"Digitale Gesellschaft ist genauso ausdifferenziert wie die analoge"
Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Renate Künast, gibt sich angesichts der neuen Konkurrenz durch die Piratenpartei gelassen und sieht die Grünen breiter aufgestellt.
Ute Welty: Konkurrenz belebt das Geschäft, und mindestens das muss man der Piratenpartei hoch anrechnen – die befinden sich in einem Umfragehoch und damit nur knapp hinter den Grünen. Welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind, das bespreche ich jetzt mit der Grünen-Fraktionschefin Renate Künast. Guten Morgen!
Renate Künast: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Wie dick ist das Ei denn, das die Piraten Ihnen auf die Schiene nageln?
Künast: Oh, das ist ja ein kurioses Bild, Frau Welty. Schade um das schöne Ei, würde ich sagen. Also ich sag mal, die Piraten sind da, seit Jahren existent. Nun haben sie mittlerweile zahlenmäßige und Wählererfolge, also gehe ich einfach mal von deren Existenz aus und nehme sie als einen politischen Mitbewerber, und deshalb streite ich mich demokratisch mit denen, wer die besseren Konzepte hat. Und da bin ich immer noch fest davon überzeugt, dass die Grünen die besseren haben, weil wir breit aufgestellt sind, weil wir lernfähig sind und weil wir Datenschutz oder auch Zugang zu Daten schon lange betreiben.
Welty: Ihr Amtskollege Frank-Walter Steinmeier von der SPD verlangt jetzt eine schärfere Auseinandersetzung mit der Piratenpartei. Sehen Sie das auch so, und wenn ja, schärfere Auseinandersetzung mit welcher Art von Waffen?
Künast: Also, ich sehe das einfach mal als inhaltliche Auseinandersetzung, die mit jedem Mitbewerber da ist, und die ist bei niemandem schärfer oder weniger scharf. Ich habe sie immer ernst genommen, die Piraten, und deshalb sag ich auch klar, ich will von denen wissen, welche Position sie als Partei zur Frage der Finanzierung von Kinderbetreuung haben und an welcher Stelle man streichen soll. Genauso wie ich mit ihnen über ihr ureigenstes Thema diskutiere, wenn es um den freien Zugang zu Daten im Netz geht, und sage, ich möchte mit denen und anderen drüber diskutieren, wie muss man denn das Urheberrecht reformieren? Weil doch klar ist – das weiß ich auch, dazu brauche ich keinen Piraten –, das jetzige Urheberrecht ist ein einziges Ärgernis, und man muss in digitalen Zeiten, wo man alles Mögliche runterladen kann, eins hinkriegen, nämlich dass die Urheber gestärkt werden, die immer schlechtere Verträge haben, und dass man aber auch das digitale Zeitalter berücksichtigt, also neue Vergütungsmodelle entwickelt. Und Sie sehen, ich bin munter dabei, und zwar mit allen Themen. Und das ist auch meine Ebene gegenüber jedem Mitbewerber.
Welty: Wo sehen Sie denn Ihre Chance, das Politikfeld Internet noch besetzen zu können? Denn seit mindestens 2010 zum Beispiel reden Sie ja über diese Kultur-Flatrate, die das Urheberrecht revolutionieren würde, aber passiert ist in den letzten Jahren nicht so viel.
Künast: Ach, wir haben, Frau Welty, eines immerhin geschafft, wir haben eine Enquêtekommission seit 2010 zum Thema Netzpolitik im Deutschen Bundestag durchgesetzt als Grüne, und die macht übrigens beides: Mal dafür Sorge zu tragen, dass man das digitale Zeitalter endlich anerkennt, aber auch die einzelnen Akteure, also auch die Urheber waren mal stärker berücksichtigt, als es bisher der Fall war. Es gibt leider nicht die eine einfache Variante. Wir überlegen an einer Kulturflatrate immer noch, und da geht es ganz um die Frage, wie kriegt man so was eigentlich praktikabel. Das ist nämlich am Ende gar nicht so einfach. Wir gucken dabei auch auf den Punkt, dass es glücklicherweise ja mittlerweile im Netz auch eine Menge an Dienstleistungen gibt, in denen man legal und mit Vergütung runterladen kann, also geistiges Eigentum, ob Film oder Bücher – denken Sie ans E-Book, an Music-Stores, was es alles so gibt –, die man tatsächlich vergütet runterladen kann. Also Sie sehen, es entwickelt sich was. Aber eins ist doch klar: Es geht um einen gerechten Interessenausgleich, und da hängen wir als Grüne immer dran. Also einen Antrag "Datenschutz für die digitale Welt" haben wir längst im Bundestag, wir sind im Beschäftigungsdatenschutz, auch bei Netznutzung und so, also wir hängen eigentlich überall drin. Vielleicht weniger populistisch.
Welty: Trotzdem stehen die Grünen ja vor allen Dingen für Proteste gegen Atomkraft und nicht für Proteste gegen ACTA.
Künast: Oh, da irren Sie sich. Proteste gegen ACTA, da waren wir dabei und unsere Leute haben sich von Anfang an politisch zu geäußert und ich denke, auch sehr differenziert, weil wir nämlich eins wissen bei ACTA: Dass da ein altes, gar nicht mehr hinreichendes Urheberrecht, das auch den Urhebern hier kaum weiterhilft, international festgeschrieben werden soll, statt mal die Debatte breiter zu machen über die Frage, wie sieht denn ein moderner Interessenausgleich aus, der die Urheber, wo ja große Unternehmen und das Netz teilweise drüber wegfegt, wie kann man deren Interessen eigentlich besser schützen und gleichzeitig neue Nutzungsmöglichkeiten einfach mal zur Kenntnis nehmen an der Stelle. Wir sind diejenigen, die sich da sehr differenziert bemühen, Lösungen zu finden. Einfach ist es nicht, man hat ja bei vielen Dingen im Netz ein Problem immer, dass man sozusagen weiß, manches hat seinen technischen Ursprung gar nicht in Deutschland oder in Europa, ist gar nicht erreichbar, sondern sitzt auch da auf den Bahamas, in den USA, in Schweden und, und, und. Also die komplizierte Technik macht auch Antworten komplizierter, und manches, wie zum Beispiel ein modernes Urheberrecht, müsste man auf europäischer Ebene regeln.
Welty: Spätestens seit der Obama-Wahl 2008 ist ja klar, wie viel Druck das Internet machen kann, trotzdem macht es den Eindruck, dass von dieser Erkenntnis nicht so viel nach Deutschland übergeschwappt ist. Wie groß ist die Gefahr, dass die Politik die digitale Generation verliert?
Künast: Also ich glaube übrigens, dass der Erfolg der Piraten nicht allein über das Netz zu erklären ist. Da sind eine Menge an Nichtwählern, die die mobilisiert haben, die würde ich gerne auch für die Grünen wiederhaben und mehr mobilisieren. Im Netz sind die unterschiedlichsten Menschen unterwegs – alte, junge, dicke, dünne, Menschen mit unterschiedlichen Interessen, die es beruflich nutzen oder tatsächlich als soziales Netzwerk nutzen. Ich glaube, die digitale Gesellschaft ist genauso ausdifferenziert wie die analoge Gesellschaft. Ich glaube, bei den Piraten gibt es noch einen zweiten Punkt, so was wie ein Stück Verdrossenheit über Politik oder politische Aktivitäten. Insofern sehe ich eigentlich zwei Handlungsstränge. Das eine ist, weitermachen bei der Netzpolitik, und da sind wir nicht schlecht, und der andere Punkt ist der, sich selber als Partei immer fragen, ist man transparent und offen genug.
Welty: Renate Künast, die Grünen und die digitale Herausforderung. Danke für dieses Gespräch, das wir aufgezeichnet haben.
Künast: Ich danke auch.
Renate Künast: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Wie dick ist das Ei denn, das die Piraten Ihnen auf die Schiene nageln?
Künast: Oh, das ist ja ein kurioses Bild, Frau Welty. Schade um das schöne Ei, würde ich sagen. Also ich sag mal, die Piraten sind da, seit Jahren existent. Nun haben sie mittlerweile zahlenmäßige und Wählererfolge, also gehe ich einfach mal von deren Existenz aus und nehme sie als einen politischen Mitbewerber, und deshalb streite ich mich demokratisch mit denen, wer die besseren Konzepte hat. Und da bin ich immer noch fest davon überzeugt, dass die Grünen die besseren haben, weil wir breit aufgestellt sind, weil wir lernfähig sind und weil wir Datenschutz oder auch Zugang zu Daten schon lange betreiben.
Welty: Ihr Amtskollege Frank-Walter Steinmeier von der SPD verlangt jetzt eine schärfere Auseinandersetzung mit der Piratenpartei. Sehen Sie das auch so, und wenn ja, schärfere Auseinandersetzung mit welcher Art von Waffen?
Künast: Also, ich sehe das einfach mal als inhaltliche Auseinandersetzung, die mit jedem Mitbewerber da ist, und die ist bei niemandem schärfer oder weniger scharf. Ich habe sie immer ernst genommen, die Piraten, und deshalb sag ich auch klar, ich will von denen wissen, welche Position sie als Partei zur Frage der Finanzierung von Kinderbetreuung haben und an welcher Stelle man streichen soll. Genauso wie ich mit ihnen über ihr ureigenstes Thema diskutiere, wenn es um den freien Zugang zu Daten im Netz geht, und sage, ich möchte mit denen und anderen drüber diskutieren, wie muss man denn das Urheberrecht reformieren? Weil doch klar ist – das weiß ich auch, dazu brauche ich keinen Piraten –, das jetzige Urheberrecht ist ein einziges Ärgernis, und man muss in digitalen Zeiten, wo man alles Mögliche runterladen kann, eins hinkriegen, nämlich dass die Urheber gestärkt werden, die immer schlechtere Verträge haben, und dass man aber auch das digitale Zeitalter berücksichtigt, also neue Vergütungsmodelle entwickelt. Und Sie sehen, ich bin munter dabei, und zwar mit allen Themen. Und das ist auch meine Ebene gegenüber jedem Mitbewerber.
Welty: Wo sehen Sie denn Ihre Chance, das Politikfeld Internet noch besetzen zu können? Denn seit mindestens 2010 zum Beispiel reden Sie ja über diese Kultur-Flatrate, die das Urheberrecht revolutionieren würde, aber passiert ist in den letzten Jahren nicht so viel.
Künast: Ach, wir haben, Frau Welty, eines immerhin geschafft, wir haben eine Enquêtekommission seit 2010 zum Thema Netzpolitik im Deutschen Bundestag durchgesetzt als Grüne, und die macht übrigens beides: Mal dafür Sorge zu tragen, dass man das digitale Zeitalter endlich anerkennt, aber auch die einzelnen Akteure, also auch die Urheber waren mal stärker berücksichtigt, als es bisher der Fall war. Es gibt leider nicht die eine einfache Variante. Wir überlegen an einer Kulturflatrate immer noch, und da geht es ganz um die Frage, wie kriegt man so was eigentlich praktikabel. Das ist nämlich am Ende gar nicht so einfach. Wir gucken dabei auch auf den Punkt, dass es glücklicherweise ja mittlerweile im Netz auch eine Menge an Dienstleistungen gibt, in denen man legal und mit Vergütung runterladen kann, also geistiges Eigentum, ob Film oder Bücher – denken Sie ans E-Book, an Music-Stores, was es alles so gibt –, die man tatsächlich vergütet runterladen kann. Also Sie sehen, es entwickelt sich was. Aber eins ist doch klar: Es geht um einen gerechten Interessenausgleich, und da hängen wir als Grüne immer dran. Also einen Antrag "Datenschutz für die digitale Welt" haben wir längst im Bundestag, wir sind im Beschäftigungsdatenschutz, auch bei Netznutzung und so, also wir hängen eigentlich überall drin. Vielleicht weniger populistisch.
Welty: Trotzdem stehen die Grünen ja vor allen Dingen für Proteste gegen Atomkraft und nicht für Proteste gegen ACTA.
Künast: Oh, da irren Sie sich. Proteste gegen ACTA, da waren wir dabei und unsere Leute haben sich von Anfang an politisch zu geäußert und ich denke, auch sehr differenziert, weil wir nämlich eins wissen bei ACTA: Dass da ein altes, gar nicht mehr hinreichendes Urheberrecht, das auch den Urhebern hier kaum weiterhilft, international festgeschrieben werden soll, statt mal die Debatte breiter zu machen über die Frage, wie sieht denn ein moderner Interessenausgleich aus, der die Urheber, wo ja große Unternehmen und das Netz teilweise drüber wegfegt, wie kann man deren Interessen eigentlich besser schützen und gleichzeitig neue Nutzungsmöglichkeiten einfach mal zur Kenntnis nehmen an der Stelle. Wir sind diejenigen, die sich da sehr differenziert bemühen, Lösungen zu finden. Einfach ist es nicht, man hat ja bei vielen Dingen im Netz ein Problem immer, dass man sozusagen weiß, manches hat seinen technischen Ursprung gar nicht in Deutschland oder in Europa, ist gar nicht erreichbar, sondern sitzt auch da auf den Bahamas, in den USA, in Schweden und, und, und. Also die komplizierte Technik macht auch Antworten komplizierter, und manches, wie zum Beispiel ein modernes Urheberrecht, müsste man auf europäischer Ebene regeln.
Welty: Spätestens seit der Obama-Wahl 2008 ist ja klar, wie viel Druck das Internet machen kann, trotzdem macht es den Eindruck, dass von dieser Erkenntnis nicht so viel nach Deutschland übergeschwappt ist. Wie groß ist die Gefahr, dass die Politik die digitale Generation verliert?
Künast: Also ich glaube übrigens, dass der Erfolg der Piraten nicht allein über das Netz zu erklären ist. Da sind eine Menge an Nichtwählern, die die mobilisiert haben, die würde ich gerne auch für die Grünen wiederhaben und mehr mobilisieren. Im Netz sind die unterschiedlichsten Menschen unterwegs – alte, junge, dicke, dünne, Menschen mit unterschiedlichen Interessen, die es beruflich nutzen oder tatsächlich als soziales Netzwerk nutzen. Ich glaube, die digitale Gesellschaft ist genauso ausdifferenziert wie die analoge Gesellschaft. Ich glaube, bei den Piraten gibt es noch einen zweiten Punkt, so was wie ein Stück Verdrossenheit über Politik oder politische Aktivitäten. Insofern sehe ich eigentlich zwei Handlungsstränge. Das eine ist, weitermachen bei der Netzpolitik, und da sind wir nicht schlecht, und der andere Punkt ist der, sich selber als Partei immer fragen, ist man transparent und offen genug.
Welty: Renate Künast, die Grünen und die digitale Herausforderung. Danke für dieses Gespräch, das wir aufgezeichnet haben.
Künast: Ich danke auch.