Mit sauren Gurken zum Lebensunterhalt
Als der Wiener Heinz Kumpf entdeckte, wie lecker Roma-Familien im ostslowakischen Dorf Pavlovce Gurken einkochten, hatte er eine Idee: Er gründete einen Verein, der die Familien dabei unterstützt, ihre eingekochten Gurken nach Österreich zu verkaufen.
Die St. Ottmarkirche in Mödling. Eine Touristenattraktion vor den Toren Wiens. Der Küster ist ganz hinten in der Sakristei beschäftigt.
"Herr Ostermann? - Ja! – Guten Morgen, Giebl, Direkthilfe Roma; wir bringen die Gurkerl."
200 Gläser frische Ernte – Gurken direkt aus der Slowakei.
"Wo sollen wir sie hinbringen?"
Hannes Giebl will schnell ausladen. Er ist Distributor, Kassenwart und Logistiker der Direkthilfe Roma und er mag es, wenn alles flutscht. Das Auto steht vor der Kirchentür; in Pappkartons die Gläser mit den sauren Gurken.
Giebl: "Das Etikett wirkt doch ganz gut, ne? 'Gib der Armut das Gurkerl. Gurken aus Hostice, Pavlovce und Sutor'. Das ist hier der Produzentencode. Die 17 ... das wird wahrscheinlich sein Varadiova aus Pavlovce. Eine Großfamilie mit jungen und alten Leuten gemeinsam. Sie sehen, es sind Gewürze drinnen, Kräuter und diese Wacholderbeeren. Es soll den Leuten ja gut schmecken."
Die Gurken kommen in den Beichtstuhl. Vorübergehend. Bis zum Gottesdienst am Sonntag müssen sich die Sünder gedulden.
"Wo kommen die Gläser dann hin, werden die hier aufgestellt? – Da wird ein Tisch aufgestellt, die Caritas bietet sie an. - Die Caritas bietet sie an, aha, sehr gut."
Die Gottesdienstbesucher können gegen eine Spende ein Glas Gurken mit nach Hause nehmen. Damit helfen sie direkt den Produzenten, 21 Roma-Familien in einer Handvoll Dörfern in der Slowakei. 21.000 Gläser Gurken lässt die Direkthilfe Roma in Heimarbeit einkochen.
"So, jetzt schreibe ich die Quittung, für den Herrn Ostermann; 560,- Euro..."
Hannes Giebl, ehrenamtlicher Mitarbeiter der Direkthilfe Roma, hat damit seine Mission hier erfüllt. Das war die letzte Fuhre Gurken, jetzt heißt es neue holen in der Slowakei. Vereinskollege Heinz übernimmt und macht sich ein paar Tage später mit einigen Helfern und einer langen To-Do-Liste auf den Weg in die Slowakei – zu einigen Roma-Projekten und zu den Gurkenfamilien.
"Hallo, ich bin die Mari - Hallo Eva – Mylady..." (lachen)
Man trifft sich an einer Autobahnraststätte, eine halbe Stunde westlich von Wien. Eva und Mari kennen sich schon von der Roma-Hilfe, haben sich aber lange nicht gesehen; und Babsi ist überhaupt das erste Mal dabei.
Kurz vor der 90. Gurkenreise
Heinz Kumpf, Organisator der Gurkentour, hat geduldig auf seine Chance gewartet, in den Begrüßungstaumel miteinzustimmen. Nun schnappt sich der Kopf der "Direkthilfe Roma" die Reisetaschen und Rucksäcke der Frauen und lädt sie hinten in den vereinseigenen, schmuddelig-weißen Dreieinhalbtonner.
Kumpf: "Den haben wir von einer Immobilienfirma gespendet bekommen... Mit dem haben wir schon TONNEN transportiert; der hat uns gute Dienste geleistet."
Es ist die 90. Gurken-Reise. Auf dem Transporter das Vereinslogo und derselbe Spruch wie auf den Gurkengläsern: "Gib der Armut das Gurkerl". Die Ladefläche ist fast leer; nur ein paar Bananenkisten, zwei Stapel Plastikstühle und ein Tisch ganz hinten in den Tiefen des Fahrzeugs. Voll wird's erst auf der Rückfahrt.
"Da kommen dann Gurken rein. Mit einer Fuhre gehen ungefähr 1.500 Gläser. Wir werden bei zwei oder drei Familien, das weiß ich noch nicht genau, werden wir dann Gurken abholen."
Bei welchen Familien und in welcher Reihenfolge, das steht auf einer langen Liste, die Kollege Hannes hinterlassen hat. Die nächsten anderthalb Tage sind straff durchgeplant. Heinz fährt mit dem LKW; die Frauen machen es sich in Evas Kombi bequem. Der Kofferraum ist für Ina reserviert. Ina ist eine riesige Schäferhündin. Evas Augenstern. Sie ist Tierschützerin.
Handtaschen, Provianttüten und Jacken ohne Ende, es ist kuschelig eng im Auto, auch, weil noch Inas Leine und Wassernapf herumliegen. Zeltlager-Feeling.
Mari: "Das ist immer sehr improvisiert, zumindest dem Anschein nach."
Mari sitzt auf der Rückbank und schnauft. Sie ist vielleicht Ende sechzig, kräftig gebaut und kein Sportlertyp; aber ihre Augen leuchten entschlossen dunkelgrün, in derselben Farbe wie der edle Wollpullover, den sie trägt. Mari ist Augenärztin a.D. und hat ihr Leben lang bei Ärzte ohne Grenzen mitgemacht. Inzwischen bleibt sie lieber etwas näher bei Wien.
"Ich fahre eigentlich fast jedes Mal, wenn sich die Möglichkeit bietet. Ich sollte eigentlich viel mehr Zeit dort verbringen, das wäre günstig für das Projekt."
"Die Kinder sind ziemlich verwahrlost"
Mari hat mit der Direkthilfe Roma ein Sozialzentrum in einem der Dörfer gegründet. Mit den Gurken hat sie nichts zu tun, nutzt aber die Tour für eine Visite. Genau wie in allen anderen europäischen Ländern lebt die Volksgruppe der Roma auch in der Slowakei unter desaströsen Bedingungen, erzählt Eva, die Tierschützerin und Maris Mitstreiterin in Sachen Sozialzentrum.
"Armut und Schmutz eigentlich, ja, und ziemlich desolate Gebilde, großteils. Die Kinder sind – ich sprech jetzt von Roma-Kindern - großteils ziemlich verwahrlost. Sind in keiner Weise gefördert, weil auch die Generation, die was lernen sollte, ja genau so groß geworden ist. Das wird von Generation zu Generation eigentlich ja nicht besser. Was mich einfach maßlos an der Sache stört, dass es große EU-Projekte gibt, wo wir von den Leuten dort wissen, dass das Geld in Bratislava versickert und bis dorthin ja nichts kommt."
Die Kinder und die Hunde sind Evas Projekt. Auch sie nutzt die Gurkenreise, um vor Ort nach dem Rechten zu sehen. Sie redet sich richtig in Rage und auch ihre Augen funkeln dabei. Blau. Sie trägt eine modische upper-class-Steppweste zur Jeans; sie ist schmal und energiegeladen, noch immer Inhaberin einer kleinen Immobilien-Firma. Auch sie ist, wie Mari, Pensionistin, wie das in Österreich heißt; auch sie hat schon immer Zeit in soziale Projekte investiert. An ihrem Wohnort und in der Slowakei.
"In der Gegend, wo wir sind, gibt´s eine Arbeitslosigkeit unter Slowaken von circa 30%, unter den Roma sind wir bei 100%. Wer soll das finanzieren über längere Zeit, wenn die Arbeitslosigkeit so hoch ist und wenn man in die Entwicklung dieser Menschen, die immer mehr werden, nichts investiert, ja?!"
Heinz Kumpf, der im LKW voran fährt, hat darauf auch keine Antwort, aber immerhin eine Idee: Die Roma müssen lernen, sich selbst zu helfen, davon ist er überzeugt, und darum organisiert er mit seinem Verein den Gurkenhandel von der Slowakei nach Wien. Die Fahrzeuge sind über die Grenze, Bratislawa mit seinen Hochhäusern und rauchenden Schloten liegt hinter ihnen, sie rollen zwischen sanften Hügeln hindurch über weites Land.
Die Straßen werden allmählich schlechter. Noch immer hundertzwanzig Kilometer bis zu unserem ersten Halt. Je tiefer es ins Hinterland geht, desto wilder die Landschaft; desto größer die Zahl von Fabrikruinen und zerfallenden Häuser.
"Ich sag immer, sie hätten für die nächsten 500 Jahre Arbeit, wenn sie mal anfangen würden, die ganzen Häuser zu sanieren. Alles, was kaputt ist, einfach nur herzurichten. Nur, es fehlt das Geld. – Mari: bemerkenswert, dass es keine Landwirtschaft gibt. – Das meiste, was ich mal gesehen hab, sind mal 10 Kühe oder so... Aber man sieht nichts..."
Der Fall des Eisernen Vorhangs hat der Slowakei stark zugesetzt
Babsi, die neue im Bunde, macht große Augen. Sie sieht das alles zum ersten Mal. Hat - genau wie die anderen hier - im Fernsehen von der Direkthilfe Roma gehört und ist neugierig geworden.
"Im Kommunistischen System waren ja alle Menschen, also die meisten beschäftigt; ich weiß jetzt nicht genau, wie das bei den Roma war? - Es ist schon dramatisch, was da passiert...."
Der Fall des Eisernen Vorhangs und der Zusammenbruch des sozialistischen Wirtschaftssystems hat der Slowakei hart zugesetzt. Aber die Roma - das kriegt der Verein immer wieder zu hören - passten schon vorher nicht rein: Die arbeiten nur, wenn sie gerade Geld brauchen oder kriegen am laufenden Band Kinder oder wollen nicht dazu passen heißt es.
Mitten auf einem Feld an der Hauptstraße, kurz hinter der Stadt Lucenec, auf einem kleinen Hügel, liegt Rabovska. Eine vom slowakischen Staat errichtete Roma-Siedlung.
Noch bevor wir anhalten, sind Limousine und LKW von Kindern umringt. Zwanzig, dreißig Gestalten in schmutzigen Lumpen winken und lachen und stupsen sich gegenseitig.
Verfilzte Haare, löchrige Klamotten, schlammverschmierte Gesichter, aber die Augen leuchten. Sind wir noch in Europa? Die Helfer bahnen sich einen Weg durch die Menge. Es stinkt; die Abwassergrube liegt mitten im Dorf in einer Senke. Links davon zwei langgestreckte Gebäude, eher Baracken, rechts davon eine dritte und vierte. Wäsche flattert im Wind - auf notdürftig gespannten Leinen.
"Wie viele Leute wohnen in dieser Siedlung? – 200-300, das variiert, weil es ziehen Leute weg, es kommen Verwandte dazu, ungefähr die Hälfte sind Kinder. Und viele viele Hunde überall. Hunde und Kinder..."
Mari geht voran, in dieser elenden Siedlung hat sie das sogenannte Sozialzentrum gegründet, vor einem Jahr. Vorsichtig setzt sie einen Fuß vor den anderen, der Weg ist schlammig und sehr rutschig. Sie steuert auf den letzten Eingang im letzten Haus zu und macht eine ausladende Bewegung mit dem Arm. Dahinter ist so eine Art Garten zu sehen.
"Es gibt zwei große Grundstücke, das eine ist hier, das andere dort und die haben das gerodet und bepflanzt, Gemüse und Obst, und allerlei Sachen. Ich habe eine Maschine bestellt, damit es leichter gerodet werden kann, aber es ist zu viel Bauschutt hier und die Maschine kann das nicht machen, das müssen sie händisch machen.
"Sie", das ist Pavels Familie. Pavel ist so etwas wie der Dorfälteste und mit ihm ist Mari verabredet.
Zwei knallrote Container: Das Sozialzentrum
Unterhalb der Baracke hat Pavel einen kleinen Stall gebaut. Als einziger in ganz Rabovska. Auf dem Weg dorthin ist Mari umringt von Kindern, von Jugendlichen und zwei, drei jungen Frauen mit Kleinkindern auf dem Arm.
Die Schweine im Stall wühlen in sauberem Stroh. Wir stehen knöcheltief im Matsch davor und es stinkt höllisch nach Hundekot.
Heinz: "Es wäre gut gewesen, Du hättest ihn angerufen vor zwei Stunden."
Offenbar eine Fehlplanung. Und Heinz hängt in seinem Zeitplan hinterher. Er denkt schon an seine Gurkenfamilien, außerdem hat er noch einen Termin in einem Nachbardorf.
Babsi: "Pavel ist weggegangen, Schrot für die Schweine zu kaufen, er kommt gleich wieder, haben sie gemeint; wir sollen noch ein bisschen warten."
Babsi spricht Ungarisch und kann Kontakt aufnehmen. Die Gurkentruppe entscheidet sich, auf Pavel zu warten. Mari zückt den Schlüssel für den Sanitärcontainer. Pipipause. Alle stapfen zurück zum Eingang der Siedlung. Hier thronen zwei knallrote Container hoch und trocken auf dem Hügel: das Sozialzentrum!
In den Containern sollen eigentlich morgens Kinder gewaschen und gekämmt und zur Schule geschickt werden, hier sollen die Erwachsenen Kurse in Hygiene und gesunder Ernährung belegen. Hier steht eine öffentliche Waschmaschine und es gibt saubere Toiletten. Aber die Türen sind verschlossen. Warum nur sind keine Sozialarbeiter vor Ort, wie mit der Gemeinde vereinbart? Mari schüttelt den Kopf.
Pavel ist eingetroffen, ein gedrungener Mann undefinierbaren Alters mit offenem Blick. Alle sprechen ungarisch. Mari will von ihm genau wissen, wie oft die Sozialarbeiter der Stadt wirklich da sind, wie das Angebot ankommt bei den Roma. Ihr Gesicht sagt; so gut scheint's nicht zu laufen. Eva schaut zu den Kindern herüber, die in ihren schmutzigen Lumpen auf dem nagelneuen, EU-finanzierten Spielplatz toben. Dahinter will sie einen Kindergarten bauen.
"Die Kinder vorzubereiten auf eine normale Schule. Dass sie integrierbar sind, dass sie Hygiene lernen... Wir haben ein fertiges Konzept geschrieben vor zwei Jahren. Und das ist mein Traum."
Jetzt gehen alle Roma-Kinder in die Sonderschule, gerade mal. Es sei alles organisierbar; es gehe nur um's Geld, sagt Eva und schwärmt von der ersten Probestunde für die Kleinen, bei der sie über Tierschutz und den artgerechten Umgang mit Hunden gesprochen haben.
"Sie haben so eine Freude, sie sind so aufnahmebereit, man könnte sie wirklich motivieren. Ich sage immer, sie haben ja schon ein schönes Leben solange sie klein sind, aber mit 12, 13 Jahren werden sie entweder vergewaltigt oder nehmen Drogen oder weiß der Kuckuck, was – auf alle Fälle, ich kenne da junge Mädchen, die nur rumsitzen im Sommer und völlig weggetreten sind und schwanger sind wieder... Und sie haben einfach keine Perspektive, weil es keine Ausbildung gibt."
Für Hilfstransporte ohne Gegenleistung sind sie nicht zu haben
Es geht weiter, Mari hat ihr Gespräch beendet und im Hotel wartet schon die Dolmetscherin. Sie spricht slowakisch und soll gleich bei einem Termin übersetzen. Im Auto kommt das Gespräch noch einmal auf die Roma-Siedlung von vorhin und auf den ungenügenden Einsatz des Staates für die Roma.
Dolmetscherin: "Also, das was ihr macht, ist weniger als ein Tropfen im Meer."
Heinz: "Ja, ja, ich weiß. Das ist mir vollkommen klar. Aber das ist kein Kriterium für mich, für mich persönlich; ich kann den slowakischen Staat sowieso nicht zwingen..."
Heinz Kumpf ist nicht nur im Vorstand der Direkthilfe Roma, er ist auch selbständiger Handelsvertreter und setzt auf Eigeninitiative, weltweit und bei allen Menschen. Hilfstransporte ohne Gegenleistung, einfach so, dafür ist er nicht zu haben. Da passt der nächste Termin gut; der Bürgermeister eines kleinen Dorfes hat die Direkthilfe Roma um Hilfe gebeten.
Er hat zu sich nach Hause eingeladen, seine ganze Familie ist zur Begrüßung angetreten. Gortva hat 513 Einwohner, 70 Prozent davon sind Roma, aber besonderes Kopfzerbrechen bereiten dem Bürgermeister fünf Roma-Familien, die besonders arm sind. Er möchte gerne, dass die Direkthilfe Roma Stromanschlüsse in deren Häuser legt. Aber damit hat der Verein bislang nur schlechte Erfahrungen gemacht, da werden Spendengelder vergeudet, meint Heinz und legt seine Ideen auf den Tisch.
Wenn sie mit einem neuen Dorf zusammenarbeiten...
Heinz: "...dann wollen wir uns nur auf Dinge konzentrieren, die der Allgemeinheit zu Gute kommen und auf die extrem Bedürftigen und dort wollen wir Bautätigkeiten durchführen... Und deswegen haben wir diesen Brief geschrieben, ich weiß nicht, ob er den gelesen hat?"
Im Brief steht, was der Verein verlangt, bevor er tätig wird: Einen Gemeinderatsbeschluss für einen konkreten Ort, an dem der Verein ein Sozialzentrum errichten darf: Zwei Container wie in Rabovska. Dazu soll die Gemeinde überlegen, wie dieses Sozialzentrum bei ihnen im Dorf ausgestattet sein soll; der Verein braucht eine konkrete Liste. Nur, wenn die Gemeinde miteinsteigt, kann sich was verändern.
Eva: "Sie gehen davon aus, dass die das unterstützen?"
Bürgermeister. "Ja, die Weißen auch."
Etwa 600.000 Euro Spenden pro Jahr
Der Bürgermeister nickt; im Gemeinderat von Gortva sitzen mehr Roma als "Weiße", wie die Nicht-Roma hier genannt werden, sie wollen wirklich etwas verändern, nach 24 Jahren Stillstand im Rathaus unter seinem Vorgänger. Trotzdem bleibt es bis zum Schluss ein zähes Ringen.
Denn der Bürgermeister war auf Almosen eingestellt, nicht auf Hilfe zur Selbsthilfe. Zum Schluss bittet er noch um eine große Kleiderspende.
Heinz Kumpf stöhnt.
Denn der Bürgermeister war auf Almosen eingestellt, nicht auf Hilfe zur Selbsthilfe. Zum Schluss bittet er noch um eine große Kleiderspende.
Heinz Kumpf stöhnt.
"Ziemlich schwierig, ja. Das ist einfach auch ein Teil dieses Lernprozesses. Wir kommen jetzt immer mehr an den Punkt, dass wir unsere eigene Entwicklung spüren."
Eva: "Wie ich dazu gekommen bin, da waren wir so richtig diejenigen, die kommen und was bringen, ja. Kartons mit Lebensmitteln und Schuhe und Kleidung und Fahrräder und Kinderwägen haben wir von Oberösterreich bis in die Slowakei gefahren. Effekt Null. Null. Und jetzt sind wir auf nem Weg, wo wir nachhaltig was verändern können."
Forderungen stellen statt Almosen bringen. Der Verein bewegt etwa 600.000 Euro Spendengelder pro Jahr. Mit gerade einmal 15 aktiven Mitstreitern ist die Direkthilfe innerhalb von acht Jahren zu einer Instanz der Roma-Hilfe geworden, zumindest in der Ost-Slowakei.
Am nächsten Morgen, Gurken holen. Endlich. Heinz kriecht rückwärts mit dem LKW in die schmale Einfahrt zwischen zwei winzigen Häusern; umringt von den Mitgliedern der Roma-Familie, die hier wohnt. Im Vorgarten stehen Blumen im Wind; im Hinterhof ärmliches Chaos. Bretterbuden stützen sich gegenseitig; Plastikbehälter stapeln sich; hier leben Menschen, die alles aufbewahren, was vielleicht noch zu gebrauchen ist. Die Mutter, Edith Lakatosova, ist zur Stelle. Sie wirkt angespannt und müde, sie ist vielleicht Anfang vierzig. Jetzt schlingt sie den Gürtel ihrer abgetragenen Wolljacke enger um sich und schlägt eine blaue Plastikplane beiseite. Hier lagert die Ernte dieses Jahres. Flache Kartons mit Gurken im Glas.
"Sie haben viel Arbeit mit den Gurken, säen, hacken, abnehmen, gießen."
Das meiste hängt an ihr, erzählt Edith Lakatosova auf Ungarisch weiter; aber manchmal packen auch ihr Mann oder die Schwiegertöchter mit an.
Unter Decken und weiteren Planen zieht Edith Lakatoseva immer neue Kartons mit Gurkengläsern hervor und reicht sie weiter an ihre beiden Söhne. Kräftige junge Männer in Gummistiefeln und Arbeitswesten. Gut, dass Heinz mit dem LKW endlich da ist; ein kräftiger Frost hätte genügt und drei Monate harter Arbeit wären zunichte gewesen.
"Wir haben jetzt dreimal 510..."
Heinz: "Ja, ist gut, dann jetzt noch ein 240 mehr."
Die Dolmetscherin, eine ehemalige Deutschlehrerin, steht an der Rampe und führt akribisch Buch, damit der LKW nicht überladen wird. Die Nachbarfamilie muss auch noch Gurken loswerden, auch dort lagern sie frostgefährdet. Die Jungs bringen die letzten Gläser aus dem Hühnerstall zur Rampe. Der liegt weiter hinten auf dem schlammigen Hof, wo auch zwei Gänse und eine Ziege hinter einem Drahtzaun leben.
Das Gurkengeld hilft sehr
Die Familie lebt von der Sozialhilfe, erzählt Edith, keiner hat eine Arbeit. Das Gurkengeld hilft ihr sehr; ein Euro pro Glas, 1.000 Gläser pro Saison. Davon können sie ihr Dach reparieren, sagt sie, sie möchte, dass auch ihre Söhne 1.000 Gläser pro Jahr liefern dürfen. Aber erst einmal muss Heinz verkosten. Er wischt sich den Schweiß von der Stirn und nimmt irgendein Glas aus irgendeinem Karton.
"Ja, super, die sind gut! Echt gut, gell?"
Edith: "Sie achtet darauf, dass sie das Rezept einhalten und dass sie die erforderliche Menge ins Glas kommt, nicht mehr nicht weniger."
"Das ist gut, wirklich gut..."
Edtih atmet spürbar auf. Sie sieht viel jünger aus, wenn sie lächelt. Im März wird die Direkthilfe Roma entscheiden, ob ihre Söhne auch in die Gurkenproduktion einsteigen und sich damit selbst helfen können. Momentan vertreibt der Verein 21.000 Gläser pro Jahr und hilft damit 21 Roma-Familien. Tendenz steigend.
Heinz: "Das Schöne ist, dass Du direkt einen Effekt hast. Du musst nicht wahnsinnig viele Probleme auf die Seite räumen, damit sie das richtig machen können. Es ist etwas, das die kennen und ich bin total happy, dass das so funktioniert."
Gurken einmachen hat Tradition bei den Roma-Familien hier in der Gegend. Heinz Kumpf hat das durch Zufall entdeckt, bei einem Termin bei einem der Bürgermeister. Er hat damals gleich gefragt, ob der eine Familie kennt, die 2.000 Gläser Gurken herstellen kann. Der Bürgermeister kannte eine und innerhalb von vier Monaten hatte der Verein die Gurken in Wien unter die Leute gebracht. Der Anfang des Gurkenprojekts.
Maria Lakatosova, Ediths Schwägerin ein paar Häuser weiter in Sutor, ist im fünften Jahr dabei. Sie kauft ausschließlich die besten Samen; erzählt sie in der Garage aus rostigem Wellblech, während die Schwiegertöchter die roten Deckel der Gläser noch mal auf Hochglanz polieren. An der Laderampe nimmt Heinz die Kostprobe.
Heinz: "Mhm, die sind genauso gut, wie von der Schwägerin. Wirklich genau gleich und genau so soll's sein, das ist perfekt."
Man muss darauf achten, dass sie nicht zu weich sterilisiert werden. Sie arbeiten manchmal auch bis elf Uhr in der Nacht, wenn die Ernte ist...
Von unten eine Strukturänderung anstoßen
Maria glüht vor Stolz. Sie ist eine tatkräftige Frau und ihre beiden Söhne verdienen etwas Geld als Hilfsarbeiter. So kommen sie ganz gut über die Runden und können sogar etwas bei Seite legen.
Das war's, der LKW ist voll beladen, Heinz macht sich mit der wertvollen Fracht auf den Rückweg.
Heinz: "Vier Stunden ... ja ... neun, halb zehn sind wir zuhause..."
Heinz Kumpf nickt zufrieden. Es war eine gute Reise. Auch wenn es in Maris Sozialsiedlung gerade hakt, auch wenn Eva mit dem Kindergarten nicht recht voran kommt, das Gurkenprojekt mit den Familien läuft richtig rund.
"Der Effekt ist, dass umverteilt wird. Es wird von Österreich und Deutschland zu den Roma in der Slowakei umverteilt. Und dann entsteht von unten eine Strukturänderung. Weil sie investieren natürlich in ihre Häuser zuerst, und sie sparen was und dann investieren sie vielleicht in zwei, drei, vier fünf, zehn Jahren in ihre Kinder, dass vielleicht doch der ein oder andere auf die Uni kommt oder eine höhere Schule. Das ist aber ein Prozess, der aus sich selbst entwickelt, das ist der Reiz daran."
Dass der Verein noch keine Roma-Familie aus der Sozialhilfe geholt hat, ja, dass es immer noch viele Roma gibt, die mit ihrem Status Quo zufrieden sind und sich gar nicht helfen lassen, stört Heinz nicht weiter.
Heinz: "Das ist sowieso ein Projekt für die nächsten 200, 300 Jahre. Ja, das ist wirklich so. Die Roma sind seit 800 Jahren in Europa und man kann nicht davon ausgehen, dass man das in einer Generation oder zwei irgendwie auf die Reihe kriegt. Das wäre illusorisch."
Heinz: "Super, ich glaub', wir haben alles. Zuzuzu. Tür zu und abschließen."
Für Heinz Kumpf ist die 90. Roma-Reise in Mödling am Haus seines Kollegen, Mitstreiters und Gurkenverteilers Hannes Giebl vorbei. Ab morgen kümmern sich wieder andere.
"Ich muss nur kurz was in den Briefkasten werfen... So, das war's. Des war's."
Die Direkthilfe hat kaum Fixkosten
Mit dem Schlüssel für den LKW gibt Heinz auch die Verantwortung weiter. Ab jetzt ist wieder Hannes am Ruder. Gurkenkontrolle am nächsten Morgen.
"Das macht einen guten Eindruck auf mich, nur 15 pro Karton, das ist super."
Hannes Giebl, der pensionierte Logistikfachmann einer Fluggesellschaft, schaut auf der Verladerampe des LKW die Gläser durch. Das Fahrzeug steht vor einem Lagerhaus in Wien-Mödling.
"Da fehlt der Produzent. Wer hat das gemacht? Ah, 9, ich hab die Liste mit, ich kann genau sagen, wer das eingelegt hat. Falls es zu Reklamationen kommen sollte."
Die Direkthilfe Roma hat alles vertraglich geregelt mit den Familien.
"Eingelegt, mindestens 12 Stück, etikettiert, Produzentennummer drauf, Deckel geputzt, dass er schön glänzt und es muss hier geputzt sein, es darf nicht so klebrig sein."
Hannes Giebl macht einen Vermerk auf seiner Liste, ab sofort stehen wieder Gläser zur Abholung bereit, gegen zwei Euro achtzig Mindestspende.
Ein Helfer sortiert die Gläser vorübergehend in den Lagerraum ein. Zweieinhalb mal vier Meter Fläche, die einzigen Fixkosten der Direkthilfe Roma. Kein Büro, keine Werbung, nicht einmal Reisekosten.
"Wir haben keinerlei Verwaltungsaufwand. Weil wir alles Idealisten sind und alle unsere Sachen selbst bezahlen."
"Roma kenne ich nur als Bettler in der Fußgängerzone, die einen unterwürfig oder gar nicht angucken, und mir geht da sofort so was wie "organisierte Bettelei" im Kopf rum und ich weiß nie, soll ich denen was geben oder nicht. Dann kam der Auftrag für diese Reportage und ich fuhr in die Slowakei und traf Roma und habe einen Eindruck davon, wie sie leben. Jetzt gebe ich den Euro."