Was man nicht mehr kann, wenn man zu viel kann
Dietmar Dath ist der intellektuelle Tausendsassa des literarischen Betriebs. Mit Vorliebe schreibt er Science-Fiction-Romane mit einem ganz eigenen Gedankenexperiment-Dreh. Mit "Der Schnitt durch die Sonne" reist er nun zur Sonne - und philosophiert dort über Arbeitsteilung.
Dietmar Dath ist nicht nur FAZ-Feuilletonredakteur, sondern auch Autor von über 20 Romanen und zahlreichen Sachbüchern. In seinen Arbeiten vermengt er Science Fiction mit politischer Theorie, Heavy Metal mit Naturwissenschaft, Mathematik mit Zeichentrickserien. Für seinen neuen Roman "Der Schnitt durch die Sonne", für den er unter anderem den Fundus der Mythologie plündert, lässt er eine Gruppe von sechs Menschen zur Sonne reisen - auch, weil schon so viele Romane auf dem Mars und auf dem Mond spielen, wie er im Gespräch auf Deutschlandfunk Kultur scherzhaft sagt.
Miteinander Auskommen in Zeiten der Spezialisierung
Dass in seinem Roman die Technik eine untergeordnete Rolle spiele, will er so allerdings nicht gelten lassen:
"Es geht dauernd um Menschen miteinander. Ich würde nicht sagen, wenig Technik. Sondern miteinander auskommen ist ja eine Art von Technik, ist eine Art von Gesprächstechnik, ist eine Art von Arbeitsteilung, ist eine Art von ‚hast Du dieselben Geräte gerade an wie ich‘ undsoweiter. Und die Frage, wie wir in einer Zeit, in der die Arbeitsteilung einerseits immer mehr wird, Fachidiotentum immer mehr wird, andererseits mehr Archive offen sind und mehr Nachrichten offen sind als je zuvor, also gleichzeitig mehr Allgemeinheit und mehr Spezialisierung, überhaupt noch so miteinander leben können, dass wir uns nicht übervorteilen, ausgrenzen und all das – das interessiert mich und ich mache es sehr konkret mit diesen sechs sehr verschiedenen Menschen."
Konkreten Anlass zum Nachdenken bot ihm ein Gedankenexperiment:
"Die Vorstellung, Fähigkeiten und Schätze und Reichtümer bis zu einem Punkt auszudehnen, wo sie wertlos werden, führt mich dazu, mir zu überlegen, angenommen, es gibt keine Arbeitsteilung mehr, weil jemand alles kann, angenommen, es gibt auch keine Wissensspezialitäten mehr, weil jemand alles weiß, und dann könnte es ja aber sein, dass irgendwelche Geschöpfe, die das noch haben, die primitiver sind, eine Vitalität haben oder irgendetwas können, was man nicht mehr kann, wenn man zu viel kann."
Faszination des Geschichtenerzählens
Geschichtenerzählen ist für ihn auch ein Mittel zur Erkenntnis:
"Bei Science-Fiction interessiert mich weniger, eine Geschichte zu schreiben, bei der man die ganze Zeit denkt, das ist aber toll, das will ich auch haben eines Tages. Oder, das ist aber schrecklich, davor habe ich Angst. Weil das sozusagen für eine Kurzgeschichte geeignet ist, aber wenn Du jemandem eine Welt anbietest, dann ist es ja langweilig, 300 Seiten lang sich zu gruseln oder 300 Seiten lang zu nicken. ... Das Faszinierende beim Herausfinden von Sachen über Geschichtenerzählen ist, dass es nicht so laufen muss: Ich habe vorher meine These und weiß, was ich lehren will. Sondern ich weiß es noch gar nicht und nehme das Instrument dieser Geschichte so ernst, dass es mir das am Ende vielleicht sagt, was ich herausfinden will. Also, die symbolische Ebene ist okay, wie ein Horizont, wie ein Dach oder vielleicht besser wie eine Leitplanke, dass Du nicht darüber hinaus gehst. Aber wie Du fährst und wie Du nach vorne gehst, das sagt dir die Handlung."