Krankenversicherung und auch der Pflegeversicherung vom Arbeitsverhältnis vorsieht bei einer gleichzeitigen Festschreibung des Arbeitgeberbeitrages auf sieben Prozent. Die deutsche Wirtschaft leidet ganz besonders unter hohen Lohnzusatzkosten. Diese sind ganz wesentlich bedingt durch unsere hohen Sozialversicherungsbeiträge. Und vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung unserer Bevölkerung sind Reformen unumgänglich, wenn wir unsere Systeme lebensfähig und finanzierbar erhalten wollen und gleichzeitig nicht die Wirtschaft in der internationalen Wettbewerbsfähigkeit belasten wollen.
Aus dieser Forderung heraus bin ich der Meinung, eine Entkopplung der Krankenversicherungsbeiträge und der Pflegeversicherungsbeiträge vom Arbeitsverhältnis ist dringend erforderlich im Interesse eines zukünftigen Erfolgs der deutschen Wirtschaft und damit im Interesse der Beschäftigung in Deutschland.
Deutschlandradio Kultur: Und wie radikal denken da noch die Arbeitgeber? Wollen sie ganz raus aus der Sozialversicherung? Oder wollen sie immer noch mit einem Fuß drin bleiben in der Tür?
Dieter Hundt: Meine Position in dieser Frage ist seit Langem, dass wir den Arbeitgeberanteil in das Entgelt integrieren für die Beschäftigten und dann der Beschäftigte für seine Krankenversicherung und für seine Pflegeversicherung selbst verantwortlich ist. Ich bin überzeugt, dass dieses auch ein sehr wirtschaftliches System sein würde, weil der Einzelne viel mehr daran interessiert ist, eine günstige Konstellation seiner Prämien und seines Leistungsanspruchs zu schaffen, ähnlich wie wir es in der Kraftfahrzeugversicherung und in anderen Versicherungsmärkten haben. Deshalb, mein Plädoyer geht im Interesse des wirtschaftlichen Erfolgs unserer Unternehmen und im Interesse der Beschäftigung dahin, Krankenversicherungsbeiträge, Sozialversicherungsbeiträge vom Arbeitsverhältnis zu entkoppeln, weil beide Versicherungen nichts direkt mit dem Arbeitsverhältnis zu tun haben.
Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung ist etwas anderes. Dieses sind Entgelte im Falle der Krankheit oder im Falle des Ausstiegs aus dem Arbeitsprozess aufgrund des Erreichens der Altersgrenze.
Deutschlandradio Kultur: Herr Dr. Hundt, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.