"Dinge, die man sonst nirgendwo liest"
Vor 35 Jahren gründete Alice Schwarzer die Frauen-Zeitschrift "Emma", zu einer Zeit, als die meisten Frauen noch hinter dem Herd standen. Zum 35-jährigen Jubiläum blickt Schwarzer zufrieden zurück. Ihr Blatt, das bis heute völlig unabhängig sei, stehe für einen erfolgreichen "Kulturkampf".
Joachim Scholl: 302 Ausgaben, über 25.000 Seiten, das sind 35 Jahre "Emma". Das "politische Magazin von Frauen", wie es sich nennt, hat heute Geburtstag und würdigt dieses Jubiläum natürlich auch im neuesten Heft. Gegründet wurde "Emma" von Alice Schwarzer. Sie ist bis heute Chefredakteurin und Herausgeberin. Guten Morgen, Frau Schwarzer!
Alice Schwarzer: Ja, guten Morgen, Herr Scholl!
Scholl: Erst mal Glückwunsch, Frau Schwarzer, alles Gute zum Geburtstag!
Schwarzer: Ja, danke!
Scholl: Sie haben sich selbst und allen auch historisch interessierten Leserinnen und Lesern ein besonderes Geburtstagsgeschenk gemacht: Ab sofort gibt es jetzt nämlich sämtliche "Emmas", von Heft eins bis 300 komplett digitalisiert im Netz, und kostenlos kann man dort stöbern. Das hat bislang noch keine einzige Zeitschrift gemacht. Warum machen Sie es?
Schwarzer: Ja, das stimmt. Ich finde auch, dass das ein großartiger und auch mutiger Schritt ist. Denn es ist ja nicht gerade im Sinne einer Verlegerin, ihre Zeitung zu verschenken. Aber es ist im politischen Sinne der Feministin Schwarzer, dass das, was die "Emma" über 35 Jahre berichtet und analysiert hat und gefordert hat, dass das allgemein und sicher zugänglich ist, denn diese 35 Jahre "Emma", diese 25.348 Seiten, die sind eine wahre Goldgrube. Und man entdeckt darin eben auch, dass "Emma" oft schon Dinge thematisiert hat, die allgemein in der Gesellschaft überhaupt erst zum Thema zehn oder manchmal 20 Jahre später wurden. Und das ist natürlich sehr interessant: sexueller Missbrauch, politischer Islam, Frauenfußball und so weiter.
Scholl: Genau, darauf wollte ich gerade kommen, Frau Schwarzer, das macht nämlich wirklich zum Nachlesen schon Appetit, wenn da so viele Hefte genannt werden, die mit diesen Themen Furore gemacht haben – also nehmen wir nur mal die Jahreszahl: Das erste Dossier über sexuellen Missbrauch 1978, …
Schwarzer: Ja.
Scholl: Die Forderung vom Zugang von Frauen zum Militär 1979, erste Titelgeschichte zum Frauenfußball – Wenn "Emma" aber immer vorne weg schreitet, man könnte es ja auch umdrehen und sagen: Ja, man könnte andersrum denken und sagen, alles was Emma anmahnt und thematisiert, braucht dann ewig lange, bis es passiert.
Schwarzer: Ja, so ist es. Es hat eine erfreuliche und eine bedenkliche Seite. Aber das liegt leider nicht in unserer Macht, es zu beschleunigen. Ich glaube, dass die Funktion von "Emma" ist, also nicht nur, dass sie – und da ist sie wirklich originär, das ist ganz klar –, dass man bei uns Dinge liest, die man sonst nirgendwo liest, das ist klar, und dass wir gegen den Strich denken und auch Dinge hinterfragen und so, aber das bestärkt nicht nur unsere Leserinnen und regt sie zum Denken an, sondern natürlich hat in diesen 35 Jahren "Emma" die anderen Medien und auch die Politik stark beeinflusst, manchmal richtig Gesetze gemacht, zum Beispiel gegen Vergewaltigung und so weiter, oder Gesetzesänderungen verhindert – Ende der 70er wollte man tatsächlich den Strafparagrafen für Pädophilie abschaffen im Zuge des allgemeinen Rausches der sexuellen Befreiung. Das hat wirklich "Emma" mit einigen Gleichgesinnten verhindert. Also wir haben oft auch gehandelt, ja? Das ist, glaube ich, das Besondere von "Emma".
Scholl: Sie haben zum Jubiläum auch ein Dossier "40 Jahre Frauenbewegung". Dort findet sich ein langer Text von Ihnen selber, Frau Schwarzer, aus dem Jahr 1972, ...
Schwarzer: Ja.
Scholl: … der damals in der Zeitschrift "Pardon" erschien. "Männer, wir kommen!" – sehr kämpferisch überschrieben. Wie geht es Ihnen, wenn Sie solch einen Text wieder lesen nach 40 Jahren?
Schwarzer: Ja, manchmal muss ich natürlich lachen, weil wie Sie schon ganz richtig sagen, der Ton war kämpferischer früher, nicht? Und auch ein bisschen ernsthafter, politisch, nicht? Und wenn man das dann so liest, mit welchem Ernst und Elan ich da auch berichtet habe, da muss ich manchmal selber lächeln, das würde man heute vielleicht manchmal ein bisschen cooler machen, ein bisschen mehr mit Humor, aber das waren einfach die Zeiten. Ich meine, man muss bedenken, als ich diesen Text geschrieben habe – damals habe ich übrigens noch in Paris gelebt und bin angereist zu diesem Kongress der deutschen Frauen und habe dann darüber im "Pardon" und im WDR berichtet –, also, als ich diesen Text geschrieben habe zum Beispiel, konnte in Deutschland ein Ehemann einer berufstätigen Frau noch zum Chef seiner Frau gehen, ohne sie auch nur zu fragen, und die Stelle kündigen mit der Begründung, sie macht ihren Haushalt nicht ordentlich. Ich meine, das muss man sich mal überlegen. Und in dieses Klima sind wir aufgebrochen, und da haben wir natürlich richtig zugelangt.
Scholl: Sie schreiben selber im Editorial dieses Dossiers, dass man von einer Bewegung ja eigentlich nur für die ersten zehn Jahre sprechen kann. Ab Anfang der 1980er sei der Feminismus allgegenwärtig in der deutschen Gesellschaft, und auch die Debatte drüber. Heute bewege er sich wie ein Fisch im Wasser und sei deshalb auch nur schwer fassbar. Ist das ein Problem, Frau Schwarzer, oder nicht eigentlich gut? Ich meine, Sie haben so viel mit Ihrem Engagement erreicht in unserer Gesellschaft, oder nicht?
Schwarzer: Es ist gut und problematisch zugleich. Also der Feminismus, der Begriff Feminismus, ist eine sehr inflationäre Münze. Und was wir nicht geschafft haben – wir haben es aber auch, ehrlich gesagt, nicht angestrebt –, ist sozusagen, eine politische Lobby zu sein, nicht? So wie die Grünen für die Ökologie oder so. Wir hätten ja auch Ende der 70er, hätten ja Feministinnen eine Partei gründen können, und ich bin überzeugt, bis heute würden wir locker über die fünf Prozent kommen. Wir haben uns also nicht institutionalisiert, sondern haben sozusagen einen Kulturkampf geführt, haben das Augenmerk auf die Veränderung des Bewusstseins gelegt. Das macht den Feminismus sehr subversiv, das macht ihn aber auch manipulierbar. Wir erleben ja seit Langem, dass auch Forderungen im Namen des Feminismus gestellt werden, die mit Feminismus gar nichts zu tun haben. Und das verwirrt immer wieder die Geschichte. Und es macht es auch sehr leicht, so dieses, bei einigen sehr beliebte, Spielchen des Frauen gegeneinander Ausspielens zu spielen: Ja, liebe Frau Schwarzer, wenn sogar Frauen oder sogar Feministinnen das sagen, ich meine, Entschuldigung, ja? So.
Scholl: Deutschlandradio Kultur, das "Feuilleton-Pressegespräch", heute mit Alice Schwarzer von "Emma" zum 35. Geburtstag.
Kommen wir auf ein Thema im aktuellen Heft zu sprechen, Frau Schwarzer, das ja einen Aspekt von einer Art neuem Feminismus aufgreift. Es geht um Femen, das ist eine Agitpop-Gruppe aus der Ukraine, …
Schwarzer: Aus der Ukraine, ja.
Scholl: … die mit sehr viel nackter Haut und sehr aggressiv demonstriert, jetzt nicht nur in Kiew, sondern auch in Rom und Zürich und Paris sind die Damen aufgetaucht. Was ist das für eine Variante von Frauenpower? Wie sehen Sie das?
Schwarzer: Ja, das ist für mich der neue Feminismus, das, was man die neue Ironie nennt in der Politik oder in Protestbewegungen. Die machen ja Folgendes: Das ist so ein Dutzend Frauen in der Ukraine, die in der Tat schon weltweit, oder zumindest was den Westen angeht, Aufsehen erregt haben, und zwar warum: Ihr Hauptanliegen ist der Kampf gegen den Frauenhandel und gegen die Prostitution.
Das ist weltweit ein Problem, auch ein gewaltiges Problem in Deutschland, aber in der Ukraine ein besonderes Problem, weil die Ukraine ein armes Land ist, am ärmsten sind die Frauen, und die werden da verschachert und in die Prostitution getrieben.
Und nun gehen diese Frauen her und sagen, okay, ihr Journalisten wollt eigentlich davon nichts hören, und was ihr am liebsten fotografiert, sind Frauen mit bloßem Busen, die schick und blond sind und süß aussehen, und so weiter. Das liefern wir Euch. Das heißt, die gehen halbnackt auf die Straße, hübsche junge Frauen – klar! –, haben alle lange blonde Haare entweder oder Echthaarperücken, in den Haaren sind herrliche Blumenkränze, sie sehen prächtig aus, jedem Fotografen läuft das Wasser im Mund zusammen, und so lassen sie sich fotografieren, aber sie halten eben ihre Protestschilder, die gar nicht dazu passen, und auch ihre wütenden Gesichter gleichzeitig in die Kamera. Und auf diesen Schildern steht: Prostitution ist ein Verbrechen gegen die Menschenwürde, oder Frauen sind nicht zu kaufen.
Wir haben das hier in der "Emma" sehr diskutiert, und ich sage ganz ehrlich, ich war die größte Befürworterin, die anderen haben noch so ein bisschen gezögert zunächst, sind aber inzwischen auch sehr überzeugt, groß über diese Gruppe zu berichten, auch sogar mit ihr zu titeln, weil ich das wirklich subversiv finde.
Scholl: Ich wollte gerade sagen, solch eine stolze Nackte posiert auch auf dem Titelbild der Jubiläums-"Emma", und da habe ich gleich gedacht, ob es da nicht auch Diskussionen gab.
Schwarzer: Ja.
Scholl: Also nackte Brüste sind ja normalerweise Blickfang für ganz andere Zeitschriften.
Schwarzer: Ja, so ist es. Aber ich meine, die "Emma" war ja noch nie gegen Nacktheit an sich oder gegen Erotik, das ist ja absurd. Ganz im Gegenteil, ich meine, wir sind Teil einer Bewegung, die die Sexualität für Frauen befreit hat, und die ihnen überhaupt erst mal beigebracht hat, dass sie auch das Recht auf eigene Lust haben. Nacktheit an sich will noch gar nichts besagen.
Es ist eine Frage der Würde, wie das auftritt und in welchem Zusammenhang. Und hier wird die Nacktheit mit Stolz präsentiert und kämpferisch eingesetzt, und diese Frauen drehen sozusagen – das ist ein Bumerang, ja? – drehen diese Pornografisierung in der Luft um und machen sie zu ihrer eigenen Waffe.
Pornografie, wenn ich das noch hinzufügen darf, ist für uns ja nur das, wo man Lust an Sexualität mit Lust an Erniedrigung und Gewalt verknüpft. Und hier kann von Erniedrigung gar nicht die Rede sein. Unsere nackte Blondine auf "Emma", die springt mit Stolz und Zorn dem Betrachter ins Gesicht.
Scholl: Lassen Sie uns noch kurz auf einen Punkt kommen, Frau Schwarzer, mit Blick auf die 40 Jahre Frauenbewegung. In der kommenden Woche wird es in Köln eine Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung geben, und dort soll es um eine sogenannte antifeministische Männerbewegung gehen, die jetzt wieder stärker von sich reden machen soll. Ich habe mich gefragt, wenn Sie so was hören, Frau Schwarzer, zucken Sie da mit den Achseln, weil solch blöder Quark Sie seit 40 Jahren begleitet, oder ist das doch wieder was Neues, das Sie interessiert?
Schwarzer: Nein, ich glaube, das muss man ernst nehmen. Also es kommt doch jetzt eine Stimmung auf, in der es gar nicht mehr peinlich ist, offen und krass anti-emanzipatorisch zu sein, ja? Und das Interessante an dieser Bewegung – das ist so ein strapazierter Begriff, aber an dieser Stimmung, die an vielen Fronten herrscht – ist ihre Breite. Dazu gehören auch einige Intellektuelle und bekannte Journalisten in seriösen Zeitungen. Dazu gehören neue Rechte, dazu gehören Teile der Väter-Bewegung und so weiter. Auch "Emma" sitzt gerade an einem Dossier darüber, und das ist sehr zu begrüßen, dass die Böll-Stiftung dazu etwas macht. Und lassen Sie mich noch eins, weil wir noch ein Pressegespräch führen, Herr Scholl, darf ich noch etwas hinzufügen?
Scholl: Na sicher, gerne.
Schwarzer: Was eigentlich selten bedacht wird bei "Emma", weil natürlich die Aufregung um die Inhalte - und zu Recht - immer alles andere verschattet, ich finde es auch eine besondere Tat von "Emma", dass sie ein völlig unabhängiges Blatt ist. Ich habe die Emma vor 35 Jahren mit 250.000 Mark gegründet, da haben sich alle auf die Knie geschlagen und haben gesagt: Sie ist verrückt geworden! Wir gehören zu keiner Partei, wir erlauben uns, alles zu kritisieren, wir haben kaum Werbung, weil die Werbung nicht zu uns kommt. Wir leiden also auch nicht unter dem Einbruch der Werbung. Wir sind unabhängig, wir zahlen unsere Rechnungen pünktlich, wir zahlen übertarifliche Gehälter, und das ist schon auch – unabhängig vom Feminismus, finde ich – etwas Bemerkenswertes. Das macht natürlich sehr, sehr frei.
Scholl: Ich danke Ihnen, Frau Schwarzer, wünsche Ihnen einen schönen Geburtstag, und feiern Sie schön!
Schwarzer: Ja.
Scholl: Ein Dossier über 40 Jahre Frauenbewegung und der neue Feminismus in der Ukraine sind nur zwei Themen von vielen in der neuen Emma, jetzt überall am Kiosk erhältlich. Alle drei Monate erscheint "Emma" in Köln, und dort empfängt man Deutschlandradio Kultur auf der UKW-Frequenz 91,3. Ihnen einen schönen Tag, Frau Schwarzer!
Schwarzer: Ja, für Sie auch, Herr Scholl!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Diskutieren Sie über dieses Thema auf der Facebook-Seite von Deutschlandradio Kultur.
Alice Schwarzer: Ja, guten Morgen, Herr Scholl!
Scholl: Erst mal Glückwunsch, Frau Schwarzer, alles Gute zum Geburtstag!
Schwarzer: Ja, danke!
Scholl: Sie haben sich selbst und allen auch historisch interessierten Leserinnen und Lesern ein besonderes Geburtstagsgeschenk gemacht: Ab sofort gibt es jetzt nämlich sämtliche "Emmas", von Heft eins bis 300 komplett digitalisiert im Netz, und kostenlos kann man dort stöbern. Das hat bislang noch keine einzige Zeitschrift gemacht. Warum machen Sie es?
Schwarzer: Ja, das stimmt. Ich finde auch, dass das ein großartiger und auch mutiger Schritt ist. Denn es ist ja nicht gerade im Sinne einer Verlegerin, ihre Zeitung zu verschenken. Aber es ist im politischen Sinne der Feministin Schwarzer, dass das, was die "Emma" über 35 Jahre berichtet und analysiert hat und gefordert hat, dass das allgemein und sicher zugänglich ist, denn diese 35 Jahre "Emma", diese 25.348 Seiten, die sind eine wahre Goldgrube. Und man entdeckt darin eben auch, dass "Emma" oft schon Dinge thematisiert hat, die allgemein in der Gesellschaft überhaupt erst zum Thema zehn oder manchmal 20 Jahre später wurden. Und das ist natürlich sehr interessant: sexueller Missbrauch, politischer Islam, Frauenfußball und so weiter.
Scholl: Genau, darauf wollte ich gerade kommen, Frau Schwarzer, das macht nämlich wirklich zum Nachlesen schon Appetit, wenn da so viele Hefte genannt werden, die mit diesen Themen Furore gemacht haben – also nehmen wir nur mal die Jahreszahl: Das erste Dossier über sexuellen Missbrauch 1978, …
Schwarzer: Ja.
Scholl: Die Forderung vom Zugang von Frauen zum Militär 1979, erste Titelgeschichte zum Frauenfußball – Wenn "Emma" aber immer vorne weg schreitet, man könnte es ja auch umdrehen und sagen: Ja, man könnte andersrum denken und sagen, alles was Emma anmahnt und thematisiert, braucht dann ewig lange, bis es passiert.
Schwarzer: Ja, so ist es. Es hat eine erfreuliche und eine bedenkliche Seite. Aber das liegt leider nicht in unserer Macht, es zu beschleunigen. Ich glaube, dass die Funktion von "Emma" ist, also nicht nur, dass sie – und da ist sie wirklich originär, das ist ganz klar –, dass man bei uns Dinge liest, die man sonst nirgendwo liest, das ist klar, und dass wir gegen den Strich denken und auch Dinge hinterfragen und so, aber das bestärkt nicht nur unsere Leserinnen und regt sie zum Denken an, sondern natürlich hat in diesen 35 Jahren "Emma" die anderen Medien und auch die Politik stark beeinflusst, manchmal richtig Gesetze gemacht, zum Beispiel gegen Vergewaltigung und so weiter, oder Gesetzesänderungen verhindert – Ende der 70er wollte man tatsächlich den Strafparagrafen für Pädophilie abschaffen im Zuge des allgemeinen Rausches der sexuellen Befreiung. Das hat wirklich "Emma" mit einigen Gleichgesinnten verhindert. Also wir haben oft auch gehandelt, ja? Das ist, glaube ich, das Besondere von "Emma".
Scholl: Sie haben zum Jubiläum auch ein Dossier "40 Jahre Frauenbewegung". Dort findet sich ein langer Text von Ihnen selber, Frau Schwarzer, aus dem Jahr 1972, ...
Schwarzer: Ja.
Scholl: … der damals in der Zeitschrift "Pardon" erschien. "Männer, wir kommen!" – sehr kämpferisch überschrieben. Wie geht es Ihnen, wenn Sie solch einen Text wieder lesen nach 40 Jahren?
Schwarzer: Ja, manchmal muss ich natürlich lachen, weil wie Sie schon ganz richtig sagen, der Ton war kämpferischer früher, nicht? Und auch ein bisschen ernsthafter, politisch, nicht? Und wenn man das dann so liest, mit welchem Ernst und Elan ich da auch berichtet habe, da muss ich manchmal selber lächeln, das würde man heute vielleicht manchmal ein bisschen cooler machen, ein bisschen mehr mit Humor, aber das waren einfach die Zeiten. Ich meine, man muss bedenken, als ich diesen Text geschrieben habe – damals habe ich übrigens noch in Paris gelebt und bin angereist zu diesem Kongress der deutschen Frauen und habe dann darüber im "Pardon" und im WDR berichtet –, also, als ich diesen Text geschrieben habe zum Beispiel, konnte in Deutschland ein Ehemann einer berufstätigen Frau noch zum Chef seiner Frau gehen, ohne sie auch nur zu fragen, und die Stelle kündigen mit der Begründung, sie macht ihren Haushalt nicht ordentlich. Ich meine, das muss man sich mal überlegen. Und in dieses Klima sind wir aufgebrochen, und da haben wir natürlich richtig zugelangt.
Scholl: Sie schreiben selber im Editorial dieses Dossiers, dass man von einer Bewegung ja eigentlich nur für die ersten zehn Jahre sprechen kann. Ab Anfang der 1980er sei der Feminismus allgegenwärtig in der deutschen Gesellschaft, und auch die Debatte drüber. Heute bewege er sich wie ein Fisch im Wasser und sei deshalb auch nur schwer fassbar. Ist das ein Problem, Frau Schwarzer, oder nicht eigentlich gut? Ich meine, Sie haben so viel mit Ihrem Engagement erreicht in unserer Gesellschaft, oder nicht?
Schwarzer: Es ist gut und problematisch zugleich. Also der Feminismus, der Begriff Feminismus, ist eine sehr inflationäre Münze. Und was wir nicht geschafft haben – wir haben es aber auch, ehrlich gesagt, nicht angestrebt –, ist sozusagen, eine politische Lobby zu sein, nicht? So wie die Grünen für die Ökologie oder so. Wir hätten ja auch Ende der 70er, hätten ja Feministinnen eine Partei gründen können, und ich bin überzeugt, bis heute würden wir locker über die fünf Prozent kommen. Wir haben uns also nicht institutionalisiert, sondern haben sozusagen einen Kulturkampf geführt, haben das Augenmerk auf die Veränderung des Bewusstseins gelegt. Das macht den Feminismus sehr subversiv, das macht ihn aber auch manipulierbar. Wir erleben ja seit Langem, dass auch Forderungen im Namen des Feminismus gestellt werden, die mit Feminismus gar nichts zu tun haben. Und das verwirrt immer wieder die Geschichte. Und es macht es auch sehr leicht, so dieses, bei einigen sehr beliebte, Spielchen des Frauen gegeneinander Ausspielens zu spielen: Ja, liebe Frau Schwarzer, wenn sogar Frauen oder sogar Feministinnen das sagen, ich meine, Entschuldigung, ja? So.
Scholl: Deutschlandradio Kultur, das "Feuilleton-Pressegespräch", heute mit Alice Schwarzer von "Emma" zum 35. Geburtstag.
Kommen wir auf ein Thema im aktuellen Heft zu sprechen, Frau Schwarzer, das ja einen Aspekt von einer Art neuem Feminismus aufgreift. Es geht um Femen, das ist eine Agitpop-Gruppe aus der Ukraine, …
Schwarzer: Aus der Ukraine, ja.
Scholl: … die mit sehr viel nackter Haut und sehr aggressiv demonstriert, jetzt nicht nur in Kiew, sondern auch in Rom und Zürich und Paris sind die Damen aufgetaucht. Was ist das für eine Variante von Frauenpower? Wie sehen Sie das?
Schwarzer: Ja, das ist für mich der neue Feminismus, das, was man die neue Ironie nennt in der Politik oder in Protestbewegungen. Die machen ja Folgendes: Das ist so ein Dutzend Frauen in der Ukraine, die in der Tat schon weltweit, oder zumindest was den Westen angeht, Aufsehen erregt haben, und zwar warum: Ihr Hauptanliegen ist der Kampf gegen den Frauenhandel und gegen die Prostitution.
Das ist weltweit ein Problem, auch ein gewaltiges Problem in Deutschland, aber in der Ukraine ein besonderes Problem, weil die Ukraine ein armes Land ist, am ärmsten sind die Frauen, und die werden da verschachert und in die Prostitution getrieben.
Und nun gehen diese Frauen her und sagen, okay, ihr Journalisten wollt eigentlich davon nichts hören, und was ihr am liebsten fotografiert, sind Frauen mit bloßem Busen, die schick und blond sind und süß aussehen, und so weiter. Das liefern wir Euch. Das heißt, die gehen halbnackt auf die Straße, hübsche junge Frauen – klar! –, haben alle lange blonde Haare entweder oder Echthaarperücken, in den Haaren sind herrliche Blumenkränze, sie sehen prächtig aus, jedem Fotografen läuft das Wasser im Mund zusammen, und so lassen sie sich fotografieren, aber sie halten eben ihre Protestschilder, die gar nicht dazu passen, und auch ihre wütenden Gesichter gleichzeitig in die Kamera. Und auf diesen Schildern steht: Prostitution ist ein Verbrechen gegen die Menschenwürde, oder Frauen sind nicht zu kaufen.
Wir haben das hier in der "Emma" sehr diskutiert, und ich sage ganz ehrlich, ich war die größte Befürworterin, die anderen haben noch so ein bisschen gezögert zunächst, sind aber inzwischen auch sehr überzeugt, groß über diese Gruppe zu berichten, auch sogar mit ihr zu titeln, weil ich das wirklich subversiv finde.
Scholl: Ich wollte gerade sagen, solch eine stolze Nackte posiert auch auf dem Titelbild der Jubiläums-"Emma", und da habe ich gleich gedacht, ob es da nicht auch Diskussionen gab.
Schwarzer: Ja.
Scholl: Also nackte Brüste sind ja normalerweise Blickfang für ganz andere Zeitschriften.
Schwarzer: Ja, so ist es. Aber ich meine, die "Emma" war ja noch nie gegen Nacktheit an sich oder gegen Erotik, das ist ja absurd. Ganz im Gegenteil, ich meine, wir sind Teil einer Bewegung, die die Sexualität für Frauen befreit hat, und die ihnen überhaupt erst mal beigebracht hat, dass sie auch das Recht auf eigene Lust haben. Nacktheit an sich will noch gar nichts besagen.
Es ist eine Frage der Würde, wie das auftritt und in welchem Zusammenhang. Und hier wird die Nacktheit mit Stolz präsentiert und kämpferisch eingesetzt, und diese Frauen drehen sozusagen – das ist ein Bumerang, ja? – drehen diese Pornografisierung in der Luft um und machen sie zu ihrer eigenen Waffe.
Pornografie, wenn ich das noch hinzufügen darf, ist für uns ja nur das, wo man Lust an Sexualität mit Lust an Erniedrigung und Gewalt verknüpft. Und hier kann von Erniedrigung gar nicht die Rede sein. Unsere nackte Blondine auf "Emma", die springt mit Stolz und Zorn dem Betrachter ins Gesicht.
Scholl: Lassen Sie uns noch kurz auf einen Punkt kommen, Frau Schwarzer, mit Blick auf die 40 Jahre Frauenbewegung. In der kommenden Woche wird es in Köln eine Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung geben, und dort soll es um eine sogenannte antifeministische Männerbewegung gehen, die jetzt wieder stärker von sich reden machen soll. Ich habe mich gefragt, wenn Sie so was hören, Frau Schwarzer, zucken Sie da mit den Achseln, weil solch blöder Quark Sie seit 40 Jahren begleitet, oder ist das doch wieder was Neues, das Sie interessiert?
Schwarzer: Nein, ich glaube, das muss man ernst nehmen. Also es kommt doch jetzt eine Stimmung auf, in der es gar nicht mehr peinlich ist, offen und krass anti-emanzipatorisch zu sein, ja? Und das Interessante an dieser Bewegung – das ist so ein strapazierter Begriff, aber an dieser Stimmung, die an vielen Fronten herrscht – ist ihre Breite. Dazu gehören auch einige Intellektuelle und bekannte Journalisten in seriösen Zeitungen. Dazu gehören neue Rechte, dazu gehören Teile der Väter-Bewegung und so weiter. Auch "Emma" sitzt gerade an einem Dossier darüber, und das ist sehr zu begrüßen, dass die Böll-Stiftung dazu etwas macht. Und lassen Sie mich noch eins, weil wir noch ein Pressegespräch führen, Herr Scholl, darf ich noch etwas hinzufügen?
Scholl: Na sicher, gerne.
Schwarzer: Was eigentlich selten bedacht wird bei "Emma", weil natürlich die Aufregung um die Inhalte - und zu Recht - immer alles andere verschattet, ich finde es auch eine besondere Tat von "Emma", dass sie ein völlig unabhängiges Blatt ist. Ich habe die Emma vor 35 Jahren mit 250.000 Mark gegründet, da haben sich alle auf die Knie geschlagen und haben gesagt: Sie ist verrückt geworden! Wir gehören zu keiner Partei, wir erlauben uns, alles zu kritisieren, wir haben kaum Werbung, weil die Werbung nicht zu uns kommt. Wir leiden also auch nicht unter dem Einbruch der Werbung. Wir sind unabhängig, wir zahlen unsere Rechnungen pünktlich, wir zahlen übertarifliche Gehälter, und das ist schon auch – unabhängig vom Feminismus, finde ich – etwas Bemerkenswertes. Das macht natürlich sehr, sehr frei.
Scholl: Ich danke Ihnen, Frau Schwarzer, wünsche Ihnen einen schönen Geburtstag, und feiern Sie schön!
Schwarzer: Ja.
Scholl: Ein Dossier über 40 Jahre Frauenbewegung und der neue Feminismus in der Ukraine sind nur zwei Themen von vielen in der neuen Emma, jetzt überall am Kiosk erhältlich. Alle drei Monate erscheint "Emma" in Köln, und dort empfängt man Deutschlandradio Kultur auf der UKW-Frequenz 91,3. Ihnen einen schönen Tag, Frau Schwarzer!
Schwarzer: Ja, für Sie auch, Herr Scholl!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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