Dirigent in der Kulturhauptstadt

Von Stephanie von Oppen |
Mit drei Jahren wollte Noam Zur das Klavierspielen erlernen. Und in der zehnten Klasse stand sein Berufswunsch fest: Dirigent. Mittlerweile ist Zur 27 und hat Orchester in der ganzen Welt dirigiert. Nun übernimmt er das Amt des ersten Kapellmeisters am Aalto-Theater in Essen.
"Mein Vater hat erzählt, ich wäre nach Hause gekommen aus der zehnten Klasse und hätte gesagt: Ich werde Dirigent. Da habe er gesagt: Oh, das ist schön, dass du das werden willst – und ich sagte dann, nein, nicht 'ich will Dirigent werden', sondern ich werde Dirigent."

Noam Zur ist heute 27 und er ist Dirigent. In den vergangen Jahren hat er Orchester in der ganzen Welt dirigiert. Er ist in Israel geboren und teilweise in Deutschland aufgewachsen. Mutter und Vater sind beide Musiker.

"Es war normal, dass man Musik macht, es war Teil des Alltags."

Mit drei Jahren schon lag er seinen Eltern in den Ohren, er wolle Klavier lernen.

"Ich konnte kaum eine kleine Terz greifen, ich war zutiefst gekränkt, dass kein Lehrer mich nehmen wollte, bis ich nicht ein bisschen wachse."

Sein Hauptinstrument wurde später die Posaune. Das war sein Glück. Seinen Armeedienst in Israel konnte er als Soloposaunist beim Orchester der Luftwaffe absolvieren und nebenher Dirigieren und Philosophie an der Universität Tel Aviv studieren. Mit Anfang 20 hatte er seinen Bachelor in der Tasche und strebte weg aus Israel.

"Mit 20 war mir klar, dass ich nicht in Israel studieren will. Was mir gefehlt hat, war die Praxis. Man hatte nicht die Möglichkeit, regelmäßig mit Orchester zu arbeiten. Ich habe teilweise Blut gespuckt, um kleinere Ensembles zu versammeln."

Bei europäischen Dirigentenwettbewerben konnte er auf sich aufmerksam machen und kam auf diesem Wege zurück nach Deutschland.
Noam Zur ist etwa 1, 75 groß, er hat rotbraune, leicht gewellte Haare, trägt einen Dreitagebart, eine Brille mit dünnem goldenen Rand, Jeans, braunes Jackett. Er nimmt seinen Plexiglas-Taktstock und wiegt ihn lässig in der Hand.
Für das Orchesters sei er der Primus inter Pares, der Erste unter Gleichen.

"Es gibt eine gewisse Hierarchie und das hat auch seinen guten Grund. Diese Tyrannen, die wir früher hatten, wie bei Toscanini oder Celibidache, die gehen heute nicht mehr durch. Man kann alles sagen, es ist nur die Frage, wie man es sagt. Man kann jemanden komplett bloß stellen und man kann andererseits auch zu weich sein und ach und bitte und könnten sie einmal. Den Mittelweg zu finden, das ist eine Suche fürs ganze Leben."

Wie ist es Noam Zur gelungen sich gegen die harte Konkurrenz in der Musikszene durchzusetzen?

"Man braucht eine gewisse Kaltblütigkeit oder Gleichgültigkeit. Irgendwie muss man in den zwischendirigentischen Beziehungen leicht autistisch sein und sich nicht darum kümmern, was die anderen meinen."

Als er sich vor vier Jahren am Musiktheater Heidelberg bewarb - als erster Kapellmeister für die Sparte Oper - hatte er bis dahin vor allem Sinfonien dirigiert. Glück habe er gehabt, dass sie ihn dort genommen haben und er so Erfahrungen im Bereich Oper sammeln konnte. Heidelberg wurde zum Sprungbrett auf die Stelle des ersten Kapellmeisters am Aalto-Theater der zukünftigen Kulturhauptstadt Essen. Seine große Hoffnung ist, dass er einmal den Wozzeck von Alban Berg dirigieren kann. Mit dieser Oper hat er sich schon intensiv auseinander gesetzt als er noch im Hörsaal der Uni in Tel Aviv saß.

"Zwei Leute waren in dieser Vorlesung ohne Partitur und wir haben uns gestritten darüber, welches Instrument gerade diesen Akkord spielt. Das war der Professor und ich."

Noam Zur ist ein Anhänger der Zwölftonmusik von Alban Berg und Arnold Schönberg. Und er hat einen Faible für zeitgenössische Musik.
Neben der Arbeit als Dirigent liest er vor allem - Sachbücher: Philosophie, Naturwissenschaften, Hightech.

"Es ist mir relativ egal, ob es Erkenntnisse sind über Leben auf dem Mars oder Evolution oder über eine bestimmte Partitur. Ich will einfach aktiv über etwas nachdenken."

Der Israeli Noam Zur, dessen familiäre Wurzeln auch nach Südamerika und Europa reichen, ist mehrsprachig aufgewachsen und bleibt auch als Dirigent ein Kosmopolit. Allein in diesem Jahr dirigiert er nicht nur in Heidelberg und Essen, sondern außerdem in Israel, Südafrika, Venezuela, der Schweiz, Serbien und Rumänien. Noam Zur hat bisher noch keine eigene Familie. Erst kürzlich hat er sich von seiner Freundin getrennt. Mal eine Auszeit? Das reizt ihn nicht.

"Ich würde eher sagen, dass ich nicht weiß, wie man Urlaub mache. Wenn ich Urlaub mache, dann heißt es, ich mache etwas anderes. Ich setze mich aber nicht irgendwo hin und schalte einfach ab und mache gar nichts, das kann ich nicht, ich bin unheimlich schnell gelangweilt und um sich zu langweilen, ist das Leben zu reich und zu kurz."