Diplomat, Untergrundkurier und Augenzeuge
Eigentlich ist es ein bedauerlicher Rekord. Erst 65 Jahre, nachdem es in den Vereinigten Staaten erschien und auf Anhieb zum Bestseller wurde, ist dieses Buch ins Deutsche übersetzt worden.
Dabei kann die "Story of a secret state" von Jan Karski, des 1914 in Lodz als Jan Kozielewski geborenen polnischen Katholiken, der später zum amerikanischen Staatsbürger sowie Ehrenbürger Israels wurde und im Jahr 2000 in Washington starb, Grundlegendes zum Verständnis des Zweiten Weltkriegs beitragen.
Unter dem Titel "Mein Bericht an die Welt. Geschichte eines Staates im Untergrund", präzise kommentiert und mit einem einleitenden Essay versehen, ist das über 600 Seiten umfassende Buch im Antje Kunstmann Verlag erschienen.
In 33 chronologisch lose geordneten Kapiteln erfährt man, was der junge polnische Diplomat von September 1939 bis Juli 1943 erlebt: die Brutalität des deutschen Angriffs auf Polen, die Annexion der Ostteile des Landes durch die Sowjetunion wenige Wochen später, vor allem aber den raschen Aufbau eines konspirativen polnischen Staats, der über ein Mehrparteiensystem verfügte, über Militär, Justiz, Schulen, Theater und Sozialbehörden, ohne dass die Besatzer etwas davon wussten.
Als Untergrundkurier hatte Jan Karski die polnische Exilregierung in Frankreich, später in London, mehrfach unter Einsatz seines Lebens über die Lage im besetzten Land informiert. Ein zentrales Thema: Die Massenvernichtung der Juden auf polnischem Boden. Karski versuchte das Gewissen der westlichen Welt aufzurütteln und im Sinne der polnischen Exilregierung die Alliierten zu bewegen, das Geschehen mit militärischen Mitteln zu stoppen.
Im Herbst 1942, kurz vor seiner Abreise nach London, war Karski in Warschau mit Vertretern der jüdischen Bevölkerung zusammengetroffen. Er ließ sich ins Warschauer Ghetto und in das Konzentrationslager Izbica unweit von Lublin einschleusen.
Das, was er mit eigenen Augen gesehen hatte, und den Hilferuf der politischen Anführer der Juden, übermittelte er am 28. Juli 1943 im Weißen Haus. Franklin D. Roosevelt empfing ihn freundlich und interessiert. Doch die Westmächte konnten oder wollten den Holocaust nicht stoppen. Auch unterstützten sie den polnischen Untergrundstaat nur halbherzig und entzogen 1945 der polnischen Exilregierung ihre Anerkennung, um stattdessen offizielle Beziehungen zum kommunistischen Regime in Warschau zu knüpfen.
Jan Karski, der das Manuskript im Frühjahr 1944 in einem Hotel in Manhattan niederschrieb, musste politische Rücksichten nehmen und Selbstzensur üben. Sein amerikanischer Agent verbat sich mit Erfolg antisowjetische Akzente und setzte zur Auflockerung des Berichts eine fiktive Liebesgeschichte durch. Dennoch ist Karskis "Bericht an die Welt" ein außerordentliches Dokument aus dem Zweiten Weltkrieg, eilig niedergeschrieben von einem, der wenige Monate zuvor noch um sein Leben gekämpft hatte – und das vieler Anderer.
Der Stil ist knapp, mitunter reißerisch. Die Dialogführung lässt an ein Drehbuch für einen Hollywoodfilm denken, an den Karski ursprünglich auch gedacht hatte. Dass der Autor die Wahrheit jener Zeit gleichwohl im Kern getroffen hat, ist nicht zu bezweifeln und verschlägt einem bei der Lektüre immer wieder den Atem.
Besprochen von Martin Sander
Jan Karski: Mein Bericht an die Welt. Geschichte eines Staates im Untergrund
Herausgegeben von Céline Gervais-Francelle
Aus dem englischen Originaltext (Story of a Secret State, 1944) und der französischen Neuausgabe von 2010 übersetzt von Franka Reinhart und Ursel Schäfer
Antje Kunstmann Verlag, München 2011
620 Seiten, 28 Euro
Unter dem Titel "Mein Bericht an die Welt. Geschichte eines Staates im Untergrund", präzise kommentiert und mit einem einleitenden Essay versehen, ist das über 600 Seiten umfassende Buch im Antje Kunstmann Verlag erschienen.
In 33 chronologisch lose geordneten Kapiteln erfährt man, was der junge polnische Diplomat von September 1939 bis Juli 1943 erlebt: die Brutalität des deutschen Angriffs auf Polen, die Annexion der Ostteile des Landes durch die Sowjetunion wenige Wochen später, vor allem aber den raschen Aufbau eines konspirativen polnischen Staats, der über ein Mehrparteiensystem verfügte, über Militär, Justiz, Schulen, Theater und Sozialbehörden, ohne dass die Besatzer etwas davon wussten.
Als Untergrundkurier hatte Jan Karski die polnische Exilregierung in Frankreich, später in London, mehrfach unter Einsatz seines Lebens über die Lage im besetzten Land informiert. Ein zentrales Thema: Die Massenvernichtung der Juden auf polnischem Boden. Karski versuchte das Gewissen der westlichen Welt aufzurütteln und im Sinne der polnischen Exilregierung die Alliierten zu bewegen, das Geschehen mit militärischen Mitteln zu stoppen.
Im Herbst 1942, kurz vor seiner Abreise nach London, war Karski in Warschau mit Vertretern der jüdischen Bevölkerung zusammengetroffen. Er ließ sich ins Warschauer Ghetto und in das Konzentrationslager Izbica unweit von Lublin einschleusen.
Das, was er mit eigenen Augen gesehen hatte, und den Hilferuf der politischen Anführer der Juden, übermittelte er am 28. Juli 1943 im Weißen Haus. Franklin D. Roosevelt empfing ihn freundlich und interessiert. Doch die Westmächte konnten oder wollten den Holocaust nicht stoppen. Auch unterstützten sie den polnischen Untergrundstaat nur halbherzig und entzogen 1945 der polnischen Exilregierung ihre Anerkennung, um stattdessen offizielle Beziehungen zum kommunistischen Regime in Warschau zu knüpfen.
Jan Karski, der das Manuskript im Frühjahr 1944 in einem Hotel in Manhattan niederschrieb, musste politische Rücksichten nehmen und Selbstzensur üben. Sein amerikanischer Agent verbat sich mit Erfolg antisowjetische Akzente und setzte zur Auflockerung des Berichts eine fiktive Liebesgeschichte durch. Dennoch ist Karskis "Bericht an die Welt" ein außerordentliches Dokument aus dem Zweiten Weltkrieg, eilig niedergeschrieben von einem, der wenige Monate zuvor noch um sein Leben gekämpft hatte – und das vieler Anderer.
Der Stil ist knapp, mitunter reißerisch. Die Dialogführung lässt an ein Drehbuch für einen Hollywoodfilm denken, an den Karski ursprünglich auch gedacht hatte. Dass der Autor die Wahrheit jener Zeit gleichwohl im Kern getroffen hat, ist nicht zu bezweifeln und verschlägt einem bei der Lektüre immer wieder den Atem.
Besprochen von Martin Sander
Jan Karski: Mein Bericht an die Welt. Geschichte eines Staates im Untergrund
Herausgegeben von Céline Gervais-Francelle
Aus dem englischen Originaltext (Story of a Secret State, 1944) und der französischen Neuausgabe von 2010 übersetzt von Franka Reinhart und Ursel Schäfer
Antje Kunstmann Verlag, München 2011
620 Seiten, 28 Euro