Digitalisierung und Städtebau

Chancen und Risiken der Smart Cities

Eine bunt leuchtende Skyline spiegelt sich im Wasser.
Smart Cities aus den Designlaboren der Technofirmen werden wohl nicht sozial heterogen sein, kritisiert Klaus Englert. © Unsplash / Antony Xia
Von Klaus Englert |
Die digitalisierte Stadt ist die Vision der großen Technologiekonzerne Kaliforniens. In diesen Smart Cities wird die komplette Datenerfassung alltäglich sein, sagt der Architekturkritiker Klaus Englert voraus: auf Kosten der Freiheitsrechte ihrer Bewohner.
Vor nicht allzu langer Zeit war San Francisco eine Stadt alternativer Lebensentwürfe. Schwule und Lesben zeigten ihr Anderssein offen auf den Straßen. Lateinamerikanische Einflüsse waren in der einst mexikanischen Stadt allerorten zu spüren. Ergriffen von der Leichtigkeit des Seins in der Bay Area entstand im sozial und ethnisch durchmischten Mission-Viertel eine vibrierende Kulturszene. Das hatte nichts mehr mit "Flower Power", aber viel mit lebensoffener Toleranz zu tun.

San Fran – die totale Umkrempelung

Heute ist der erschwingliche Alltag unter kalifornischer Sonne allenfalls Erinnerung. Vielen Latinos, die hier aufgewachsen sind, droht die Zwangsräumung, weil zahlreiche potente Immobilienentwickler ganze Straßenzüge aufkauften. Darunter haben auch die Buchhandlungen zu leiden, die allesamt von der Schließung bedroht sind. Der Grund dieser Entwicklung wird deutlich, wenn man die einst pulsierende Market Street entlang geht.
Kürzlich ist am nördlichen Ende der Apple Flagship Store eingezogen. Ganz in der Nähe finden sich die üblichen Verdächtigen: Der Kurznachrichtendienst Twitter, der Social-Media-Anbieter Yammer, der Musikstreaming-Dienst Spotify und der Online-Vermittlungsdienst Uber. Microsoft ist auf der Market Street gleich mit drei Niederlassungen vertreten, und – wen wundert's - auch Google ist nicht weit entfernt.

Zentral gesteuerte vernetzte Stadt

Die totale Umkrempelung einer 870.000 Einwohner zählenden Großstadt ist den Internetfirmen aber offenbar nicht genug. Deswegen möchte Microsoft-Gründer Bill Gates eine Stadt für über 100.000 Einwohner mitten in der Wüste von Arizona errichten. Die Smart City namens Belmont wird nicht um Geschäfts- oder Wohnviertel herum errichtet, sondern um "digitale High-Speed-Netzwerke", die die Dinge des alltäglichen Lebens – selbstfahrende Autos, Mobiltelefone, Kühlschränke, Klimaanlage, Heizung – zentral steuern.
Die Google-Tochtergesellschaft Sidewalk Labs macht sich demnächst daran, inmitten von Toronto das komplette Stadtviertel Quayside ins Hafenareal zu implantieren. Die Planer dieser Smart City treten mit dem Versprechen an, die Ideale der europäischen Stadt – öffentliche Parks und Plätze – mit den Verheißungen des digitalen Zeitalters – Reduktion von Energieverbrauch und CO²-Emissionen - zu versöhnen.

Technokratische privatisierte Idealstädte

Die Website von Sidewalk Labs präsentiert idyllische Stadtlandschaften mit sauberer Luft und glücklichen Menschen. Aber das ist pure Ideologie. Denn die städtischen Einrichtungen in Belmont und Quayside sind nicht öffentlich, sondern privat: Sie wurden geformt nach den Interessen der Technologie-Konzerne. Es entstehen technokratische Idealstädte, die wenig mit der erlebten Tradition der europäischen Stadt, aber viel mit dem allumfassenden neoliberalistischen Verständnis der Firmenmanager zu tun hat.
In den zukünftigen Smart Cities aus den Designlaboren der Technofirmen dürfte soziale Heterogenität der Homogenität endgültig gewichen sein. Die Smart City à la Google und Microsoft wird Orwells Negativutopie 1984 anachronistisch aussehen lassen. Wo alles vernetzt ist, wird jedes Wort, jede Handlung überwacht. Der technokratische Neoliberalismus hat sich zum Feind des blinden Flecks erklärt.

Umfassende Datenerfassung selbstverständlich

Die Bewohner von Belmont und Quayside werden über altmodische Begriffe wie Datenschutz schulterzuckend lächeln, weil jeder mit der allumfassenden Datenerfassung einverstanden ist. Wer sich öffentlich und privat durch Videoüberwachung erfassen, wer seine Bewegungs- und Persönlichkeitsdaten beim Shopping durch Chipkarten speichern lässt, hat seine Freiheitsrechte längst begraben.
Doch machen wir uns nichts vor: Diese Brave New World liegt nicht in der imaginären Zukunft. Sie hat längst begonnen.

Klaus Englert promovierte in Germanistik und Philosophie an der Heinrich Heine-Universität Düsseldorf, ist Journalist und Buchautor. Er schreibt für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" und den Hörfunk, vornehmlich über architektonische und philosophische Themen. Des Weiteren ist er als Kurator für Architektur-Ausstellungen tätig. Seine letzten Bücher sind "Jacques Derrida" (2009) und "New Museums in Spain"(2010), "Barcelona" (DOM Publishers, 2018). In Vorbereitung ist ein Buch über die Entstehung der modernen Wohnkultur.

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