Digitalisierung und Überwachung in China

Auf dem Weg zum "unschlagbaren" System

Überwachung in CHina
Die chinesische Regierung nutzt neue Technologie für den Ausbau digitaler Überwachung © dpa
Kai Strittmatter im Gespräch mit Ute Welty |
Parteichef Xi Jinping betreibt in China mit digitalen Mitteln die Rückkehr zum Totalitarismus, kritisiert der Sinologe Kai Strittmatter. Terror und Gewalt sind inzwischen Mittel von gestern - heute geht es vor allem um den Einfluss auf das Denken der Menschen.
Technologisch ist China vorne weg, aber es zementiert mit Hilfe der Digitalisierung die Ein-Parteienherrschaft, sagt der China-Experte Kai Strittmatter. Einerseits regiere Staats- und Parteichef Xi Jinping wie seine Vorgänger und setze auf den Lenismus. "Der Leninismus ist zurück, die Repression, Zensur und Propaganda so stark wie seit Jahrzehnten nicht mehr", sagte der langjährige Korrespondent der Süddeutschen Zeitung. "Aber gleichzeitig, mit dem anderen Bein, geht er weit in die Zukunft und seine Wette ist, wenn ich diesen alten Leninismus unterfüttere, wenn ich dem ein Update gebe mit den digitalen Mitteln von heute und des 21. Jahrhunderts, dann schaffe ich vielleicht ein System, das wirklich unschlagbar ist." (gem)

Das Interview im Wortlaut:

Ute Welty: Einlass, Mensa, Bibliothek – an einer chinesischen Oberschule läuft alles nur noch über Gesichtserkennung. Seitdem China-Korrespondent Stephen Wurzel über diese Schule hier in "Deutschlandfunk Kultur" berichtet hat, reißt die Diskussion nicht ab. Inwieweit China auf dem Weg ist zur vollständigen digitalen Kontrolle, das kann Kai Strittmatter beurteilen, der Sinologe und Buchautor hat rund zehn Jahr für die "Süddeutsche Zeitung" aus China berichtet. Guten Morgen, Herr Strittmatter!
Kai Strittmatter: Guten Morgen!
Welty: Überwachung in China findet ja nicht nur an den Schulen statt, sondern es wird ja auch kontrolliert, ob jemand zum Beispiel bei Rot über die Straße geht. Wie haben Sie Kontrolle und Überwachung erlebt in Ihrem chinesischen Alltag?
Ein Inspektor beobachtet die Schüler an einer chinesischen Schule in Guangzhou
Ein Inspektor beobachtet die Schüler an einer chinesischen Schule in Guangzhou© dpa
Strittmatter: Na ja, die Volksrepublik China war von Anfang an eine Diktatur. Das heißt Kontrolle und Überwachung sind in dieses System eingebaut, das ist Teil der DNA. Was jetzt neu ist und was vor allen Dingen in den letzten zwei, drei Jahren wirklich explodiert ist, ist die ganze Digitalisierung, künstliche Intelligenz, Big Data – die chinesische Regierung stürzt sich mit einer Leidenschaft und mit einer Wucht in diese neuen Technologien, die es nirgendwo auf der Welt ein zweites Mal gibt.
Welty: Wird diese Art von Kontrolle hinterfragt oder diskutiert?
Strittmatter: Diskussion über die politischen Aspekte dieser Kontrolle ist natürlich tabu. Das heißt, der Kontrollwahn des Staates darf eigentlich nicht diskutiert werden. Was aber interessant ist, dass zumindest die kommerziellen Auswüchse tatsächlich so seit einem dreiviertel Jahr, würde ich sagen, eine öffentliche Diskussion nach sich ziehen. Aber immer, sobald die Grenze zum Politischen erreicht ist, ist Schluss mit der Debatte.

Überwachung ohne Debatte

Welty: Jetzt zeichnet sich China ja nicht durch eine herausragende Diskussionskultur aus, aber zum Beispiel die Proteste gegen Umweltverschmutzung, die sind geduldet und auch zum Teil gehört worden. Wie ist es jetzt?
Strittmatter: Na ja, wie gesagt, eine Diskussionskultur gibt es nicht. Also, es sind zwei Aspekte: Zum einen die Zensur. Also, wenn man lange dort lebt in so einem Staat, dann lernt man, dass Zensur funktioniert und Propaganda funktioniert. Den Leuten werden tatsächlich bestimmte Dinge nahegebracht. Im Falle der Digitalisierung, wenn man ihnen dann auch noch etwas schenkt, zum Beispiel, wenn man sagt, wir bauen jetzt mit diesen Algorithmen ein System auf, wo das Vertrauen zurückkehrt in die Gesellschaft.
Oder aber, schau mal, was du mit deinem Handy alles jetzt machen kannst, es bezahlt ja keiner mehr bar in Chin, es wird nur noch mit Handy bezahlt. dein Leben wird viel bequemer – dann springen da auch viele drauf an. Vor allem, da der zweite Teil eben, der in anderen Gesellschaften ausgeprägt ist, die kritische Betrachtung von solchen Phänomenen einfach tabu ist und nie stattgefunden hat.

Der chinesische Traum

Welty: China präsentiert sich gerne als Weltmacht und Weltmarktführer. Ist das das große Ziel, dem sich alles andere unterordnet?
Strittmatter: Das ist zumindest das Ziel, das Staats und Parteichefs Xi Jinping mit seinem "chinesischen Traum" formuliert hat. Der "chinesische Traum", anders als der "amerikanische Traum", ist nicht die Erfüllung des Glücks des Individuums, sondern es ist die Wiedergeburt der großen chinesischen Nation, die natürlich als Weltmacht wieder zurückkehren soll.
Aber in Wirklichkeit, wenn Sie mich fragen, ist das große Ziel dieser Partei die endlose Verlängerung ihrer Herrschaft, darum geht es ihr. Und wenn sie wählen muss zwischen der Stärke des Staates und der Stärke ihrer eigenen Partei, dann wird sie immer die Herrschaft der Partei wählen.
Chinas Präsident Xi Jinping sitzt an einem Tisch, vor ihm eine Teetasse.
Unter Chinas Präsident Xi Jinping wurde die digitale Überwachung massiv ausgebaut. © dpa/MAXPPP
Welty: Und wie groß ist dabei die Rolle, die die digitale Kontrolle spielt?
Strittmatter: Ja, das ist eben tatsächlich das ganz Neue. Das ist jetzt, diese neuen Informationstechnologien, früher hatte man ja immer mal gedacht, die könnten autoritäre Systeme ja vielleicht unterwandern. Das Internet bringt die Freiheit noch in die letzten Winkel des Planeten, da hat leider China das Gegenteil bewiesen. Die chinesische Partei hat nicht nur keine Angst vor diesen neuen Technologien, sie liebt sie geradezu. Und der Parteichef Xi Jinping, der ist eine Wette eingegangen.
Einerseits geht er mit einem Bein weit zurück in die 50er-Jahre, also wirklich der Leninismus, der alte Leninismus ist zurück, die Repression, Zensur und Propaganda so stark wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Aber gleichzeitig, mit dem anderen Bein, geht er weit in die Zukunft und seine Wette ist, wenn ich diesen alten Leninismus unterfüttere, wenn ich dem ein Update gebe mit den digitalen Mitteln von heute und des 21, Jahrhunderts, dann schaffe ich vielleicht ein System, das wirklich unschlagbar ist.

Rückkehr des Totalitarismus

Welty: Gehen Sie so weit, zu sagen, dass China mithilfe von Digitalisierung und künstlicher Intelligenz eine Art neuen Menschen schaffen will?
Strittmatter: Ja, das ist tatsächlich ein Punkt, der mir immer mehr aufgefallen ist, der neue Mensch ist ja auch ein altes leninistisches Konzept, aber wahrscheinlich war er auch in Russland nie so stark wie in China. Mao hat das ja ganz stark versucht, die Leute umzuerziehen, und ich glaube tatsächlich, das ist etwas, was wir jetzt wieder sehen. Die Regierung betont immer wieder, sie möchte den ehrlichen Menschen, den vertrauenswürdigen Menschen schaffen. Im Prinzip geht es ihr mit dieser Digitalisierung da jetzt drum, einen Menschen zu schaffen, der die Kontrolle selbst übernimmt.
Also, in gewisser Weise haben wir mit den digitalen Mitteln die Rückkehr des Totalitarismus, weil wieder der letzte Winkel unseres Gehirns eigentlich durchschaut werden soll. Aber anders als der alter Totalitarismus von Stalin und von Mao, geht er diesmal weniger einher mit diesen Alltagserfahrungen von Gewalt und Terror. Im Gegenteil, es soll viel mehr tatsächlich in die Hirne der Menschen selber verlegt werden. Und das ist eigentlich ziemlich beängstigend, was da passiert.
Ein Huawei-Geschäft in Shenyang, Hauptstadt der chinesischen Provinz Liaoning.
China ist bei modernen Technologien ganz vorne weg. Konzerne wie Huawei sind weltweit auf dem Vormarsch. © picture alliance / Pacific Press Agency / Zhang Wenkui
Welty: Wie wird sich das auf das Verhältnis zu Europa auswirken? Blicken wir auf unsere eigene Zukunft, wenn wir nach China blicken?
Strittmatter: Ja, zwei Dinge, würde ich sagen: Das eine ist tatsächlich das, dass wir genau hinschauen müssen, was sich da technisch tut. Unsere High-Tech-Konzerne, die tun das ja und die benutzen das auch als Argument unserer eigenen Regierung gegenüber: Hey guckt mal, was da passiert in China, die sind so viel weiter, die sind so viel schneller, die werfen so viel mehr Geld rein, lasst uns das Gleiche tun.
Da müssen wir also genau hinschauen, dass wir eben nicht das Gleiche tun wie China, weil da ja die Diktatur neu erfunden wird, digital, wenn, dann müssen wir ja die Demokratie neu erfinden. Das ist das eine und das andere ist, dass gleichzeitig natürlich China versucht, die internationale Ordnung jetzt mitzugestalten. China marschiert mit großen Schritten in die Welt, wir wollen zurück ins Zentrum der Welt hat Xi Jinping gesagt.
Und das macht es zum einen mit Mitteln der klassischen Diplomatie, also, indem sie versuchen, im Menschenrechtsrat in Genf die Dinge zu beeinflussen, das macht es zum anderen mit neuen Instrumenten wie dieser neuen Seidenstraße, wirtschaftlich, und das passiert aber auch digital, indem zum Beispiel China versucht, sein Modell der Internet-Governance tatsächlich global zum Modell zu machen. Also, China versucht sich selber wieder zu einem Modell zu machen – und eigentlich ist der Wettbewerb der Systeme zurück. Das ist etwas, was wir seit dem Kalten Krieg eigentlich dachten, das ist vorbei, das ist jetzt wieder da.

Aufwachen in Europa

Welty: Das heißt, Sie empfehlen Europa was zu tun, sich wie aufzustellen?
Strittmatter: Ich empfehle Europa einerseits endlich also weit die Augen aufzusperren. Ich habe manchmal das Gefühl, man muss die Leute wirklich, also meine deutschen Freunde, Bekannten, wenn ich die so sehe, also, die Leute sind noch ziemlich verschlafen und verpennt und merken gar nicht so richtig, was um sie herum passiert. Und ich habe das Gefühl, Europa muss richtig die Augen aufmachen, das ist das Erste.
Und das Zweite, ich finde schon, dass wir uns teilweise auch ein paar Scheiben abschneiden, zumindest von der Leidenschaft und dem Enthusiasmus, mit dem die Chinesen sich in bestimmte Dinge stürzen. Nur wie gesagt, mit einer anderen Zielsetzung natürlich. Bei uns geht es tatsächlich darum – ich bin überhaupt kein Digitalisierungsgegner und kein Technologiegegner –, aber es geht darum, dass wir uns jetzt genau überlegen, wie setzen wir diese Mittel ein, um unsere Gesellschaften, um unsere Systeme transparenter zu machen, um mehr Partizipation zu ermöglichen.
Und eigentlich ist das das Gegenteil von dem natürlich, was China möchte. Und es deckt sich eben auch nicht mit vielem von dem, was unsere Technologiekonzerne wollen. Also, wir müssen aufpassen, das ist das Erste.
Welty: Digitale Kontrolle und Überwachung in China – wohin das führt, habe ich mit China-Kenner Kai Strittmatter besprochen, wobei er natürlich lieber China sagt. Herr Strittmatter, ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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