Diplomatische Beziehungen Deutschland-Israel

Jubiläum einer Vernunftehe

Fähnchen von Israel und Deutschland am 14.03.2015 auf der Buchmesse Leipzig (Sachsen).
50 Jahre diplomatische Beziehungen: Deutschland und Israel © picture-alliance / dpa / Jens Kalaene
Von Igal Avidan |
Vor 50 Jahren, im November 1964, sah sich Deutschland gezwungen, Israel diplomatisch anzuerkennen. Die Staaten kritisierten gegenseitig den anderen ersten Botschafter. Der damalige Bundespräsident Lübke begrüßte den israelischen Botschafter mit einer besonderen Frage.
Vor 50 Jahren verlas Regierungssprecher Karl-Günther von Hase vor Journalisten aus aller Welt eine historische Erklärung:
"Deutschland und Israel haben am 12. Mai 1965 diplomatische Beziehungen aufgenommen. Einer Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu einem früheren Zeitpunkt stand die Erinnerung an die Schrecken der Vergangenheit entgegen."
Es waren die Schrecken der Gegenwart und eine Verkettung unglücklicher Umstände, die die Bundesregierung dazu zwangen, Israel diplomatisch anzuerkennen. Im November 1964 prangerte Ägyptens Präsident Nasser öffentlich die deutschen Waffenlieferungen an Israel an. Zur gleichen Zeit bat ihn DDR-Chef Ulbricht darum, sich für einige Tage im warmen Ägypten von seiner Krankheit zu kurieren.
Die heftige Reaktion aus Bonn veranlasste Nasser, Ulbricht zum Staatsbesuch einzuladen; Bundeskanzler Erhard fürchtete um die wirtschaftlichen Beziehungen mit der arabischen Welt und erklärte sich bereit, die Waffenlieferungen an Israel zu stoppen. Nasser weigerte sich jedoch, Ulbrichts Besuch abzusagen. Erhard wiederum befürchtete, dass der Besuch zur Anerkennung der DDR durch Ägypten führen könnte und dass die anderen arabischen Staaten folgen könnten. Israel beschuldigte daraufhin Erhard, er kapituliere vor Nasser.
Altkanzler Konrad Adenauer riet nun Erhard, er solle in dem Moment, in dem Ulbricht ägyptischen Boden betritt, Israel anzuerkennen und bekanntgeben, dass Deutschland Israel Waffen und Wirtschaftshilfe gibt. In einem Fernsehinterview erklärte Adenauer, warum er unbedingt eine Lösung für "die Judenfrage", so wörtlich, suchte:
Zitat Adenauer (aus einem Interview mit Günter Gaus 1966):
"Erstens aus einem Gefühl der Gerechtigkeit. Wir hatten den Juden so viel Unrecht getan, wir hatten solche Verbrechen an ihnen begangen, dass sie irgendwie gesühnt werden mussten oder wiedergutgemacht werden mussten, wenn wir überhaupt wieder Ansehen unter den Völkern der Erde gewinnen wollten. Und weiter: Die Macht der Juden auch heute noch, insbesondere in Amerika, soll man nicht unterschätzen. Und daher habe ich sehr überlegt und sehr bewusst - und das war von jeher meine Meinung - meine ganze Kraft daran gesetzt, so gut es ging, eine Versöhnung herbeizuführen zwischen dem jüdischen Volk und dem deutschen Volk."
"Die formellen diplomatischen Beziehungen sind zu früh"
Vor allem Israels Ministerpräsident David Ben Gurion kämpfte gegen viele Gegner im Lande für die Versöhnung mit Deutschland. Bereits 1960 traf er in New York Bundeskanzler Konrad Adenauer, in dem er als einen zuverlässigen Partner fand.
Gurion: „Ich kam schon vor vielen Jahren zu der Überzeugung, dass wir heute mit einem völlig veränderten Deutschland zu tun haben. Von historischer Warte aus kann natürlich nicht vergessen werden, was das Hitler-Deutschland uns angetan hat. Aber heute gibt es kein Nazi-Deutschland mehr und es kann sich auch meines Erachtens nicht noch mal ein Nazi-Deutschland entwickeln, weil sich einmal das Volk selbst wandelte und weil sich auch das gesamte Weltbild veränderte. Und wenn wir auch niemals vergessen dürfen was geschah, so dürfen wir heute nicht auf dieser Basis des damaligen Geschehens handeln."
Ben Gurions Nachfolger Levi Eshkol forderte, die deutsche Botschaft soll in Jerusalem eröffnet werden. Aber Bonn schloss sich den Westmächten an, die ihre Botschaften in Tel Aviv eingerichtet hatten. Israel unterhielt seit Jahren in Köln eine Mission, die die Durchführung des Wiedergutmachungsabkommens kontrollierte. In Jerusalem erkannte man, dass die Bundesrepublik international immer wichtiger wurde und strebte daher volle diplomatische Beziehungen an.
Dagegen protestierte damals Raoul Teitelbaum. Der Israeli wurde 1931 in Kosovo geboren und überlebte das KZ-Bergen-Belsen und den sogenannten "Todeszug". Er schloss sich dem Aktionsrat der Shoah-Überlebenden in Israel an, um Proteste zu organisieren:
"Wir waren zutiefst überzeugt, dass die formellen diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und Deutschland zu früh sind, und dass diese Beziehungen - diplomatische Beziehungen - noch eine Etappe sind in diesem Prozess, in welchem Israel, der Staat von den Nazi-Opfern, ein Dokument mit Koscherstempel, ein Ja zu Deutschland gibt und Deutschland damit fähig macht, hineinzugehen in die Weltfamilie, als [ob] fast nichts passiert ist."
Israels kritisierte die Nominierung eines ehemaligen Wehrmachtsmajors als ersten deutschen Botschafter in Israel. Überlebende schimpften über den "Botschafter der Nazi-Armee". Bundeskanzler Ludwig Ehrhardt aber wollte in seinem ersten Wahlkampf seiner Partei nicht schaden, indem er die ehemaligen Wehrmachtssoldaten und ihre Witwen brüskiere. Die Soldaten der Wehrmacht waren Hitlers Hauptgegner und keine Nazis, betonte Erhardt. Der 49-jährige Jurist und Ritterkreuzträger Rolf Pauls, der im Krieg einen Arm verlor, hatte eine "reine Weste" und befasste sich lange mit Israel.
Pauls: "Ich habe damals mit allem Möglichen gerechnet und habe, um meine Familie zu sichern, damals eine sehr hohe Risiko-Lebensversicherung abgeschlossen, die aber dann, wie bekannt ist, nicht gebraucht wurde."
In Bonn kritisierte man die Nominierung von Asher Ben Natan als Israelis Botschafter. Denn als Vertreter des Verteidigungsministeriums in Paris organisierte er zusammen mit Shimon Peres und Verteidigungsminister Franz Josef Strauß 1957 die ersten deutsch-israelischen Waffengeschäfte.
Der gebürtige Wiener musste 1938 nach Palästina fliehen, wo er in der Untergrund-Bewegung Hagana kämpfte. Nach dem Krieg organisierte er die illegale Auswanderung von hunderttausend Ostjuden nach Palästina. Der 44-Jährige machte damals Jagd auf flüchtige Nazi-Kriegsverbrecher. In Linz trieb er das einzige Foto von Adolf Eichmann auf, das später dessen Entdeckung in Argentinien ermöglichte.
Natan: "Die Tatsache, dass sich so eine kleine Gruppe gegründet hat, die sich bemüht hat, Nazi-Kriegsverbrecher ausfindig zu machen und besonders Adolf Eichmann, dass hätte man mir in Deutschland zugutehalten sollen."
Die misstrauische Bundesregierung beschloss, dass erst, wenn Pauls von Israel anerkannt wird, die Bundesregierung Ben Natan akzeptieren soll. Am 18. August 1965 landete Rolf Pauls in Israel. Vor dem Sheraton-Hotel, wo er wohnte, das von 150 Polizisten abriegelt wurde, demonstrierten 1000 Jugendliche. Nach einem Besuch in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem empfing Israels Präsident Zalman Shasar Rolf Pauls mit ernster Miene.
Pauls in einem WDR-Bericht: "Es ist mir eine hohe Ehre, Eurer Exzellenz heute das Schreiben zu überreichen, mit dem mich der Präsident der Bundesrepublik Deutschland als außerordentlichen und bevollmächtigten Botschafter bei Ihnen beglaubigt. Ich bin mir darüber im Klaren, dass ich als erster Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Ihrem Land vor einer schwierigen und wichtigen Aufgabe stehe. Gestatten Sie mir, Exzellenz, dass ich zum Schluss im Namen des Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland Eurer Exzellenz und dem israelischen Volk die besten Wünsche für eine glückliche und erfolgreiche Zukunft übermittle und mich selbst diesen Wünschen vom Herzen anschließe."
Wegweiser für den steinigen Weg der Versöhnung
Als Pauls, flankiert von Sicherheitsbeamten, über einen roten Läufer schritt, begann die israelische Polizeikapelle das Deutschlandlied zu spielen – zum ersten Mal auf israelischem Boden. In dem Moment durchbrachen einige der 1500 Demonstranten den Sperrring der Polizisten und stürmten in Richtung Amtssitz. Es kam zu Handgemengen mit Polizisten, die sie mit Stockhieben und einsatzberittenen Einheiten zurücktrieben, 16 Menschen wurden verletzt. Raoul Teitelbaum war dabei:
"Ich erinnere mich, da war ein großer und langer Schrei. Die Hymne haben wir gehört und den Schrei haben wir auch gehört, es war ein schreckliches Gefühl! Ich muss sagen, bis jetzt ist es für mich nicht so angenehm, wenn ich die [deutsche] Hymne höre. Das war eine Melodie, welche in Zeiten des Krieges alles Schreckliche für uns symbolisiert hat."
Ausschnitt aus einem WDR-Bericht: "Nachdem Botschafter Dr. Pauls zum Staatspräsidenten gegangen ist, tritt er jetzt aus dem Vorgarten des Staatspräsidenten heraus, und die Polizeikapelle stimmt die israelische Hymne, die Hatikwa an. Und im Hintergrund die Rufe der Demonstranten."
Asher Ben Natans Antrittsbesuch war abgesehen vom Medienrummel kurz und sachlich. Weil Bundespräsident Heinrich Lübke in Urlaub war, übergab Ben Natan sein Beglaubigungsschreiben Bundesratspräsident Georg August Zinn. Das war ihm lieber, denn Lübke hatte Bauzeichnungen für KZ-Baracken erstellt und war Verantwortlich für den Einsatz von KZ-Häftlingen.
Der hessische Ministerpräsident Zinn hingegen ernannte Fritz Bauer als hessischen Generalstaatsanwalt und gab ihm Rückendeckung bei der Aufarbeitung von Nazi-Verbrechen. Zudem informierten Zinn und Bauer nicht die deutschen, sondern die israelischen Behörden über den Aufenthaltsort von Adolf Eichmann, was zu Eichmanns Verhaftung führte. Nach dem offiziellen Akt gedachte Ben Natan in der Kölner Synagoge den sechs Millionen ermordeten Juden. Wie ging er mit ehemaligen Nazis um?
Natan: "Es gab Leute, die, als sie mich zum ersten Mal trafen, sentimental reagierten, mit Tränen in den Augen, Erschütterung zeigten. Das waren diejenigen, die 'weiße Hemden' hatten. Dann gab es manche, die spielten sehr höflich, aber ich konnte es nicht wissen. Aber wenn wir über die Vergangenheit von jemandem wussten, nicht, ob er Parteimitglied war, sondern, dass er irgendwie, direkt oder indirekt in Verbindung war mit den Nazi-Verbrechen, dem sind wir ausgewichen."
Fünf Wochen später traf Asher Ben Natan bei der Lebensmittelmesse ANUGA in Bonn Bundespräsident Heinrich Lübke.
Natan: "Ich stand beim Israel-Stand und wartete auf den Bundespräsidenten. Und alle Fernsehjournalisten standen herum und wollten sehen, was geschieht, wenn zum ersten Mal der israelische Botschafter den Bundespräsidenten trifft. Bundespräsident Lübke kam auf mich zu, gab mir die Hand und sagte: 'Warum haben Sie unseren Botschafter in Jerusalem beschimpft und mit Steinen beworfen?'"
50 Jahre später sind die Pioniere der deutsch-israelischen Beziehungen nicht mehr unter uns. Seinen Landsleuten hinterließ der erste Botschafter Rolf Pauls einen Wegweiser für den steinigen Weg der Versöhnung mit den Israelis:
"Aus der deutsch-jüdischen Geschichte tragen wir Verantwortung für das Schicksal Israels, ob wir oder die Israelis das wollen oder nicht. Wir müssen immer wieder versuchen, ihr mit vollkommenem Takt und Sensibilität und ohne die mindeste Selbstgefälligkeit aufgrund unserer jahrzehntelanger finanziellen Leistungen zu entsprechen. Wir Deutsche neigen zu Gefühlsseligkeit – dafür ist in den deutsch-israelischen Beziehungen kein Platz. Sie erfordern, was uns sehr viel schwerer fällt, ein Höchstmaß an Sensibilität. Und da bleibt diese geschichtliche Verantwortung für das Schicksal der Juden und für das Schicksal Israels. Aber das würde ich nicht mehr als Reparationsleistungen betrachten, sondern als ein Gebot des kollektiven Anstands, diese Verantwortung wahrzunehmen. Und das wollen wir tun. Und das werden wir tun."
ENDE
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