Politische Parabel zur Flüchtlingspolitik
Wer darf rein und wer muss draußen bleiben? In Wolfram Hölls neuem Stück wird eine Diskothek zum Sinnbild für das ganze Land. Zweimal hat Höll bereits den "Stücke"-Theaterpreis erhalten. Und auch sein neues Werk hat das Potenzial dazu.
Bums, tschick, bam – und immer so weiter, in wechselndem Tempo: Wer die Nächte in Diskotheken verbringt, kennt und mag diesen maschinellen Rhythmus von Leben und Lust. Der aus Leipzig stammende Dramatiker Wolfram Höll, der als Hörspiel-Regisseur im schweizerischen Biel lebt, nutzt im jüngsten Text fürs Theater den Herzschlag der Musik als Muster und Struktur für eine Art politischer Parabel – denn die "Disko", die dem Stück den Titel gibt, steht als Bild für das Land. Wer darf hier rein und wer muss draußen bleiben – das ist die Frage. Und die nächste schließt sich an: Schaffen wir das?
Die zentrale Hürde am Eingang zur Diskothek ist bekanntlich der Türsteher – ihm kommt hier eine Art Schlüsselrolle zu. Dieser Reinlasser und Rausschmeißer, ganz in Weiß und cool bis auf die Knochen, startet mit elektronisch verzerrter Stimme die Rhythmusmaschine. Und einige (die "auf der Liste" sind, der Gästeliste) dürfen drinnen im Tanzpalast gleich auf ein Laufband wie in der Muckibude nebenan.
Regisseur Ivan Panteleev und die Ausstatterin Yanjun Hu haben Tanz und Bewegung ganz und gar aus dem Menschlichen ins Maschinelle übersetzt. Denn selbst die, die vorerst noch draußen bleiben müssen, hocken auf Fahrrädern – und treten so kräftig in die Pedale, als müssten sie damit den Licht-Generator im Theater antreiben.
Am Ende murkst der Türsteher alle ab
Schnell wird's politisch – denn draußen vor der Disko ziehen Fremde vorbei, Geflüchtete. Dürfen die rein, fragen sich die Laufband-Tänzer drinnen – und nach einigem Hin und Her stimmt sogar "der besorgte Bürger" drinnen zu. Was für kurze Zeit zu drangvoller Enge im Eingangsbereich führt – und der Türsteher kommt schon hier nicht mehr durch und mit. Das hat doppelten Sinn – denn als kurz darauf, mitten in allgemeiner Anmache und Flirt hinüber und herüber, in der Disko ein Mord per Messerstich geschieht (und die Gruppen drinnen einander schon die Schuld zuschieben wollen), ist es dieser Türsteher, der nach und nach alle abmurkst, auch den besorgten Bürger. "Wir schaffen das" war schön und gut gemeint – aber die eigenen Nachbarn, die, die einst ja auch "Wir sind das Volk" in einer Art Disko-Rhythmus riefen, hat niemand mitgenommen.
Wolfram Hölls Text, entstanden nach zwei Jahren Schreib-Pause, ist in der Botschaft klarer als sonst. Sprachlich und formal liefert "Disko" dazu aber wieder ein Kunst-Stück aus Sparsamkeit und Berechnung – eine musikalische Partitur. Schon das Stück selbst gibt diese Musikalität vor, mit pop-musikalischen Zitaten und der wirkungsvollen Methode, "falsche" Betonungen sorgsam dosiert auf "richtige" Rhythmus-Beats zu legen – aber natürlich braucht's (wie immer bei Höll) die gestalterische Kraft der Inszenierung und des Musikers Jan S. Beyer, damit der an sich überschaubare Text in 75 konsequent durchrhythmisierten Minuten die kompakte, geschlossene Form erreicht – mit dem ebenfalls extrem kompakten Leipziger Ensemble.
Zweimal haben Stücke von Wolfram Höll in Leipziger Uraufführungs-Inszenierungen schon dem Mülheimer Theaterpreis beim "Stücke"-Festival erhalten: "Und dann" und "Wir sind drei". Jetzt war die Auswahljury (die die Kür in Kürze vorstellt) komplett in Leipzig zugegen – und womöglich hat Hölls "Disko" wieder das Zeug zum Favoriten.
Zweimal haben Stücke von Wolfram Höll in Leipziger Uraufführungs-Inszenierungen schon dem Mülheimer Theaterpreis beim "Stücke"-Festival erhalten: "Und dann" und "Wir sind drei". Jetzt war die Auswahljury (die die Kür in Kürze vorstellt) komplett in Leipzig zugegen – und womöglich hat Hölls "Disko" wieder das Zeug zum Favoriten.