Das Unmögliche möglich machen
Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis Florian Gellinger einen Oscar für seine digitalen Effekte bekommt. Bei "Black Panther", "The Avengers" oder "Ant-Man and the Wasp" hat der Berliner mitgewirkt. Mittlerweile könne man am Computer fast alles entstehen lassen, sagt er.
Patrick Wellinski: Egal ob "Black Panther", "The Avengers", "Babylon Berlin" oder wie seit Donnerstag im Kino "Ant-Man and the Wasp", wenn in diesen Filmen etwas in die Luft gejagt wird, wenn etwas groß oder etwas klein gemacht werden muss, wenn das Unmögliche gestaltet werden soll, dann klingelt in der Kreuzberger Firma Rise FX das Telefon.
Florian Gellinger und sein Team haben sich in knapp elf Jahren weltweite Anerkennung für ihre digitalen Effekte erworben – in der Fachsprache heißen die VFX. Einen Oscar haben sie dafür noch nicht bekommen, die Betonung liegt aber auf noch, denn das ist allerdings nur eine Frage der Zeit.
Diese Woche habe ich Florian Gellinger besucht und mit ihm über seine Arbeit gesprochen. Ich wollte zunächst, dass er mal den Unterschied zwischen Spezialeffekten und digitalen Effekten erklärt, gerade weil die meisten das eine mit dem anderen sicherlich gleichsetzen.
Florian Gellinger: Früher war es so, dass bei Filmen wie "2001: A Space Odyssey" und so weiter der Modellbau mit unter den Bereich Special Effects oder Optical Effects gefallen ist, heute spricht man im Bereich Special Effects weitestgehend von sogenannten praktischen Effekten, die am Set umgesetzt werden können. Also alles, was irgendwie Styropor-Debris ist, der mit Luftdruckkanonen durch die Luft geschossen wird, Autos, die irgendwo an einer Hebebühne hängen, um schräggestellt zu werden, Feuer, das aus Gasdüsen kommt und sich dann langsam ausbreitet, geplante Explosionen und Feuerwerk, alles was so gezündet wird und so weiter. Oder sogar halt jetzt, was man auch bei "Blade Runner" sehr gut gesehen hat, was Gerd Nefzer aus Babelsberg sehr gut umgesetzt hat, das sind halt Special Effects. Der hat zum Beispiel unglaublich viel mit Wasser gemacht, mit Hochdruckwasserkanonen und Rutschen, um das Set dann richtig auch mit dem korrekten Timing und einer gewissen Menge halt nass zu machen.
Die Welt aus Ameisenperspektive zeigen
Wellinski: Jetzt wird gerade Ihre Arbeit auf der Welt von Millionen von Menschen gesehen, gerade wenn es um diese Marvel-Verfilmungen geht, die ja unglaublich erfolgreich sind und ihr größter Anziehungspunkt natürlich die visuellen Effekte sind. Der aktuellste ist "Ant-Man and the Wasp", der gerade in den Kinos ist. Können Sie vielleicht erzählen, was bei dem Projekt jetzt für Sie die besondere Herausforderung war?
Gellinger: Das meiste, was wir bei "Ant-Man and the Wasp" gemacht haben, war, dass wir die Welt aus Ameisenperspektive zeigen mussten, weil: Da stößt man natürlich an die Grenzen der physischen Welt. Eine Filmkamera ist halt so groß, wie eine Filmkamera ist, und wenn ich jetzt die Straße von Ameisenperspektive zeigen will, dann kann ich mit meiner riesengroßen Kamera gar nicht so weit runtergehen, da müsste ich praktisch ein Loch in die Straße buddeln, um das Ganze untersichtig filmen zu können und das aus Ameisenperspektive zu zeigen.
Und da greift man dann natürlich auf unsere Arbeit zurück. Das heißt, wir bauen gewisse Sachen im Computer nach, als 3-D-Modelle – eine belebte Straße, Baustellenteile, eine Röhre und so weiter. Und dann fahren unsere beiden Hauptdarsteller da zum Beispiel mit einem kleingeschrumpften Auto durch, und man sieht im Hintergrund alles außerhalb des Autos halt aus Ameisenperspektive. Aber dazu muss es natürlich erst mal gebaut werden, und dann können wir das bei uns im Computer aus der entsprechenden Perspektive filmen, weil unsere Kameras natürlich auch gerne halb in der Wand drinstecken können oder beliebig klein sein können, alles, was halt in der echten Welt nicht geht.
Am Set muss alles genau dokumentiert werden
Wellinski: Ab wann sind Sie denn auch am Projekt beteiligt, also wie muss man sich das vorstellen? Klingelt dann hier in Berlin das Telefon aus Los Angeles, das steht jetzt an, das ist unser Projekt, oder kommen die her, wie muss man sich diesen Zeitrahmen vorstellen?
Gellinger: Das kommt ganz drauf an. Wir haben auch teilweise so 911 Calls, wo es dann halt drum geht, den Film noch zu retten, bevor er ins Kino kommt, wo dann möglicherweise massiv umgeschnitten wird oder Sachen nachgedreht werden.
Aber die meisten Sachen, die sind tatsächlich so, dass wir angerufen werden, noch während das Ganze in der Vorbereitungsphase ist, vordem Dreh. Dann machen wir die ersten Angebote, beschäftigen uns mit dem Material, überlegen uns, wie man gewisse Sachen umsetzen kann, wie groß unser Team dafür sein muss und so weiter. Dann betreuen wir den Dreh mit, und wenn wir das komplette Projekt machen, dann stellen wir zum Beispiel auch den sogenannten Production Supervisor, also den Hauptkreativ-Verantwortlichen für die digitalen Effekte, der mit Regie und Kameramann zusammen das Projekt betreut und halt am Set entsprechend dann Einwürfe macht und seine Meinung dazu sagt, wie etwas gedreht werden muss, damit es nachher besonders gut funktioniert.
Derjenige ist dann auch dafür verantwortlich, dass von allem 3-D-Modelle eingescannt werden am Set, dass von allem Fotos gemacht werden, weil das ist ja immer das Problem. Wenn der Dreh zu Ende ist, dann existieren diese Sachen alle nicht, und dann sind die für immer verloren, wir brauchen aber dann häufig auch sechs Monate später, nach dem Dreh, wenn der Schnitt abgeschlossen ist, noch Referenzen für gewisse Dinge: Wie weit war die Kamera von der Hauswand weg, welche Farbe genau hatte der Backstein und so weiter. Deshalb müssen wir halt am Drehtag extrem aufpassen und alles genau vermessen, einmessen und kalibrieren, dass wir dann auch später in der Postproduktion und bei der Visual-Effects-Arbeit auf die Daten und Referenzen zurückgreifen können.
Wellinski: Sie machen ja die groß budgetierten Hollywood-Produktionen, aber auch deutsche Produktionen – kann man da von gewissen Unterschieden sprechen?
Gellinger: Wenn man das Ziel hat, mit einem Film um eine Milliarde Dollar – oder 1,5 Milliarden Dollar im Fall von "Avengers" – einzuspielen, hat man natürlich auch in seinen Entscheidungen vorher einen gewissen Spielraum, den man halt bei kleineren prognostizierten oder angepeilten Einspielergebnissen nicht hat. Oder wenn man zum Beispiel eine Auftragsproduktion macht für einen Fernsehsender, dann hat man ja ein fixes Budget, und dann wird sich entsprechend das Einspielergebnis auch nicht verändern und auf das Budget der Produktion auswirken. Das heißt, das ist natürlich dann schon ein Unterschied.
Digitale Effekte als günstige Alternative
Was sich geändert hat, ist, wir haben auf jeden Fall einen Paradigmenwechsel, es wird lange nicht mehr so viel gebaut. Es wird halt überlegt, ob man bestimmte Sachen einfach viel effizienter machen kann. "Babylon Berlin" kommt jetzt im September in der ARD, da wäre es ein gigantischer Aufwand gewesen, die ganzen Berliner Straßen im Hintergrund mit echten Statisten, die in Epochenkleidung morgens angezogen werden, zu bevölkern. Das haben wir dann gemacht.
Das Gleiche gilt dann natürlich für so Vintage Cars, also für alle Oldtimer, die da hinten rumfahren und so, mehr als fünf oder zehn ist einfach ein gigantischer logistischer Aufwand. Das Ganze auch am Set zu koordinieren, einzurichten und dann mit dem richtigen Timing auch im Bild festzuhalten, ist ebenfalls ein riesiger Aufwand. Das heißt, da konzentriert man sich drauf, dass der Vordergrund gut funktioniert und dass ich im Vordergrund eine Menge Statisten habe in korrekter Kleidung und ein paar Autos rumfahren, und alles, was im Hintergrund passiert, machen dann wir.
Wellinski: Gibt es denn eigentlich Grenzen, gibt es denn Dinge, die Sie noch nicht machen können oder die Sie gerne tun wollen, also ist zurzeit alles möglich, oder gibt es auch Dinge, wo man sagen kann, vielleicht in zehn Jahren ja, aber jetzt noch nicht.
Gellinger: Ich glaube, wir sind jetzt an einem Punkt angekommen, wo sich eigentlich alles mit einem gewissen Aufwand herstellen lässt, das ist halt nur noch eine Frage von Zeit. Und man darf nicht vergessen, wir arbeiten ja hier mit Künstlern, die auch gleichzeitig technisch sehr versiert sein müssen. Das heißt, ich kann natürlich jetzt nicht 2000 unglaublich anspruchsvolle Kameraeinstellungen bearbeiten mit dem gleichen Team, was ich sonst für 100 bis 200 Kameraeinstellungen habe. Das muss natürlich dann auch eine gewisse Qualität der Mannschaft voraussetzen, und das sind halt dann doch in bestimmten Disziplinen Einhörner, die schwer zu finden sind.
Bei Menschen-Darstellungen erkennen wir jeden Fehler
Es geht da natürlich um digitale Menschen, da gibt es einfach eine Hand voll Leute, die so was können und umsetzen. Tiere gehören sicherlich auch dazu, dass sie halt wirklich komplett 100 Prozent glaubhaft sind, weil es einfach Sachen sind, an die der Mensch gewöhnt ist. Also der Mensch, wir alle wissen, wie so was realistisch aussieht, bei einem Drachen kann man vielleicht noch mal drüber wegschauen, das ist halt dann was, was nicht unbedingt jeder schon mal gesehen hat, oder einen Tyrannosaurier und so weiter, ob der jetzt richtig die Gewichtsverlagerung vom rechten aufs linke Bein macht und umgekehrt, oder ob der Schwanz das richtig ausgleicht. Da ist man dann auch als Animator zum Abstrahieren gezwungen, um sich halt zu überlegen, welches Tier könnte sich in der Realität ähnlich verhalten zu einem erfundenen Tier, und da schaut man sich dann einfach Sachen ab vom Timing und von der Bewegung und von der Geschwindigkeit, von der Behäbigkeit und so weiter.
Beim Menschen ist es einfach so, wir gucken jeden Tag nur in menschliche Gesichter, meistens, und deshalb erkennen wir da jedes Detail, was nicht stimmt. Es gibt schon diverse Filme, bei denen digitale Menschen ganz gut funktioniert haben, der zweite Teil von "Hunger Games: Mockingjay", da war Philip Seymour Hoffman schon tot, und da gab es ein paar Einstellungen mit einem digitalen Philip Seymour Hoffman.
Beim letzten "The Fast and the Furious" war Paul Walker nicht mehr dabei, er ist ja vorher leider bei einem Autounfall ums Leben gekommen, da waren viele Einstellungen mit seinem Bruder gedreht, und der Kopf digital raufmontiert vom verstorbenen Paul Walker. Das heißt, das sind alles so Sachen, die schon sehr, sehr gut funktioniert haben und wo ich auch glaube, dass die wenigsten Leute irgendetwas gemerkt haben, wenn sie es gesehen haben.
Das ist, glaube ich, immer noch so die Königsdisziplin, da muss man entsprechende Kunden haben, die einem das Vertrauen entgegenbringen und auch das nötige Kleingeld, weil da halt immer noch extrem viel Research drinsteckt. Man muss sich mit der Anatomie beschäftigen, mit den Muskelgruppen, mit der Dicke der Haut und der Elastizität an verschiedenen Stellen im Gesicht, wie groß die Poren sind und so weiter. Das heißt, nur einen digitalen Kopf stillstehend realistisch zu machen, heißt noch lange nicht, den auch animiert realistisch verkaufen zu können, das halt irgendwie wie ein ironisches Augenzwinkern genau in dem Moment stattfindet und genauso aussieht, wie man es real erwarten würde.
Das sind einfach Sachen, das ist unglaublich viel Trial and Error, selbst bei den Besten in der Branche, und deshalb gibt es immer wieder Versuche, die leider scheitern. Aber ich glaube, wir sind da nicht mehr so weit von entfernt.
"Das ist natürlich eine Riesenehre"
Wellinski: Wenn Sie jetzt an einem Film oder einem Projekt gearbeitet haben, sehen Sie sich den Film denn auch gerne dann noch mal an und können sich dann auch auf den Film konzentrieren, oder gucken Sie sich dann doch letztendlich nur die Effekte an?
Gellinger: Das kommt ganz drauf an. Wenn das Drehbuch gut genug ist, dann gehe ich komplett in dem Film auf und denke keine Sekunde an die Effekte. Das hat auch immer mit der Zeitspanne zu tun – von der Fertigstellung bei uns bis er dann tatsächlich ins Kino kommt. Das kann halt ganz, ganz unterschiedlich sein.
Wellinski: Vor gut einem Monat sind Sie jetzt von der Academy of Motion Picture, Arts and Sciences eingeladen worden, Mitglied zu werden. Ist das eine große Ehre für Sie?
Gellinger: Ja, klar, das wirkte ja irgendwie vor ein paar Jahren noch so unglaublich weit weg, also den Oscar habe ich deshalb noch lange nicht gewonnen, aber trotzdem sind das natürlich die Leute, die einen dann da einladen, halt potenziell auch alles Oscar-Gewinner. Und wenn die einen in der Gruppe dabeihaben wollen, weil sie denken, dass die Arbeit, dass die kreative Leistung das rechtfertigt und das, was man so für die Gemeinschaft bisher getan hat, das ist natürlich eine Riesenehre, klar. Das sind alles die Leute, zu denen ich immer früher aufgeschaut habe und wegen denen ich in die Branche gekommen bin, die Leute, die früher den Flüssigmetall-Terminator bei "Terminator 2" gemacht haben oder die Dinosaurier bei "Jurassic Parc" und so weiter.
Das waren ja eigentlich so die Sachen, weshalb ich unbedingt in die Branche wollte – Roland Emmerichs "Independence Day", alles die Filme aus den späten 80ern, frühen 90ern, und das sind meine ehemaligen Vorbilder im Endeffekt, haben mich sozusagen eingeladen. Und das ist natürlich eine Wahnsinnsehre, also größer geht es ja eigentlich gar nicht mehr. Nur der eigentliche Oscar wäre noch eine größere Ehre.
Wellinski: Und auch der wird bestimmt irgendwann mal kommen. Florian Gellinger, vielen Dank für Ihre Zeit!
Gellinger: Danke sehr!
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