Zerstäuben von Stimme und Mensch
Die britische Sängerin Talilah Barnett - bekannt als FKA Twigs - und der Medienkünstler Ryan Trecartin haben für ihre Ideen ganz unterschiedliche Bilder gefunden. Beide zeigen mithilfe digitaler Technologie das Ende von Identitäten.
Wenn der Kopf zum Beat nickt, kann das nicht verkehrt sein. Auch wenn der Beat nur alle paar Takte zu erkennen ist und ein digitaler Chor das Beatgerüst bildet.
So geschieht es bei "Water Me", dem Video, mit dem FKA Twigs letztes Jahr durch die sozialen Medien ging. Langsam pendelt sich ihr Gesicht mit den langen Zöpfen und dem üppig aufgetragenen Rouge vor der Kamera ein. Im Hintergrund läuft dabei ein Hybrid aus Post-Dubstep und minimalistischem R&B. Dann öffnet FKA Twigs ihre pechschwarzen Augen und fängt an zu singen. Dabei verliert ihr Gesicht verliert die Proportionen und ihre Augen weiten sich, bis sie dem unrealistischen Schönheitsideal eines Mangas entspricht.
Bei FKA Twigs wird der Körper wieder grotesk, aber auf die perfekteste Art und Weise. Ebenso wie der Körper verliert die Musik bei FKA Twigs schnell ihre Proportionen. Ihre Stücke folgen zwar dem klassischen R&B-Muster aus synkopierten Beats, euphorischen Kieksern und Basslinien, aber FKA Twigs lässt all dies zerstäuben: Das Kieksen wird zu einem verhallten Hauchen und die Synkopen entdecken die Langsamkeit für sich. Wie bei einem Schnitt fallen ihre Songs auf ihren Höhepunkten in die Stille, bevor sie wieder aufgefangen werden – von einem flattrigen Subbass oder von einem gehauchten Vokal
Zerfallender Körper
Aber die Musik ist bei FKA Twigs nur Dreingabe. Schon lange hat kein Popmusikerin so sehr an sich Gesamtkunstwerk gearbeitet wie die 26-jährige Britin: Sie ist ebenso Siouxsie Sioux wie Frida Kahlo. Am deutlichsten zeigt sich das in ihren Videoclips. Im Video zu "How's that" sieht man einen schwarzen Körper mit Latextextur. Er zerfällt langsam, findet sich zu einem anderen, weißen Körper aus Gaze-Stoff zusammen. In "Ache" zerlegt FKA Twigs die Einheit zeitgenössischer Dance-Musik.
Ein Tänzer steht in einer Tiefgarage im Neonlicht. Er trägt einen Kopfschutz und eine Bomberjacke. Er nähert er sich dem Neonlicht, dann fällt er in einen Tanz aus geballten Fäusten und raumgreifenden Armbewegungen – alles in Zeitlupe. Der Tänzer ist ein Mitglied einer Londoner Tanzgruppe. Den Tanz, den er in Zeitlupe aufführt, nennt sich Krump. Es ist eine Street Dance-Form aus LA, entstanden in den 1990ern. In den Nullerjahren wurden seine aggressiven, maskulinen Bewegungen als Antithese zur kommerziellen Bling-Ästhetik von HipHop gefeiert.
Bei FKA Twigs zerschmelzen diese Moves. Sie betont die Zärtlichkeit der Bewegungen, die körperlichen und affektiven Anstrengungen, die in die Inszenierung der Straßenhärte von Krumping fließen. So macht sie die affektive Arbeit sichtbar, die in Pop-Musik und ihre Bilder fließt.
FKA Twigs Bilder als Gegenthese zur vernetzten Welt
Ein wenig werden die Videos von FKA Twigs so zu einer Antithese der Bilder, die unseren vernetzten Alltag bestimmen: der geloopte Gesichtsausdruck oder die Geschichte, die mit wackliger Hand mit dem Smartphone aufgenommen wird, um sie dem eigenen Freundeskreis zu zeigen. Bilder, die sinnlich aufgeladen sind und deren Erzählweise so weit wie möglich verdichtet ist. Bilder, wie sie der Medienkünstler Ryan Trecartin in seinen Videoinstallationen zeigt, die ab September in den Kunstwerken Berlin zu sehen sind.
Trecartins Protagonisten nutzen die digitale Lo-Fi-Ästhetik dieser Bilder, um ihre stabilen Identitäten zu hinterfragen. Sie sind hyperconnected, das Smartphone ist ihnen längst zur Verlängerung des Körpers geworden. Durch Technologie verstärkt, wird das Spielen mit den Geschlechterrollen normal für sie. Trecartin rückt dieses Spielen mit schnellen Schnitten und hochgepitchten Stimmen immer wieder in den Vordergrund.
Auf der Suche nach einem Moment des Staunens
Auf den ersten Blick sind die Bilder Trecartins der Widersacher zu den Videoclips von FKA Twigs und ihrer überbetonten Langsamkeit. Aber schaut man genauer hin, merkt man: Hier arbeiten zwei Künstler am gleichen Ziel: dem Auflösen eines Identitätskorsetts mithilfe von digitaler Technologie. Trecartin geht dabei mit den Mitteln von Punk vor: Er spielt mit der Wegwerfästhetik von Consumer-Technologie, er überzeichnet seine androgynen Charaktere wie in einem Cartoon. FKA Twigs verlangt etwas anderes von ihren digital erzeugten Bildern: Sie sollen einen Moment des Staunens zurückbringen, in dem die Zeit still steht.
FKA Twigs steht außerhalb des Zwangs zum Teilen, des Viralen, das die Währung der digital vernetzten Kulturindustrie ist. Ihre Bilder wollen uns nicht verführen. Wir müssen sie nicht teilen, wir müssen sie nicht kommentieren. Sie sind schlicht zu schön, um sie zu Memes zu verfremden. Wir dürfen zusehen, nicht mehr.
Die Videos von FKA Twigs möchten sich so dem Imperativ digitaler Verwertbarkeit entziehen. Dass trotzdem gerade alle – Medien wie Fans – über sie reden, heißt nur, dass FKA Twigs mit diesem Bedürfnis nicht allein ist.