Postmoderne Liebeslieder
Fleetwood Macs "Rumours" oder Bob Dylans "Blood On The Tracks" sind Beispiele für erfolgreiche Trennungs-Alben. Die "Dirty Projectors" - bislang eher für sperrige Konzept-Alben bekannt – versuchen sich nun auch an einem Trennungsalbum. Und überraschen mit neuen Ideen.
Es beginnt mit Hochzeitsglocken. Dann singt David Longstreth zu Mollakkorden am Klavier: "I don’t know why you abandoned me - ich weiß nicht, wieso du mich verlassen hast".
Um ein Haar wären die Exil-New Yorker bereits in den ersten Sekunden ihres neuen Albums in die berühmte Kitschfalle getappt. Wenn die moderne Technik nicht wäre: Das anfängliche Kirchengeläut wird kurz digital verfremdet. Die Stimme ist extrem verlangsamt und eine Oktave tiefer gepitcht. Eine "gewöhnliche" Herzschmerz-Ballade wird es also auch auf dem achten Album der Dirty Projectors nicht geben.
"Kennst du den Film 'Spinal Tap'? Darin gibt es eine Szene, in der die Hauptpersonen ihre Verstärker nicht nur bis 10, sondern bis 11 aufdrehen. Das wollte ich mit diesem Album: Alles auf 11 drehen. Wenn du den Gesang verlangsamst und dadurch die Stimme tiefer machst, dann ist es egal, ob dein Song fröhlich oder traurig klingt. Es entsteht eine Art 'Alien-Melancholie'; etwas Geisterhaftes, das die Darbietung sofort überlagert."
David Longstreth trägt mittlerweile Vollbart und hat seine langen Zottelhaare gegen einen hippen Kurzhaarschnitt eingetauscht. Er wohnt nicht mehr in New York, sondern in Los Angeles; umgibt sich bevorzugt mit afroamerikanischen Künstlern wie Tyondai Braxton oder der Beyoncé-Schwester Solange.
Die verschiedenen Phasen des Neuanfangs
Letzteres hört man seinen neuen Songs deutlich an: Die früheren Indie Rock-Einflüsse sind Hip Hop-Beats und RnB-Gesang gewichen. Thematisch allerdings geht es, wie übrigens schon auf dem allerersten Projectors-Album, um eine Trennung; und die verschiedenen Phasen des Neuanfangs.
"Das Album spannt einen Bogen: Am Anfang steht der Moment des Aufpralls, das gebrochene Herz. Dann machen sich die Songs auf eine Reise durch all die verschiedenen Stadien des 'Kaputt-Seins'. In den drei letzten Stücken öffnet es sich langsam: Das lyrische Ich steigt hinauf zwischen die Wolken, fällt herunter in einen Fluss, sieht wieder Farben und Licht. Mit dem letzten Stück 'I See You' erhält dann eine neue Form von Akzeptanz Einzug. Es kommt zu einem Abschluss."
Ob es in den Stücken tatsächlich um Amber Coffman, Longstreths Ex-Freundin und langjährige Sängerin der Dirty Projectors geht, das möchte der 35-Jährige nicht verraten.
Ansonsten gehören die Texte aber zum persönlichsten, was das Projekt je veröffentlicht hat. "Little Bubble" erzählt von der "kleinen Blase", in der Longstreth und seine Ex-Freundin für eine Weile glücklich hausten. "Work together" wiederum handelt von der Schwierigkeit, als Paar auch professionell zusammen zu arbeiten.
"Meine Eltern waren Babyboomer. Ich wuchs also mit den Mythen der Sechziger Jahre auf. Als Teenager entdeckte ich die Beatles und hörte den Song 'We can work it out'. Ich dachte, er handle vom Gegensatz zwischen den Generationen: Den 'Boomers' in ihren 20ern, die alle nur Frieden und Liebe wollten. Und deren Eltern mit ihren Wünschen nach Autorität und Ordnung. Ich erzählte meiner Mutter von meiner Interpretation und sie meinte: 'Nein! Ich glaube, der Song handelt von einer Beziehung'. So oder so – es ist kompliziert, als Paar zusammen zu arbeiten."
Sie samplen ihre alten Stücke
Während die Texte eher bekanntes Terrain – Trennungsschmerz und Neuorientierung - ausloten, liegen die Stärken des Albums in den musikalischen Details: Im ersten Song "Keep Your Name" taucht ein Sample aus einem älteren Dirty Projectors-Stück auf; einem Liebeslied, das Longstreth zusammen mit Amber Coffman sang.
"I See You" wiederum beginnt mit einer Orgel-Melodie, die ein wenig an "A Whiter Shade of Pale" erinnert, Procol Harum’s legendäres Liebeslied.
"Während der Entstehung des Albums hörte ich besonders gerne Johann Sebastian Bachs Orgelwerke: die Toccaten und Fugen. So wie das neue Album mit Kirchenglocken anfängt, fühlte es sich richtig an, es mit einer Art 'Segen' aufhören zu lassen. Ich orientierte mich an den Elementen aus der Orgelmusik, diesen typischen Halbton-Sequenzen, die auch Procol Harum benutzten; aber es sind tatsächlich verschiedene Melodien."
Man kann den Dirty Projectors sicherlich vorwerfen, es sich mit ihrem neuen Album zu leicht gemacht zu haben. Longstreth, der früher Songs über das antike Mexiko, den Elften September oder das ländliche Amerika schrieb, widmet sich nun ein ganzes Album lang der Liebe?
Neues Genre: Trennungsmusik
Aber der Sänger hat strenggenommen schon früher "Love-Songs" geschrieben. Und die Dirty Projectors bestechen auch auf Album Nr. 8 vor allem durch musikalische Raffinesse. Während Bob Dylan oder Bon Iver ganz konservativ zur Akustikgitarre griffen, um ihrem gebrochenen Herzen Luft zu machen, entwirft Longstreth postmoderne Liebeslieder; eine Mischung aus stolpernden Rhythmen und ungewöhnlichen Sounds, die der Ernsthaftigkeit des Sujets manchmal sogar diametral entgegen stehen.
"Wir leben in einer Zeit, in der Genres nicht mehr greifen: Was ist Rock? Was ist elektronische Musik? Aber es ist nützlich, Musik einen gewissen Rahmen zu geben, um den Leuten einen Eindruck zu geben, auf was sie sich einlassen. Wenn allerdings die alten Wörter, mit denen wir beschreiben, nicht mehr greifen, ist es vielleicht Zeit für ein neues Genre: Trennungsmusik."