"Wer benutzt denn eigentlich noch E-Mail?"
Am 3. August 1984 erreichte die erste deutsche elektronische Nachricht ihren Empfänger. Die sozialen Medien hätten die Kommunikation nun noch einmal vereinfacht und Smartphones seien inzwischen "Teil des eigenen Körpers", so Klaus Mainzer.
Liane von Billerbeck: Eigentlich ist ja der Sputnik schuld, den die Sowjetunion 1957 ins All geschossen hat. Dieser Sputnikschock, der führte dazu, dass das US-Verteidigungsministerium eine Behörde installierte, und dort wurde die Idee eines globalen Computernetzwerks entwickelt. 1969 schaffte es eine damit beauftragte Firma zum ersten Mal, Computer von vier amerikanischen Universitäten zu verbinden. Das Internet war geboren. Zwei Jahre später dann wurden auf diesem Wege die ersten Nachrichten verschickt. Zugang hatte allerdings anfangs nur das Militär. Amerikanische Unis gründeten deshalb ein eigenes Netzwerk, das Computer Science Network, und die Bundesrepublik, tja, die war etwas später dran. Seit Mitte der 70er-Jahre wurde hier ebenfalls geforscht. Die erste E-Mail kam dann fast auf den Tag genau vor 30 Jahren hier an. (...) Und genau über die Folgen derselben möchte ich jetzt mit Klaus Mainzer sprechen. Er ist Technikphilosoph oder ganz offiziell ausgedrückt Professor für Philosophie und Wissenschaftstheorie an der TU München und forscht über Komplexität, Chaos und künstliche Intelligenz. Grüß Sie, Herr Mainzer!
Klaus Mainzer: Ja, grüße Sie!
von Billerbeck: Menschen über 40 können sich ganz sicher noch dran erinnern, wie das gewesen ist, wenn man Schularbeiten ohne PC gemacht hat, Steuererklärungen ohne Excel, an eine Ferienplanung, für die man ganz locker mal so eine große gefaltete Landkarte auf dem Boden ausbreitete und dann mit dem Finger darauf herumfuhr, und auch noch an Liebesbriefe mit Blumenbriefmarken. Die meisten Menschen nutzen ja derlei kaum noch. Das Sinnliche der Kommunikation, wo ist es hin?
Mainzer: Das Sinnliche der Kommunikation ist in der neuen digitalen Revolution, nach der digitalen Revolution, die Sie jetzt beschrieben haben, längst auch in den Netzen. Ich meine, das, was jetzt eben beschrieben wurde, das beruht auf der E-Mail-Basis, das war, als die PCs kamen, und diese Geräte haben sich ja immer weiter verkleinert. Wir haben heute die Smartphones, wir haben heute winzig kleine Programme, Apps, die ungeheuer leistungsfähig sind. Und denken Sie an die sozialen Medien, an Facebook, Twitter und so weiter. Das Sinnliche ist längst da und wird auch von der jungen Generation genauso empfunden. Das heißt, die Kommunikation der 14-, der 18-Jährigen, der 20-Jährigen findet ja im Netz statt, und zwar weltweit.
Und ich meine, wer benutzt denn eigentlich noch E-Mail? Also ich benutze natürlich E-Mail, aber vor allen Dingen für den Dienstgebrauch, und alles andere läuft über soziale Medien heute ab. Und das ist die zweite digitale Revolution, und da kommt eigentlich eine neue Technologie hinzu, das ist vor allen Dingen auch die Sensortechnologie. Man redet ja heute nicht nur vom Internet der Personen – das war die erste digitale Revolution, wir gebrauchen die Computernetze als Kommunikationsmedium –, sondern wir reden heute schon vom Internet der Dinge. Also wenn Sie in Ihren Wagen steigen, da ist der Airbag eingebettet, das ist ein autonomes System, Sie kommunizieren mit Ihrem Automobil, und so geht das dann weiter in die Infrastrukturen rein. Und das nennt man deshalb auch mit Recht dieses "Internet der Dinge", die zweite digitale Revolution.
"Ich warte nur darauf, dass unsere Katze demnächst auch so was hat"
von Billerbeck: Wenn Sie das mal zusammenfassen, welche Aspekte unseres Lebens haben sich denn am stärksten verändert durch diese Technologie?
Mainzer: Die sozialen Medien, und das ist der ungeheure Erfolg. Es ist nicht mehr eine intellektuelle Leistung, wie das eben im Vorspann deutlich wurde, wo der Informatikprofessor jetzt grübelt, wie er also die E-Mail zustande bringt und das Ganze läuft noch über Programmiersprachen und man muss gehörige Kenntnis haben. Heute ... Ich denke, bald Tiere wären in der Lage, ich warte nur darauf, dass unsere Katze demnächst auch so was hat, wo sie irgendwie gelernt hat, auf einen bestimmten Knopf oder einen Touchscreen zu drücken, um dann die Kommunikation mit ihrer Nachbarkatze aufnehmen zu können. Also das ist überhaupt nicht mehr auf der intellektuellen Schiene, sondern das läuft auf der emotionalen, das läuft auf der sozialen Schiene ab. Und das ist der ungeheure Erfolg. Gehen Sie raus in die U-Bahn oder sonst wo hin, auf der Straße, überall stehen die Menschen mit ihren kleinen Smartphones und nehmen irgendwas auf, um es sich zu merken oder ... Also es ist einfach ein Körperteil, das ist der ungeheure Erfolg.
von Billerbeck: Werden wir nun aber in Zeiten globaler Datenüberwachung – denn die haben wir ja auch, das ist ja der kleine unangenehme Nebeneffekt dieser großen Revolution – uns noch freuen über diese ganzen Errungenschaften des späten 20. Jahrhunderts?
Mainzer: Das ist eine natürlich Schlüsselfrage, mit der ich mich auch derzeit sehr stark beschäftige. Das Bemerkenswerte ist für mich, dass es sehr stark länderabhängig ist und kulturabhängig ist. Die Amerikaner haben ein völlig anderes Verhältnis etwa zum Datenschutz als unsereins.
Dort geht man einfach davon aus, dass man schon gläsern ist – das ist auch nicht das Problem, man hat so im Hinterkopf, aha, dadurch wird also die eigene nationale Sicherheit mehr oder weniger garantiert. Das ist einfach das Schockerlebnis dieses damaligen Terrorangriffs in New York –, während in Deutschland, wir haben eine ganz andere Tradition, wir haben im Hinterkopf immer noch 1989, also das Ende des Stasiregimes, oder die schlimme Zeit, die noch vor 1945 ist, ist auch noch in allen Köpfen. Also, wir haben da eine völlig andere Einstellung, und wie sich das am Ende herauskristallisieren wird, das hängt auch davon ab, ob wir in der Lage sind, hier in Deutschland und Europa unsere Sicherheitsstandards, unsere Wertestandards auch international durchzusetzen.
Sicherheitstechnologie "absolut ins Zentrum gerückt"
von Billerbeck: Werden Sie als Technikphilosoph vielleicht auch so etwas tun, was der KGB schon getan hat und was es auch als Vorschlag aus dem NSA-Untersuchungsausschuss gab, nämlich sich abhörsichere alte mechanische Schreibmaschinen anzuschaffen?
Mainzer: Das ist sicher für sehr sensible – erstens hab ich noch so ein Gerät für alle Fälle, einfach aus Nostalgiegründen – und für bestimmte hohe Sicherheitsstandards wird man tatsächlich auf solche Vorsichtsmaßnahmen zurückgreifen. Aber ich muss auch sagen, das Thema der Sicherheitstechnologie, das bislang nur ein Randthema in der Informatik war, ist nun absolut ins Zentrum gerückt. Wir haben eigene Fraunhofer Institute, die sich genau mit vielen, vielen Mitarbeitern mit dieser Frage der Sicherheitstechnologie beschäftigen. Das wird ein hoch wichtiges und zentrales Thema auch in der Forschung sein. Aber wie gesagt, wenn's ganz schlimm wird und wir auf nichts mehr vertrauen, dann wird's vielleicht sinnvoll, wieder auf die alten Methoden zurückzugreifen. Aber die Masse, das möchte ich auch noch sagen, die Masse wird es nicht tun.
von Billerbeck: Der Technikphilosoph Klaus Mainzer, ich danke Ihnen!
Mainzer: Ja, gerne! Danke, Wiederhören!
von Billerbeck: Und den Mann, der damals der Empfänger der ersten Mail hierzulande war, der Wissenschaftler Michael Rotert, den haben wir morgen, am Sonntag, bei uns im Gespräch in der Mittagsausgabe von "Studio 9" ab 12:05 Uhr.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.