Dina Oganova und Salome Benidze: "Nicht mal die Vögel fliegen mehr dort. Porträts von Frauen aus Georgien"
Aus dem Georgischen übersetzt von Iunona Guruli
AvivA-Verlag, Berlin
384 Seiten, 24 Euro
Über einen fast vergessenen Krieg
05:24 Minuten
Berichte von Frauen und zahlreiche Bilder über den Krieg Russlands gegen Südossetien 2008 haben die Georgierinnen Dina Oganove und Salome Bendize in "Nicht mal die Vögel fliegen mehr dort" versammelt. Es sind die Dokumente vergessener Opfer.
Es war ein Kampf zwischen ungleichen Gegnern. Innerhalb von fünf Tagen zwang Russland das kleine Georgien im August 2008 militärisch in die Knie. Während in Peking die Olympischen Spiele in Anwesenheit von Putin eröffnet wurden, griffen russische Truppen in den seit Jahrzehnten schwelenden Konflikt um Südossetien ein. 400 bis 800 Menschen starben. Tausende wurden verletzt und verloren ihre Heimat.
Frauen aller Gesellschaftsschichten
Zum zehnten Jahrestag des vielfach vergessenen Kriegs erschien 2018 das preisgekrönte Buch "Nicht mal die Vögel fliegen mehr dort" von Dina Oganova und Salome Benidze, das jetzt auf Deutsch vorliegt. Die Texte und Fotos geben denjenigen eine Stimme und ein Gesicht, die den August-Krieg am eigenen Leib erlebten, aber selten Gehör finden: den Frauen. Versammelt sind neben rund 200 Abbildungen sechzig Berichte georgischer, aber auch einiger ossetischer Frauen aller Altersgruppen und Gesellschaftsschichten - von der 22-jährigen Studentin bis zur 80-jährigen Rentnerin, Lehrerinnen, Bäckerinnen, Ehefrauen, Ärztinnen, Mütter und Schwestern. Ihre Berichte sind aufwühlend.
Viele verloren engste Angehörige
Sie schildern ihre persönlichen Kriegserlebnisse und wie es ihnen danach ergangen ist, ihre Todesangst, das Hoffen und Bangen um Angehörige, die Verzweiflung . Viele von ihnen verloren engste Angehörige, manche von ihnen fanden im Internet Videos über die Folterungen ihrer Liebsten. Einige Frauen warten selbst heute noch auf die Rückkehr des verschollenen Ehemanns oder Sohn. Alle waren zu einem Neuanfang anderswo gezwungen.
Die ein-bis zweiseitigen Texte sind schlicht. Ihre Qualität ist die Authentizität: sie beruhen auf mündlich überlieferten Protokollen und beschreiben individuelles Leid jenseits anonymer Zahlen: Vergewaltigung, Demütigung, Vertreibung und Tod. Jedes der Schicksale erschüttert - auch die Geschichte der heute 77-jährigen Lena Gogidze, die ohne ihren alten Mann vor den Russen floh. "Ich bin blind, sie werden mich nicht anrühren", beruhigte er sie. Vier Tage später war er tot: "Er wurde von den Osseten umgebracht, sie haben ihn aufgehängt."
Hoffnung auf die nächste Generation
Hoffnung spendet auch das Bildmaterial nur bedingt. Neben Porträts der befragten Frauen sind alte und neue Familienfotos zu sehen, ein feierlich gedeckter Tisch, das georgische Brot Chatschapuri, gemalte Kinderbilder, Ikonen, spektakuläre Aufnahmen des Kaukasusgebirges, aber auch viel postsowjetische Tristesse und Armut in Wohnungen, auf einsamen Straßen und Plätzen. Dennoch fällt auf, dass nur eine einzige Person im Buch lachend zu sehen ist. Es ist ein Baby. Zu hoffen bleibt, dass seine Generation das Trauma überwindet.