Dima Wannous: "Die Verängstigten"

Ein Großszenario der Angst in Syrien

Cover von Dima Wannous Roman, im Hintergrund: drusische Frfauen in Syrien.
Der Gemeinschaftssinn wird nur zugelassen, wenn er auf den Diktator ausgerichtet ist – davon erzählt Dima Wannous in "Die Verängstigten". © Blessing Verllag / dpa / Atef Safadi
Von Thomas Wörtche |
Fast 50 Jahre Assad-Regime und ein ständiges Leben in Angst haben die Menschen in Syrien zermürbt. Die Psychosomatik des Terrors umkreist die im Londoner Exil lebende Autorin Dima Wannous in "Die Verängstigten" - ein extrem wichtiges Buch.
Syrien ist ein verwüstetes und verheertes Land. Verwüstung und Verheerung beginnen allerdings nicht erst, wenn die Fassbomben vom Himmel fallen. Fast 50 Jahre Assad-Regime (Vater und Sohn) haben die Seelen und Körper der Menschen zermürbt. Das ständige Leben in Angst produziert Angst vor der Angst. Das ist der Kern von Dima Wannous' Roman "Die Verängstigten".
Ihre Hauptfigur Suleima, die zwangsläufig autobiographische Züge trägt, auch wenn die nicht als solche beabsichtigt sind, trifft bei ihrem Psychotherapeuten auf den Schriftsteller Nassim, der von Ängsten geplagt, nicht veröffentlicht. Allerdings existiert ein Manuskript, in dem die Geschichte von Salma aufgeschrieben steht. Salmas Geschichte und die von Suleima haben verblüffende Parallelen. Ist Salma Suleima? Und wieso könnte Nassim all das über Suleima wissen, was er auf Salma projiziert? Oder ist die jüngere syrische Geschichte viel zu komplex, um sie nur einer Person einzuschreiben?

Persönlich-individueller Zugang zu einem aktuellen Desaster

Wannous lebt in London im Exil. Sie ist die Tochter des 1997 gestorbenen, bedeutenden syrischen Dramatikers Saadallah Wannous, dessen Sterben und Tod im Roman höchstens in ein paar Analogien im Leben und Sterben von Suleima/Salmas Vater (der hier Arzt ist) gespiegelt wird. Sie inszeniert diese Doppelbiografie nebst den dazugehörigen Familiengeschichten nicht als literarisches Rätsel, sondern als möglichst vielschichtigen persönlich-individuellen Zugang zu einem aktuellen Desaster. Die als "humane Katastrophe" (und damit medial als business as usual) rubrizierten Ereignisse in Syrien wirken ganz konkret auf ganz konkrete Menschen ein.
Insofern ist "Die Verängstigten" das Manifest eines Identitätsverlustes unter enormem Druck. Das über Generationen kontinuierlich brutale Terrorregime bildet den permanenten Subtext. Ein Regime, das es darauf anlegt, die Gesellschaft radikal aufzuspalten. Die einzelnen Bevölkerungsgruppen, ob Alawiten, Sunniten oder Schiiten, sollen sich fremd werden. Der Gemeinschaftssinn wird nur zugelassen, wenn er auf den Diktator ausgerichtet ist.

Überwachung, Gehirnwäsche, Unsicherheit – und die Folgen

Am Ende soll alles, was nicht konform ist, ausgelöscht, getötet werden. Das Verschwinden von Freunden und Verwandten, die ständige Überwachung und Kontrolle, die schon internalisierte Gehirnwäsche, die permanente Unsicherheit haben psychosomatische Konsequenzen. Die werden verstärkt durch persönliche Verluste und Perspektivlosigkeit. Wannous meint, es könne gut und gerne hundert Jahre dauern, diese Wunden zu schließen. Sofern das überhaupt möglich ist.
Diese Psychosomatik des Terrors umkreist die Autorin mit ihrer hochverdichteten, unbequemen, radikal-verstörenden und jederzeit virtuosen, schmerzhaften Prosa. Fiktionen und Realitäten, Projektionen und Visionen, Obsessionen und Bedrohungen bilden ein Großszenario der Angst, in dem – am Ende – ein verdrängendes Lächeln der extremste Ausdruck von Widerstand und Hoffnung ist. Ein extrem wichtiges und großartiges Buch.

Dima Wannous: Die Verängstigten
Aus dem Arabischen von Larissa Bender
München, Blessing 2018
254 Seiten, 20,00 Euro

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