Ein streitbarer Klangästhet
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Christian Thielemann ist einer der berühmtesten deutschen Pultstars. Zur Zeit ist er Chefdirigent an der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Der gebürtige Berliner mit der ungewöhnlichen Dirigiertechnik wird heute 60 Jahre alt.
Am 1. April 1959 wurde Christian Thielemann im damaligen West-Berlin geboren. Er gilt inzwischen als einer der berühmtesten deutschen Dirigenten unserer Tage. Die Romantik ist sein Steckenpferd: mit Dirigaten von Richard Wagner und Richard Strauss wurde er berühmt, sein Beethoven-Zyklus mit den Wiener Philharmonikern wird als legendär eingestuft.
Er hat eine Schwäche für Preußen, gilt politisch als zumindest konservativ und setzte sich zumindest früher auch gerne für reaktionäre Komponisten des frühen 20. Jahrhunderts ein. Seit einigen Jahren ist er Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Nicht jedoch Generalmusikdirektor der Semperoper, das muss man gut auseinanderhalten.
Seit 2015 ist er Musikdirektor der Bayreuther Festspiele, aber er möchte durchaus nicht auf diesen Komponisten festgelegt werden und weist vehement auf Anderes hin:
"Warum schauen Sie nicht, was wir in Nürnberg gemacht haben? Da habe ich das auch gemacht. Und in Dresden, da machen wir jedes Jahr eine Operette. Und ich habe in meinen jüngeren Kapellmeisterjahren mit der Operette angefangen, bin dann allerdings doch sehr schnell in die Wagner-Strauss und andere Schiene gekommen."
Niemand kann so souverän von oben herab antworten wie Christian Thielemann, wenn er sich ungerecht behandelt fühlt. Beispielsweise festgelegt auf das hochromantische deutsche Opernrepertoire mit dem Fixstern Richard Wagner. Dafür wird er zwar international gefeiert und von einer eingeschworenen Fangemeinde verehrt, aber tatsächlich kann er sehr viel mehr.
Schritt für Schritt in Richtung Pult
Denn Christian Thielemann hat eine gründliche Ausbildung hinter sich, mit Stationen an kleineren Häusern, wo er zunächst als Repetitor und Kapellmeister das Repertoire in seiner ganzen Breite kennenlernte und in die Finger bekam:
"Ich ging dann eben nach Gelsenkirchen und nach Karlsruhe und nach Hannover und bin immer eine Stufe höher gekommen in der Rangfolge. Erst als Repetitor mit Dirigierverpflichtung, dann Zweiter Kapellmeister, dann war ich in Düsseldorf Erster Kapellmeister, das ist die sogenannte Ochsentour. Da lernen Sie alles. Da lernen Sie auch, dass es Sänger gibt, die eben auch an solchen mittleren Häusern, die alles können müssen. Die singt an einem Abend Eva, am anderen Abend Abigaille in Nabucco, also tolle Mixtur. Dann singt sie noch eine Operette, und die Dirigenten genau dasselbe. Sie müssen wirklich heute 'Maske in blau' und morgen 'Meistersinger' dirigieren."
Von Haus zu Haus
Lange bevor Thielemann Musikdirektor der Bayreuther Wagnerfestspiele wurde, hatte er dessen Gesamtkunstwerke in Nürnberg ausprobiert, wo er ab 1988 Deutschlands jüngster Generalmusikdirektor Deutschlands war. Dort schied er nach wenigen Jahren im Streit und mit einer langwierigen gerichtlichen Klärung, ob er seine Pflichten erfüllt hat.
Es folgte eine Station als Generalmusikdirektor an der Deutschen Oper Berlin, wo er wiederum im Streit schied, um zu den Münchner Philharmonikern zu wechseln, die er ebenfalls im Streit vorzeitig verließ. Ganz offensichtlich ist der Dirigent Christian Thielemann ein Künstler, mit dem viele ihre Schwierigkeiten haben.
Dresdner Klangästhetik
Zurzeit ist er vor allem Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle und scheint sich im vergangenheitsverliebten Dresden sehr wohl zu fühlen. "Die Dresdner Kapelle spielt also erstaunlich," sagt der Dirigent, "auch wenn sie für das deutsche Repertoire doch bekannt ist, ich habe französische Sachen gemacht, ich habe sie gehört mit Schostakowitsch und anderen russischen Komponisten. Und ich war ganz erstaunt drüber, wie sie sich angleichen können.
Aber sie behalten diesen erdigen, trotzdem nie zu dicken, dunklen, trotzdem durchsichtigen Ton. Man denkt, wenn das dunkel ist und ein bisschen unklar, aber das ist es ja gar nicht. Und das ist eben, da bin ich sehr stolz drauf und das ist auch, wie man so schön sagt, genau meine Kragenweite."
Thielmanns Stil am Pult
Mit seinem auffällig langen Dirigentenstab sticht Christian Thielemann die Takte von unten an, wenn er der Musik Nachdruck verleihen will. In den lyrischen Passagen sieht es hingegen aus, als wolle er sich ins Orchester hineinlegen - so weit beugt er sich mitunter auf dem Podium vor. Seine Dirigiertechnik ist eigenwillig, aber effektiv. Der luxuriös schimmernde Klang, den er von den Musikern haben möchte, bekommt er zuverlässig, und nicht nur in Dresden.
Neben dem Bayreuther Festspielhaus hält er auch der Wiener Staatsoper die Treue sowie den Wiener Philharmonikern, deren prestigeträchtiges Neujahrskonzert er in diesem Jahr zum ersten Mal dirigieren durfte. Dazu Thielemann:
"In Wien ist es insofern immer lustig, weil man denkt, die greifen einem in die Hosentasche. Und die gucken und sehen alles ganz genau. Ob man schwitzt oder ob das Hemd verknickt ist. Aber es ist auch so ein gewisses Hauskonzertgefühl. Das kann unangenehm sein, kann aber angenehm sein. Ich find’s so in der Mitte dazwischen. Es hat auch etwas sehr Angenehmes. Man denkt fast, man sitzt im Wohnzimmer. Fast."
Weniger ist manchmal mehr
Christian Thielemann macht sich rar. Bei den Salzburger Osterfestspielen dirigiert er in diesem Jahr Wagners "Meistersinger von Nürnberg" und ein Konzert, im Mai Bruckner im Berliner Dom, dann wieder im Sommer bei den Bayreuther Festspielen "Lohengrin" und "Tristan und Isolde". Angebotsverknappung sorgt für steigende Nachfrage, vielleicht hat er auch einfach keine Lust auf den Stress des Klassikbetriebs.
Für eine Überraschung ist er jedenfalls auch mit sechzig immer gut. Vielleicht dirigiert er ja demnächst wieder mehr Zeitgenössisches. Oder französisches Repertoire, italienisches. Dass er es kann, steht jedenfalls vollkommen außer Frage.
(cdr)