Dieter Thomä: "Warum Demokratien Helden brauchen. Plädoyer für einen zeitgemäßen Heroismus"
Ullstein Verlag, Berlin 2019
272 Seiten, 20 Euro
Sie riskieren Kopf und Kragen für unsere Ideale
25:58 Minuten
In der Krise hoffen viele Menschen auf charismatische Leitfiguren. Ist ihre Heldenverehrung ein Rückfall in autoritäre Zeiten? Der Philosoph Dieter Thomä widerspricht: Auch eine Demokratie brauche Vorbilder, die für ihre Werte kämpfen.
Über den Zustand der Welt macht Dieter Thomä sich keine Illusionen. "Die Demokratie befindet sich in ihrer tiefsten Krise seit 1945", stellt er nüchtern fest. "Ihre Strahlkraft und Widerstandsfähigkeit sind auf einem Tiefpunkt." Dabei sei das Gesellschaftssystem des Westens nach dem Ende des Kalten Krieges noch "als globales Erfolgsmodell" gehandelt worden.
"Der Kapitalismus brummt, die Demokratie lahmt"
Doch mittlerweile erhielten autoritäre Politiker und Staatenlenker immer mehr Zulauf, und "das vermeintlich unschlagbare und untrennbare Tandem politischer und ökonomischer Freiheit" sei längst entkoppelt, so Thomä: "Weltweit brummt der Kapitalismus, und die Demokratie lahmt."
Was also tun? Dieter Thomä, Professor für Philosophie an der Universität St. Gallen, knüpft seine Hoffnung ausgerechnet an eine vielfach totgesagte Figur: den Helden. Sein neues Buch trägt den Titel: "Warum Demokratien Helden brauchen".
Verklärtes Heldentum: beschönigt und missbraucht
Aber Demokratie und Heldentum, passt das denn überhaupt zusammen? Hat die Gesellschaft der Freien und Gleichen nicht viele sogenannte Helden zu Recht von ihren Sockeln gestürzt?
Thomä räumt ein: "Das Verhältnis zwischen Heldentum und Demokratie ist keine Liebe auf den ersten Blick." Selbstverständlich sei der Begriff des Helden in Lauf der Geschichte vielfach missbraucht worden – allen voran in der Verklärung von Soldaten, die im Krieg zu Tode kamen. "Die Motive, die hinter der Rhetorik des Heldentods stecken, sind verständlich, aber fadenscheinig", schreibt Thomä, "Dieses Wort dient einerseits als falscher Ansporn, andererseits als falscher Trost."
Aber wegen derartiger Propaganda zu denken, dass eine aufgeklärte Demokratie alles Heroische weit von sich weisen müsste, das hält Dieter Thomä für einen Kurzschluss. In die weit verbreitete Rede, wir lebten in einem "postheroischen Zeitalter" stimmt er nicht ein. Stattdessen plädiert Thomä für einen "zeitgemäßen Heroismus". Er ist überzeugt: "Helden können helfen, die politische Krise zu überwinden – und zwar nicht, indem sie die Demokratie abschaffen, sondern indem sie sie stärken. Gesucht sind demokratische Helden."
Mit Mut zum Risiko aus der Misere
Denn die Misere der Demokratie sieht Dieter Thomä darin, dass sei allzu leicht in "Selbstgefälligkeit" erstarre und die eigenen Ansprüche verfehle, wenn nicht immer wieder engagierte "Störenfriede" die Öffentlichkeit aufrütteln und im Kampf für ihre zentralen Anliegen mit gutem Beispiel vorangehen würden. Dafür brauche es Menschen, die bereit seien, für eine Sache, "die größer ist als sie selbst", persönliche Risiken einzugehen, so Thomä: "Sie setzen sich für politische Ziele und Errungenschaften ein, auf die Verfolgte und Bedrängte aus allen Teilen der Welt ihre Sehnsucht richten."
Die pakistanische Mädchen- und Frauenrechtsaktivistin Malala Yousafzai, die 2014 den Friedensnobelpreis erhielt, die Initiatorin der weltweiten Klimaproteste Greta Thunberg und der ehemalige CIA-Agent Edward Snowden, der die umfassende Internet-Überwachung durch westliche Geheimdienste enthüllte, sind für Thomä solche modernen Heldinnen und Helden, die für Bürgerrechte und die Interessen kommender Generationen eintreten und autoritären Führungsfiguren vom alten Schlag dabei couragiert die Stirn bieten. Auf Menschen wie sie könne eine lebendige Demokratie nicht verzichten.
(fka)