Ohne Applaus und Jubel
14:37 Minuten
In Zeiten von Corona verlegen Parteien ihre Großveranstaltungen in den digitalen Raum. Auch wenn der gewohnte Flair ein wenig auf der Strecke bleibt, funktioniert das erstaunlich gut – mit einer wichtigen Einschränkung.
Die Grünen haben es getan. Ihr Bundesgeschäftsführer Michael Kellner sagte beim virtuellen Parteitag im November: "Statt in eure Gesichter zu sehen, schaue ich in eine Kamera, statt gegen eine anbrandende Geräuschkulisse anzureden, ist völlige Ruhe im Saal."
Im September tat es auch schon die CSU. Markus Söder nahm sich zurück: "Deswegen gibt’s auch von mir jetzt keine Hurra-Rede, kein Schenkelklopfen, keine Selbstbeweihräucherung, kein Jubelparteitag, wie wir ihn sonst ganz gerne bei der CSU gewohnt sind."
Virtuell und trotzdem alles beim Alten?
Linke und CDU überlegen noch, ob sie ihre Parteitage wirklich ins Internet verlegen sollen. Wenn Präsenzveranstaltungen auch in den kommenden Monaten nicht möglich sind, wird ihnen wohl nichts anderes übrigbleiben. Denn sie müssen sich nicht nur auf den Bundestagswahlkampf einstimmen, sondern auch neue Vorsitzende wählen. Und das ist ohne Parteitag nicht möglich. Stellt sich die Frage: Wie können digitale Parteitage so organisiert werden, dass sie sowohl arbeitsfähig sind als auch den rechtlichen Vorgaben entsprechen? Die bisherigen Beispiele haben gezeigt: Es ist möglich.
"Am Charakter der Parteitage hat sich ja gar nicht so viel geändert", sagt Karsten Grabow, Parteienforscher bei der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin. "Es gibt Initiativen des Parteivorstandes, es gibt Beschlussvorlagen, es gibt Änderungsanträge. Also an diesen ganzen formalen Abläufen eines Parteitags ändert sich nichts, ob sie den jetzt als Präsenzveranstaltungen organisieren oder als Online-Veranstaltungen."
Diskussion weiterhin möglich
Ähnlich sieht Karsten Grabow die Frage nach Diskussionen. Egal, ob es um Personalfragen oder um das Grundsatzprogramm geht.
"Die Diskussion oder der Inhalt der Diskussion hängt ja nicht unbedingt vom Format ab. Wir haben bei dem Parteitag der Grünen ja auch gesehen, dass Diskussionen durchaus auch digital stattfinden können. Vielleicht nicht mit derselben Spontanität, wie sie vor Ort stattfinden können. Aber technisch möglich ist das jederzeit oder durchaus."
Es stockt, es ruckelt, man fällt sich ins Wort
Trotzdem laufen Online-Diskussion oft nicht reibungslos. Das hat in den vergangenen Monaten wohl jeder erfahren, der sich in Video-Konferenzen eingewählt hat. Da braucht es klare Regeln und eine gute Vorbereitung. Für die junge pro-europäische Partei Volt macht das unter anderem Johannes Weigel. Er sagt: "Wir haben relativ früh schon begonnen, noch bevor das mit Corona angefangen hat. Also im Oktober 2019 bereits hatte der neue Vorstand beschlossen, dass man sich das ganze Thema mal anschauen muss mit Online-Versammlungen und Online-Abstimmungen."
Der 21-Jährige hat den Bundesparteitag von Volt im Sommer mitorganisiert und geleitet. Dort gab es mehrere Stufen, wie die Parteimitglieder teilnehmen konnten: "Wir hatten einen öffentlich einsehbaren Live-Stream, der über YouTube übertragen wurde. Über den konnten die Leute teilnehmen, die einfach nur zuschauen wollten. Dann gab es die Möglichkeit, wenn man einen Redebeitrag hatte, wenn man einen Antrag vorgestellt hat, dass man in die Konferenz reingeholt wurde, das wurde dann vorher einmal getestet, dass auch technisch alles funktioniert, die Kamera richtig umgedreht und der Ton aktiviert ist und wurde dann praktisch auf die Bühne geschoben, die in dem Live-Stream auch zu sehen war."
Wenn die Technik streikt
Voraussetzung ist, dass die Technik funktioniert. Und das ist natürlich nicht immer der Fall.
"Wir entschuldigen uns für die Verzögerung, ihr habt es wahrscheinlich im Stream gesehen: Die Technik is going wild." Trotzdem zieht Johannes Weigel ein positives Fazit: "Einen kleinen Schluckauf gibt es glaube ich immer, aber wir haben auch von unseren Mitgliedern sehr positives Feedback bekommen."
Online-Schulungen für alle Mitglieder
Volt benutzt für solche Veranstaltungen ein eigenes Programm, mit dem die Parteimitglieder mitreden und abstimmen können. Die Abstimmungsergebnisse werden dabei in Echtzeit eingeblendet. Zudem zeigt der Livestream laufend an, wie viele stimmberechtigte Teilnehmerinnen gerade eingeloggt waren. Und obwohl diese im Durchschnitt deutlich jünger sind als bei anderen Parteien, brauchten auch sie viel Vorbereitung.
"Wir haben die Wochen davor Schulungen angeboten und Telefonate angeboten mit den einzelnen Personen und auch für alle Mitglieder eben offene Runden angeboten, um ihnen beizubringen, wie die Software läuft und was sie machen müssen, um während dem Parteitag auch wirklich ihre Rechte wahrnehmen zu können," sagt Johannes Weigel.
Geheime Wahl geht online nicht
Alle Rechte lassen sich online aber nicht wahrnehmen. CSU, Grüne und Volt konnten ihre Parteitage nur deshalb komplett im Internet abhalten, weil sie keine neuen Vorsitzenden gewählt haben. Denn das geht nach wie vor nicht online. Geheime Abstimmungen sind nicht möglich. Und eine schnelle gesetzliche Änderung zeichnet sich derzeit nicht ab. Deshalb denkt CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak über eine Mischform nach: "Bleibt die Möglichkeit eines digitalen Parteitags mit einer anschließenden Briefwahl."
Glücklich ist darüber niemand. Auch, weil es lange dauern könnte, bis ein Ergebnis kommt. Paul Ziemiak dekliniert einen möglichen Ablauf durch: "Die Bewerber stellen sich vor in einem digitalen Format, dann werden die Briefe verschickt, die Delegierten haben Zeit, den Wahlschein auszufüllen, den Wahlschein wieder zurück zu schicken. Dann kommt es zur Stichwahl, dann werden wieder neue Briefwahlunterlagen verschickt und und und. Und das kann sich auf 70 oder mehr Tage hinziehen."
Wanted: Der Flair des Parteitages
Und noch etwas ist aus Sicht des Parteienforschers Karsten Grabow problematisch: "Gerade bei Parteitagen kann man sehen, sie verlieren doch ein Stück ihres Flairs. Die Interaktion der Vorsitzenden mit der Basis geht verloren, die Zustimmung durch Applaus, die Demonstration von Geschlossenheit, Unterstützung durch minutenlangen Beifall, also große Teile der Inszenierung. Und natürlich auch ein gewisses Maß an Spontanität."
Inspirierende persönliche Begegnungen fallen weg. Mitreißende, denkwürdige Reden, überraschendes Medienecho? Das kann online bisher nicht liefern. Deshalb will auch die junge pro-europäische Partei Volt zurück zu Präsenzveranstaltungen, sobald das wieder möglich ist. Johannes Weigel sieht aber auch die positiven Aspekte einer Online-Veranstaltung: sie ist einfach zugänglich und frisst nicht so viel vom knappen Zeitbudget der Parteimitglieder.
Digitale Treffen nur für politischen Alltag
Ein Argument, dass Parteienforscher Karsten Grabow auch nennt. Wenn auch weniger für Parteitage, die als Delegiertenkonferenzen abgehalten werden, sondern eher für die ganz alltägliche Parteiarbeit – in den Ortsvereinen und darüber hinaus. Grabow meint, die Digitalisierung der Politik sorgt für Teilhabe: "Was man aber machen kann, sind Arbeitsgruppen, in denen man sich unabhängig vom Wohnort und teilweise auch zeitunabhängig mit Gleichgesinnten organisieren, vernetzen, Anträge erarbeiten kann. Das ist eine gewisse Chance, die die Digitalisierung bietet, also jenseits des klassischen Parteitags."
Bis die wieder als Großveranstaltungen mit Hunderten Teilnehmern stattfinden werden, wird man sich wohl daran gewöhnen müssen, dass Parteitage nicht mit großem Applaus und Jubel enden, sondern mit dem leisen Geräusch am Ende jeder Videokonferenz.