Dina Nayeri: "Der undankbare Flüchtling"
Aus dem Englischen von Yamin von Rauch
Kein & Aber, Zürich 2020
400 Seiten, 24 Euro
Endloser Kampf um Würde und Akzeptanz
05:46 Minuten
Dina Nayeri weiß, was es bedeutet, auf der Flucht zu sein und sich ein neues Leben aufzubauen. In ihrem vielschichtigen Buch verwebt die iranisch-US-amerikanische Essayistin ihre Fluchtgeschichte mit der anderer und zeigt, was sich ändern muss.
Als Teenager trainierte Dina Nayeri täglich stundenlang Taekwondo, bis ihre Füße bluteten, sie abmagerte, stählerne Muskeln bekam und ihre Menstruation ausblieb. Warum, davon erzählt die Essayistin in ihrem Buch "Der undankbare Flüchtling". Es handelt vom Leben der Geflüchteten und die Autorin erzählt vielschichtig von Kämpfen um Würde und Akzeptanz und von den Fallstricken, in denen Menschen im Exil sich verheddern, während man von ihnen erwartet, sich unauffällig und dankbar in ihr neues Leben einzufädeln.
Eigentümlich und intensiv
Dina Nayeri wuchs in einer behüteten Arztfamilie im Iran auf. Als ihre Mutter zum Christentum konvertierte, drangsalierte die iranische Diktatur die Familie. Unterstützt vom Vater machten sich Mutter und Kinder auf die gefährliche Flucht, die über Dubai und Rom in den USA ein vermeintliches Ende fand.
Denn für viele Exilanten ist der Weg in eine westliche Gesellschaft von Hindernissen übersät. Das lässt uns die Autorin hautnah aus der Perspektive des Kindes miterleben, was der Lektüre eine eigentümliche Intensität verleiht. Als Dina Nayeri den Iran verließ, war sie mit zehn Jahren alt genug, um die Auswanderung klar mitzuerleben, aber eben auch noch ein Kind mit eigenen Sehnsüchten und Maßstäben.
Oft verlangsamt sich in diesem Buch die Zeit, etwa wenn die Autorin den Zwischenstopp der Familie in einem italienischen Flüchtlingscamp beschreibt – dem "Hotel Barba", in dessen pompöser Architektur sich unter den Eingepferchten die verschiedensten kleinen und großen Dramen, Liebesaffären, menschlichen Absonderlichkeiten abspielen.
Verbissenes Ringen um Anerkennung
In den USA beginnt dann das Ringen um Zugehörigkeit. Verbissen trainiert sich die halbwüchsige Dina ihren iranischen Akzent ab, paukt bis tief in die Nacht für die Schule, wird zum Taekwondo-Wunder – und hängt den Sport zur völligen Verblüffung ihres Trainers in derselben Sekunde an den Nagel, als sie die Universitätszulassung in der Tasche hat. Für ihr hartes Training hatte es nur einen Grund gegeben: Sie wollte es unbedingt auf die Harvard-Universität schaffen und musste dafür auf einem Gebiet, egal welchem, außergewöhnliche Leistungen vorweisen.
Erfahrungsschicht um Erfahrungsschicht legt die Autorin über ihre Geschichte, kehrt als Erwachsene zurück an die Stätten der Flucht, besucht Flüchtlingslager, Aktivisten, Menschenrechtsanwälte. Erzählt die ergreifenden Geschichten von Menschen, die auf Ämtern wieder und wieder der Lüge bezichtigt und in elementarsten Bedürfnissen zurückgewiesen werden, bis sie zu wandelnden Schatten ihrer selbst werden oder Suizid begehen.
Zur Hoffnung wild entschlossen
Dina Nayeris Buch ist schillernd, zerrissen, traurig. Auch weil es zeigt, wie man es zum Los der zahlreichen, zur Hoffnung eigentlich wild entschlossenen Menschen auf der Flucht macht, dass sie warten: auf das Öffnen metallener Tore, auf eine Arbeitserlaubnis, einen Wohnberechtigungsschein, ein Zeichen des Gesehen-werdens. Die Autorin stellt ihrem Buch passend ein Zitat des französischen Philosophen Roland Barthes voran: "Warten lassen: ständiges Vorrecht jeder Macht; jahrtausendealter Zeitvertreib der Menschheit."