Digitalisierung in Arztpraxen

"Das raubt uns die Zeit für die Patienten"

07:17 Minuten
Jemand hält in einer Apotheke ein Smartphone in der Hand, auf dessen Display eine App zur Verarbeitung von E-Rezepten geöffnet ist.
Viele Apotheken können eRezepte zwar schon bearbeiten, bei ihrer Ausstellung klemmt es aber in den Arztpraxen. © picture alliance / dpa / Mohssen Assanimoghaddam
Von Werner Nording |
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Die Digitalisierung im Gesundheitswesen kommt nicht voran. Ärzte sollen Rezepte und Krankschreibungen künftig nur noch elektronisch ausstellen. Das Problem ist nur: Die meisten Praxen verfügen nicht über die notwendige Technik dafür.
Durch die Digitalisierung sollen sich Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Apotheken besser vernetzen, um zum Beispiel Arztbriefe leichter und schneller zu versenden.
Doch bislang ist die Technik keine Hilfe für den Informationsaustausch, beklagt der Arzt Milos Ikic. Bislang würden nur die Sprechstundenhilfen die Telematik nutzen, um die Gesundheitskarten abzugleichen. Und das nütze nur den Krankenkassen.

Es gibt neue Krankenversichertenkarten, mit denen man beim Einlesen die Telematik immer zum Absturz bringt. Das hatten wir erst letzte Woche drei Mal hintereinander und das raubt uns dann natürlich die Zeit für die Patienten.

Milos Ikic

Eigentlich muss der Arzt schon seit Oktober die Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit eines Patienten direkt an die Krankenkasse senden. Und seit Jahresbeginn darf er eigentlich nur noch elektronische Rezepte verordnen. Dafür soll der Patient einen QR-Code bekommen, den er auf dem Handy speichert und den die Apotheke einlesen kann, ganz ohne Papierausdruck. Nur funktioniert das bislang kaum.

Große Probleme mit der Software

Bei Ikic stürzen regelmäßig die Computer ab, wenn die Gesundheitskarten eingelesen werden, ein Problem, das auch die Firma, die die Praxissoftware wartet, nicht in den Griff bekommt. Weil es vielen Arztpraxen so geht, hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung den 1. Januar 2022 als Einführungsdatum gekippt. Rezepte dürfen vorerst weiter in Papierform ausgestellt werden.
Im Wartezimmer hat diese Patientin noch nicht gehört, dass der gelbe Zettel für die Krankschreibung wegfallen soll und Rezepte nur noch elektronisch ausgestellt werden dürfen. „Ich lehne das ab, das muss nicht jeder wissen, was ich für Medikamente einnehme und ich finde es nicht gut. Punkt.“
Die Vorteile der Telematik liegen auf der Hand. Schluss mit der Zettelwirtschaft, stattdessen sollen Daten schnell und sicher auf digitalem Weg ausgetauscht werden. Das finden auch Verbraucherschützer gut. Das elektronische Rezept sei fälschungssicher, die Daten gut geschützt, sagt Arne Weinberg von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen.

Das Projekt eRezept stockt

Das Problem ist nur: Bislang sind lediglich 50 von 120.000 Arztpraxen bundesweit technisch in der Lage, ein eRezept auszustellen. Und nur 100 der 19.000 Apotheken können das eRezept einlösen, bestätigt auf Anfrage die nationale Agentur für digitale Medizin, Gematik, die im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums die Einführung der elektronischen Gesundheitsdienste in Deutschland vorantreibt.
Der Orthopäde und Unfallchirurg Peter Kalbe aus dem niedersächsischen Rinteln betreibt eine moderne Gemeinschaftspraxis mit acht Ärzten, die schon weitgehend papierlos läuft. Der Mediziner ist ein großer Anhänger von Arbeitserleichterung durch Digitalisierung. Er gehört zu den gutwilligen Pionieren, die sich bereits seit 2017 mit der Telematik im Gesundheitswesen auseinandersetzen.
„Wir waren mit unter den Ersten, weil ich eigentlich sehr optimistisch war und vor allem bezüglich der Verbesserung der Kommunikation mir sehr viel erhofft habe“, sagt er. „Ich habe das auch öffentlich und in unserem Ärzteblatt mit Erfahrungsberichten immer propagiert, muss aber sagen, dass ich in den letzten Monaten doch erheblich frustriert war.“

Frust statt Entlastung

Denn Kalbe hat die bittere Erfahrung gemacht, dass die Telematik seinen Alltag nicht erleichtert, sondern behindert. So kämpft der Mediziner täglich mit den Tücken der elektronischen Krankschreibung und des KIM-Dienstes. KIM bedeutet Kommunikation im Medizinwesen und ist das Mailsystem, über das Ärzte sekundenschnell und sicher Informationen austauschen können, wie Medikationspläne, das Notfalldatenmanagement oder auch die elektronische Patientenakte.
Doch das System ist noch nicht ausgereift, kritisiert Kalbe. An das Ausstellen von elektronischen Rezepten sei noch gar nicht zu denken.

Ich bemühe mich immer schon, mal Nachrichten an verschiedene Partner zu senden, die landen aber in der Regel im Nirwana, weil keiner von den Kollegen auch an diesen KIM-Dienst angeschlossen ist. Ich kann es auch verstehen: Mit dieser Bedienerunfreundlichkeit, die es zurzeit gibt, hätte ich auch keine weiteren Ambitionen das zu machen.

Peter Kalbe

„Bin auf jeden Fall vorbereitet“

Die Kreuz-Apotheke in Seelze bei Hannover könnte bereits elektronische Rezepte annehmen, wenn denn welche kämen. Die 27-jährige Apothekerin Christina Laake hat sich im Auftrag ihres Chefs um die Technik gekümmert und ihre 40 Kolleginnen geschult.
„Ich bin auf jeden Fall vorbereitet, meine Kollegen auch, dass wir dann das eRezept liefern können. Ich sag mal, so viel ändert sich für den Patienten dann auch nicht. Er kriegt dann statt dem rosa Kassenrezept den Schlüssel für sein eRezept“, erklärt sie.
„Er kann es natürlich modern machen, mit App und Gesundheitskarte, oder er nimmt einfach, wenn er auch nicht digital unterwegs ist und kein Handy besitzt, den Ausdruck von seinem Arzt mit in die Apotheke und kann es wie vorher auch einfach analog machen.“
In der Apotheke ist ein junger Kunde ganz begeistert vom eRezept. Denn schon vor einem Jahr hat ihm die elektronische Verordnung bei einem Pilotversuch in Sachsen-Anhalt sehr geholfen.
Weil seine Großmutter über Weihnachten plötzlich einen schlimmen Hautausschlag bekommen hatte, musste er per Videosprechstunde bei einem Hautarzt ein elektronisches Rezept besorgen. Das konnte er dann bei einer Pilotapotheke in Salzwedel einlösen.
„Ich habe ein Foto eingereicht von dem Ausschlag, ein Online-Hautarzt hat mir dann gesagt, ich brauche das und das Rezept, hat mir das auch geschickt und ich konnte das dann direkt in der Apotheke nutzen“, erzählt er. „Kann ich jedem nur empfehlen, weil das ist wirklich eine super Sache.“
Auch der Orthopäde Peter Kalbe sieht bei aller Skepsis langfristig Vorteile in der Telematik, wenn es zum Beispiel gelingt, die Millionen von Papierrezepten und gelben Zetteln tatsächlich zu digitalisieren.
„Also wenn wir den Prozess komplett digitalisieren, dann kann es durchaus ein Fortschritt sein. Aber jetzt haben wir einfach so ein Hybridverfahren, es ist teildigital, aber es ist trotzdem noch analog und das ist eigentlich mehr Arbeit“, kritisiert er.

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