Digitaler Zwilling in der Medizin

Virtuelle Körper als Chance?

06:41 Minuten
Illustration von einem halb organischen und halb digitalen Gehirn.
Forschende arbeiten daran, den Informationsfluss und die Leistung, die das Gehirn vollbringt, möglichst exakt nachzubilden. © Getty Images / Andriy Onufriyenko
Von Carina Schroeder |
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Das Konzept stammt aus der Industrie, gewinnt aber auch in der Humanmedizin an Bedeutung: An einem digitalen Zwilling sollen Menschen überprüfen können, wie gesund sie leben. Neuigkeiten dazu kommen von zwei japanische Unternehmen.
Das Phänomen digitaler Zwillinge kommt schon in der Medizinserie “The Good Doctor“ vor: Gabriels Herz ist krank, es muss in den vierzig Minuten der Folge repariert werden. Dafür tragen die Ärzte VR-Brillen, fuchteln mit den Armen und üben die Operation am virtuellen Herzen immer und immer und immer wieder.
Das sieht unheimlich toll aus, das Herz ist hübsch animiert. In der Realität steckt die Forschung aber noch in den Kinderschuhen.

Der Mensch – ein komplexes Wesen

“Wir können digitale Zwillinge von Gehirnen konstruieren und auch simulieren, aber keine exakten Kopien des Gehirns. Dazu ist das Gehirn viel zu komplex“, erklärt Petra Ritter. Sie ist Professorin für Gehirnsimulation an der Charité und dem Berlin Institut of Health.
Den Informationsfluss und die Leistung, die das Gehirn vollbringt, in Echtzeit exakt nachzubilden, sei also bisher unmöglich. Kaum vorstellbar: Auch die höchste Rechenleistung der besten Computer reicht nicht aus.
Forscherinnen und Forscher auf der ganzen Welt kämpfen mit dem gleichen Problem – auch bei anderen Organen wie dem Herzen. Was aber geht: Teilbereiche und deren gröbere Strukturen nachzubilden und interagieren zu lassen.
Das machen Petra Ritter und ihr Team unter anderen bei Menschen, die an Parkinson leiden. Dafür brauchen sie unter anderem viele persönliche Bild-Daten, wie etwa von MRTs. Zusammengesetzt entsteht dann ein Gesamtbild, das zum Beispiel in 3-D-Form abgebildet wird. Doch sie sollen nicht nur zeigen, was ist, sondern auch was wird.

Individuelle Vorhersagen in Echtzeit als Ziel

Petra Ritter erklärt: “Der Unterschied, zum Beispiel zu einer Empfehlung des Arztes, man solle sich gesund ernähren oder dieses oder jene Lebensmittel vielleicht nicht so viel konsumieren, liegt darin, dass die digitalen Zwillinge eine sozusagen individuelle Prädiktion liefern sollen – und das in Echtzeit.”
So können auch schon Behandlungsmethoden getestet werden, erklärt Matthias Braun von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Er leitet die Forschungsgruppe “Ethik und Governance neuer Technologien”.
Für die Vorhersagen braucht es statistische Modelle, die in der Medizin für bestimmte Vorgänge aufgestellt wurden. Die Kombination aus den Berechnungen der Medizin, wie ein Organ oder Körper reagiert, und den individuellen Parametern zeigt sich dann im computeranimierten Modell, dem digitalen Zwilling.

Lebenstipps dank künstlicher Intelligenz?

Künstliche Intelligenz soll das noch verbessern. Zumindest behaupten das der japanische KI-Start-up Preferred Networks und der Pharmahersteller Kao und möchten, dass jeder Mensch sich über ihre Anwendung individuell Lebenstipps holen kann. Matthias Braun ist skeptisch.

Die eigentliche Idee digitaler Zwillinge ist ja die, dass es sich um Daten der individuellen Person handelt. Wenn man sich das anguckt, wird es nicht ganz klar, was für Daten die eigentlich verwenden.

Matthias Braun

Denn der Lebensstil ist nun einmal etwas Abstraktes, Komplexes. Ein bereits aufgestelltes Modell in der Medizin gibt es da nicht. Laut den Unternehmen sollen über 1600 Merkmale des individuellen Menschen dann mit ihrem Modell gespeist werden – darunter natürlich Geschlecht, Alter und Körperdaten der zu simulierenden Person. Zehntausende Parameter mit Gesundheitszustand, Essverhalten und Lebensgewohnheiten also.

Grundsätzliche Zweifel am Geschäftsmodell

Doch Matthias Braun sieht noch ein Problem: Die digitalen Zwillinge sollen nicht nur für den privaten Gebrauch sein, sondern auch von Versicherungskonzernen genutzt werden.
Er beschreibt das so: “Bei einer fehlenden Klarheit über die Datenlage, bei einer fehlenden Evidenz der Frage: ‘Was kommt denn da raus und wie belastbar ist diese Prädiktion denn wirklich?‘ und gleichzeitig zu sagen : ‘Ich will das dann auch noch an ein Unternehmen weitergeben, das dann Versicherungspolicen für die Person berechnet’: Das halte ich für, vorsichtig gesagt, sehr schwierig.”

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Auf der Webseite des Unternehmens steht ganz klar: Es handelt sich nicht um ein medizinisches Produkt und es kann auch keine Vorhersagen in Bezug auf Krankheiten machen. Klingt also eher nach Spielerei. Damit ähneln die Vorhersagen im Grunde dem, was die meisten von uns heute schon im Alltag nutzen, sagt Frank Piller. Er ist Professor für Technologie und Innovationsmanagement an der RWTH Aachen.
“Wenn ich mir diese Mühe mache, geht das heute schon“, sagt er, „dass ich dann so eine Art digitalen Zwilling über mein Essverhalten, mein Bewegungsprofil angelegt habe und uns dann darauf individualisierte Vorschläge von der App gegeben werden: Was wir denn machen müssen, um dieses Ziel zu erreichen.”
Er denkt an Wearables und Co, die unseren Alltag am Handgelenk begleiten.

Der persönliche Avatar ist noch Zukunftsmusik

Auch die Expertin für Gehirnsimulationen, Petra Ritter, ist nicht überzeugt.

Um tatsächlich komplexe biologische Systeme, wie wir Menschen es sind, als digitale Avatare zu rekonstruieren, die dann auch die Details unserer Persönlichkeit und unserer genetischen Voraussetzungen und so weiter widerspiegeln: Davon sind wir wirklich ein ganzes Stück entfernt.

Petra Ritter

Es dauert also noch, bis unser digitaler Zwilling eine wirklich exakte Kopie von uns ist, die dann idealerweise noch im Metaversum lebt, den Gang zum Arzt übernimmt, in Videokonferenzen sitzt oder andere unliebsame Aufgaben übernehmen kann. Aber völlig unrealistische Science-Fiction ist eben auch nicht mehr.
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