"Es ist ein ökonomischer Rassismus"
Nach den Todesschüssen von Ferguson wächst in den USA erneut der Protest gegen Rassismus, die Polizei steht im Kreuzfeuer der Kritik. Der Historiker Norbert Finzsch erklärt, woher die unrechtmäßige Polizeigewalt gegen Schwarze kommt.
Rassismus und Polizeigewalt sind in den USA nach Ansicht von Norbert Finzsch, Professor für Angloamerikanische Geschichte an der Universität Köln, eng verwoben.
Unrechtmäßige Polizeigewalt gegen Schwarze sei ein seit langem bekanntes Phänomen in den Vereinigten Staaten, sagte Finzsch am Montag im Deutschlandradio Kultur. Nach dem Ende der Sklaverei seien die African Americans einem "System des Terrors" ausgesetzt gewesen, das besonders im Süden der USA in Polizeiuniformen aufgetreten sei. "Die Polizei hat hier in der Vergangenheit eine üble Rolle gespielt", sagte er. Später sei dann der berechtigte Widerstand der Schwarzen von der Polizei gewaltsam unterdrückt worden. Man könne die Polizei in den USA "nicht in Bausch und Bogen verdammen", aber es gebe immer wieder "faule Äpfel", die niemals aussortiert worden seien, so der Experte.
Auch heute noch, wie beispielsweise in Ferguson, hätten die Polizeitruppen zudem nicht genügend schwarze Beamte, die Vertrauenspersonen sein könnten. Die Polizei sei, mit Ausnahme von Los Angeles und New York, eine "weiße Polizei" geblieben, sagte Finzsch – geprägt von Iren und Italienern, "deren traditionelle tiefe Feindschaft gegen African Americans verbrieft (...) und historisch gut untersucht" sei. Um die aufgeheizte Stimmung in den USA wieder zu beruhigen, müsse vor allem das Gerede aufhören, dass es in den USA gar keinen Rassismus mehr gebe, sagte Finzsch. Dieser habe sich aber verändert, betonte er. Er sei heute nicht mehr so sehr offen, persönlich oder strukturell, sondern vor allem ökonomisch. "Die Filterung, die Ausgrenzung, die Diskriminierung geschieht durch die Linse der Ökonomie und nicht mehr durch die Linse der Verweigerung von Zugang", sagte Finzsch.
Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Es war ein bewegender Abschied: Zehntausende von Polizisten aus ganz Amerika sind zusammengekommen, um Rafael Ramos das letzte Geleit zu geben. Ramos war zusammen mit einem Kollegen von einem Schwarzen in seinem Streifenwagen erschossen worden, ohne Vorwarnung. Offenbar handelte es sich um einen Racheakt, nachdem mehrere Schwarze durch die Schüsse weißer Polizisten getötet worden sind. Die Gewalt zwischen Schwarz und Weiß, Weiß und Schwarz hat in den USA eine emotionale Debatte ausgelöst. Markus Pindur mit den Einzelheiten.
(Bericht)
Markus Pindur aus den USA über Gewalt, Trauer und Vergebung zwischen Menschen unterschiedlicher Hautfarbe. Und wenn man will, dass diese Menschen friedlicher zusammenleben, dann lohnt es sich, genauer auf die Ursachen des Konfliktes zu schauen, und das tun wir zusammen mit Norbert Finzsch, Professor für Anglo-Amerikanische Geschichte an der Universität in Köln. Guten Morgen!
Norbert Finzsch: Guten Morgen!
Welty: Auf der Beerdigung des erschossenen Polizisten hat der New Yorker Gouverneur davon gesprochen, dass nichts die New Yorker Familie besiegen und auseinanderbringen wird und dass man die Gegensätze überwindet, wie man es schon viele, viele Male getan habe. Ist da vor allem der Wunsch Vater des Gedankens? Ist das überhaupt realistisch nach all dem, was passiert ist?
Finzsch: Das muss ein Bürgermeister in einer multiethnischen Stadt wir New York einfach sagen, denn sonst wird diese Stadt zerrissen von den Gegensätzen, die es dort gibt. Vergessen wir nicht, dass dort eine Stadt mit acht Millionen Menschen ist, in der 40, 50, 60 verschiedene Nationen zusammenleben und in der es immer wieder auch zu rassistischen Ausschreitungen kommt und in der Vergangenheit gekommen ist. Wenn ich Bürgermeister dieser Stadt wäre, würde ich genau das auch sagen.
Welty: Wobei es der Gouverneur war, der das gesagt hat, während die Polizisten dem Bürgermeister, dem New Yorker Bürgermeister bei seiner Ansprache den Rücken gekehrt haben, zumindest viele von ihnen, weil sie sich eben nicht ausreichend geschützt fühlen. Das ist ja nicht unbedingt ein Zeichen von Versöhnung oder von Versöhnungsbereitschaft.
Polizeigewalt gegen Schwarze gibt es in den USA seit langem
Finzsch: Ich glaube, dass in der letzten Zeit die Gräben da weiter aufgerissen worden sind. Polizeigewalt, unrechtmäßige Polizeigewalt ist ja ein lang bekanntes Phänomen in den Vereinigten Staaten, geht ins 19. Jahrhundert zurück. Und es war eigentlich immer klar, dass diese Gewalt sich vor allem gegen African Americans richtet. Nun ist es aber anscheinend auch so, dass die Polizei das Gefühl hat, dass sie in ihrem Kampf gegen Verbrechen nicht mehr ausreichend respektiert wird. Und das ist die Ursache für diese Aktion der Polizeileute.
Welty: Warum sind es immer wieder Polizisten, die in diese Auseinandersetzungen, auch in diese Art der Gewalt involviert sind?
Finzsch: Das ist nicht ganz einfach zu beantworten. Das eine ist, dass es in dem Sinne, wie es in Deutschland ein Monopol der Gewalt beim Staat gibt, es dies in den Vereinigten Staaten nicht gibt. Schließlich garantiert die Verfassung jedem Bürger und jeder Bürgerin der Vereinigten Staaten das Tragen einer Schusswaffe. Das ist das eine. Das andere ist, dass die 'Polizeien' – ich muss jetzt hier einen komischen Plural verwenden – in den Vereinigten Staaten sehr, sehr unterschiedlich sind. Sie haben auf der Bundesebene Polizeitruppen, Sie haben auf der Bundesstaaten Polizeitruppen, Sie haben Polizeitruppen auf der Ebene der Counties. Das sind oft Sheriffs, die gewählt werden, also quasi Politiker sind. Und Sie haben städtische Polizeitruppen in sogenannten inkorporierten Städten, also Städten, die eine eigene Charta haben, die eine eigene Verfassung haben mehr oder weniger. Und diese Polizeigewalten überlappen sich. Es ist schon eine ganz schwierige Situation.
Und dann kommt historisch dazu, dass African Americans seit dem Ende des Bürgerkrieges immer wieder verantwortlich gemacht worden sind für Gewaltverbrechen in einem besonders hohen Maße. Das hat mit dem weit verbreiteten Rassismus in den Vereinigten Staaten zu tun, und auch die Polizei, die sich historisch eher aus weißen Mitgliedern der Gesellschaft rekrutiert hat, ist überhaupt nicht frei von diesen rassistischen Anwandlungen. In der Vergangenheit sind es oft Iren und Italiener gewesen, die in der Polizei einen Job gefunden haben, und deren traditionell tiefe Feindschaft gegen African Americans ist verbrieft und besiegelt und historisch gut untersucht.
Welty: Warum ist es bis dato nicht gelungen, diese rassistischen Anwandlungen, diese Vorbehalte zu überwinden? Wo liegen die eigentlichen Ursachen? Womöglich auch in historischen Erfahrungen?
Die Protagonisten des Terror-Systems trugen Polizei-Uniformen
Finzsch: Die liegen in historischen Erfahrungen und die haben etwas damit zu tun, dass die African Americans nach dem Ende der Sklaverei einem System des Terrors ausgesetzt gewesen sind, das sehr oft, vor allem im Süden, maskiert gewesen ist hinter Polizeiuniformen. Die Polizei hat hier in der Vergangenheit eine üble Rolle gespielt, und, bitte, man muss differenzieren, natürlich, aber das sind vor allem die lokalen Polizeitruppen im Süden gewesen, die hier ein sehr, sehr schlechtes Bild abgegeben haben.
Mit dem Weggang der African Americans in den Norden und in den Westen gegen Ende des 19. Jahrhunderts hat sich das Bild etwas verschoben, weil es hier dann auch zu Widerstandsakten der Schwarzen gekommen ist, berechtigten Widerstandsakten, die aber dann auch von der Polizei gewaltsam unterdrückt worden sind. Und da gibt es ganz schlimme Beispiel für. 1919 in Chicago, dann in den 50er- und 70er- und 90-Jahren immer wieder Los Angeles, wo die Polizei also ein ganz schlechtes Bild abgegeben hat. Man kann die nicht in Bausch und Bogen verdammen, aber es gibt immer wieder faule Äpfel, und die sind nicht aussortiert worden.
Hinzu kommt, dass beispielsweise wie auch in Ferguson, die Polizeitruppen eben nicht genug schwarze Beamte haben, die die Situation kennen, die auch beruhigend auf andere einwirken könnten, die Vertrauenspersonen darstellen könnten, sondern die Polizei ist, mit wenigen Ausnahmen - Los Angeles inzwischen, New York auch - weitgehend eine weiße Polizei geblieben.
Welty: Der Tod von Michael Brown in Ferguson, mit gerade mal 18 Jahren, war ja der Anlass für die Unruhen. Wenn Sie das jetzt so historisch auffächern, was kann man aus diesen Teilen der Geschichte lernen für eine bessere Gegenwart und vor allem für eine bessere Zukunft?
Finzsch: Vor allem muss das Gerede davon aufhören, dass es keine Rassengrenzen mehr gibt in den Vereinigten Staaten. Dass es ja gar keinen Rassismus mehr gibt und so weiter und so fort. Das Gesicht des Rassismus hat sich geändert, und das muss man endlich zur Kenntnis nehmen.
Es ist nicht mehr der alte, offene, persönliche Rassismus. Es ist auch weniger der strukturelle Rassismus, der es African Americans grundsätzlich unmöglich macht, etwas zu schaffen. Es ist mehr ein ökonomischer Rassismus, der eine wichtige Rolle spielt, also dass die Filterung, die Ausgrenzung, die Diskriminierung geschieht durch die Linse der Ökonomie und nicht mehr durch die Linse der Verweigerung von Zugang. Und das muss man endlich ernst nehmen. Die Hypersegregierung in einigen Städten, die wir gerade in der letzten Zeit beobachten können, ist ein Beispiel dafür, was passieren kann, wenn man behauptet, das Problem des Rassismus sei längst gelöst.
Welty: Einschätzungen von Norbert Finzsch, Professor für Anglo-Amerikanische Geschichte an der Universität Köln. Er beleuchtete für uns das Verhältnis von unterschiedlichen Menschen mit unterschiedlicher Hautfarbe in den USA! Danke dafür!
Finzsch: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.