Dionysos unter den Operettenkomponisten

Von Sabine Fringes |
Emmerich Kálmán verstand es, Schlager zu erfinden, die das Publikum heute noch auswendig mitsingen kann. Er wurde in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen zum Begründer der sogenannten silbernen Wiener Operettenära.
"Die ungarische Musik ist eine Herzenssache von mir. Als junger Bursch war ich in Budapest mit den besten Zigeunerkapellen ständig in Kontakt. Ich besaß auch noch bis vor kurzer Zeit von dem berühmten ungarischen Zigeuner Pali Rácz ein Foto mit einer rührenden Widmung. Der Familie Rácz habe ich ein kleines Denkmal gesetzt in der Figur des Pali Rácz, Titelrolle der Operette 'Der Zigeunerprimas'."

Emmerich Kálmán über seine Operette "Der Zigeunerprimas", mit der dem 30-Jährigen der internationale Durchbruch gelang.

Zuvor hatte das Leben dem am 24. Oktober 1882 in dem kleinen Badeort Siófok am Plattensee Geborenen einige Hindernisse in den Weg gelegt: Sein Vater verliert bei einem Bankenkrach all seinen Besitz. Emmerich spart jeden Heller für seine Musikausbildung, er möchte Pianist werden, doch eine Gelenkentzündung verhindert die schon hoffnungsvoll begonnene Karriere. Als Notlösung studiert er Komposition und Musiktheorie, schreibt die ersten Symphonien und Lieder - und entdeckt die Operette. Bereits seine erste, eine Militär-Satire mit dem Titel "Herbstmanöver", schlägt bei ihrer Budapester Uraufführung 1909 wie eine Bombe ein und feiert ein Jahr später in Wien ihren Erfolg. Von nun an lebt Kálmán in der österreichischen Metropole, wo er bald mit der "Csárdásfürstin", der "Zirkusprinzessin" und seiner "Gräfin Mariza" für Furore sorgt. Publikum und Presse lieben das ungarische Kolorit in der walzerseligen Wiener Operette. Genauso wie jenen parodistischen Unterton, mit dem Kálmán kokett augenzwinkernd das Genre selbst auf die Schippe nimmt, wenn etwa "Leidenschaft heißer brennt als Gulaschsaft":

"Ich brauche Bücher, aus denen Musik herausströmt, ich brauche große Affekte; Kontrastwirkungen; viel Farbe, grelle und zarte Farben. Das Salongeplätscher, Ballgeflüster, die Geistreicherei genügen mir nicht: In meinem Orchester müssen die Trompeten und die Posaunen dröhnen. Jedes Instrument muss das Letzte hergeben: alles im Dienste der einfachen, gesunden Dramatik."

Mit seinen opulenten Orchesterklängen gilt Kálmán bald als der Dionysos unter den Operettenkomponisten. Ganz anders der Privatmann: Freunde erleben ihn als still und bedächtig, tief melancholisch und pessimistisch jeden Erfolg als seinen "nun wirklich" letzten betrachtend.

1938 gerät er wegen seiner jüdischen Abstammung auf die Liste sogenannter "entarteter" Künstler. Ein Schlag, von dem er sich nicht mehr erholen wird. Gemeinsam mit seiner vierköpfigen Familie emigriert er in die USA, wo er vor allem als Dirigent in Erscheinung tritt. Die letzten zwei Jahre seines Lebens verbringt er in Paris. Hier stirbt er am 30. Oktober 1953 im Alter von 71 Jahren an einem Herzschlag.

Seine "Csárdásfürstin" und die "Gräfin Mariza" zählen heute nach wie vor mit zu den beliebtesten Werken der Operettenbühne.

Kálmán über die Kunst der "leichten Muse":

"Mit einer Symphonie kann man vielleicht eine Bedeutung vorschwindeln, die man nicht besitzt; man redet sich einfach auf Eigenart und persönliche Note aus, die einem verbietet, etwas zu schreiben, was dem Nächsten gefällt. Aber schon das einfachste Lied, der kleinste Walzer muss erfunden sein und muss jenen ganz gewissen zündenden Funken haben, der die Leute mitreißt."