Dinieren im Altarraum

Von Peter Kaiser |
Essen hatte in Kirchen schon immer seinen Ort, und das nicht nur beim Abendmahl – am Erntedanksonntag schmücken vielen Gemeinden die Altäre mit Gemüse und Obst. Doch mancherorts hat das Essen den Gottesdienst gänzlich abgelöst.
Ein Restaurant in einem Kirchenraum - ist das ein Problem? Es ist eine Sache, den Bedürftigen und Notleidenden Essen und Schutz in den kirchlichen Räumen zu geben, etwa bei den Winterspeisungen. In der Frankfurter Katharinenkirche zum Beispiel verwandeln viele ehrenamtliche Helfer für einen Monat das Kirchenschiff in ein Restaurant, um an Obdachlose eine warme Mahlzeit auszugeben.

Ganz andere Lokalitäten sind etwa das "Don Camillo" im nordhessischen Willingen. Hier sitzen die Gäste bei Bier und Wein auf dunklen Eichenbänken zum Brunch. Früher beteten auf eben diesen Bänken Gläubige. Da war das Gebäude, in dem das "Don Camillo" jetzt ist, noch eine Kirche.

Nach einer Schätzung beider Kirchen werden in den kommenden Jahrzehnten rund ein Drittel aller Kirchenhäuser aufgegeben. Das sind circa 15.000 Gebäude von jetzt noch 45.000. Hintergrund: Seit etwa 15 Jahren gibt es circa zehn Prozent weniger zahlende Katholiken, bei den Protestanten sind es über 17 Prozent. Nicht nur die Kirchgänger schwinden, auch die Einnahmen der Gemeinden. Dazu kommt, dass viele Kirchengebäude reparaturbedürftig sind. Und selbst bei gutem Zustand kostet die laufende Instandhaltung viel.

Aus diesem Dilemma gibt es offenbar nur einen Ausweg: den Verkauf der Kirchen. So hat die Evangelische Kirche Deutschlands zwischen 1990 und 2005 96 Kirchen verkauft, die katholische Kirche 98. Die Deutsche Bischofskonferenz gibt die Zahl der in den kommenden Jahren nicht mehr liturgisch genutzten Kirchengebäude mit 600 an. Was aber geschieht mit den Immobilien?

"Also wir haben in diesem Jahr zehn Jahre. Seitdem besteht das Refugium."

Ada Withake-Scholz ist Geschäftsführerin im "Refugium". Das Restaurant befindet sich im Souterrain der französischen Friedrichstadtkirche am Berliner Gendarmenmarkt.

"Also die Gäste, die hier reinkommen, die meisten wissen natürlich, dass es in einer Kirche ist. Also aufgrund dessen passiert natürlich etwas im Kopf."

Oben Gebete, unten Gebratenes und Gekochtes. Oben Messwein, unten Champagner. Gibt es keinerlei Verbindung mehr von oben nach unten?

"Es gibt deswegen eine Verbindung zu beiden Seiten, weil oben ist ja nicht nur ein sakraler Raum, sondern oben der Kirchenraum ist ja auch ein Ort für Veranstaltungen. Also da finden ganz viele Konzerte statt."

Ob das "Refugium" am Berliner Gendarmenmarkt, die zum Theatersaal umgebaute Hamburger Bugenhagenkirche oder die als Musikcafé genutzte St. Georg-Kirche in Gelsenkirchen, die Nutzungskonzepte sind vielfältig. Manches geht auf frühere Traditionen zurück, denn gerade in Krisen- und Umbruchzeiten wurden Kirchen schon immer anders genutzt. So wurden aus Kirchenschiffen oft Lazarette oder Schulen.

Und wenn heute beispielsweise der Caritasverband aus einer nicht mehr genutzten Kirche eine Alten- und Krankenpflegeschule macht, oder ein Therapiezentrum, so spielt das Bistum oder die Pfarrei dabei meist mit. Mit anderen Nutzungskonzepten gibt es aber Probleme. In einer Resolution der Deutschen Stiftung Denkmalschutz aus dem April 2009 heißt es dazu:

"Kirchen bezeugen als Orientierungspunkte im Ortsbild die öffentliche Bedeutung des Christentums in der Gesellschaft. Kirchenräume sind Orte der Ruhe und der Besinnung. Durch die Jahrhunderte hindurch verweisen sie auf eine andere Dimension unseres Daseins. Wir haben nicht zu viele Kirchengebäude, sondern zu wenig Ideen."

Als die Martinikirche im Jahr 2004 für einen Euro in Bielefeld zu haben war und ein Gastronom zuschlug, fanden nicht alle die Idee gut, sagt die Geschäftsführerin Karoline Bronk:

"Also es gab Proteste, wo einige Leute gesagt haben Kirche sollte man Kirche sein lassen. Es haben aber auch viele Leute, die haben sich das erst mal angeguckt, und haben dann gesagt, es ist doch sehr stilvoll, und es ist nicht so, dass man die Kirche ja nicht mehr wiedererkennt. Und insofern haben wir die auch ein bisschen gewinnen können."

Doch dass man im Kirchenschiff der einstigen Bielefelder Martinikirche heute seinen Verdauungsschnaps nach dem 3-Gang-Menü kippt, passt selbst Jahre, nachdem das Restaurant "GlückundSeligkeit" hier einzog, nicht jedem. Auch die besondere Kirchenakustik - eigentlich ja ausgelegt für einen Gottesdienst - ist Geschmackssache, meint eine Besucherin:

"Dadurch, dass das so'n großer Raum ist, und das sicherlich eine gute Akustik ist für Musik oder für Gottesdienst, sicherlich schön, aber zum Essen fand ich es einfach zu unruhig, zu laut."

Und manchmal, sagt eine andere Besucherin, ist es einfach nur ein ungutes Gefühl, dass die Entspannung beim Essen verhindert:

"In meinem Gefühl gehört das nicht zusammen. So’n Kirche und so’n Restaurant, wirtschaftlicher Betrieb. Ich glaube das ist auch so’n Gefühl von: Irgendwie ist immer alles machbar, aber ich finde nee, es ist nicht alles machbar."

Karoline Bronk: "Wir sind immer noch ein Ort, wo Menschen zusammenkommen, zusammen essen, zusammen trinken, sich unterhalten. Wir haben viele Veranstaltungen, die das Wort 'Mahl' dabei haben. Wir haben das philosophische Gastmahl, unser Cookmahl, das ist eine Kochshow, wir haben unser Momentmahl und ein Weinmahl. Ansonsten haben wir jetzt nichts direkt in der Karte, was einen kirchlichen Bezug hat."

Tausende Autos fahren täglich an der Berlin-Kreuzberger Heilig-Kreuz-Kirche vorbei. Der massive Bau mit neogotischen Elementen ist nicht nur ein Ort für Gottesdienste - sondern auch für sogenannte "Events": Konzerte, Podiumsdiskussionen und Ausstellungen.

Der Erlös daraus trägt nicht nur das Kirchengebäude, sondern finanziert auch die jährliche Wärmestube für Obdachlose, die immer im Oktober beginnt. In der riesigen Kirche gibt es auch noch ein Café, zweckmäßig, liebevoll und eher still seitlich des großen Kirchenschiffs gelegen. Hier helfen bis zu 14 Ehrenamtliche in Spitzenzeiten. Willy Fuchs ist einer von ihnen:

"Mittlerweile haben wir auch Stammgäste, die nicht unbedingt Gemeindemitglieder sind. Und dann haben wir auch ganz viele Gäste, die durch die Veranstaltungen kommen. Wir haben viele Konzertveranstaltungen hier, wo wir auch den Cafébetrieb haben, aber wo auch die Gäste andere Getränke kaufen, Wein, Bier, Säfte. Manchmal sind ja bei Konzerten 600, 700 Leute hier, und haben wir dann manchmal schön zu tun, dass die Leute alle was zu trinken kriegen."

Es heißt, dass viele hier die Ruhe beim Tee oder Kaffee genießen, die Einkehr beim Essen. Und wenn im Kirchgarten dann noch der kleine Wasserfall angeschaltet ist, werden aus den Minuten hier oft Stunden. Und oft passiert noch etwas.

Willy Fuchs: "Also die meisten Leute machen dann noch einen Blick in die Kirche rein …""

Speis und Trank im Gotteshaus - wenn so Ruhe und Abkehr von der Hektik möglich sind, dann bleiben die Menschen in der Kirche. Und kehren zurück, nicht nur zum "Candlelight-Dinner" im Kirchenschiff.