Dieter Thomä: "Warum Demokratien Helden brauchen. Plädoyer für einen zeitgemäßen Heroismus"
Ullstein Verlag, Berlin 2019
272 Seiten, 20 Euro
Neue Retter des Gemeinwohls gesucht
05:07 Minuten
Die Demokratie ist in der größten Krise seit 1945, sagt Dieter Thomä. Deshalb müssten Helden her, die sie retten: Gelegenheitshelden, die sind wie alle, aber sich einer Sache verschreiben, die allen dient.
In der Demokratie sind Helden keine Selbstverständlichkeit, denn sie widersprechen dem Prinzip der Gleichheit aller. Dass die Demokratie keine Helden hervorbringe, weil sie das Mittelmaß zur Norm erhebe, gehört wiederum zu den Standardvorwürfen ihrer Verächter.
Beiden Ansichten tritt Dieter Thomä in seinem "Plädoyer für einen zeitgemäßen Heroismus" entgegen: Angesichts dessen, dass die Demokratie sich in ihrer größten Krise seit 1945 befinde, dürfe sie das Heldentum keinesfalls den Populisten und Fundamentalisten überlassen. Deren Heroismus ist, so Thomä, unweigerlich mit Menschenverachtung verbunden, das gelte für die islamistischen Terroristen genauso wie für die "Trotzhelden" der AfD.
Neuer Helden-Typus: eine Frau
Laut Thomä zeichnen sich Helden durch drei Dinge aus: Erstens tun sie etwas, wozu den anderen der Mut oder die Initiative fehlt, zweitens identifizieren sie sich mit einer Sache, die größer ist als sie selbst, und drittens setzen sie sich von der Masse ab und erfahren entsprechende Verehrung.
Doch in der Demokratie tritt nun ein Held neuen Typus in Erscheinung - oft ist es eine Frau. So ist die demokratische Heldin keine Dauer-, sondern eine Gelegenheitsheldin. Sie ist keine Superheldin mit magischen Kräften, sondern eine von uns. Und sie verschreibt sich einer Sache, die der Befreiung aller dient.
Der zeitgemäße Heroismus, wie Dieter Thomä ihn fordert, ist kein Nullsummenspiel. Denn die Aufwertung des demokratischen Helden ist nicht mit einer Abwertung der Nicht-Helden verbunden. Der zeitgemäßen Heldin geht es nicht um den Ruhm, sondern um die Sache, und ihre Heldentaten eröffnen einen Raum, "den andere betreten können" und beflügeln damit die Gesellschaft.
Heldinnen und Helden wie Greta Thunberg, Alexandria Ocasio-Cortez oder Edward Snowden zeigen, dass es auch anders geht und bringen damit ein utopisches Element in die von Ermüdung bedrohten Demokratien.
"Demokratie ist nichts für Erwachsene"
Die Zeiten der Kriegshelden sind vorbei, ebenso das Rollenmuster, das weibliche Helden traditionell als große Leidende oder als "Mannweiber" sah. Die Genderfrage zieht sich durch das ganze Buch. Thomä zieht für seine Argumentation gerne literarische Figuren heran, und so erkennt er etwa in der Nora von Henrik Ibsens Theaterstück "Nora oder ein Puppenheim" einen historischen Wendepunkt.
Nora ist keine geborene Heldin, sie muss sich erst erfinden. Dass sie eine Figur im Werden ist, macht sie zu einer demokratischen Heldin. Denn auch die Demokratie ist als Staatsform immer in Bewegung, im Werden.
Philosophieprofessor Thomä spricht nicht mit der Stimme des Wissenschaftlers, sondern als politisch engagierter Zeitgenosse. Er schreibt in der Ich-Form, manchmal fast in einem Plauderton und ohne jeglichen akademischen Jargon. Ihm geht es nicht in erster Linie um eine stringente Beweisführung, sondern um eine Einladung zum Nachdenken.
Oft schmuggelt er den Beweis für seine Thesen durch die Hintertür, so etwa, wenn er an die Helden seiner Kindheit denkt (von Pippi Langstrumpf bis Winnetou) und schließlich erkennt: "Demokratie ist nichts für Erwachsene", denn diese haben sich eingerichtet.