Und nicht, dass man glaubt, wenn wir weniger Facebook nutzen oder weniger googeln, würde sich dieses Paradigma auflösen.
Christian Hoffmeister: "Google Unser"
DCI Institute, Berlin 2019
248 Seiten, 14,99 Euro
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08:25 Minuten
Die klassischen Religionen haben ausgedient, für Erlösung ist heute die Digitalisierung zuständig - so lautet Christian Hoffmeisters Kritik. Bloße Verzichtsübungen nach dem Motto "Du sollst nicht googeln" reichen seiner Ansicht nach nicht aus.
Christian Hoffmeister glaubt, dass wir alle zu zu Gläubigen geworden sind. Unsere Religion: das Digitale. Anfang des Jahres kam sein Buch "Google Unser" heraus. "Google, Apple, Facebook und Co. sind nicht nur Teil unseres Alltags, viel mehr noch: Es sind globale religiöse Glaubensgemeinschaften und wir ihre Gläubigen", heißt es auf dem Buchumschlag. Denn die Digitalisierung unseres Lebens habe längst religiöse Ausmaße angenommen. Und die Unternehmen aus dem Silicon Valley bedienen sich geradezu bei den ganz alten Strategien der Religion – sei es bei der Formulierung ihre Unternehmensvisionen und der Entwicklung ihrer Marketingstrategien.
Mit einem "Meedia"-Artikel zu seinen Positionen sorgte Christian Hoffmeister in den vergangenen Tagen zudem für reichlich Gesprächsstoff in den sozialen Medien. Wir sprechen mit ihm darüber, was genau die religiösen Anteile unserer Technikgläubigkeit sind und ob es eine neue Aufklärung geben muss.
Das Jenseits des Digitalen
Deutschlandfunk Kultur: Wie sind Sie darauf gekommen, Digitales und Religion in Zusammenhang zu bringen?
Christian Hoffmeister: Mit dem Thema Religion und Ökonomie beschäftige ich mich eigentlich schon seit meiner Studienzeit. Damals habe ich meine Abschlussarbeit über das Thema "Religiöse Unternehmenskommunikation" geschrieben. Mein ehemaliger Professor sagte, dass ich das nicht als Religion bezeichnen könnte, weil Religion keine jenseitige Welt habe. Es muss also immer eine transzendente Sphäre geben, in der ein Gott innewohnt.
In der fortlaufenden Beschäftigung mit der Digitalisierung – mit Online, Internet und auch den Unternehmen wie Apple, Google und Facebook – wurde mir eigentlich immer bewusster, dass es sehr wohl eine Sphäre der Jenseitigkeit in der digitalen Welt gibt.
Das Internet können wir nicht physisch erleben. Wir können nicht reingehen. Wir können es nicht greifen. Es ist also völlig transzendent. Da kam mir das alte Thema wieder auf, und ich dachte, dass ich dies eigentlich noch mal unter diesen Gesichtspunkt beleuchten müsste, dass Ökonomie und digitale Ökonomie sich sozusagen wieder zu einer Religion vereint haben.
Die Verdatung der Welt
Deutschlandfunk Kultur: Das Problem sehen Sie ja nicht so sehr in der Technik selbst, sondern eher im Umgang mit der Technik und dessen Folgen, nämlich der zunehmenden Verdatung unserer Welt. Sie sehen ein Quantifizierungsparadigma. Ist das eine Folge dieser Religiosität, dass wir uns dem unterwerfen?
Hoffmeister: Ich glaube, ganz stark. Die digitale Technologie ist ja nur die eine Seite – Digitalisierung ist ja größer als die Technologie – und Digitalisierung bedeutet eben vor allem, dass wir alles Ziffern und Alphabeten unterwerfen wollen. Das tun wir natürlich andauernd: unser Gewicht, unser Kontostand, das Wetter, wie viele Schritte wir gehen. Das ist die Voraussetzung, dass solche Technologien überhaupt funktionieren – weil wir eben alles genau und alles eben möglichst ziffernbasiert messen wollen.
Aus meiner Sicht schließt sich da technologisch und ideologisch etwas zusammen, was dann schon größer ist als bisherige technologische Welten, die diese Ideologie häufig eben nicht besessen haben oder besitzen, so wie die digitale Technik eben sehr wohl ideologisch aufgeladen ist.
Digitalisierung als Erlösungsbringer
Deutschlandfunk Kultur: Wenn ich Sie richtig verstehe, dann stellen Sie nicht nur fest, dass wir die digitale Technik wie einen Götzen anbeten, sondern Sie stören sich auch an unserem Umgang mit der Technologie. Man könnte fast sagen, dass daraus fast eine Technikfeindlichkeit spricht – etwa in ihrem Meedia-Artikel.
Hoffmeister: Ich bin eigentlich gar nicht technikfeindlich. Ich glaube, Technologie ist neutral. Mich stört viel mehr, dass man Digitalisierung und digitale Technologie gleichsetzt.
Viel schwieriger finde ich unseren Glauben, dass die digitale Technologie uns erlöst. Diese Kritik übe ich eigentlich. Dass man glaubt, grundsätzlich werden Computer, künstliche Intelligenzen und Algorithmen unsere Probleme alle lösen. Daran störe ich mich viel mehr als daran, dass wir Google, Facebook oder Instagram nutzen oder Mails verschicken.
Die Priester des Digitalen
Deutschlandfunk Kultur: Wenn wir jetzt – in ihrem Bild gesprochen – "die Gläubigen" sind, wer sind dann die Priester?
Hoffmeister: Vor allem die Unternehmensgründer, Zuckerberg, Steve Jobs, Larry Page, Sergey Brin. Aber auch andere Gründer – Elon Musk von Tesla – , die immer in den Mittelpunkt rücken, dass diese Technologie und das, was sie da tun, eine viel größere Bedeutung habe als die Wirtschaftlichkeit des eigenen Unternehmens. Sie sprechen immer von Weltveränderung, von Verbesserung. Mark Zuckerberg redet bei jeder F8-Konferenz davon, wie hilfreich es für die Gesellschaft sei, sich über Instagram und Facebook zu vernetzen. Das sind eigentlich die Priester, die digitale Ideologie verbreiten und letztendlich auch diese Ideologie in ihre Produkte einbringen.
Vom Erlös zur Erlösung
Deutschlandfunk Kultur: Aber rennen die bei uns nicht offene Türen ein? Bei uns hat sich ja so eine Weltuntergangsstimmung breitgemacht und dann können wir unseren Trost eben darin finden, nach dem Motto: "Die Technik wird’s schon richten"?
Hoffmeister: Das sehe ich eigentlich genauso. Vor allem weil wir interessanterweise immer auch im "Erlös" – also im Geld – unsere Erlösung sehen.
Wenn man sich die momentane CO2-Diskussion ansieht: Da wird über Steuern geredet und über teurere Flüge. Man glaubt immer, dass Geld, Ökonomie und Wirtschaft immer auch Problemlöser wären. Und dann macht man noch die Technologie dazu, also wenn wir künstliche Intelligenz nutzen, um zum Beispiel unsere Flugrouten zu optimieren, und gleichzeitig kommt noch eine CO2-Steuer hinzu, dann wird die Welt besser.
Dieses Paradigma wird ja gar nicht mehr in Frage gestellt. Wir glauben eben, dass die digitale Technologie uns erlösen wird.
Was Digitalisierungskritik leisten muss
Deutschlandfunk Kultur: Ihr Artikel endet mit den Worten: "Neue Weltbilder werden benötigt, und dazu können und müssen Journalisten einen wichtigen Beitrag leisten." Sie fordern also Aufklärung, bei der auch Journalisten eine Rolle spielen. Meine Wahrnehmung ist, dass es ja schon einen Trend gibt, dass die Digitalisierung und die digitale Technik zunehmend kritisch hinterfragt wird und zunehmend nach Alternativkonzepten geforscht wird. Welche Form von Aufklärung wünschen Sie sich?
Hoffmeister: Ich glaube, dass zum einen die Kritik deswegen zu kurz greift, weil sie wieder nur Technologiekritik ist, aber nicht Digitalisierungskritik. Man müsste genau da anfangen, warum wir eigentlich alles quantifzieren, alles berechnen, vorhersagen und in Wahrscheinlichkeiten packen wollen. Dies stärker zu beleuchten und zu kritisieren, wäre der erste Punkt.
Der zweite ist: Ich habe mit dieser Kritik oft deshalb ein Problem, weil sie eigentlich auf eine Art Enthaltsamkeit hinausläuft, wenn es heißt: "Du darfst digitale Technologie nicht nutzen." Enthaltsamkeit ist aber ein religiöses Ritual – "40 Tage sollst du fasten." Mit dieser Aufklärung tue ich mich schwer.
Und das dritte ist, dass genau diese Mythen leider häufig übernommen werden: reich durch Instagram, verliebt über Parship, den besten Partner finden bei Tinder. Die Innovationsmythen eines Steve Jobs oder die Garagenmythen eines Bill Gates, die werden ja tatsächlich kommuniziert.
Bei dieser Mythologie würde ich mir einen aufklärerischen, kritischeren Blick wünschen. Zugleich würde ich mir auch wünschen, dass man in der Aufklärung eben nicht nur Technologie kritisiert, sondern das Weltbild der permanenten Berechnung, der Quantifizierung und Vorhersagbarkeit in Frage stellt.