Digitale Bildkulturen

Wie mit Bildern Hass geschaffen wird

11:29 Minuten
Ein Grafitti zeigt eine Handfläche, in deren Mitte ein Mund aufgerissen schreit.
Bilder helfen, den Hass zu ästhetisieren und zu einer Praxis der Kommunikation zu machen, erklärt der Kunstwissenschaftler Daniel Hornuff. © Unsplash/ Heather Edwards
Daniel Hornuff im Gespräch mit Shelly Kupferberg |
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Hass-Postings im Internet sind nicht nur Texte – viele der Inhalte werden auch durch Bilder vermittelt. Dabei bedienen sich die Macher meist an massenkulturellen Phänomenen, um ihre Inhalte zu vermitteln, sagt der Kunstwissenschaftler Daniel Hornuff.
Shelly Kupferberg: Vor allem in den sozialen Netzwerken spielen sie eine enorme Rolle: Bilder. Überhaupt, der digitale Raum ist voll von ihnen. Heute können wir uns genauso selbstverständlich mit Bildern austauschen wie vor Jahren und Jahrzehnten noch mit Texten und Sprache.
Im Wagenbach Verlag erscheint eine neue Reihe, die sich genau diesem Phänomen widmet. "Digitale Bildkulturen" heißt sie, herausgegeben wird sie von der Kultur- und Medienwissenschaftlerin Annekathrin Kohout und dem Kunstwissenschaftler Wolfgang Ullrich. In dieser Reihe erschienen ist auch ein Band zum Thema "Hassbilder", geschrieben von Daniel Hornuff. Er ist Professor für Theorie und Praxis der Gestaltung an der Kunsthochschule Kassel.
Was macht denn Bilder im Zusammenhang mit Hass-Postings so besonders und für Sie so interessant, sie eingehend zu untersuchen?
Daniel Hornuff: Für mich war eine Diskurslücke entscheidend, mich mit dem Thema auseinanderzusetzen. In der öffentlichen Wahrnehmung stehen vor allem die Hasskommentare im Sinne von Hasstexten im Vordergrund. Wenn man über Hate Speech nachdenkt, denkt man in allererster Linie an Texte.
Nun ist es aber so, dass die meisten Hasskommentare oder Hassbotschaften, die in den sozialen Medien gepostet werden und dort zirkulieren, zu gleichen Teilen mit Texten und Bildern operieren und agieren. Für mich war es wichtig, diese Position der Bilder einzubringen, also dafür zu sensibilisieren, dass Bilder oft zu gleichen Teilen an der Formierung des Hasses beteiligt sind wie Texte.

Werbende Funktion von Bildern

Kupferberg: Das heißt, das Bild wird unterschätzt?
Hornuff: Das Bild wird in der öffentlichen Wahrnehmung über solche Kommunikationspraktiken unterschätzt. In den Kommunikationspraktiken selbst wird das Bild nicht unterschätzt, sonst hätte es gar nicht diese große und bedeutende Rolle für die Kommunikation in den sozialen Netzwerken. Aber wenn wir uns den Blick von außen auf die Netzwerkskommunikation anschauen, dann stehen häufig gerade mit Blick auf die Hasskommentare die Texte im Vordergrund. Man lässt unberücksichtigt, welche oft wichtige und auslösende Funktion die Bilder dabei übernehmen.
Kupferberg: Sie haben auch gerade Hate Speech gesagt, da ist erst mal überhaupt gar keine Rede von Bildern. Sie appellieren in Ihrem Buch tatsächlich, diesen Bildern weitaus mehr Beachtung zu schenken als bisher. Welche Rolle können Bilder in Hass-Postings spielen?
Hornuff: Ich würde sagen, Bilder geben dem Hass ein Aussehen, sie verleihen ihm eine ästhetische Form. Indem der Hass durch Bilder eine ästhetische Form bekommt, wird er anschlussfähig, er wird attraktiv für andere, sich an solch einer Hasspraktik zu beteiligen. Insofern übernehmen Bilder fast so eine werbende Funktion für den Hass, sie popularisieren ihn.
Was vielleicht auch noch mal deutlich macht, dass die meisten dieser Hasskommentare keine impulsive oder irgendwie unkontrollierte Äußerungen sind, sondern wenn man sich die Bilder anschaut, die mit den Hasskommentaren einhergehen, dann sieht man sehr schnell, dass die Hassäußerung in der Regel einer kühlen und abgeklärten Strategie oder Taktik unterliegt.

Historische Bespiele weiterhin aktuell

Kupferberg: Sie werden also genau vorbereitet. In welchem Verhältnis stehen sie zur Sprache?
Hornuff: Ich glaube, diese Bilder gewinnen überhaupt erst Bedeutung – wenn man so will eine Hassbedeutung – im Zusammenhang mit Sprache. Ein Bild allein kann noch nicht für eine bestimmte Weltsicht oder eine bestimmte Äußerung, bestimmte Meinung einstehen. Es braucht immer die Sprache, die das Bild einfasst, die dem Bild eine Bedeutung verleiht.
Insofern ist auch dieser Titel des Buchs vielleicht ein bisschen irreführend, denn ich führe aus, dass es eigentlich Hassbilder im Sinne dieses Wortes gar nicht gibt. Es gibt Bilder, die im Zusammenhang mit Hass-Postings auftreten und die durch eine bestimmte sprachliche Einfassung eine Hassbedeutung entwickeln. Aber die Bilder selbst sind noch keine Hassbilder.
Kupferberg: Muss man dabei nicht ein bisschen unterscheiden, denn es gibt tatsächlich auch Bilder, die einfach sehr gewalttätig daherkommen. Auf welche Tradition, Kontinuitäten, inhaltlich und ästhetisch, bauen Hassbilder denn im Netz auf?
Hornuff: Ich hab mich in dem Buch etwa mit Bildern des Antisemitismus beschäftigt. Da wird ganz deutlich, wie eigentlich Bildmuster tradiert werden, wie historische Beispiele wieder neu entdeckt und für aktuelle Zusammenhänge des Hasses und der Kommunikation für Abwertung und Diffamierung genutzt werden.
Kupferberg: Sie zeigen in Ihrem Buch die Bildsprache unterschiedlicher radikaler Bewegungen auf. Um mal ein paar Beispiele zu nennen: aus dem Rechts- und Linksextremismus, dschihadistische Beispiele des IS und die Bildsprache sogenannter Lebensschutzbewegungen, also Abtreibungsgegner. Warum haben Sie sich für diese Themenfelder und Beispiele entschieden?
Hornuff: Es geht in all diesen Beispielen darum, entweder andere Personen oder ganze Personengruppen abzuwerten, sie zu entehren, ihnen quasi digitale Gewalt anzutun. So war es mir wichtig, auch unterschiedliche Weltsichten oder Ideologien des Hasses vorzustellen, weil die Strategien letztlich sehr vergleichbar sind. Man versucht, diese Bilder einzusetzen, um der eigenen Hassintention eine höhere Dringlichkeit, eine größere Schärfe, mehr Gewalt zu verleihen. Diese Muster konnte ich nur herausarbeiten, indem ich verschiedene Ideologien erst mal gleichrangig zueinander betrachte.

Dämonisierung des Gegners

Kupferberg: Welche ähnlichen ästhetischen Merkmale lassen sich da nachweisen, etwa in Sachen Rechts- und Linksradikalismus bzw. -extremismus?
Hornuff: Wenn ich so ein bisschen in dem linksextremistischen Spektrum geschaut habe, fiel mir vor allem auf, dass dieses Opfer auch als Opfer immer wieder vorgeführt wird – der Polizist, der am Boden liegt und Fußtritte erleiden muss, ist so ein Bildmotiv, das wirklich tausendfach zirkuliert und mit höhnischen Bemerkungen begleitet wird.
Auf der Seite des Rechtsextremismus, gerade wenn er sich im Antisemitismus realisiert, haben wir eigentlich erst mal so einen Aufbau eines übermächtigen Gegners: der Jude als ewiger Jude, als Weltenlenker, als Repräsentant eines Weltjudentums. Ein Bildmotiv, das sich über Jahrzehnte und fast Jahrhunderte gehalten hat.
Diese Tradition versuche ich auch nachzuzeichnen. Da geht es eben darum, den Gegner möglichst machtvoll erscheinen zu lassen, ihn zu dämonisieren und damit natürlich auch zu verteufeln und entsprechend gegen ihn zu agitieren.
Kupferberg: Sie sprachen schon davon, dass eigentlich ein Bild für sich nicht unbedingt immer gleich als Hassbild sich zu erkennen gibt. Was unterscheidet ein Hassbild zum Beispiel vom Bildprotest oder wie identifiziere ich überhaupt ein Hassbild?
Hornuff: Das ist ganz schwierig allgemein zu definieren. Deswegen habe ich mich in dem Buch auch darauf verlegt, ganz spezifische, konkrete Fälle mir anzuschauen. Gleichwohl glaube ich, es gibt gemeinsame Merkmale dieser Bilder. Sie werden eben durch eine textliche Einfassung überhaupt erst zu einem Hassbild. Ihr Ziel muss durch die Kontexteinfassung ersichtlich werden. Das Ziel liegt in der Regel darin, dass es darum geht, andere Menschen abzuwerten.
Protestbilder sind ein Instrument der Emanzipation, des Empowerments, der Bekräftigung einer Position, die sich als unterlegen wahrnimmt. Wohingegen Hassbilder aus einer Position der gefühlten Überlegenheit und der Bevorteilung agieren. Gegenüber Hetzbildern kann man Hassbilder noch mal insofern unterscheiden, dass es bei Hetzbildern eher darum geht, andere Personen hinter der eigenen Position zu versammeln, um sich dann gegen andere Personen und Personengruppen wenden zu können. Das ist nicht unbedingt die Funktion von Hassbildern.
Kupferberg: Auch popästhetische Muster haben Konjunktur, die haben Sie auch ausfindig gemacht, auch und vor allem in Hass-Postings. Wie können die aussehen?
Hornuff: Wenn man an die dschihadistische Hasskommunikation denkt, da war das oder ist das nach wie vor sehr präsent. Man versucht, ein massenkulturelles Phänomen aufzugreifen, um die Abwertung von anderen Personen als möglichst sinnstiftend, als möglichst attraktiv, als Gewinn für das jeweilige Leben aussehen und erscheinen zu lassen.
Kupferberg: Das kommt teilweise daher wie ein Filmtrailer mit ganz emotionalisierter Musik im Hintergrund.
Hornuff: Unbedingt. Daran ist auch abzulesen, wie aufwendig, wie professionell, wie strategisch kalkuliert in diesen Kommunikationspraktiken vorgegangen wird. In der Regel geht es darum, sich genau zu überlegen, wie ich mein Ziel, die Abwertung anderer Menschen und Personengruppen erreichen kann.

Hass wird gemacht

Kupferberg: In dieser Buchreihe "Digitale Bildkulturen", in der Ihr Buch erschienen ist, geht es auch darum, neue Formen und Verwendungsweisen von Bildern kulturgeschichtlich einzuordnen und auch Kriterien für den Umgang mit diesen Bildphänomenen zu finden. Welche Dinge scheinen Ihnen besonders wichtig zu sein?
Hornuff: Mir ist es zunächst einmal wichtig zu zeigen, dass diese Hassbilder in historischen Kontinuitäten stehen, dass mit den Hassbildern in der digitalen Netzkommunikation nicht irgendetwas Neues in die Welt kommt, sondern dass etwas wiederholt wird und weitergeführt wird, was in der Kulturgeschichte selbst schon ausgeprägt worden ist.
Kupferberg: Teilweise reichen diese Abbildungen zurück bis ins Mittelalter, auch das weisen Sie nach.
Hornuff: Ich versuche tatsächlich, über solche Vergleiche plausibel zu machen, dass es diese historischen Kontinuitäten gibt. Der andere Punkt ist, dass Hass nichts ist, das eben unkontrolliert irgendwie aus Menschen herausbricht. Das mag in einzelnen Fällen so sein.
Mir geht es darum, zu zeigen, dass Hass bestimmten Strategien und Taktiken unterliegt, dass Hass gemacht wird, dass er geformt wird, dass er ästhetisiert wird, dass er also eine Praxis der Kommunikation ist. Ich glaube, erst wenn wir verstehen, wie diese Kommunikation jeweils funktioniert, können wir sie auch zurückweisen und eindämmen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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