Direktor des Naturkundemuseums Johannes Vogel

Muss das Museum sich von Dinos trennen?

Johannes Vogel schaut in die Kamera, er hat kurze graue Haare und einen zu den Seiten hin abstehenden Schnauzbart.
Das Präparieren der Dinosaurier-Knochen und die damit verbundene wissenschaftlich-kulturelle Leistung sei in Deutschland passiert, sagt Johannes Vogel. © Christoph Soeder, dpa
Johannes Vogel im Gespräch mit Thorsten Jantschek |
Muss das Berliner Naturkundemuseum das größte weltweit ausgestellte Dinosaurierskelett nach Tansania zurückgeben? Dort war es in der Deutschen Kolonialzeit gefunden worden. Direktor Johannes Vogel sieht die Frage als Teil einer viel größeren Gerechtigkeitsdebatte.
Deutschlandfunk Kultur: Brachiosaurus brancai oder wie er wissenschaftlich genau heißt Giraffatitan brancai ist das weltweit größte ausgestellte Dinosaurierskelett. Und das steht im Berliner Naturkundemuseum, 13 Meter hoch bzw. lang. Der Publikumsmagnet. Und seit 2016 ist dieses Skelett auch Teil des kulturellen Erbes in Deutschland, seit dem Inkrafttreten des Kulturgutschutzgesetzes. Fundort war Deutsch-Ostafrika, das heutige Tansania, und es war die deutsche Kolonialzeit. – Eine heikle Angelegenheit, spätestens seit die Debatte um die Rückgabe von Kulturgütern aus französischen Museen an die afrikanischen Herkunftsländer auch Deutschland erfasst hat. Herr Vogel, heißt es denn bald für Sie "bye bye Dino"?
Johannes Vogel: Ich glaube, wir haben mit unserem Dino und Berlin, Deutschland hat mit dem Dino großes Glück, denn die tansanische Regierung hat noch diesen Mai offiziell erklärt, dass sie kein Interesse an der Rückgabe hat, anders herum, dass sie die Dinosaurier-Funde und die wissenschaftliche Arbeit und die wissenschaftliche Sammlung der Dinosaurier-Funde für ein Weltkulturerbe hält und dass sie glaubt, dass das in Berlin gut aufbewahrt ist und in Berlin gut für die Welt und für die Forschung, die weltweit daran betrieben wird, zur Verfügung steht.
Deutschlandfunk Kultur: Nun hat es aber in Tansania mehrfach auch Parlamentarier gegeben, die genau diese Rückgabe gefordert haben. Man sagt, dass die Regierung nur deshalb die Rückgabeforderung nicht stellt, weil sie um die Entwicklungshilfe aus Deutschland fürchtet.
Vogel: Ich finde es sehr vermessen, wenn wir aus Deutschland glauben, die Runen in Tansania lesen zu können. Es ist ja für uns manchmal schon schwierig genug zu verstehen, warum welche Anträge wie von wem im deutschen Parlament gestellt werden.
Deutschlandfunk Kultur: Das ist wahr. Es gibt aber in Tansania ein sehr schönes Museum, das Nationalmuseum in Daressalam. Und das ist ziemlich leer, weil es natürlich auch finanziell unterausgestattet ist. Da würde schon was rein passen.
Der Brachiosaurus brancai in der großen Halle des Berliner Naturkundemuseums.
Der Brachiosaurus brancai in der großen Halle des Berliner Naturkundemuseums.© Museum für Naturkunde
Vogel: Also, es gibt ja verschiedene Möglichkeiten. Ich bin selber leider noch nicht in Tansania gewesen. Aber ich weiß von drei Möglichkeiten: Das ist zum einen das Nationale Museum in Daressalam. Dann wäre da noch das Nationale Naturkundemuseum in Arusha oder noch eine zu entwickelnde Organisation vielleicht dort, wo die Dinosaurier auch heute noch zu finden sind, nämlich im Bereich Lindi. Und, soweit ich das weiß, gibt es einige Diskussionen im Bereich Lindi, weil man glaubt, dass Dinosaurier dort zu einem Tourismusboom führen könnten. Grundsätzlich glaubt man wohl in bestimmten Gebieten in Tansania, dass man mit Dinosauriern Geld verdienen kann. Das ist ein großer Mythos. Dinosaurier kosten Geld. Die bringen kein Geld

Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus

Deutschlandfunk Kultur: Lassen Sie uns mal auf die Geschichte dieses Dinosauriers oder dieser Dinosaurierskelette schauen. Seit 1937 steht das Skelett mit Unterbrechungen zwar, aber grundsätzlich in Berlin. Geborgen wurde es aber 1909 bis 1913 am Berg Tendaguru im Süden der damaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika. Das Gebiet wurde dann relativ willkürlich nach einer fadenscheinigen Befragung der damals sogenannten "Eingeborenen", ob denn jemand Eigentumsrechte erhebe, zum deutschen "Kronland" erklärt. Und damit wurden die Fossilien automatisch rechtliches Eigentum des Deutschen Reichs.
Ist das damals schon ein Deal der Ungleichen gewesen, also sozusagen per se ein Unrechtskontext?
Vogel: Jetzt kommen wir zu Fragen, die mich wirklich sehr bewegen, nicht nur witzigerweise in Bezug auf die hundert Jahre vor unserer Zeit. Ich glaube, dass es in den letzten zweihundert, dreihundert Jahren grundsätzlich – und davon reden wir auch heute noch – eine große Ungleichheit in der Welt gibt, dass es sehr, sehr unterschiedliche Machtverhältnisse gibt mit sehr viel Macht, Reichtum und auch Entwicklungsmöglichkeiten, die im Norden der Welt zusammengefasst sind. Und dass Kolonialismus vielleicht die direkteste Ausprägung dieser Ungleichheit im globalen Kontext gewesen ist, dem man dann versucht hat in irgendeiner Weise einen, auch vom Norden her bestimmten rechtlichen Rahmen überzustülpen, um sich damit in irgendeiner Weise glaubte zu rechtfertigen.
Also, ich glaube grundsätzlich – und das finde ich auch gut –, dass es an der Zeit ist, dass sich Europa, der Westen insgesamt (weil, auch Amerika hat da ja einiges zu tun) mit der Frage des Kolonialismus oder auch der globalen Gerechtigkeit endlich mal tiefer auseinandersetzt.
Und jetzt vielleicht zu der Frage: Wie kommen die Dinosaurier nach Berlin oder wie kamen die Dinosaurier nach Berlin?
Ein riesiger Schulterblattknochen liegt in der Erde
Höher als 1,80 Meter ist dieses Schulterblatt eines Dinosauriers, das in Tansania gefunden wurde© United Archives International/imago
Es ist so, dass an vielen Orten der Welt, die mir bekannt sind, ich bin selber kein Paläontologe, aber die, die mir bekannt sind, sind Teile von China, die Gobi-Wüste, China Mongolien, in Argentinien gibt es große Bereiche und dann eben halt wohl auch in Tansania, wo praktisch Knochen aus dem Boden heraus wittern. Es gibt ja, das weiß man ja auch hier aus Europa, Veränderungen der Landschaft durch Klima und Wetter. Jedes Jahr werden die Alpen ein paar Millimeter kleiner, weil eben halt über Forstsprengung und Wasser Boden erodiert.
Und in diesen großen Zeiträumen wachsen sozusagen Dinosaurierknochen aus dem Boden. Und das muss wohl auch dort bekannt gewesen sein. Und als dann deutsche Menschen dort herumliefen, um nach Bodenschätzen, nach Mineralien zu suchen, scheint es wohl so gewesen zu sein, dass sie von Einheimischen auf diese komischen Knochen hingewiesen wurden.
Wir haben ja mehrere Skelette bei uns im Museum für Naturkunde. Eines davon ist der Diplodocus. Und der war zu dem Zeitpunkt bereits bekannt als der größte Dinosaurier der Welt. Und der kam aus Amerika. Carnegie hatte auf seinen Europareisen Kopien hier gelassen und eine davon eben halt in Berlin, eine in London, eine in Paris, eine in München und eine in St. Petersburg.
Mehrere Menschen sind von hinten zu sehen, die über ihren Köpfen Kisten tragen.
Tansanische Arbeiter transportierten Dinosaurier-Knochen in Kisten© United Archives International/imago
Und dann merkten die Leute, die sich auch ein bisschen mit einer breiteren Naturgeschichte auskannten, dass hier die Möglichkeit bestünde, vielleicht den größten Dinosaurier nach Deutschland zu bringen. "Wer hat den Größten?" scheint nicht nur eine Fantasie von Herrn Trump zu sein, sondern muss wohl damals auch schon gang und gäbe gewesen sein.
Und dann hat es eine große Anstrengung gegeben, diese besonderen Funde für Deutschland, eine oder zu dem Zeitpunkt höchstwahrscheinlich die größte Wissenschafts- und Technologiemacht der Welt, zu sichern.

Über die eigene Sammlung nachdenken!

Deutschlandfunk Kultur: Das war ein Prestige-Objekt. Sie haben eben gerade schon gesagt, dass die Einheimischen die Deutschen Ingenieure, die da eigentlich nach Bodenschätzen gesucht haben, darauf hingewiesen haben, dass es da was gibt. Und das ist interessant. Es gab lange Zeit den Mythos, sozusagen ein Entdecker-Narrativ: Also, der Ingenieur Bernhard Wilhelm Sattler von der Lindi-Schürfgesellschaft, das war eben ein bergbauliches Kolonialunternehmen, sei bei Wanderungen in der Gegend darum gestolpert. Aber es heißt in einem anderen Bericht: "Und so kam", also wörtlich zitiert, "eines Tages ein Mohr zu ihm und sagt, Herr, es ist schlimm. Du suchst immerfort und findest nie etwas. Komm, ich will dir zeigen, was du vielleicht brauchen kannst." Und tatsächlich konnte der das brauchen, weil er dann an Bodenschätzen eben gerade nicht so wahnsinnig viel gefunden hat.
Vogel: Ich finde das sehr witzig, weil ich mir nie und nimmer vorstellen kann, dass diese ja schon fast alttestamentarisch-biblische Sprache, "Herr, ich kann dir zeigen, was du brauchst", je benutzt wurde. Ja, aber was sie da ansprechen, ist eine ganz wichtige Sache.
Diese Dinosaurier, die dort in vier Jahren in der vielleicht größten Expedition, die es zu diesem Thema Dinosaurier bisher gegeben hat, hat zu Mythen geführt. Und diese Mythen sind bisher von den Paläontologen, von den Entdeckern geschrieben worden. Und deswegen war es so wichtig, als ich 2012 aus London kam, wo wir uns eben halt schon seit einiger Zeit gerade mit menschlichen Überresten und Kolonialzeit beschäftigt hatten, dass man, wenn man das deutsche Nationale Naturkundemuseum ist und wenn man weiß, dass Deutschland eine koloniale Vergangenheit hat, dann gucken muss, was man "im Keller" hat. Und dass das nicht durch die Wissenschaftler gemacht werden darf, die auch an den Objekten arbeiten. Die müssen eine Stimme in diesem Konzert haben, aber die können nicht die Hoheit haben.
Deswegen ist es so toll, dass das BMBF, das Bundesministerium für Forschung, Bildung, uns unterstützt hat, mit Hilfe von Geschichtswissenschaftlern, Kulturwissenschaftlerinnen, Politikwissenschaftlern, einen breiteren Überblick, eine neue Art von Kontextualisierung aus der Sicht der Geistes- und Kulturwissenschaften zu gewinnen. Aber vielleicht auch danach suchen, was man noch rekonstruieren kann aus den Stimmen Tansanias, was zu einem runderen Bild dieser Sache beiträgt. Das war längst überfällig. Es gibt nämlich mehrere von Paläontologen geschriebene Bücher auch im Englischen über diese Funde, weil die so bedeutend sind. Aber das ist für mich kein rundes Bild gewesen. Und dass wir mit Dr. Ina Heumann eine super kluge und energetische Geschichtswissenschaftlerin ans Haus holen konnten, das war wichtig.
Also, die ersten drei Leute, die ich angestellt habe, ich bin selber Genetiker, aber die ersten drei Menschen, die ich am Museum angestellt habe, waren eine Geschichtswissenschaftlerin, eine Kulturwissenschaftlerin und eine Wissenschaftssoziologin, weil es einer globalen Sammlung nicht ansteht, sich nicht in einem breiten Maße mit sich selbst zu beschäftigen. Das muss gemacht werden.

Generelle Rückgabe von Kulturschätzen?

Deutschlandfunk Kultur: Ja. Und wir haben einiges zu Tage gefördert, unter anderem auch, dass es schon im Deutschen Reich damals einen Streit darüber gab oder zumindest einen Disput, wer denn jetzt Eigentümer dieser Angelegenheiten ist. Also, ausgerechnet der kaiserliche Gouverneur in Daressalam Albrecht Freiherr von Rechenberg hat gegenüber der Kolonialzentrale in Berlin betont, dass die Funde – auch wiederum ein Zitat – "wenigstens zum Teil auf dem Lande gemacht wurden, das im Privateigentum der Eingeborenen steht". Daher könnte man sagen, die Afrikaner seien eigentlich die Eigentümer.
Und das führt uns direkt in die Debatte um die Restitution, die der französische Präsident Emmanuel Macron 2017 angestoßen hat, als er sagte, der Kolonialismus sei ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Und dann hat er die Berliner Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy und den senegalesischen Ökonomen Felwine Sarr um ein Gutachten gebeten. Und die haben tatsächlich geschrieben, man solle aus – sagen wir – moralischer Staatsraison alle außereuropäischen Stücke in Museen in Frankreich zurückgeben. Was halten Sie denn davon?
Vogel: Für mich ist das eine zu undifferenzierte Betrachtung. – Man kennt sich ja auch aus, was für schlimme Geschichten da passiert sind. Und ich habe mir letztes Jahr oder gleich zum Anfang der Eröffnung auch das Museum of African American History angucken können. Es ist ja nicht nur so, dass Kulturobjekte oder hier Knochen aus Afrika herausgeholt wurden, sondern ja eben halt auch Menschen unter den barbarischsten Umständen als Handelsgut da vorgeführt wurden. Dass da ein großer Unrechtstatbestand vorliegt, ist absolut klar.
Tendagurutrommeln.
Tendagurutrommeln.© Museum für Naturkunde / Carola Radke
Ob man mit einer globalen Rückgabe Gerechtigkeit schaffen kann, kann ich nicht unbedingt sagen. Nur wir wissen aber auch, dass es für viele dieser Kulturobjekte Handel gegeben hat. Und es kann ja auch durchaus sein, dass in diesem Rahmen auch – wie heute – Rohstoffe oder Waren aus diesen Ländern gekauft werden. Was sogar auch unter den derzeit rechtlichen Bedingungen auch für die Länder richtig ist. Zahlen wir heute, haben wir damals für diese Güter den richtigen Preis bezahlt? Ich kann das nicht einschätzen. Tansania verdient heute sein Geld mit bestimmten Nüssen, es verdient sein Geld mit Öl und Gas. Bezahlen wir dafür die gerechten Preise, wenn man sich das Lohnniveau dort anguckt, die soziale Absicherung usw. usf.?

Eine Frage der Identität

Deutschlandfunk Kultur: Aber ist das denn das Gleiche? Es ist ja ein Unterschied zwischen naturkundlichen Objekten und Kulturobjekten im engeren Sinne, die auch für die Identität und auch dort für die Identität des Landes eine Rolle spielen. Das ist bei Öl eher nicht so.
Vogel: Genau. Also, erstmal finde ich es sehr interessant, dass von Ländern geredet wird. Diese Länder sind ja ein westliches Konstrukt von 1884, der Berliner Konferenz. Das heißt, der Nationalstaat, der für Europäer so wichtig ist und der ja auch zu Kriegen hier in Europa für hundert Jahre oder zweihundert oder vierhundert Jahre geführt hat, der ist dem ja aufoktroyiert worden.
Also, ich glaube schon, dass es wichtig ist für bestimmte Ethnien oder für bestimmte Gruppen, dass für die – da es ja sich um eine Kultur der Erzählung oftmals handelt in Afrika – bestimmte Objekte Teil ihrer Geschichte und ihrer Identität sind. Das glaube ich. Ob das für einen Nationalstaat gilt, würde ich schon mal stark bezweifeln, wenn man sich anguckt, welche Spannungen in Afrika oder auch im Mittleren Osten, wo Europa ja zwischen 1880 und 1920 oder auch noch darüber hinaus sehr unglücklich gerade Linien in den Boden gezogen hat.
Dass die nach einer Kontinuität fragen auch ihrer Kultur, die ja auch eigentlich keine schriftliche Überlieferung kennt, sondern eher mündliche oder auch bildliche Traditionen kennt, halte ich für vollkommen legitim und richtig. Darüber müssen wir uns unterhalten. Damit muss umgegangen werden.
Aber auch dort kann es ja zu Verkäufen von Objekten kommen. Da kann man sich fragen: Entsteht da eine Notlage, warum die ihre Objekte verkaufen müssen? Oder haben die Objekte zu dem Zeitpunkt für diese Kultur ihre Bedeutung verloren gehabt und sind dann weitergeben worden? Das sind alles recht diffizile Fragen.
Jetzt wird gesagt, "sie wollen das einfach immer alles nur verkomplizieren, um diese ganze Sache herauszuzögern". Ja, das kann man so sehen. Wir leben aber gleichzeitig auch in einem differenzierten Rechtsstaat und System und ich glaube, dass man da vielleicht auch mit einer differenzierten Betrachtung weiter kommt. Das ist aber eine Frage, die ich nicht letztendlich beantworten kann und für mich auch selber noch nicht letztendlich beantwortet habe. – Das ist schwierig.

Differenzierte Betrachtung ist nötig

Deutschlandfunk Kultur: Herr Vogel, der Kunsthistoriker Horst Bredekamp, bis Juni war er noch Gründungsintendant des Humboldt-Forums, wo ja die ethnologischen Sammlungen in Berlin einziehen sollen. Und darum rankt sich auch der Streit. Also, Horst Bredekamp hatte hier in unserem Programm gesagt, dass es in Deutschland gar keinen dem französischen Kolonialismus vergleichbaren Kolonialismus gegeben hatte. Und ein zweites Argument: Die deutsche Sammlungstradition mit Leibnitz und Humboldt sei im Geist der deutschen Aufklärung gestanden.
Und ich frage mich die ganze Zeit: Ist das eigentlich überhaupt ein Argument oder ein angemessenes Argument? Sie schnauben schon hörbar.
Vogel: Was soll ich dazu sagen? Also: Wir haben jetzt hier diese Forschung gemacht, um die verschiedenen Perspektiven, jetzt aus westlicher Sicht, die man auf diese Objekte haben kann, zu zeigen. Und da können Sie sich auch vorstellen, dass auch bei uns am Haus alle mit großem Interesse diese Erzählungen, sowohl von den Paläontologen wie auch von den Geisteswissenschaftlern, lesen, aber dass es weiterhin differenzierte und unterschiedliche Meinungen dazu geben wird.
Und genauso wenig wie ich mich dem Satz verschreiben würde, alles ist gestohlen, alles ist Unrecht, alles muss zurückgegeben werden, genauso wenig würde ich einer Vereinfachung auf der anderen Seite zustimmen können.
Also, ich bin darin trainiert worden als Genetiker, eine generelle These aufzustellen, sie am Einzelfall zu testen und dann entweder die Hypothese zu widerlegen oder zu verifizieren. Und in diesem Widerspiel würde ich mich auch gerne weiterhin bewegen.
Nun kann man auch wieder sagen: Klar, das muss ein Wissenschaftler sagen. – Ja, das muss ein Wissenschaftler sagen, weil, das ist das Wesen von Wissenschaft, dass sich einem die Haare sträuben, dass man schnaubt und sagt, das kann nicht so sein, und dann versucht es besser zu machen.
Deutschlandfunk Kultur: Ja, Sie haben das wirklich in einem großen Forschungsprojekt, in einem Verbundprojekt mit der Humboldt-Universität und der TU zustande gebracht, das sehr genau zu erforschen. Zugleich steht das aber auch mittlerweile in einem politischen Kontext. Uwe Kekeritz, entwicklungspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, hat gesagt: "Grundsätzlich sollte das Skelett natürlich nach Tansania zurückgebracht werden." Und Michelle Müntefering und Kulturstaatsministerin Grütters haben in der FAZ geschrieben: "Von Museen und Sammlungen erwarten wir die Bereitschaft, sich offen der Frage einer Rückgabe von Kulturgütern aus kolonialen Kontexten zu stellen.
Vogel: Absolut richtig, aber jetzt ist die Frage: Wo ist die kulturelle Leistung am Dinosaurier?
Wenn ich die Benin-Brozen betrachte, …
Deutschlandfunk Kultur: Ein anderes Streitobjekt.
Vogel: ... ein anderes Streitobjekt, dann sind das Objekte, die aus der kulturellen Leistung, der Handwerkskraft der Menschen in Benin heraus entstanden sind. Das ist ein Ausdruck ihrer handwerklichen kulturellen Kraft und Kunst. Aber: Man findet keine Dinosaurier. Was man findet, sind Knochenfragmente. Die sind zu dem Zeitpunkt, soweit wir das wissen, von den Einheimischen gesammelt worden, zerrieben worden, wenn sie aus dem Boden heraus gewittert sind, und als Dünger auf das Feld gestreut worden.
Jetzt hat man dort gegraben. Man hat Bergbau betrieben, um analog zum Eisen oder ähnlichem Wertstoff diese Fragmente herauszuholen. Dann sind diese Fragmente nach Europa gebracht worden. Und die Entstehung des Dinosauriers, das, was man heute im Naturkundemuseum sieht, ist ein Vorgang, der in Deutschland mit Hilfe der westlichen Wissenschaft seit 1906 kontinuierlich betrieben wird.
Warum wissen wir etwas über Dinosaurier? Warum können wir Steven Spielbergs Filme angucken? Weil seit über hundert Jahren gerade auch an den Sammlungen in Berlin so intensiv für die Welt und mit der Welt geforscht wurde. Das heißt, die ganze Arbeit, das Präparieren eines Knochens, vierhundertfünfzig Stunden pro Knochen, ist als kulturelle, als wissenschaftlich-kulturelle Leistung in Deutschland passiert. Dass dann diese Knochen zusammengefügt wurden und man sich überlegt, wo welcher Knochen hin gehört und wie die Biomechanik ist, die vielleicht dieses Tier, das so unwirklich und staksig ist, zum Laufen bringt, und dass man eine relativ gute Rekonstruktion, wie dieses Ding hätte aussehen können, jetzt im Berliner Naturkundemuseum sieht, sind alles Ausflüsse einer hauptsächlich vom Westen gemachten, in der westlichen Tradition stehenden naturwissenschaftlichen Forschung, die ich auch als Teil der Kultur Deutschlands annehmen würde.

Rückgabe ist eine Sache der Politik

Deutschlandfunk Kultur: Das stimmt schon. Das Argument ist, dass die Wertschöpfung, also von einem Naturgut zu einem Kulturgut, die eigentliche Wertschöpfung in den Institutionen und in den Sammlungen geschieht, bis es zur musealen Präsentation kommt.
Aber das Argument ist ja in gewisser Weise komisch. Weil, wenn jetzt mein Hund in Nachbars Garten zufälligerweise Trüffel ausbuddelt, die anschleppt und ich sage: Ah, super, mit Trüffeln kann ich wunderbar viel Geld verdienen, und gebe die in den Markt, dann würde mein Nachbar vielleicht sagen: Entschuldigung, es war aber bei mir.
Vogel: Ja, aber: Nee, nee, das ist schon richtig. Der Anfang Ihres Arguments ist richtig, aber die Wertschöpfung an Trüffeln macht ja der Koch, nicht Ihr Hund. Das ist ja eine Kette von Handel und von Wertschöpfung.
Also, ob die Dinosaurier zurückgegeben werden oder nicht, liegt nicht an mir. Das ist eine politische Entscheidung am Ende. Aber worüber wir mit unseren tansanischen Kollegen reden und worüber wir jetzt auch mit dem Universitätspräsidenten und der Universität Daressalam und anderen geredet haben, ist Folgendes:
Auf der Zeichnung sind drei Dinosaurier zu sehen, die sehr lange Schwänze und lange Hälse haben
In Tansania könnten sich noch weitere Brachiosaurus-brancai-Skelette befinden© Hubert Link/dpa
Was dort zwischen 1909 und 13 ausgebuddelt wurde, ist nur ein unheimlich kleiner Teil eines unheimlich großen Gebietes, in dem unheimlich viele Dinosaurier liegen. Wenn die dort eine Wertschöpfung aus Dinosauriern machen wollen, dann würde ich erst einmal sagen, und das möchten die auch, dass wir uns gemeinsam darum kümmern, dort Techniker und Wissenschaftlerinnen auszubilden, um gemeinsam die Schätze dort zu heben, die natürlich da bleiben. Und unser Brachiosaurus brancai ist ein Jungtier. Das heißt, wenn die wirklich in Tansania den größten haben wollen, der liegt da allemal rum.
Also, diese Frage, die Sie jetzt hier ansprechen und die Provenienzforschung, ist für mich auch nur Teil einer viel größeren Debatte. Genau die gleiche Debatte läuft derzeit um biologische Ressourcen in der CBD.
Deutschlandfunk Kultur: Was ist CBD?
Vogel: Convention on biological diversity, also ein globaler Vertrag, der '92 in Rio geschlossen wurde. Und da geht es um Wertschöpfung aus DNA und Naturstoffen. Das ist genau dieselbe Sache.
Zum Beispiel: Pelargonien, Geranien, die hier jeder vorm Haus hat, die kommen aus Südafrika. Die kommen aber nicht aus Südafrika, weil in Chelsea Physic Garden, in Chelsea in London, wurden zwei Pelargonienarten miteinander gekreuzt, aus denen alle Kulturarten entstanden sind. Die Geranien-Industrie allein in den Niederlanden macht mehrere Milliarden pro Jahr aus. Dadurch, dass Europa die Macht über die Welt hatte, gibt es die ganz verschiedenen Verknüpfungen. Wir müssen uns grundsätzlich überlegen, was Gerechtigkeit bedeutet. Denn – und jetzt komme ich wieder zu meinem Job als Naturkundemuseums-Direktor – wir haben nur eine Welt. Die teilen wir mit allen 7,5 Mrd. Menschen. Da muss es genug für alle geben.
Ansonsten wird es wirklich schwierig für uns als Menschen. Und Ungerechtigkeit und Naturzerstörung sind die beiden Kräfte, die an der Menschheit wirklich zehren, die aber auch von der Menschheit gemacht werden. Dafür müssen Lösungen gefunden werden. Und dann, in so einem globalen Diskurs, erledigen sich dann meiner Ansicht nach auch die Brachiosaurus-Geschichten.
Aber was bedeutet so ein Diskurs? Das bedeutet höchstwahrscheinlich, dass wir im Norden abgeben müssen.

Es geht um globale Gerechtigkeit

Deutschlandfunk Kultur: Man sieht an dieser Diskussion, dass mittlerweile die Sammlungen die Museen im Westen oder in Nordeuropa unter einen enormen politischen Druck stehen. Die Sammlungen sind politisiert. Das betrifft die Rückgabe von Kunstwerken, das betrifft die Rückgabe von Naturgegenständen, die Rückgabe aus ethnologischen Sammlungen.
Was sind denn da jetzt genau die politischen Aufgaben, die ein Museum wie das Ihre zu leisten hat?
Vogel: Für mich sind Museen immer schon politische Einrichtungen gewesen. Und ich habe ja auch das in den letzten sieben Jahren hier in verschiedenster Art und Weise sehr deutlich gemacht. Und das Museum verhält sich ja auch als ein sehr politisches Museum. Und das ist auch gut so. Und Museen als Orte, in denen sich die Gemeinschaft trifft, entweder lokal oder von der Welt, müssen auch Geschichten und Narrative haben. Und das ist für ein Naturkundemuseum vielleicht ein bisschen einfacher noch als für andere Museen, weil wir als Naturkundemuseum eigentlich grundsätzlich eine Forschungseinrichtung sind, also eine sich selber hinterfragende Einrichtung, die dann einen Teil hat, in dem sie die Erkenntnisse ihrer Forschungsarbeiten, das ist bei uns in einem Verhältnis 80 Prozent/20 Prozent. 80 Prozent bezieht sich auf unsere Sammlungsentwicklung und Forschung, 20 Prozent auf den öffentlichen Teil. Dass wir versuchen, den Prozess von Wissenschaft, die neuesten Erkenntnisse zu Herausforderungen – sei es Klima, sei es Ernährung, sei es Biodiversität oder jetzt Provenienz – darzustellen, dass wir das zur Debatte stellen und uns dieser Debatte stellen, das ist grundsätzlich politisch.
Aber es kann nicht dazu kommen, dass wir jetzt versuchen, die längst überfällige globale Gerechtigkeitsdebatte einfach mal so den Museen zuzuspielen und es im großen politischen Raum vielleicht dann nicht spielen. Ja, dann lasst uns doch mal darüber reden, wie wir global Gerechtigkeit und Finanz- und Machtströme laufen lassen wollen! Es gibt da, wenn Sie sich die großpolitische Wetterlage angucken, dieses Hegemonialbestreben wieder, was sich jetzt an China und Amerika im Handelsstreit oder noch Schlimmeren äußern wird.
Deutschlandfunk Kultur: Ja, auch im kulturellen Bereich.
Vogel: Natürlich.
Deutschlandfunk Kultur: China hat gerade im Senegal dreißig Millionen Dollar in einen Museumsbau gesteckt.
Vogel: Aber natürlich. Und die haben Ausbildungsakademien für Ostafrika aufgebaut, wo Tausende von Wissenschaftlern ausgebildet werden. Also, das Rennen um die Welt hat sich in keinster Weise verlangsamt oder wird vernachlässigt. Aber das ist nicht die Lösung, meiner Ansicht nach, um aus den Problemen herauszukommen, sondern es stabilisiert für kurze Zeit, für hundert oder fünfzig Jahre bestimmte Regionen, die besonders machtvoll sind. Aber am Ende hängen auch die am globalen Wetter, an der globalen Ozeanerwärmung, an der globalen Nahrungsproduktion. Davon kann sich keiner freikaufen, auch wenn man jetzt glaubt, dass es ginge.
Deutschlandfunk Kultur: So. Bevor wir jetzt die Debatten komplett in die höchste politische Ebene verlagern, nochmal eine ganz konkrete Frage: Sie haben eine riesige Fördersumme für Ihr Haus, also das Museum für Naturkunde in Berlin, bekommen. 660 Mio. Euro, die Hälfte kommt vom Bund, die andere Hälfte vom Land Berlin. Es ist ganz klar: die Verwendung für Sammlungserschließung, Gebäudesanierung, Digitalisierung und vieles andere.
Geht’s aber dabei auch um die Provenienzforschung oder die von Ihnen schon angeregte Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aus Tansania?
Vogel: Also erstmal, Sie können sich gar nicht vorstellen, wie glücklich wir sind, dass das Museum durch den Bundestag und den Landtag unterstützt wird.
Deutschlandfunk Kultur: Ja, Gratulation, die höchste Fördersumme für ein Museum jemals.
Vogel: Genau. Jetzt ist es aber so, dass 85 Prozent des Gebäudebestandes wie 8. Mai '45 ist. Also, der ganz, ganz große Teil des Geldes muss einfach da reingepackt werden, dass die Wände gestrichen werden usw. usf. Das klingt wie eine unheimlich große Summe. Wenn Sie sich die siebzig-, achtzigtausend Quadratmeter angucken, ist das am Ende nicht mehr so viel.
Zu diesem Zeitpunkt ist es aber so, dass wir im politischen Umfeld nur ein Argument machen konnten für die Entwicklung der Bausubstanz und der Sicherung der Sammlung für Forschung weltweit. Weil, wir sind eine der fünf wichtigsten Sammlungen der Welt.
Wie kann man das messen? Ganz einfach: Zehn Prozent allen Lebens, was auf der Erde beschrieben wurde bisher, liegt in unseren Sammlungen, liegt in der Invalidenstraße 43 in Berlin. Da gibt es nur fünf Sammlungen davon, die dieses Kaliber haben. Jetzt ist unsere nächste Aufgabe, und wir sind ja eine Forschungsorganisation, dafür zu werben, dass wir endlich adäquat durch den Jahresetat finanziell unterstützt werden, dass wir endlich wieder unseren globalen Verantwortungen und Aufgaben gerecht werden können. Unsere Sammlung ist halb so groß wie die von London. Der Jahresetat, den wir bekommen, ist nur ein Siebtel von dem, was London hat. Diese Riesensumme ist unheimlich toll für uns, aber mit dem geringen Jahresetat, den wir haben, könnte uns das große Probleme machen. Weil, um Geld auszugeben, müssen Sie Geld haben. Das werden noch große Herausforderungen.
Aber der Bundestag, der Landtag hat ja jetzt gezeigt, dass man sieht, dass wir eine für die Stadt, für Deutschland notwendige Einrichtung sind. Und ich glaube, dass wir in dem Sinne weiter argumentieren können, damit wir uns den Herausforderungen, eben halt die Zukunft zu gestalten, gerecht, aber auch lebenswert, aber auch vielleicht die Vergangenheit gerecht zu beurteilen und auch in dem Sinne zu handeln, dass wir dafür jetzt die Ausstattung bekommen. Das werden jetzt die Herausforderungen für mich und mein Team in den nächsten Jahren. Und da freuen wir uns drauf und das wollen wir mit Partnern in der Welt und insbesondere natürlich auch in Tansania tun.
Deutschlandfunk Kultur: Globale Verantwortung im nationalen Naturkundemuseum. – Vielen Dank für das Gespräch, Herr Vogel.
Vogel: Ich bedanke mich.

Buchtipp:
Ina Heumann (et al.): "Dinosaurierfragmente"
Wallstein Verlag, Göttingen 2018
311 Seiten, 26,90 Euro

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