Digitale Helfer

Keine Experimente!

Apps von Facebook und Whats App auf einem Smartphone
Apps von Facebook und Whats App auf einem Smartphone © dpa / picture alliance / Felix Hörhager
Von Uwe Bork |
Apps, diese kleinen elektronischen Helferlein, sind aus unserem Leben kaum noch wegzudenken. Der Journalist Uwe Bork findet das bedenklich. Nein, sagt er, ICH möchte nicht von meinem Rechner regiert werden!
Konrad Adenauer war's, der für die CDU 1957 mit dem wohl bekanntesten deutschen Wahlslogan aller Zeiten die absolute Mehrheit im Deutschen Bundestag holte. "Keine Experimente!" hatte er gefordert, und das verunsicherte Wahlvolk war ihm gläubig gefolgt. Gefolgt in eine Zeit, in der die Bewegungslosigkeit so sehr zum Hauptmaßstab des politischen Erfolges wurde, dass erst eine Opposition außerhalb der Parlamente zehn Jahre später die Gesellschaft aus dem Panzer der Erstarrung erlöste.
Keine Experimente, das scheint auch heute wieder zum allgemeinen Wahlspruch geworden zu sein. Nur, dass der Aufruf zum allgemeinen Stillstand dieses Mal von keinem Parteiprogramm ausgeht, dieses Mal lassen wir uns digital lähmen.
Früher beispielsweise, also früher sind wir einfach so aus dem Haus gegangen. Ohne Smartphone und ohne die Gewissheit, uns nie und nimmermehr verfahren oder verlaufen zu können. Ohne dass wir auf Stunden im Voraus wussten, wie das Wetter auf den Straßenzug genau ausfallen würde. Ohne app-probierte Kenntnis aller Restaurantgeheimtipps sämtlicher Köche und Küchen dieser Erde.
Ohne. Ohne. Ohne.
Eingezwängt in dem banalen Bereich zwischen eins und null
Dafür haben wir uns allerdings selbst etwas zugetraut. Wir waren neugierig und - nun ja, in gewissem Maße - auch wagemutig. Inzwischen hat uns die allgegenwärtige Elektronik den Schneid abgekauft und wir wollen sichergehen. Sicher in jeder Beziehung. Das gilt selbst für das sagenumwobene Gebiet, in dem früher ein gewisser Amor unberechenbar seine Pfeile verschoss: Heute gibt es für die erfolgreiche Partnerwahl längst ebenso Apps wie für die Wahl des richtigen Stromanbieters oder Reiseveranstalters oder auch nur für den lohnenden Umweg zur billigsten Tankstelle. Alles ist messbar geworden, eingezwängt in den banalen Bereich zwischen eins und null.
Das Ergebnis könnte verhängnisvoll sein und uns auf einen neuen Stand der Unmündigkeit zurückfallen lassen. Aufklärung adé, wir lassen wieder denken! Unsere Individualität wird outgesourced wie das zu teuer gewordene Reinigen unserer Büroräume.
Natürlich, ein kleiner digitaler Tipp von Zeit zu Zeit: Wer hätte da schon etwas dagegen? Darum geht es hier nicht. Die Gefahr liegt erst in der Massierung, in dem Moment, in dem eine neue Quantität in eine neue Qualität umschlägt. In dem Moment, in dem jede App und jedes Computerprogramm sein oft durchaus vorhandenes emanzipatorisches Potential verliert, weil wir vergessen, dass 'das Netz' nicht von einem Haufen um das allgemeine Wohl besorgter Altruisten sondern von einem Konsortium kühl kalkulierender Kaufleute beherrscht wird.
Eine Frau zeigt am 04.03.2013 auf dem Stand von IBM auf der weltgrößten Computermesse CeBIT in der Messe Hannover (Niedersachsen) eine App auf einem Smartphone, die Supermarkt-Produkte erkennt und mit der virtuelle Zusatzinformationen angezeigt werden können.
Eine Smartphone-App, die Produkte erkennt und mit virtuellen Zusatzinformationen verbindet, vorgestellt auf der CeBIT 2013 in Hannover. © picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte
In den Händen von kühl kalkulierenden Kaufleuten
Hilfe kippt in Abhängigkeit um, wenn wir uns nur noch auf eine scheinbare Schwarmintelligenz verlassen, von der der diesjährige Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels Jaron Lanier zugespitzt behauptet, sie führe in einen "digitalen Maoismus".
Der den Versprechungen der weltweiten Vernetzung mittlerweile skeptisch gegenüberstehende Informatiker bilanziert nüchtern: "Es ist unmöglich, in der Informationstechnologie zu arbeiten ohne gleichzeitig im 'social engineering' engagiert zu sein." Die App sagt uns, wo's lang geht. Und nicht nur in der engen Bedeutung dieser Worte.
Vor einem solchen Hintergrund werde zumindest ich die Gestaltung meines Lebens und meines sozialen Umfeldes keinesfalls an die kleinen Quadrate auf meinem Smartphone abgeben. Um die Ecke gedacht dürfte der Alte aus Rhöndorf nämlich doch Recht gehabt haben: Keine Experimente! Ich lasse mich doch nicht von meinem Rechner regieren!
Uwe Bork, geboren 1951, ist seit 1998 Leiter der Fernsehredaktion 'Religion, Kirche und Gesellschaft‘ des Südwestrundfunks in Stuttgart. Für seine Arbeiten wurde er unter anderem mit dem Caritas-Journalistenpreis sowie zweimal mit dem Deutschen Journalistenpreis Entwicklungspolitik ausgezeichnet.
Journalist Uwe Bork
Journalist Uwe Bork© privat
Außer seinen Filmen hat Uwe Bork auch mehrere Bücher veröffentlicht. In ihnen setzt er sich humorvoll-ironisch mit dem Alltag in deutschen Familien auseinander (“Väter, Söhne und andere Irre“; “Endlich Platz im Nest: Wenn Eltern flügge werden“) oder räumt ebenso sachlich wie locker mit Urteilen und Vorurteilen über Religion auf (“Wer soll das alles glauben? Und andere schlaue Fragen an die Bibel“; “Die Christen: Expedition zu einem unbekannten Volk“).