Disco als Ort einer Utopie
In Ankara, Alexandria, St. Petersburg, Odessa und Rio hat Hans Nieswandt bereits an den Plattentellern gestanden. In Italien hatte er schon einen Nummer-eins-Hit. Nun hat der Kölner mit "Disko Ramallah. Und andere merkwürdige Orte zum Plattenauflegen" sein zweites Buch geschrieben, mit dem er gerade auf Lesereise ist.
"Ich hab schon ziemliche Routine, so DJ-Reisen zu machen, und trotzdem man muss immer an soviel tausend Sachen denken, die man nicht vergessen darf, zum Beispiel Kopfhörer, weil es gibt nichts Unangenehmeres als irgendeinen total vollgeschwitzten Kopfhörer von einem Typen vorher sich ans Ohr zu klemmen."
Hans Nieswandt, House-DJ der ersten Stunde und heute weltweit gefragter Spezialist für elektronische Musik im weitesten Sinne. Er ist einer der großen Meister an den Plattentellern, einer, dem an manchen Abenden magische Momente gelingen:
"Wenn es richtig gut läuft, in einem nicht zu großen Club, wo die Leute wirklich die Musik verstehen, sich auch so ein Zustand der Hingabe einstellt, wo man mir einfach blind vertraut und wo dann tatsächlich auf der Tanzfläche und über die Tanzfläche hinaus in dem ganzen Club so ein gemeinsames Grundgefühl, aber auf einem ziemlich euphorischen Level, wo es den Leuten auch plötzlich auffällt, he, wir schwingen ja plötzlich gemeinsam, das ist ja herrlich, das ist ja absolut herrlich, wer macht das? Das macht auch nicht der Hans, das macht die Musik, das ist pfff die göttliche Kraft, ja, das ist irgendwie, keine Ahnung, Gott."
Er sieht jung aus, schlank, drahtig, schmales Gesicht, Brille.
An vielen Abenden ist er doppelt so alt, wie die, die zu seiner Musik tanzen.
"Ich bin 42 und mache immer noch im großen und ganzen dasselbe wie mit 14 und musste auch neulich denken, meine Güte, wenn der 14-Jährige den 42-Jährigen sehen würde, dann müsste er ja eigentlich denken: unglaublich, das hat hingehauen, deine Träume haben irgendwie funktioniert, es geht!"
Und so fing alles an: Mit acht entdeckt er die Schallplatten der Eltern, die Schwester schenkt ihm, als die Familie von Mannheim zum Bodensee zieht, ihre Kassettensammlung. Popmusik wird zu seiner ersten großen Liebe. Weil er kein Geld für Platten hat, sitzt er mit dem Mikro vorm Fernseher und schneidet mit: "Disco 74" und "Musikladen". Schon als Jugendlicher schreibt er für Fanzines - und legt auf, im Frühjahr 1983 zum ersten Mal für Geld: 200 Mark, die er gleich wieder in Platten investiert.
Zum Studieren geht er nach Hamburg, wegen der dortigen Clubszene, Anfang der 90er zieht er nach Köln, wird Redakteur bei "Spex", dem Musik-Magazin, für die, die glauben, vorne zu sein. Er ist vorn und schreibt über die Musik, die er abends auflegt: House, Techno, elektronische Musik. Dabei bleibt es, bis heute, auch wenn er bei "Spex" '93 schon aufhört.
"Ich kam da nicht mehr weiter, ich lernte nichts Neues, während im Studio sein und Musik zu produzieren, da konnte ich noch unheimlich viel lernen."
Er tut sich mit zwei Freunden zusammen, sie nennen sich "whirlpool productions". Völlig unerwartet glückt Ihnen ein Hit, "from Disco to Disco", der 1997 bis auf Platz eins der italienischen Charts steigt. Die drei werden Popstars – für einen Moment. Der Höhepunkt ist zugleich das vorweg genommene Ende der Band, sagt Hans Nieswandt heute. Denn danach war alles anders: Die Erwartungen der Fans, die Erwartungen der Plattenfirma.
Und doch bringt ihm dieser Hit auch als DJ ein ganz anderes Standing. Wenn er gebucht wird, dann zu seinen Bedingungen:
"Die Leute müssen vor allem wissen, dass ich niemals Platten spiele, die ich nicht persönlich mag, was mich nicht daran hindert, eine Madonnaplatte zu spielen. Ich kann einen ganzen Abend lang spielen und jedes Lied ist total bekannt und trotzdem mag ich jedes dieser Lieder. Es kann dann trotzdem sein, dass Dinge verlangt werden, die darüber hinausgehen. Es ist teilweise haarsträubend, ein Bett im Kornfeld oder Scorpions, lauter Sachen, die überhaupt nicht zu mir passen, und das kann ich nicht machen. Das mach ich einfach nicht."
In seinem ersten, sehr lesenswerten Buch "Plus Minus Acht DJ Tage DJ Nächte" aus dem Jahr 2002 erzählt er von den Höhen und Tiefen des DJ-Lebens - wichtig auch für Kulturhistoriker kommender Jahrhunderte, die wissen wollen, was das war: DJ-Culture und Clubkultur. Was nicht in dem Buch steht: Seine Ehe ging auseinander, wegen seiner Erstfrau, der Musik.
"Disko Ramallah" ist nun eine Art Tagebuch von seinen Reisen um die Welt, viele im Auftrag des Goethe-Instituts. Ankara, Alexandria, St. Petersburg, Odessa, Rio. "Das war zu meiner Spezialdisziplin geworden", schreibt er, "die Darbietung deutscher, elektronischer Musik unter eigenartigen Umständen." Nach Ramallah im Westjordanland etwa reist er mit Plattenspielern und Mischpult in einer 1,60 Meter langen Kiste, die immer wieder für Aufsehen sorgt, besonders an Flughäfen und Checkpoints.
"Dadurch, dass ich all das schon so lange mache und mich mit der Situation da ziemlich intensiv auch vorher schon beschäftigt hatte, trat auf eine gewisse Weise dieses ganze Musikmachen irgendwie ein bisschen in den Hintergrund. Es war interessanter, die Schallplattenkiste von A nach B zu transportieren, als in B die Schallplattenkiste aufzumachen und Musik zu spielen."
Wobei Musikauflegen für ihn alles andere als ein unpolitischer Akt ist. Im Gegenteil: Er sieht sich als DJ in einer linken Tradition: Disco als Ort einer Utopie in der so etwas wie Glück möglich ist, Ahnung einer perfekten Welt - in einer Welt, die alles andere als perfekt ist:
" Wir sausen auf einer winzigen Kugel durch die Unendlichkeit und keiner weiß, was zum Kuckuck, das eigentlich soll, und wir haben Angst und Sorgen und alle zerren und beharken sich und plötzlich sind wir hier versammelt an einem Ort und es ist die Musik, es ist die Musik, die das alles irgendwie erträglich macht und die uns irgendwie Kraft gibt, das alles auszuhalten, und wir haben einen historischen Moment des Glücks geschafft, das diesem Leben abzuringen, das ist echt schön. Aber man kann diese Utopie auf keinen Fall immer leben, weil man verbrennen würde durch diese Intensität, selbst in einer perfekten Welt würde man nur manchmal tanzen gehen."
Hans Nieswandt, Disko Ramallah. Und andere merkwürdige Orte zum Plattenauflegen,
KiWi Paperback, 224 Seiten, 8,95 Euro
Hans Nieswandt, House-DJ der ersten Stunde und heute weltweit gefragter Spezialist für elektronische Musik im weitesten Sinne. Er ist einer der großen Meister an den Plattentellern, einer, dem an manchen Abenden magische Momente gelingen:
"Wenn es richtig gut läuft, in einem nicht zu großen Club, wo die Leute wirklich die Musik verstehen, sich auch so ein Zustand der Hingabe einstellt, wo man mir einfach blind vertraut und wo dann tatsächlich auf der Tanzfläche und über die Tanzfläche hinaus in dem ganzen Club so ein gemeinsames Grundgefühl, aber auf einem ziemlich euphorischen Level, wo es den Leuten auch plötzlich auffällt, he, wir schwingen ja plötzlich gemeinsam, das ist ja herrlich, das ist ja absolut herrlich, wer macht das? Das macht auch nicht der Hans, das macht die Musik, das ist pfff die göttliche Kraft, ja, das ist irgendwie, keine Ahnung, Gott."
Er sieht jung aus, schlank, drahtig, schmales Gesicht, Brille.
An vielen Abenden ist er doppelt so alt, wie die, die zu seiner Musik tanzen.
"Ich bin 42 und mache immer noch im großen und ganzen dasselbe wie mit 14 und musste auch neulich denken, meine Güte, wenn der 14-Jährige den 42-Jährigen sehen würde, dann müsste er ja eigentlich denken: unglaublich, das hat hingehauen, deine Träume haben irgendwie funktioniert, es geht!"
Und so fing alles an: Mit acht entdeckt er die Schallplatten der Eltern, die Schwester schenkt ihm, als die Familie von Mannheim zum Bodensee zieht, ihre Kassettensammlung. Popmusik wird zu seiner ersten großen Liebe. Weil er kein Geld für Platten hat, sitzt er mit dem Mikro vorm Fernseher und schneidet mit: "Disco 74" und "Musikladen". Schon als Jugendlicher schreibt er für Fanzines - und legt auf, im Frühjahr 1983 zum ersten Mal für Geld: 200 Mark, die er gleich wieder in Platten investiert.
Zum Studieren geht er nach Hamburg, wegen der dortigen Clubszene, Anfang der 90er zieht er nach Köln, wird Redakteur bei "Spex", dem Musik-Magazin, für die, die glauben, vorne zu sein. Er ist vorn und schreibt über die Musik, die er abends auflegt: House, Techno, elektronische Musik. Dabei bleibt es, bis heute, auch wenn er bei "Spex" '93 schon aufhört.
"Ich kam da nicht mehr weiter, ich lernte nichts Neues, während im Studio sein und Musik zu produzieren, da konnte ich noch unheimlich viel lernen."
Er tut sich mit zwei Freunden zusammen, sie nennen sich "whirlpool productions". Völlig unerwartet glückt Ihnen ein Hit, "from Disco to Disco", der 1997 bis auf Platz eins der italienischen Charts steigt. Die drei werden Popstars – für einen Moment. Der Höhepunkt ist zugleich das vorweg genommene Ende der Band, sagt Hans Nieswandt heute. Denn danach war alles anders: Die Erwartungen der Fans, die Erwartungen der Plattenfirma.
Und doch bringt ihm dieser Hit auch als DJ ein ganz anderes Standing. Wenn er gebucht wird, dann zu seinen Bedingungen:
"Die Leute müssen vor allem wissen, dass ich niemals Platten spiele, die ich nicht persönlich mag, was mich nicht daran hindert, eine Madonnaplatte zu spielen. Ich kann einen ganzen Abend lang spielen und jedes Lied ist total bekannt und trotzdem mag ich jedes dieser Lieder. Es kann dann trotzdem sein, dass Dinge verlangt werden, die darüber hinausgehen. Es ist teilweise haarsträubend, ein Bett im Kornfeld oder Scorpions, lauter Sachen, die überhaupt nicht zu mir passen, und das kann ich nicht machen. Das mach ich einfach nicht."
In seinem ersten, sehr lesenswerten Buch "Plus Minus Acht DJ Tage DJ Nächte" aus dem Jahr 2002 erzählt er von den Höhen und Tiefen des DJ-Lebens - wichtig auch für Kulturhistoriker kommender Jahrhunderte, die wissen wollen, was das war: DJ-Culture und Clubkultur. Was nicht in dem Buch steht: Seine Ehe ging auseinander, wegen seiner Erstfrau, der Musik.
"Disko Ramallah" ist nun eine Art Tagebuch von seinen Reisen um die Welt, viele im Auftrag des Goethe-Instituts. Ankara, Alexandria, St. Petersburg, Odessa, Rio. "Das war zu meiner Spezialdisziplin geworden", schreibt er, "die Darbietung deutscher, elektronischer Musik unter eigenartigen Umständen." Nach Ramallah im Westjordanland etwa reist er mit Plattenspielern und Mischpult in einer 1,60 Meter langen Kiste, die immer wieder für Aufsehen sorgt, besonders an Flughäfen und Checkpoints.
"Dadurch, dass ich all das schon so lange mache und mich mit der Situation da ziemlich intensiv auch vorher schon beschäftigt hatte, trat auf eine gewisse Weise dieses ganze Musikmachen irgendwie ein bisschen in den Hintergrund. Es war interessanter, die Schallplattenkiste von A nach B zu transportieren, als in B die Schallplattenkiste aufzumachen und Musik zu spielen."
Wobei Musikauflegen für ihn alles andere als ein unpolitischer Akt ist. Im Gegenteil: Er sieht sich als DJ in einer linken Tradition: Disco als Ort einer Utopie in der so etwas wie Glück möglich ist, Ahnung einer perfekten Welt - in einer Welt, die alles andere als perfekt ist:
" Wir sausen auf einer winzigen Kugel durch die Unendlichkeit und keiner weiß, was zum Kuckuck, das eigentlich soll, und wir haben Angst und Sorgen und alle zerren und beharken sich und plötzlich sind wir hier versammelt an einem Ort und es ist die Musik, es ist die Musik, die das alles irgendwie erträglich macht und die uns irgendwie Kraft gibt, das alles auszuhalten, und wir haben einen historischen Moment des Glücks geschafft, das diesem Leben abzuringen, das ist echt schön. Aber man kann diese Utopie auf keinen Fall immer leben, weil man verbrennen würde durch diese Intensität, selbst in einer perfekten Welt würde man nur manchmal tanzen gehen."
Hans Nieswandt, Disko Ramallah. Und andere merkwürdige Orte zum Plattenauflegen,
KiWi Paperback, 224 Seiten, 8,95 Euro