Während der Oppositionspolitiker Alexej Nawalny nach einem konstruierten Urteil ins Gefängnis gesperrt wird, haben gegen Ramsan Kadyrow nicht einmal Ermittlungen begonnen. Warum der Kreml mit zweierlei Maß misst, hören Sie im Gespräch am Ende dieser Weltzeit.
Freie Hand für Ramsan Kadyrow
23:18 Minuten
Ramsan Kadyrow regiert Tschetschenien wie ein Diktator. Veröffentlichungen eines unabhängigen russischen Rechercheteams ergaben, dass er nicht nur Oppositionelle und Homosexuelle verfolgt und ermordet, sondern sich durch Korruption auch illegal bereichert.
Der erste und einzige Schönheitswettbewerb in der muslimisch geprägten russischen Teilrepublik Tschetschenien war der alles entscheidende Tag im Leben von Fatimá Chasujewa. Nicht weil die 1,70 Meter große blonde blauäugige 15-Jährige am Ende das Krönchen als Zweitplatzierte bekam, sondern weil sich an diesem Tag der Präsident Tschetscheniens, Ramsan Kadyrow, für sie zu interessieren begann.
Die Liaison zahlte sich aus. Fatimá Chasujewa lebt heute, 15 Jahre nach der ersten Begegnung mit Kadyrow, in einem Palast auf einem Grundstück von zwei Fußballfeldern mitten im Zentrum von Grosny. Der Wert ihres neuen Heims: 370 Millionen Rubel, umgerechnet mehr als vier Millionen Euro.
Außerdem besitzt sie diverse andere Wohnungen in verschiedenen Städten. Ihr offizielles Gehalt in der Präsidialadministration, wo sie arbeitet, beträgt keine 900 Euro. Aufgedeckt hat das Maria Schobolowa von der russischen investigativen Recherchegruppe "Projekt".
"In Russland ist es möglich, Daten über praktisch jede Immobilie anzufordern. Dieser Palast in der tschetschenischen Hauptstadt ist nicht geheim. Er fällt auf, weil er genau gegenüber dem Präsidentenpalast steht. Ich beschloss einfach, zum staatlichen Register zu gehen, um zu fragen, wem er gehört, und erfuhr: Fatimá Chasujewa.
Kadyrows Geliebte, dachten wir, doch die Leute, die wir fragten, sprachen nicht von ihr als Kadyrows Geliebte, sondern als zweiter Ehefrau. Sie sprachen ganz offen von seiner zweiten Ehefrau als etwas ganz Selbstverständliches, nichts Verbotenes oder Geheimes."
Russisches Gesetz verbietet Polygamie
Dabei verbietet das russische Gesetz, das auch für die Teilrepublik Tschetschenien gilt, Polygamie, Ramsan Kadyrow kümmert das nicht. Vielmehr gibt er Lektionen, was man bei mehreren Ehefrauen gleichzeitig beachten sollte.
"In der Scharia steht: Wenn man zwei Frauen hat, muss man sie gleich gut behandeln, kleiden, gleich wertvolle Häuser für sie bauen, gleich teure Pelzmäntel und Autos kaufen."
Völlig gleich behandelt werden die Auserwählten jedoch nicht, denn eine offizielle Eheschließung auf dem Amt gibt es bei Gattin Nummer zwei, drei oder vier nicht mehr, erklärt Maria Schobolowa, die Journalistin von der Recherchegruppe "Projekt".
Völlig gleich behandelt werden die Auserwählten jedoch nicht, denn eine offizielle Eheschließung auf dem Amt gibt es bei Gattin Nummer zwei, drei oder vier nicht mehr, erklärt Maria Schobolowa, die Journalistin von der Recherchegruppe "Projekt".
"Im Gesetz steht, dass es verboten ist, pro Person mehrere Ehen gleichzeitig registrieren zu lassen. Und das tun sie auch nicht. Denn sie halten das Standesamt nicht für nötig, um eine Ehe einzugehen. Sie heiraten im Beisein eines Imams und das ist für sie dann eine vollwertige Trauung. Rechtlich ist dagegen nichts zu beanstanden."
In Tschetschenien gilt die Blutrache
Der gläubige Muslim Kadyrow hat in Tschetschenien ein strenges traditionelles Regime eingeführt, es gelten die Gesetze der Blutrache, Frauen haben Kopftücher zu tragen. Medni Kadyrowa, die er zuerst geheiratet hat, gehorcht ihm.
"Unsere Religion erlaubt dem Mann, noch drei weitere Male zu heiraten. Wenn er das möchte, bin ich einverstanden."
Die Investigativjournalisten von der Recherchegruppe "Projekt" haben festgestellt, dass mithilfe der beiden Ehefrauen, ob in registrierter Ehe oder nicht, wohl ein Teil von Kadyrows Reichtum verschleiert wird. Der beläuft sich allein bei Immobilien auf 800 Millionen Rubel, knapp neun Millionen Euro.
Das Oberhaupt von Tschetschenien verdiente im Jahr 2020 381 Millionen Rubel. Seine Einkommenserklärung wurde auf der offiziellen Website der Regionalregierung veröffentlicht. 380 Millionen Rubel sind umgerechnet über vier Millionen Euro. Im Jahr zuvor betrugen seine Einkünfte nur 1,6 Millionen Euro und 2018 gar nur 80.000 Euro. Wie diese großen Schwankungen entstehen, erfahren die Bürger nicht.
Frisierte Steuererklärungen?
Aktuell deklarierte Kadyrow auch ein Haus von über 2000 Quadratmetern Wohnfläche und zwei Grundstücke von über 30.000 Quadratmetern. Ein Fahrzeug besitzt er angeblich nicht.
Der ersten Ehefrau Medni Kadyrowa, 40 Jahre alt, gehört offiziell nur eine einzige Wohnung in Moskau, neben der koreanischen Botschaft. Schon die Nachbarwohnung soll auf ihren zweiten Pass und zweiten Namen Medni Musajewna Musajewa laufen und erscheint nicht in der Vermögensdeklaration.
Ebenso wenig tauchen die 128 Pferde seines Rennstalls, die von 2014 bis 2018 in den Vereinigten Arabischen Emiraten und Russland fast eine Million Euro Preisgelder gewonnen haben auf. Der Generalsekretär von Transparency Russland Ilja Schumanow:
"Es ist wohl legitim, bei Rennen Geld zu verdienen, aber, ich glaube, Merkmale einer Rechtsverletzung bestehen darin, dass dieses Einkommen nicht deklariert wurde."
Seit 15 Jahren ist der heute 45-jährige Kadyrow an der Macht. Er folgte seinem Vater Achmed im Amt, der bei einem Attentat ums Leben kam. Mit 29 wurde Ramsan zuerst Ministerpräsident, dann mit 30 Präsident Tschetscheniens. Dass er sich als uneingeschränkter Herrscher in seinem Reich fühlt, zeigt das offizielle tschetschenische Fernsehen fortlaufend. So wurde die Öffentlichkeit Zeuge, wie ihm ein arabischer Prinz ein wertvolles Rennpferd schenkt.
Geschenk des Kronprinzen von Dubai
"Kadyrow ist Besitzer eines der ausdauerndsten Rennpferde der Welt geworden. Es heißt Leonarda. Es ist imstande, 200 Kilometer ohne Pause zurückzulegen. Dieses unschätzbare Geschenk hat der Kronprinz von Dubai, Scheich Mohammed bin Rashid Al Maktoum, gemacht."
Aufgrund dieser Szene, in der der Scheich und der tschetschenische Regionalfürst mit einem Pferd zu sehen sind, ist Maria Schobolowas Film nicht mehr im Internet abrufbar. Nach dem Titelbild mit der Überschrift: "Eiserne Masken - Eine Untersuchung, wie in Russland ein eigenes Sultanat entstand" kommt der Hinweis, dass der Film aus urheberrechtlichen Gründen nicht mehr gezeigt werden darf. Geltend gemacht wurden die Rechte vom staatlichen Fernsehen Grosny.
So wenig das Oberhaupt der Kaukasus-Republik seine Pferde deklarierte, so wenig tauchten seine Autos auf. Auch für 2020 nicht. Kein einziger Wagen des imposanten Fuhrparks, in dem seit Beginn seiner politischen Karriere Sportwagen der teuersten Marken, wie Bugatti, Ferrari oder Mercedes-Benz, stehen. Das russische Nachrichtenportal lenta.ru addierte die Pferdestärken und kam auf über 3800 PS, wobei dafür angeblich nur die Luxusmodelle gezählt wurden.
"Ich habe einen gepanzerten Rolls Royce, nicht wahr? Verglichen mit einem Aurus ist der nichts."
Lobte Kadyrow den einheimischen Aurus. Aurus heißt die seit 2013 in Russland produzierte Luxus-Staatskarosse. Dass der Präsident, der den Besitz eines Rolls Royce öffentlich zugibt und als weitbekannter Autonarr diese Spalte in der Einkommensdeklaration trotzdem freilässt, erklärt sich Ilja Schumanow von Transparency Russland so:
"Offensichtlich ist nicht Ramsan Kadyrow Besitzer dieser Autos, sie werden nicht auf seinen Namen registriert. Also sind sie de facto nicht seine persönlichen Autos. Sie befinden sich zum Beispiel in der Garage der Regierung der Republik Tschetschenien oder einer anderen Behörde oder sie sind auf die Namen seiner entfernten Familienangehörigen registriert."
Kadyrows Besitz wird von Behörden nicht kontrolliert
Das Oberhaupt der russischen Teilrepublik, die keine anderthalb Millionen Einwohner zählt, zeigt sich gern mit seinen Besitztümern, die für die Steuerprüfer eigentlich von Interesse sein könnten und Fragen nach ihrer Finanzierung aufwerfen müssten. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow meint zu der Diskrepanz zwischen Kadyrows Einkommen und Reichtum, die die Investigativgruppe "Projekt" recherchiert hat:
"Recherchen sind das eine, die Deklaration das andere. Alle Oberhäupter der Regionen füllen ihre Deklarationen aus, die dann kontrolliert werden. Die Daten, die von staatlichen Anti-Korruptions-Einheiten überprüft werden, sind viel zuverlässiger als die Daten der Medien."
Unabhängige Journalistinnen und Journalisten wie Maria Schobolowa von "Projekt" leben derzeit in Russland gefährlich. Die vielfach prämierte Autorin ist mit ihrer Nachforschung ein hohes Risiko eingegangen. Denn die Behörden interessieren sich oft nicht für die Gesetzesübertretungen, sondern für diejenigen, die sie aufgedeckt haben, wie die Vorgehensweise gegen den Antikorruptionsjäger Alexej Nawalny zeigt.
Oder auch gegen das unabhängige Nachrichtenportal "Meduza", das eine der wenigen vertrauenswürdigen russischsprachigen Informationsquellen überhaupt noch ist, und jetzt vom Justizministerium zum ausländischen Agenten erklärt wurde. Schobolowas Film, der nicht mehr zugänglich ist, hat "Meduza" jetzt zumindest in Textform auf seine Seite gestellt. Für Kadyrow blieben die Veröffentlichungen – jedenfalls bislang – folgenlos, sagt Maria Schobolowa.
"Kadyrow ist in allem völlig unantastbar. Wenn selbst Informationen über geheime Gefängnisse und außergerichtliche Tötungen bei den Strafverfolgungsbehörden nicht auf Resonanz stoßen, was soll man dann über Kadyrows illegale Bereicherung sagen?"
Kadyrows Gegner werden weltweit verfolgt und getötet
Tatsächlich umfasst Kadyrows Sündenregister mutmaßlich weit mehr als nur Steuerbetrug. Seit 2014 steht er mit einem Einreiseverbot auf der EU-Sanktionsliste, weil seine Kritiker weltweit verfolgt und getötet werden. Der spektakulärste Fall in Deutschland ist der 2019 im Berliner Tiergarten erschossene Selimchan Changoschwili, auch er ein Kadyrow-Gegner.
Aber auch aus Tschetschenien selbst reißen die Schreckensmeldungen nicht ab. Natalja Estemirowa von der Menschrechtsgruppe Memorial in Grosny wurde entführt und ermordet. Ein Opfer von vielen, die folgten.
"Massenverhaftungen, außergerichtliche Tötungen, Verschleppungen, Folter von Personen wegen ihrer sexuellen Ausrichtung – das alles wird von der tschetschenischen Regierung orchestriert. Diese Menschen werden seit vier Jahren ganz speziell verfolgt. Wir haben versucht, Ermittlungen anzustoßen, wir haben Beschwerden eingereicht. Aber Russland hat entweder nicht die Kapazität oder den Willen, sich damit zu befassen."
"Massenverhaftungen, außergerichtliche Tötungen, Verschleppungen, Folter von Personen wegen ihrer sexuellen Ausrichtung – das alles wird von der tschetschenischen Regierung orchestriert. Diese Menschen werden seit vier Jahren ganz speziell verfolgt. Wir haben versucht, Ermittlungen anzustoßen, wir haben Beschwerden eingereicht. Aber Russland hat entweder nicht die Kapazität oder den Willen, sich damit zu befassen."
Sagt Veronika Lapina vom LGBT-Netzwerk, das sich in Russland speziell für Opfer einsetzt, die wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt werden. Seit 2017 wurden 235 Personen von tschetschenischen Sicherheitskräften willkürlich verhaftet, ins Gefängnis gesperrt und gefoltert, so viele haben sich jedenfalls an das in Sankt Petersburg ansässige Netzwerk gewendet. Betroffen sind größtenteils homo- oder bisexuelle Männer, die nicht zum Geschlechterverständnis von Ramsan Kadyrow passen.
Strafantrag gegen Kadyrow bei Bundesanwaltschaft
Das russische LGBT-Netzwerk und das "European Center for Constitutional and Human Rights" haben Anfang des Jahres gemeinsam bei der Bundesanwaltschaft Karlsruhe Strafanzeige erstattet. Die Juristinnen und Juristen um Wolfgang Kaleck versuchen mit ihrer 2007 in Berlin gegründeten Menschenrechtsorganisation international verbriefte Menschenrechte durchzusetzen.
Im Fall Russlands wurden sie tätig, weil sich die dortigen Strafverfolgungsbehörden seit Jahren dieser Verbrechen nicht annehmen. Sie ermitteln nicht, so ist die Menschenrechtsanwältin aus Sankt Petersburg überzeugt, weil es eine Abmachung gibt: Kadyrow sorgt im Kaukasus für Ruhe und, solange er dies tut, hat er in seiner Republik freie Hand.
"Die Erklärung, warum Tschetschenien eine solche Enklave der Straflosigkeit ist, hängt mit dem zweiten Tschetschenienkrieg zusammen. Danach, 2007, kam Kadyrow an die Macht und die föderalen Behörden trafen eine Verabredung mit ihm: Er sollte dafür sorgen, dass in Russland außerhalb Tschetscheniens keine Terrorakte mehr verübt werden. Kadyrow versprach Putin, terroristische und separatistische Umtriebe zu ersticken, und als Gegenleistung erhielt er volle Handlungsfreiheit in Tschetschenien."
Die Journalistinnen des Projektteams haben in ihren Recherchen auch die Achmet-Kadyrow-Stiftung unter die Lupe genommen, die 2004 gegründet wurde und auch im Fernsehen für Spenden wirbt.
Die Journalistinnen des Projektteams haben in ihren Recherchen auch die Achmet-Kadyrow-Stiftung unter die Lupe genommen, die 2004 gegründet wurde und auch im Fernsehen für Spenden wirbt.
"Manchmal kann sogar eine ganz bescheidene Summe das Leben der Menschen verändern. Derjenigen, die es benötigen."
Doch nicht jeder gibt das Geld für die Kadyrow-Stiftung freiwillig. Tschetschenische Angestellte und Beamte zahlen zehn Prozent ihrer Einkünfte ein, Unternehmer bis zu 50 Prozent, fanden das Investigativteam "Projekt" sowie das MBCh-Media-Portal von Michail Chodorkowskij heraus. Der Kadyrows-Stab dementierte, dass Zwangsabgaben eingetrieben werden. Die Stiftung war mit umgerechnet 70 Millionen Euro 2019 die wohlhabendste in ganz Russland.
Fatimá Chasujewa, Ramsan Kadyrows Zweitfrau, fährt gut mit ihrer Ehe ohne Trauschein. Sie bewohnt einen Palast und auch ihre Mutter muss in ihrem kleinen Heimatdorf nicht darben. Sie bekam ein eigenes Therapiezentrum. Im ganzen Land werden mit dem Geld der Kadyrow-Stiftung Moscheen gebaut, die nach Kadyrow-Familienmitgliedern benannt werden. Auch der Mann, den Kremlchef Putin so unbehelligt gewähren lasst, Ramsan selbst, denkt an seine Zukunft.
"Ich bitte mein Volk, dass es sich, wenn ich mal nicht mehr bin, in einer kleinen neuen Moschee versammelt, die meinen Namen trägt. Das wäre ein großes Geschenk für mich."