Wie divers ist die Klassikszene?
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Eine Afroamerikanerin als „Venus“ in der Wagner-Oper „Tannhäuser“ in Bayreuth: Das führte in den 1960er-Jahren noch zu wilden Diskussionen. Heute treffe Rassismus in der Klassikszene vor allem Asiaten, berichtet unser Opernkritiker Uwe Friedrich.
Musikerinnen und Musiker in Orchestern, Sängerinnen und Sänger an Opern stammen oft aus den verschiedensten Ländern. Die Klassikszene ist international. Zumindest scheint es so. Auch die sogenannte Hochkultur rückt nun in den Fokus der rassismuskritischen Aufmerksamkeit.
"Die Klassik ist ja auch nur ein Abbild der Gesellschaft. Warum sollte es ausgerechnet da keinen Rassismus geben? Das kann ja überhaupt nicht sein, dass da sich nun gar keine Rassisten hin verirren würden", sagt unser Opernkritiker Uwe Friedrich.
Grace Bumbrys Auftritt in Bayreuth löste Diskussionen aus
Ihm als weißer Mann von Mitte 50 sei seine Position des White Privilege bewusst, erklärt Friedrich. Das bedeutet, dass ihm natürlich andere Dinge auffallen als jemandem, der direkt von Rassismus betroffen ist, aber:
"Ich glaube nicht, dass wir deshalb nicht das Recht haben, das zu beschreiben. Ich beschreibe als Journalist ja auch andere Szenen, zu denen ich nicht dazugehöre. Wenn ich in die Oper gehe, bin ich selbst kein Opernsänger, rezensiere sie aber hinterher."
Friedrich erinnert an die Diskussionen in den 1960er-Jahren, als die afroamerikanische Opernsängerin Grace Bumbry in Bayreuth aufgetreten ist. Da sei der Rassismus gegen Schwarze sicherlich stärker gewesen als heute.
Damals habe man darüber diskutiert, ob man schwarze Sängerinnen und Sänger außer als Aida oder Bess überhaupt besetzen könne, oder ob das nicht unrealistisch sei? "Das war natürlich tendenziell rassistisch argumentiert."
Heute sind vor allem Asiaten Opfer von Rassismus
Heute treffe Rassismus eher Asiaten, berichtet Friedrich: "Da höre ich sehr häufig, wenn ich bei Gesangswettbewerben zum Beispiel bin: 'Die Asiaten überschwemmen uns. Der europäische Nachwuchs, speziell der deutsche, hat keine Chance gegen das Heer der Asiaten.'"
Ohnehin sei es schwierig, Diskriminierung zu greifen, wenn es um die sogenannte Bestenauswahl geht, wie bei solchen Wettbewerben üblich. "Wer ist denn der Beste, wenn der Dirigent gesucht werden soll? Da ist natürlich viel Subjektives dabei."
"Erschreckender Mangel an Fantasie"
Friedrich berichtet von einem Wettbewerb, an dem ein sehr guter schwarzer Opernsänger teilgenommen habe, den man in den USA einen "Big Boy" nennen würde, "also ein recht beleibter Herr", sagt Friedrich. Hinter vorgehaltener Hand hieß es dann, mit dieser Figur könne er sich eine Karriere abschminken.
Hier sei also die Hautfarbe weniger das Problem gewesen, sagt Friedrich, sondern eher, "dass gesagt wurde, die Besetzungschefs sind sowieso so drauf gepolt, dass die alle schlank und möglichst jung sein müssen, dass er nur dann eine Chance hätte". Dieser Mann habe schließlich doch Karriere gemacht, "eben weil er ein großartiger Sänger ist".
Insgesamt konstatiert Friedrich einen "erschreckenden Mangel an Fantasie": "Sollen sich denn dicke Menschen nicht verlieben dürfen? Sollen denn nur schlanke junge Menschen ein Liebespaar darstellen? Wo wir uns schon so daran gewöhnt haben, dass jede Handlung überall hin verlegt werden kann, ist das eher ein Argument, das ich ein bisschen denkfaul finde."
(ckr)
Und ein Blick in die USA: Warum ist die Klassikszene dort so weiß? Katharina Wilhelm ist dieser Frage nachgegangen: