"Dirty Dancing" als zeitlose Nostalgie

Der Film "Dirty Dancing" aus dem Jahr 1987 hatte und hat Millionen Fans. Nun werfen Kritiker und Kulturjournalisten in dem Essayband "Ich hatte die Zeit meines Lebens” einen ausführlichen Blick auf diesen Film - und räumen mit dem einen oder anderen Vorurteil und Missverständnis auf.
Film: "”That was the summer of ‘63 and everybody called me Baby and it didn’t occur to me to mind.""

Es war der Sommer 1963. In den Catskill Mountains im Norden der USA. Als der Teenie Frances Houseman von allen Baby genannt wurde und ihr das nicht mal auffiel.

Film: "”That was before President Kennedy was shot. Before the Beatles came, when I couldn’t wait to join the Peace Corps and I thought I’d never find a guy as great as my Dad.""

Es war der Sommer, bevor John F. Kennedy erschossen wurde, bevor die Beatles die USA überrollten und Baby nicht warten konnte, dem Peace Corps beizutreten. Und es war auch der Sommer, in dem sie dachte, sie würde niemals einen Mann finden, der toller ist als ihr Vater.

Obwohl gleich in den ersten Minuten von "Dirty Dancing" politische und gesellschaftliche Themen angesprochen werden, wurde der Film meist nur als Schnulze und romantischer Tanzfilm wahrgenommen und damit total verkannt, meint Hannah Pilarczyk, die Herausgeberin des Essaybandes "Ich hatte die Zeit meines Lebens".

Pilarczyk: "Das größte Missverständnis ist, glaube ich, dass dem keine anderen Ebenen zugesprochen wurden. Dass er überhaupt nicht über andere Themen sein durfte in den Augen vieler Kritiker und Zuschauer.

Man kann ja auch kritisch sehen, wie die Rolle von Schwarzen gezeigt wird, oder ob das wirklich eine überzeugende jüdische Emanzipationsgeschichte ist. Aber das Schlimmste war, dass dem Film überhaupt nicht die Möglichkeit zugesprochen wurde, dass er Themen behandelt."

Vordergründig wird in Dirty Dancing getanzt. Die Themen, die dabei im Hintergrund mitschwingen, gehen weit über die Coming-of-Age-Geschichte eines selbstbewussten jungen Mädchens hinaus. Es geht auch um die Emanzipation ethnischer Minderheiten in den Vereinigten Staaten, wie zum Beispiel der jüdischen Gemeinde.

Pilarczyk: "Für ein amerikanisches Publikum ist klar erkennbar: Ort und Zeit. Catskill Mountains Anfang der 60-er sind einfach die klassischen jüdischen Ferienresorts, in denen das spielt. Wenn man ein bisschen darauf achtet, Houseman, Kellerman, Schumachers - dann sind das einfach jüdische Namen.

Das muss man sich aber alles ein bisschen zusammenreimen. Dass das alles so angedeutet ist, so ist bei uns im Buch die Interpretation, zeigt auch den Übergang von Juden in die Mehrheitsgesellschaft der USA, und dass das der letzte Umbruch ist. Dass sich ein jüdisches Mädchen mit einem irischen Tänzer einlässt."

Die "Spiegel-Online"-Redakteurin und Herausgeberin des Buches Hannah Pilarczyk erläutert in ihrem Essay unter anderem, warum der Film trotz des immensen Kassenerfolgs von der Kritik, zu Unrecht, so stiefmütterlich behandelt wurde.

Pilarczyk: "Was ich verblüffend fand, war eine Szene, wo der Böse im ganzen Film, Robbie, der ehrgeizige Kellner, den Saal eindeckt und Baby davon zu überzeugen versucht, dass sie sich nicht mit den unteren Aushilfen wie Johnny abgeben soll.

Er schiebt ihr von Ayn Rand ‚The Fountainhead’ rüber. Also das Schlüsselwerk der Tea Party-Bewegung, wie man jetzt weiß, was aber auch für die reaktionären Kräfte in den USA sehr wichtig war. Er schiebt ihr das Buch rüber und sagt:”"
Film: "”Some people count and some people don’t."

Manche Menschen zählen und manche nicht. Das ist eine klare politische Aussage, die der Kellner Robbie im Film trifft. Eine Aussage, die das radikalkapitalistische Manifest von Ayn Rand auch heutzutage sehr aktuell erscheinen lässt, wie Hannah Pilarczyk mit Hinblick auf den amerikanischen Wahlkampf feststellt.

Pilarczyk: "Paul Ryan, Vizepräsidentschaftskandidat von Romney, hat gesagt, Ayn Rand ist seine Lieblingsautorin. Und Mitt Romneys 47 Prozent, um die er sich gar nicht scheren muss, sind eine aktuelle Version von ‚some people count, some people don’t."

Der Unterschied zwischen denen, die im Leben zählen und denen, die es vermeintlich nicht tun, wird im Film durch eine Komponente aufgehoben. Durch die Musik. Der Popjournalist Jan Kedves widmet sich in seinem Beitrag der Bedeutung des Soundtracks von "Dirty Dancing". Die R’n’B Songs übernehmen, laut Kedves, eine besondere Rolle, weil sie im Film immer dann eingesetzt werden, wenn es um die Überschreitung von Grenzen geht.

Kedves: "Es gibt im Film dieses Revier für die Saisonarbeiter, die Latinos sind, die Afro-Amerikaner sind oder minder privilegierte Weiße. Die tanzen da alle zusammen zu R’n’B und schwitzen sich an in sehr erotischen und sexuell aufgeladenen Choreografien und Tänzen. Diese Musik ermöglicht einen Raum, in dem man sich treffen kann ohne weiterhin segregiert zu sein oder weiter sexuell verklemmt zu sein."

25 Jahre nach der Veröffentlichung von "Dirty Dancing" ist mit dem Essayband "Ich hatte die Zeit meines Lebens" die erste kulturwissenschaftliche Würdigung eines Films erschienen, der tatsächlich mehr ist als nur eine Liebesschnulze mit Tanzeinlagen.

Und wer schon immer wissen wollte, warum Baby ausgerechnet Wassermelonen und keine Bierflaschen trägt, sollte sich "Ich hatte die Zeit meines Lebens" vornehmen.

Besprochen von Elissa Hiersemann

Hannah Pilarczyk: Ich hatte die Zeit meines Lebens. Über den Film Dirty Dancing und seine Bedeutung
Verbrecher Verlag, Berlin 2012
191 Seiten, 15 Euro