Die Selbstermächtigung der Berliner Kunstszene
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Den Kunstmarkt selbst in die Hand zu nehmen, das ist die Idee der "Direkten Auktion". Dadurch werden nicht nur neue Käuferschichten angesprochen, die Versteigerung ermöglicht vielen Künstlern die erste Begegnung mit dieser Seite des Kunstmarkts.
Ich bin offenbar ein Wiederholungstäter. Denn wieder möchte ich mitbieten, der eigenen Kunstobsession folgen, diesmal sogar in einem Auktionssaal. Schon im vergangenen Jahr habe ich bei der ersten Ausgabe der "Direkten Auktion" mitgeboten und ein Bild online ersteigert. Zweimal klicken, erledigt. Das war ein bisschen wie bei Ebay. Corona hatte alles im Griff. Auch die Kunstwelt.
Deshalb gibt es ja überhaupt die "Direkte Auktion". Auch heutzutage brauchen Künstlerinnen und Künstler vor allem eines: Verkäufe. Und deshalb ist Bieten das Gebot der Stunde.
Diesmal möchte ich sogar im Saal dabei sein, zum ersten Mal in meinem Kunstkäuferleben eine echte Auktion mit Pult und Hammer für den Zuschlag. Ich bin gut vorbereitet an diesem Samstagnachmittag in einem mittelgroßen Erdgeschossraum in Berlin-Kreuzberg. Die Karte mit der Bieternummer 187 in der Hand, ziemlich aufgeregt.
Alles steht bereit: Neben dem Pult, an den der Auktionator gleicht tritt, schauen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Versteigerung in ihre Bildschirme, wo die Gebote aus dem Netz eingehen. Eine Versteigerungsplattform streamt die Auktion in alle Welt. Um mich herum lauter potenzielle Gegner. Los 152 ist das Objekt der Begierde: ein Kunstwerk des niederländischen Künstlers Bram Braam.
Die Kunstszene hilft sich selbst
"Direkte Auktion" klingt nicht zufällig wie "Direkte Aktion". Denn die "Direkte Aktion" meint den politischen, anarchistischen Versuch, an Parlamenten und Interessenvertretungen vorbei direkt in ökonomische, politische Verhältnisse einzugreifen, kurz: die Sache selbst in die Hand zu nehmen.
Bei der "Direkten Auktion" wird der Kunstmarkt in die Hand genommen. Hier liefern nicht Sammlerinnen und Sammler Werke ein, um sie mit – im besten Falle – ordentlichem Gewinn an andere Sammler und Sammlerinnen zu verkaufen. Hier schwärmen Kuratorenteams in Berliner Ateliers aus und tragen Werke zusammen, hier spielt es keine Rolle, ob die Künstlerinnen und Künstler eine Galerie haben oder nicht.
Und – das ist am wichtigsten – hier verdienen nicht Sammler, sondern die Künstlerinnen, die 66 Prozent des Zuschlagspreises erhalten und die Kuratoren, die mit neun Prozent bedacht werden. Die Organisatoren der "Direkten Auktion" scheren sich nicht um die ökonomische Ordnung des Kunstmarktes – hier die Galerien, die Kunstwerke in Sammlungen bringen, dort die Auktionshäuser, die Preisentwicklungen bereits im Markt befindlicher Werke bestimmen.
Neue Käufer braucht das Land
"Wir wollen da etwas reparieren, was irgendwann mal falsch abgebogen ist, nämlich dass Auktionshäuser ihr Ding machen und die Galerien wie das Kaninchen auf die Schlange darauf starren", sagt Holm Friebe. Er ist einer der Initiatoren und Initiatorinnen der "Direkten Auktion", die an sechs Wochenenden rund 750 Kunstwerke versteigert und damit Kunstwerke transparent in ein Marktsegment bringt, zu dem sie sonst keinen Zutritt hätten: dem sogenannten Sekundärmarkt.
"Das ist eine Art von Selbstermächtigung, dass man sich die Struktur der Auktion zu eigen macht und selbst umorganisiert", glaubt Anke Becker, Künstlerin und Kuratorin der "Direkten Auktion". Zugleich ist es das Ziel dieser Versteigerung, den Kunstmarkt zu erweitern und Käuferinnen und Käufer zu erreichen, die sonst nicht im Kunstmarkt aktiv sind.
Im Zentrum stehen aber die Künstlerinnen und Künstler: "Wir wollen", so Friebe, "dass die Künstler und Künstlerinnen im Mittelfeld, die eigentlich eine gute Karriere haben, die bei jeder Groupshow dabei sind, die sich den Arsch abarbeiten und die durch Corona massiv einen Knüppel in die Kniekehlen bekommen haben, dass die eine akute Cashinfusion bekommen, einen neuen Startpunkt für ihre Karriere, das heißt einen Eintrag in die Preisdatenbanken auf dem Sekundärmarkt."
Das Objekt der Begierde
Einer dieser Künstler im Mittelfeld ist der Niederländer Bram Braam. Ihn habe ich seit zwei Jahren auf meiner Watchlist. Ich habe seine Werke am Stand der Galerie Burster kennengelernt, folge ihn auf Instagram. Jetzt hat er zwei Werke in der "Direkten Auktion".
Der Titel "Fragmented Reality" trifft es ziemlich gut. In einem rechteckigen Stahlrahmen sind Streifen von - zum Teil - mit Farbresten versehenen Alltags- und Baumaterialien montiert und verspachtelt. Eine Collage aus der Arte-Povera-Wirklichkeit des urbanen Raums, roh und geometrisch komponiert zugleich.
Ich treffe Bram Braam bei der Vorbesichtigung. Die beiden Objekte hat er sogar extra für diese Auktion gebaut. Ein bisschen nervös ist er schon. Auktionen sind heikel: "Die Angst ist natürlich immer, dass nichts verkauft wird. So einfach ist das", sagt Bram Braam.
Aber für ihn ist es trotzdem wichtig, dabei zu sein. Zum einen, weil diese Versteigerung ein "großes Ding" in der Berliner Szene geworden ist, zum anderen meint er, es gehe darum, sichtbar zu machen, wie viele Künstlerinnen und Künstler in Berlin arbeiten, schließlich gelte: "Ich bin ein Teil von dieser Kunstszene, ich arbeite hier, habe mein Studio hier, lebe hier. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir hier etwas zusammen tun."
Das Gebot der Stunde
Das erste Werk ist bei der ersten Versteigerung nicht verkauft worden. Es hat aber im Nachverkauf einen Käufer oder eine Sammlerin gefunden, zum Preis des Mindestgebots. Dann ist meine Chance da. Die Auktion läuft, Kunstwerk um Kunstwerk wird versteigert. Aber so richtige Bietgefechte bleiben aus, keine Schwindelerregenden Höhen werden erreicht, die meisten Werke gehen zum Minimalgebot weg, wenn überhaupt.
Sehr viele an diesem Nachmittag gehen in den Nachverkauf. Kaum ein Verkauf über 2000 Euro. Schon ein bisschen enttäuschend, finde ich zunächst.
Dann ruft Auktionator Fares Al-Hassan das Los 152 auf. Jetzt bin ich plötzlich richtig froh, dass es bis jetzt keine Bietgefechte gegeben hat. Der Auktionssaal verschwindet im Tunnelblick auf den Auktionator. Ich warte etwas. Niemand bietet. Dann geht meine Karte in die Höhe. Mindestgebot. Aber nicht lange. Im Internet bietet jemand 100 Euro mehr. Mist. Ich lege noch eine Schippe drauf, lande bei meinem vorher festgelegten Höchstgebot – immerhin kommen ja noch 19 Prozent Mehrwertsteuer und vier Prozent für die Künstlersozialkasse drauf.
Kurz wird es still im Saal. Zum Ersten, zum Zweiten, und zum Dritten. Der Hammer saust aufs Pult. Krachend wechselt "Fragmented Reality" von Bram Braam den Besitzer. Es gehört mir. Ich atme tief durch. Und fahre mit der Aussicht auf das Bild und einer tollen Erfahrung nach Hause.
"Habe ich da wohl die richtige Wahl getroffen?", frage ich mich natürlich. Aber in meiner kleinen Kunst-"Ansammlung" gibt es glücklicherweise keine Fehlkäufe, nur die Jahresringe meiner Kunstobsession.