Digitale Souveränität
Die digitale Welt unabhängig von großen IT-Unternehmen zu gestalten und zu bestimmen, das steckt hinter dem Begriff "Digitale Souveränität". © imago / Ikon Images / Roy Scott
Alter Wein in neuen Schläuchen?
14:51 Minuten
Der Begriff "Digitale Souveränität" hat Konjunktur und mit ihm lässt sich so manch alte Idee neu verkaufen. Was damit gemeint ist, bleibt oft unklar. Manche hoffen, er könne eine neue Digitalpolitik herbeiführen, andere befürchten Kleinstaaterei.
“Digitale Souveränität” ist ein aktuelles politisches Meme. „Der Begriff hat einfach Konjunktur“, sagt Politikwissenschaftler Daniel Lambach von der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Im Zentrum steht die Frage, wie wir unabhängig von großen IT-Unternehmen wie Facebook, Apple, Google oder Microsoft unsere digitale Welt bestimmen und gestalten können, als Individuen, aber auch als Gesellschaft insgesamt.
Es gehe um den Anspruch, in der Digitalisierung selbstbestimmt und autonom handlungsfähig zu sein, so umreißt Daniel Lambach den Begriff. „Das heißt, seine technologischen Abhängigkeiten zu minimieren oder sie zu vermeiden oder sie zumindest sich bewusst zu machen und sie zu managen.”
Eine Mammut-Aufgabe
Ähnlich formuliert es die Bundesregierung: „Digitale Souveränität beschreibt die Fähigkeit sowohl von Individuen als auch der Gesellschaft, die digitale Transformation – mit Blick auf Hardware, Software, Services, sowie Kompetenzen – selbstbestimmt zu gestalten“, heißt es in ihrer offiziellen Definition. Das umfasst Ebenen wie Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Individuum, ist also ein umfassendes Konzept für das Leben im 21. Jahrhundert. Eine Mammut-Aufgabe.
Die digitalpolitische Sprecherin der Linken, Anke Domscheit-Berg, äußert Zweifel, ob die Bundesregierung diese Aufgabe richtig angehen wird. „Die Art und Weise, wie die Bundesregierung das Thema bearbeitet, also tatsächlich zum Beispiel mit großen Förderprojekten. Da ist es dann ausschließlich eine wirtschaftliche oder eine staatliche Unabhängigkeit“, sagt sie.
In den geplanten sechs Projekten komme das Digitalministerium nicht vor, auch zivilgesellschaftliche Perspektiven und Verbraucherschutz würden fehlen. Darüber hinaus habe die Regierung bei staatlichen Vorhaben zur Digitalen Souveränität kein Budget und keinen zeitlichen Rahmen festgelegt, so Domscheit-Berg. Stattdessen würden „irgendwelche Unternehmen für irgendetwas Geld bekommen“. Mit anderen Worten: Hinter der Erklärung der Bundesregierung in Sachen „Digitale Souveränität“ stecke vor allem Wirtschaftsförderung, so der Vorwurf.
Die Erzählung vom wirtschaftlichen Wohlstand
Ähnliches bestätigt eine Untersuchung von Kai Oppermann und Daniel Lambach. In “Narrative der Digitalen Souveränität im deutschen politischen Diskurs” haben sie 63 Texte aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft analysiert und sind dabei auf immer gleiche Narrative gestoßen. Das üblichste, so Lambach, sei: “Wir brauchen digitale Souveränität, und hier sind jetzt vor allem Unternehmen, aber auch die Gesellschaft als Ganzes gefragt, um in der Digitalwirtschaft konkurrenzfähiger zu werden.“
Diese Erzählung vom “wirtschaftlichen Wohlstand” taucht im Zusammenhang mit allen unterschiedlichen Aspekten und Narrativen auf. Wird „Digitale Souveränität“ von der Politik also zumeist auf wirtschaftliche Aspekte reduziert?
Inflationär und anschlussfähig
Eins steht zumindest fest: Der Begriff wird mittlerweile so inflationär genutzt, dass er zunehmend an Definitionsschärfe verliert. „Ich glaube schon, dass er manchmal auch als Ausrede benutzt wird, und man zu wenig wirklich überlegt, was eigentlich dahinter gehört“, sagt dazu Anke Domscheit-Berg. Trotzdem glaubt sie, dass der Begriff neue Prozesse in Gang setzen und möglicherweise sogar politische „strategische Visionen“ vorantreiben könnte.
„Tatsächlich habe ich in der Vergangenheit erlebt, dass politische Entscheider, mit Regierungseinfluss zu mir gekommen sind und gesagt haben: 'Ich versuche schon ewig Open-Source durchzusetzen, und alle schütteln immer den Kopf und wollen nicht. Seit ich das 'Digitale Souveränität' nenne, ist es einfacher.'”
Auch Politikwissenschaftler Daniel Lambach glaubt, dass der Begriff „Digitale Souveränität“ Entwicklungen anstoßen kann. “Digitale Souveränität ist ein attraktives Label. Wir haben in all den Dokumenten, die wir uns angeguckt haben, niemanden gefunden, der diesen Begriff irgendwie ernsthaft kritisiert.“ Zahlreiche Konzepte könnten an den Begriff andocken. „Gerade diese Unschärfe macht das anschlussfähig.”
Kleinstaaterei und nationale Förderung
Lilith Wittmann, zivilgesellschaftliche Aktivistin mit Schwerpunkt staatlicher Digitalisierung, sieht den Begriff tatsächlich sehr viel kritischer. Auf persönlicher Ebene könne sie der „Digitalen Souveränität“ zwar noch etwas abgewinnen. „Aber wenn wir jetzt auf so eine nationale oder internationale Ebene gehen“, halte sie wenig von den gestellten Forderungen wie: Wir als Europa wollen im Internet zum Beispiel möglichst unabhängig werden oder wir wollen unsere eigenen Chipfabrik bauen. „Das ergibt keinen Sinn aus meiner Sicht“, weil man sich aus einer globalen Welt nicht wirklich entkoppeln könne. Wirtschaftsförderung alleinig für deutsche Firmen sei daher nicht unbedingt zielführend, so Lilith.
Stattdessen müssten globale Alternativen zu Monopolisten geschaffen werden. „Ich finde halt, mehr Nationalismus und sich auf sein eigenes Land fokussieren und hier Ressourcenverschwendung betreiben, nur um aus Prinzip irgendetwas nochmal zu machen, nicht cool.”