Dietmar Daths "Die nötige Folter" am Staatstheater Augsburg

Laborratten mit Schnellsprech-Hysterie

08:18 Minuten
Eine Frau ist an einen Tisch gefesselt, Augen sind geschlossen, sie streckt die Zunge raus.
Trotz aller Kritik an Text und Inszenierung findet unser Kritiker Michael Laages lobende Worte für das Ensemble. © Jan-Pieter Fuhr / Staatstheater Augsburg
Von Michael Laages |
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In Augsburg wurde "Die nötige Folter" uraufgeführt. Das neue Theaterstück des FAZ-Kulturjournalisten Dietmar Dath ist eine unübersichtliche Versuchsanordnung, die mit schrillen Effekten aus der Geisterbahn für viel Verwirrung sorgt.
Was dieses Theaterstück nicht ist? Das ist leicht zu sagen: "Die nötige Folter", der Text vom Journalisten, Roman- und Bühnenautor Dietmar Dath, als Auftragswerk entstanden für das Staatstheater in Augsburg, mischt sich nicht ein ins vordergründig politische Geschäft. Anders als etwa Ferdinand von Schirachs "Justiz", wo über Schuld oder Unschuld diskutiert wird, wenn ein von Terroristen gekapertes Flugzeug abgeschossen werden müsste.
Dath forciert nicht die Debatte darüber, ob Folter angemessen sein könnte angesichts der Möglichkeit, Leben zu retten – wie vor Jahren bei einer Entführung in Frankfurt am Main. Was Dietmar Daths Stück aber stattdessen ist oder sein will? Da fällt die Antwort sehr viel schwerer.

Die Mittel angewandter Science-Fiction

Gefoltert wird hier auf mindestens drei, eigentlich eher vier Ebenen: im Streiten über Mittel, Macht und Möglichkeiten der bildenden Kunst zum einen und der avanciert-zeitgenössischen Neurowissenschaften auf der anderen Seite und darüber hinaus in höchst privatem wie gesellschaftlich-politischem Rahmen.
Anatol Käbisch lehnt an einer Mauer auf der eine Box mit digitaler Anzeige steht. Er raucht und trägt eine Brille. Man sieht ihn von der Seite.
Anatol Käbisch in "Die nötige Folter" am Staatstheater Augsburg. Dath spielt mit der Ästhetik des Science-Fiction-Kinos.© Jan-Pieter Fuhr
Und da Dath zudem auch noch mit den Mitteln angewandter Science-Fiction-Fantasie zu Werke geht, ist das Kuddelmuddel ziemlich schnell perfekt – wer hier wirklich mitkommen und am Ball bleiben will, muss mindestens so genau aufpassen wie die Schauspielerinnen und Schauspieler im Augsburger Ensemble.

Wirre Szenerie

Jan Steigerts Bühnenraum gibt die Unordnung vor: Daths Versuchslabor ist eine Resterampe. Eine ausrangierte Supermarktkasse spielt mit, inklusive Warenlaufband, auf der eine der Spielfiguren liegt. Zwei kryptische Wesen, "Stier" heißt das eine, "Widder" das andere (das auch einen Widderkopf trägt und stumm ist!), machen sich an der Frau zu schaffen. Die beiden kryptischen Überwachungsstrategien hantieren mit Lötkolben und Fleischermesser, Haushaltsbohrer und Super-Riesen-Dildo. Aber auch ein Verhörstuhl kommt zum Einsatz, auf dem die Hände der Opfer per Schnappschloss fixiert werden können, außerdem ein Bock aus der Turnhalle.
Bühnenszenario in grünem Licht. Im Vordergrund ein Mann der auf den Knien sitzt und einen Arm leidvoll in die Luft streckt, neben ihm ein weiterer Mann am Boden liegend. Im Hintergrund weitere Personen deren Aktivitäten nicht zu entschlüsseln sind.
Die Resterampe auf der Bühne: Dietmar Daths "Die nötige Folter" am Staatstheater Augsburg© Jan-Pieter Fuhr
Rechts lauert eine rätselhafte Skulptur, die aussieht wie eine monströse Niere aus Stein. Sie lässt sich öffnen, und drin liegt noch ein Versuchskaninchen. Daneben liegt ein Leichensack (mit noch einer Laborratte drin), der kopfüber gen Bühnenhimmel gezogen werden kann. Im Zentrum aber steht ein Plexiglaskasten, den der Neurowissenschaftler zur Hälfte schon mit Formeln und Namen vollgekritzelt hat.
Über der wirren Szenerie sind allerlei Videobildschirme platziert, eine Künstlerin ganz in schwarz wandert immer mal wieder um die Szene herum. Schließlich liegt über und unter allem elektronischer Dauersound; so kräftig, dass Akteurinnen und Akteure unentwegt in die an die Backe geklebten Mikrophone schreien – Schnellsprech-Hysterien bis zum Abwinken prägen die knapp zwei Theaterstunden.

Manipulierte Konsumenten

Liefert schon das Bild ständig neue Fantasien, so springt auch Daths Text unablässig hin und her zwischen den Ebenen. So viel immerhin wird klar: Doro, die Künstlerin, war es irgendwann leid, nicht verstanden zu werden – nicht vom Publikum, nicht von der Kritik. Da ließ sie sich vom befreundeten Neurowissenschaftler (dem im Plexiglaskäfig!) ein Computerprogramm stricken, das gut versteckt ist in der Kunstperformance und als Trojaner sozusagen die Wahrnehmung der Konsumenten manipuliert.
Bühnenszenario: Im Vordergrund steht ein Schauspieler mit Zigarette in der Hand. Er trägt Sonnenbrille mit einem aufgesteckten Fernglas. Im Hintergrund in der Unschärfe weitere Schauspieler.
Schräger Theaterabend: Kai Windhövel in "Die nötige Folter" am Staatstheater Augsburg.© Jan-Pieter Fuhr
Das hat offenbar funktioniert – und nun wendet diese Künstlerin (angeblich verstorben, tatsächlich aber unter dem Widderkopf der weibliche Folterknecht) die Methode unter nächsten Bekannten und Exfreunden an: zwei abgelegten Lovern und der Galeristin, die sie betreut hat. Die Ergebnisse sind teilweise tödlich.

Schräge Effekte aus dem Gruselkabinett

Aber mehr als dieses Setting lässt sich kaum erklären. Dietmar Daths rabiat-rasante Wort- und Satzkaskaden erhellen die Geschichte nicht, streuen eher immer mehr Splitter oder Krümel aus Gedanken ins Spiel. Augsburgs Staatstheater-Intendant Andre Bücker setzt mit aller Kraft auf schräge Effekte aus den gut sortierten Werkzeugkisten der Horror-, Splatter- und Science-Fiction-Ästhetik. Dadurch aber nimmt das Durcheinander immer noch zu – und selbst wer sich mitreißen ließ vom schrägen Spektakel, hängt am Schluss womöglich ziemlich erschöpft in den Seilen, oder eben im Theatersessel.
Augsburgs Bühnen, im Vorjahr erst zum Staatstheater geadelt und wegen Umbauten jetzt zu Hause im alten Gaswerksbau der Stadt (der ein wenig ans grandiose E-Werk in Dresden erinnert), haben sich mit diesem Auftrag offenkundig eine gehörige Überforderung eingehandelt – und das ist das beste, was sich über "Die nötige Folter" sagen lässt.

"Die nötige Folter"
von Dietmar Dath
Regie: André Bücker
Bühnenbild: Jan Steigert, Kostüme Suse Tobisch, Video: Heimspiel, Musik: Lilijan Waworka, Dramaturgie: Lutz Keßler
Mit Sebastian Baumgart, Anatol Käbisch, Natalie Hünig, Andrej Kaminsky, Linda Elsner, Kai Windhövel, Lilijan Waworka
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