Digitales Leben nach dem Tod

Unsterblich dank künstlicher Intelligenz

16:16 Minuten
Ein junges Mädchen streckt einem weiblich aussehenden Roboter die Hand entgegen.
Der japanische Forscher Hiroshi Ishiguro arbeitet bereits seit Jahren daran, Menschen mithilfe von Robotik und KI zu 'klonen'. © Getty Images / NurPhoto / Oleksandr Rupeta
Moritz Riesewieck und Hans Block im Gespräch mit Christian Rabhansl |
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Früher haben Kirchen und Wunderheiler ewiges Leben versprochen, heute wollen IT-Startups uns als digitale Kopien unsterblich machen. Ein Gespräch über ein Menschheitsexperiment mit ungewissem Ausgang.
Die Geschichte der Menschheit ist voller Versuche, dem Tod zu entkommen: Vom angeblichen Wunderheiler, der vor hundert Jahren in Frankreich das menschliche Leben durch die Transplantation von Affenhoden verlängern wollte – über jenes Startup, das vor wenigen Jahren in Kalifornien das Blutplasma von Unter-25-Jährigen als Jungbrunnen verkauft hat – bis zum russischen Internetunternehmer, der bis zum Jahr 2035 einen Avatar samt künstlichem Hirn bauen will, in das er die Persönlichkeit eines Menschen kopieren will.
Von diesen Versuchen erzählen die Autoren und Filmemacher Moritz Riesewieck und Hans Block in ihrem Buch "Die digitale Seele". Das jüngste Ziel: nicht mehr physische, sondern digitale Unsterblichkeit.
"Wir erleben gerade, dass es einen neuen Versuch gibt, unsterblich zu werden", sagt Block, "nämlich gar nicht mehr den Körper unsterblich leben zu lassen, sondern uns als digitale Klone im Netz weiterleben zu lassen." Auf Grundlage der Daten, die wir seit vielen Jahren täglich online hinterlassen, versuchten Unternehmen digitale Doppelgänger zu erschaffen und diesen dann nach dem Tod weiterleben zu lassen.

"Maschinen mit einem Bewusstsein gibt es bislang nicht"

Auf ihren Recherchereisen durch Europa, nach Asien und in die USA sind Riesewieck und Block vielen Menschen begegnet, die sterbende Angehörige als digitale Kopien am Leben erhalten wollen, oder sogar Tote wiederbeleben. Die Begegnungen mit diesen Doppelgängern seien für die Angehörigen sehr emotional, sagt Riesewieck: "Wir waren dabei, wie die Witwe des Verstorbenen noch heute dasitzt und diesen Bot ihres verstorbenen Mannes fragte, sag mal, liebst du mich noch? Und in Tränen ausbrach, als dann die Antwort positiv ausfiel. Und diese Beobachtung hat sich durchgezogen, wie emotional diese Zwiegespräche zwischen den Hinterbliebenen und den Bots der Verstorbenen waren."

Manche der digitalen Doppelgänger sprechen mit den Stimmen der Verstorbenen und reagieren individuell auf Gespräche. Bei weiter fortgeschrittenen Varianten kann die dahinterstehende KI sogar Filme der Verstorbenen simulieren, die darin Dinge sagen, die sie zeitlebens nie gesagt haben.
"Das ist ja genau das, was es so magisch macht, dass diese Maschinen auf eine Situation reagieren können, die es so noch nie gab, und nur aufgrund von Verhaltensmustern, wie sie in der Vergangenheit waren, neu reagieren können", sagt Block. Wenn manche Unternehmen allerdings behaupteten, dass ihre Maschinen so etwas wie ein eigenes Bewusstsein hätten, "dann muss man das ganz klar als Quatsch abtun – so was gibt es bislang nicht".
Jedoch könnten Bots, die mit künstlichen neuronalen Netzen funktionieren, also selbstlernende Maschinen, ihre Beziehungen mit Menschen, mit denen sie täglich reden, durch diese Gespräche verändern. "Das stellt aber auch ganz große ethische Fragen. Denn was ist, wenn dieser Bot plötzlich zu einem Arschloch wird und nur noch beleidigt und Menschen kränkt? Wer übernimmt die Verantwortung? Das Unternehmen, oder müssen wir selbst damit klarkommen?"

"Endlichkeit ist wichtig, auch wenn sie schmerzhaft ist"

Beide Autoren sind noch aus einem weiteren Grund skeptisch, was die digitale Verlängerung des Lebens betrifft. Denn was mache es mit den Hinterbliebenen, wenn Menschen, die eigentlich nicht mehr da sind, scheinbar doch noch da seien – wenn also der Tod verschwimmt? "Wir werden gerade Teil eines großen Menschheitsexperiments, und niemand kann bisher absehen, wie der Ausgang ist und was das bei den Menschen auslöst", sagt Riesewieck.
Zwar könne eine letzte digitale Wiederbegegnung helfen, Abschied zu nehmen. Gerade bei jüngeren Kindern müsse jedoch bezweifelt werden, dass sie es richtig einordnen könnten, wenn sie plötzlich die verstorbene Schwester sehen oder Nachrichten der verstorbenen Eltern erhalten. "Da muss man im Einzelfall ganz genau hinschauen, ob das zu verantworten ist oder nicht."
Für Block, der seinen eigenen Vater als Kind durch Suizid verloren hat, ist der Gedanke an eine Begegnung mit dessen digitalem Doppelgänger gleichermaßen faszinierend wie erschreckend. Er habe sich im Zuge der Recherche gefragt, wie es für ihn wäre, wenn auf seinem Telefon plötzlich ein Videoanruf einginge und auf dem Display plötzlich sein Vater erscheine, "der mit seinem Gesicht und mit seiner Stimme plötzlich mein Leben beobachtet und mich zu meinem Leben befragt".
Die Entscheidung sei dann klar gewesen: "Diese Vorstellung finde ich einerseits sehr faszinierend, und andererseits gruselt sie mich so sehr, dass ich zu viel Angst davor hätte, dass das tatsächlich stattfindet." Denn es sei auch gut, dass sein Vater jetzt nicht mehr Einfluss auf das Leben des Sohnes nehme. "Dieser Abschluss ist wichtig, diese Endlichkeit, diese Begrenztheit, auch wenn sie schmerzhaft ist." Beide sind überzeugt: "Wenn man verlernt, mit Begrenztheit umzugehen, dann ist das ein sehr schlechtes Zeichen für Gesellschaft."

Moritz Riesewieck und Hans Block sind Theater- und Filmregisseure. Gemeinsam haben sie bereits mehrfach zur Schnittstelle zwischen Religion und Technologie gearbeitet. Ihre Dokumentation "The Cleaners" über die versteckten digitalen Reinigungsmitarbeiter der sozialen Netzwerke wurde weltweit mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Die dazugehörige Recherche veröffentlichte Moritz Riesewieck in dem Buch "Digitale Drecksarbeit".

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